Schuldbekenntnis des Journalisten

Ich bekenne Wolf, dem Sprachmächtigen,
dem seligen, allzeit reinen Reporteur Egon-Erwin,
dem heiligen Schmidt, dem Kanzler,
den heiligen Aposteln Rudolf und Jakob,
allen taz-Redakteuren,
und Euch, Brüder und Schwestern,

dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe.
Ich habe gesündigt in Worten, Worten und noch mehr Worten,
durch meine Schuld, durch meine Schuld,
durch meine große Schuld.

Ich habe gespeist vom Tisch der Sponsoren,
habe mich vom goldenen Kalb der page impressions leiten lassen,
und nicht genug getan, das Licht zu bringen
zu den Menschen der Erde,

Ich habe gelauscht den Verlockungen
der öffentlichen Meinung,
geschrieben, was jeder lesen wollte,
und gehuldigt der Zielgruppe.

Ich habe wichtige Themen versinken lassen,
weil sie zu kompliziert,
zu schwer und
schlichtweg zu viel Arbeit waren.

Ich habe Meinung transportiert,
wo Aufklärung Not tat,
habe Euch gesagt,
was ihr hören wolltet.

Ich habe Voyeurismus als Information verkauft,
in einer Person
angeklagt, verurteilt und gerichtet.

Ich habe Pauschalhonorare akzeptiert,
und aus der New York Times abgeschrieben,
was ich selbst nicht glauben wollte.

Habe Freunde zitiert,
in Hoffnung
sie wären Experten.

Habe Stimmung gemacht,
überzeugt,
das sei Aufklärung.

Habe getan,
als wüsste ich
was ein Potentiometer ist.
und warum Nieten besser als Kleber sind.

Darum bitte ich den seligen Egon-Erwin,
alle Redakteure und Heiligen,
und Euch, Brüder und Schwestern,
für mich zu beten bei Gott, unserem Herrn.

Sieht aus wie

Korrespondent Stefan Schaaf berichtet gestern abend in der Tagesschau über die Folgen des Erdbebens in Haiti:

Wir sind zum ersten Mal aus Port-au-Prince herausgefahren und haben die Schäden in der Provinz gesehen. Sie sind besonders im Südwesten verheerend. Die Kleinstadt Leogane etwa ist fast vollständig zerstört worden: Die Eindrücke dort gleichen Kriegsbildern.

Klaus Ehringfeld in der Frankfurter Rundschau:

Die Bilder gleichen denen der Wochenschau aus deutschen Städten nach dem Zweiten Weltkrieg. Nur die Trümmerfrauen fehlen.

Vor ein paar Tagen hörte ich einen ARD-Korrespondenten auch, der die ersten Bilder der Naturkatastrophe gar mit den Anschlägen vom 11. September verglich. Wie man mit eigenen Augen sehen kann sieht es in Haiti ganz anders aus. Haufenweise Verletzte, traumatisierte Menschen, ausländische Hilfskräfte, die mit ihrer modernen Ausrüstung wie Fremdkörper wirken, die zerstörte Kathedrale und der Präsidentenpalast, Plünderer. Die Farbe braun dominiert: Unbetonierter Boden, eingefallene Mauern, die Menschen selbst. Aber es gibt keine Artillerieeinschläge, keine riesige Staubwolke, die sich über die reichste Stadt der Welt legt, oder gar ausgebrannte Panzer.

Kurzum: Es sieht aus wie nach einem Erdbeben in einem Drittweltland. Die Katastrophe unbedingt mit anderem menschlichen Leid vergleichen zu wollen, hilft uns nicht zu begreifen.

Gott hat Haiti gestraft!11!!

Was für eine absurde Überschrift. Was für ein abwegiger Gedanke, Naturkatastrophen als göttliche Kollektivstrafe anzusehen. Ich scherzte eben schon, dass Pat Robertson nach der Katastrophe in Haiti ausnahmsweise mal nicht die Homosexuellen verantwortlich machen kann.

Aber solche Scherze haben eine unangenehme Eigenschaft – die Protagonisten übertreffen sie in der Realität noch:

Evangelical broadcaster Pat Robertson says Haiti has been “cursed“ because of what he called a “pact with the devil“ in its history. His spokesman said the Wednesday comments were based on Voodoo rituals carried out before a slave rebellion against French colonists in 1791.

Nun, was soll man da sagen? Pat Robertson ist nicht ein vernagelter (pseudo-)religiöser Rechtsaußen. Über ihn sollte man allenfalls lachen.

Hier – im aufgeklärten Europa – käme man doch nie auf den Gedanken, Erdbeben und Religion zu vermischen. Außer natürlich unser Bundesaußenguido:

Außenminister Guido Westerwelle rief alle Bundesbürger auf, für die Erdbebenopfer zu spenden: „Die Katastrophe ist wirklich eine Katastrophe biblischen Ausmaßes.“

Nun, selbst als Rheinländer muss Westerwelle das nicht religiös gemeint haben. Es ist eine Redensart. „Katastrophe biblischen Ausmaßes“ heißt in Wahrheit nur „schlimmer als Daisy„. Das muss nichts mit Religion zu tun haben.

Das geschulte Bodenpersonal des Herrn würde sowas natürlich sofort zurückweisen. Außer natürlich, man ist damit beschäftigt, seine toten Freunde aus den Trümmern zu bergen, den Verletzten Beistand zu leisten. Dann kümmert man sich nicht um verunglückte Überschriften wie diese:

Quotentipp

Nicht die richtigen Fakten sind entscheidend, der richtige Gegner ist viel wichtiger.

Ob Du ein revolutionäres Medikament entwickelt hast, ist zweitrangig – solange Du nur gegen die milliardenschwere Pharma-Konzerne antrittst. Ob Du ein ideenloser Spammer bist, ist egal – solange Du gegen die allmächtige Wikipedia antrittst. Ob das neue Gadget wirklich taugt, wird erst entschieden, nachdem es als iPhone- und Windows-Killer angepriesen wurde.

Kritische Fehlwahrnehmung

Das Esoblog über Lehren aus dem Regividerm-Skandal

Bei einem Nicht-Journalisten würde man so etwas selektive Wahrnehmung aufgrund von Vorurteilen nennen, die auch noch in die Fehlwahrnehmung mündet, selber besonders kritisch zu sein.

Das gilt leider für vieles, was als kritischer Journalismus verstanden wird. Natürlich ist ein Journalismus ohne jede Tendenz nicht möglich, aber ein vermeintlich besonders medienkompetentes Publikum klatscht am lautesten, wenn sich der Autor erst gar nicht darum bemüht. Und das Tendentielle wird dann als besonders glaubwürdig und objektiv weitergetragen.

Bescheiden peinlich

Was macht eine Zeitung wenn die Mutter des Verlegers einen Orden bekommt? Natürlich berichten:

„Mir sind Orden eigentlich eher peinlich“, gestand die Geehrte, die 1998 bereits das „Verdienstkreuz am Bande“ und 2006 das „Große Verdienstkreuz“ des Verdienstordens der Bundesrepublik erhalten hatte. Aber sie freute sich dennoch – für die Sache, für die sie seit mehr als 20 Jahren kämpft. Zu ihrer Ehrung gratulierten als erste ihr Sohn Konstantin Neven DuMont (Vorstand der Mediengruppe DuMont) und Rösraths Bürgermeister Marcus Mombauer.

Kurz

Einen Teaser zu formulieren, ist nicht immer einfach. Das Layout ist ein strenger Lehrmeister: 180 Zeichen können ideal, 181 zu lang und 179 Zeichen zu kurz sein. Das Ganze soll den Lesern zum Klicken verleiten. Und ja – irgendwie soll der Textfetzen auch eine adäquate Repräsentation der Geschichte darstellen. Und: es sollte stimmen.

Doch in der Kürze gehen manchmal Nuancen verloren:
kurz

Glaubwürdigkeit

Gestern hatte ich mich ja schon kurz mit dem aus meiner Sicht allzu internet-optimistischen Internet-Manifest beschäftigt. Eine der Behauptungen ist, dass die Ansprüche des Publikums gestiegen sei: „Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig und besonders ist.“ Ich persönlich fände es sehr bedauerlich, wenn nur noch herausragende Menschen vom Publizieren leben könnten – man stelle sich vor nur Madonna verdient mit Musik Geld und alle gehen leer aus. Aber das ist eine Petitesse, das Thesenpapier wurde einfach zu hurtig formuliert um tatsächlich fundierte Analysen zu bieten.

Trotzdem möchte ich hier nochmal drauf eingehen. Eine der Lieblings-Quellen für deutsche Netizens ist das Blog von Fefe, der beim Chaos Communication Congress immer die unterhaltsamen Jahresrückblicke veranstaltet. Ist die Quelle glaubwürdig? Auf den ersten Blick: nein – ganz oben steht: „Wer schöne Verschwörungslinks für mich hat: ab an felix-bloginput (at) fefe.de!“ Das Blog ist demnach eher ein alternate reality game als eine Nachrichtenquelle. Was stimmt, was nicht? Wer erkennt das bekannte Muster? Wo sind die 23 CIA-Agenten versteckt?

Der Inhalt des Blogs stammt zum großen Teil aus Agenturen, Stücke von Spiegel Online, dem Guardian – kurz: die Massenmedien, die Fefe so gern verhöhnt, sind seine wichtigste Informationsquelle. Deren Kurzmeldungen dampft er nochmal auf ein zweizeiliges Zerrbild ein. Aber Fefe hat mehr: zusätzliche Infos, die die vielen Zuträger einsenden: unbekannte Fakten, neuer Kontext, verschrobene Interpretationen. Manchmal ist das sehr unterhaltsam – aber glaubwürdig? Nein.

Das Problem: Trotzdem wird Fefe geglaubt. Ihm selbst ist das furchtbar unangenehm und er hat zur Abschreckung einen Beitrag verfasst, der seine Arbeitsweise als inoffizielles Redaktionsstatut von bild.de entlarvt: von ihm kann man weder Neutralität, noch Korrekturen erwarten. Überhaupt: alles, was er schreibt, sind ja eh nur Meinungsäußerungen. Wer will, kann ja den Links folgen, die oft – aber keineswegs immer – die Quelle der Kurz-Anekdoten zeigen.

Und noch immer kommt es bei dem Publikum nicht an. So ist heute morgen wieder eine Fefe-Meldung in meinen Twitter-Horizont geschwappt.

Die SPD ist so verzweifelt, dass sie schon alte Schröder-Plakate aufhängt. Aufgenommen gestern in Berlin Pankow. Im Hintergrund sieht man ein großes Steinmeier-Plakat, falls jemand zweifelt, dass das eine aktuelle Aufnahme ist.

Wirklich lustig ist das ja nicht, und so blöd sind SPD-Plakatierer auch nicht. Ein Blick auf das Beweisfoto offenbart, was man eh schon vermutet hat: jemand hat das Steinmeier-Plakat abgerissen und darunter kam ein Schröder-Plakat zum Vorschein. Oben hängt sogar noch ein Fetzen Steinmeier herum. Und dennoch: auf Twitter wird die Falschinterpretation ohne jede Kritik weiter verbreitet – von Menschen, die eigentlich selbst denken können, die eine so billige Manipulation mit einem Blick erkennen müssten.

Ich bin mal gespannt, wie viele Leute heute glauben werden, dass der Axel-Springer-Verlag Welt.de und Bild.de noch in diesem Jahr für den freien Zugriff sperren will. Schließlich hat es ja RIA Novosti in einem Fünfzeiler gemeldet. Zwar sind glaubwürdigere Quellen nur einen Klick entfernt, man kann die Rede von Herrn Wiele sogar komplett online ansehen – aber wen interessieren schon Fakten?

Was bleibt zu sagen? Medienkompetenz wird nicht automatisch mit einem Internet-Anschluss erworben, objektive Wahrheiten sind eh nur eine Illusion und daher auch komplett verzichtbar.

Zukunftsmodell

Der Axel-Springer-Verlag will – ähnlich Astra mit HD+ – die Kostenloskultur durchbrechen. Den Anfang soll eine iPhone-App machen, die Inhalte von bild.de gegen Bezahlung verfügbar macht.

Auf dem Kongress zur Medienwoche Berlin-Brandenburg greift Axel-Springer-Manager Andreas Wiele zu ungeschickten Vergleichen:

„Elektronische Fürze können Sie kaufen, die kosten 79 Cent“, erklärte Wiele. Nur die Verlagsbranche wage es bislang nicht, für ihre Inhalte Geld zu verlangen. „Wir versuchen unserem Journalismus nun dort einen Wert zu geben.“

Druckerpressen sind von gestern, Elektro-Fürze sind von heute. Doch wie nachhaltig ist der Flatulenz-Hype ums iPhone? Wyatt Cenac hat sich umgehört.

Man fühlt sich direkt an die Hamburger Erklärung erinnert.