Islamophobe bomben alleine

Der „Standard“ schildert, wie die Ungewissheit nach den Anschlägen von Oslo in ein islamophobes Spekulieren ausartete:

Im Journalistenalltag entzieht man sich nicht leicht solchen Mechanismen: alle melden, dass es so ist, also muss nachgezogen werden. Die internationalpolitische Redaktion von derStandard.at entschließt sich, zu warten: die norwegischen Behörden und niemand anderer soll sagen, was Sache ist.

Dass es viel Material zu Spekulieren gab, war unter anderem der Nachrichtenagentur Reuters zu verdanken. Die sandte kurz nach dem Bekanntwerden der Anschläge diese Meldung heraus:

Norway attack: Likely suspected groups

(Reuters) – A massive bomb shattered Norway’s main government building in Oslo Friday, killing two people, police were quoted as saying by local news agency NTB.

There was no claim of responsibility, though NATO member Norway has been the target of threats, if not bombs, before, notably over its involvement in conflicts in Afghanistan and Libya. Prime Minister Jens Stoltenberg was safe, NTB said.

Here are details of some of the Islamist militant groups with a record of links to plots in Europe.

Insgesamt sechs islamistische Gruppen wurden aufgezählt – ohne jeden Bezug zu Norwegen. Die Meldung ist inzwischen gelöscht.

Diese Haltung zeigte sich dann auch in der Berichterstattung vieler deutscher Medien. So erfuhr ich in der 20-Uhr-Tagesschau, dass „vieles“ für einen islamistischen Hintergrund spreche, nur eine Bestätigung fehle noch. Dabei hatten die norwegische Polizei und Regierung solche Mutmaßungen zurückgewiesen, die überall zitierten Terrordrohungen waren alles andere als konkret, der Tatablauf untypisch. Aber Terror und Islamismus — das passt prima zusammen. Oder sollten wir es eine traurige Routine nennen, die sich bei vergangenen Bomben-Anschlägen mit vielen Opfern eingebürgert hat?

Zum Beispiel brachte Welt.de die vermeintliche Verknüpfung gestern am späten Abend so auf die Titelseite:

„Die Gefahr geht vom politischen Islam aus“ – dahinter steckt dieser Kommentar vom 4. März, in dem unter anderem der Begriff „Islamophobie“ als Kampfbegriff des politischen Islames ausgemacht wird:

Liberale „Islamkritiker“ werden in deutschen Feuilletons als „Panikmacher“ denunziert und pauschal mit populistischen rechtsextremen Fremdenfeinden in Verbindung gebracht. Dies erinnert an die Art, wie Linke und Linksliberale in den 70er- und 80er-Jahren den Begriff „Antikommunismus“ in eine Stigmatisierungsvokabel umgemünzt haben.

Dass sich der Wind gedreht hat, hat Welt.de auch mitbekommen. Ein aktueller Artikel beginnt so:

Dass es ein Einzeltäter war, ist bisher keineswegs erwiesen. Die zuständigen Polizeibehörden haben auf den Pressekonferenzen, die eben auf BBC World live übertragen wurden, nichts dergleichen gesagt. Stattdessen wurde ein Polizeichef gefragt, ob er denn nicht überrascht sei, dass hinter den Anschlägen offenkundig keine Islamisten steckten.

Fazit: Die Islamisten bomben für den politischen Islam, die Anti-Islamisten bomben alleine.

News of the world: I just threw up in my mouth

Ich könnte 16000 Zeichen schreiben über die Verwerflichkeit, die gesellschaftliche und politische Dimension des News-of-the-world-Skandal, Konkurrenzkampf, den erbarmungslosen News-Cycle, Leser, die sich jeden Morgan am Kiosk Schmutz kaufen und sich in die Augen schmieren, die Verderbtheit des Menschen allgemeinen und des Journalisten im Speziellen — aber ich mache es nicht. Ich embedde.

Hier klicken, um den Inhalt von media.mtvnservices.com anzuzeigen

The Daily Show – Have No Fear, England’s Here
Get More: Daily Show Full Episodes,Political Humor & Satire Blog,The Daily Show on Facebook

Ach ja: es gibt neben Hugh Grant noch einen Bösewichterheld.

When the news of the paper’s closure came, there was a collective gasp and shouts of „no“ before relative silence descended and Brooks continued. „The Guardian newspaper were out to get us, and they got us,“ she said in what was, in the context of what observers described as a somewhat halting and stumbling speech, a rare oratorical flourish.

Geht es überhaupt um die App?

Viel Häme ist nach der Verleger-Klage gegen die Tagesschau-App vergossen worden. Doch hören wir den Verlegern Mal zu. Dass Umwälzungen stattfinden müssen, ist eine Binsenweisheit. Doch niemand kann ernsthaft fordern, dass uns alle Änderungen auch tatsächlich gefallen.

Mathias Döpfner erklärt heute in der Süddeutschen:

Es geht um die Medienordnung in Deutschland. Die Apps der mit Gebühren finanzierten Sender beschreiben eine symbolische und faktisch außerordentlich problematische Entwicklung. Wir klagen, weil wir überzeugt sind, dass die App gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstößt. Im Rundfunkstaatsvertrag, Paragraph 11d, Absatz zwei, Ziffer drei, steht: Nicht sendungsbezogene, presseähnliche Angebote sind unzulässig. Die Tagesschau-App ist sehr eindeutig presseähnlich und nicht sendungsbezogen, also nicht zulässig.

Und Konzern-Kollege Christoph Keese sekundiert im Handelsblatt:

Worum geht es? ARD und NDR betreiben eine textbetonte Ausgabe der „Tagesschau“, die privaten Nachrichtenangeboten zum Verwechseln ähnlich sieht. Sie wird in Apples AppStore kostenlos angeboten und wurde seit ihrem Erscheinen vor einem halben Jahr 1,7 Millionen Mal auf iPhones und iPads heruntergeladen, finanziert durch Rundfunkgebühren.

Auf der einen Seite ist das Argument nachvollziehbar: Warum sollen die Öffentlich-Rechtlichen in Märkte vorstoßen können, die eigentlich der Privatwirtschaft vorbehalten sein sollten? (Fast) niemand erwartet GEZ-finanzierte Zeitungen — auch wenn mit Steuergeldern Neuntklässler zu Zeitungslesern ausgebildet werden sollen. Eine konvergente Welt, die Internet und andere Medieninhalte vereint, setzt sich über die althergebrachten Demarkationslinien hinweg.

Doch auf der anderen Seite: Warum ausgerechnet eine Klage gegen die App der Tagesschau? Denn eigentlich ist das Angebot ziemlich identisch mit dem Web-Angebot von tagesschau.de, es gibt keine separate App-Redaktion und AFAIK auch keine Inhalte, die exklusiv in der App auftauchen. Die App ist nicht prsseähnlicher als tagesschau.de. Als GEZ-Zahler fände ich es aber überaus verschwenderisch, wenn die ARD beispielsweise ihr großes Korrespondenten-Netz unterhält und dieses nur einmal pro Woche im ARD-Weltspiegel vorzeigt — oder in der Tagesschau, wenn die Bomben bereits fallen. Der Punkt „sendungsbezogene“ Inhalte sollte uns jedoch freuen. Wenn Springer hier konsequent handelt, müsste der Verlag auch ein Ende der idiotischen 7-Tage-Regel fordern, die erst auf Verlangen der privaten Konkurrenz in den Rundfunk-Staatsvertrag kam und wirklich niemandem geholfen hat.

Spannender Punkt: Wenn die App rechtswidrig ist, warum ist es die Webseite nicht? Sie ist ja auch kostenlos, textbasiert und nicht an eine Ausgabe der Tagesschau gebunden. Ist also die symbolische Klage gegen eine App in Wahrheit der Angriff auf sämtliche Textangebote von ARD und ZDF im Internet? Wollen wir den Springer-Managern zu Gute halten, dass Sie App und Web in Ihren Angeboten trennen und man deshalb mit dem iPhone-Browsern zum Beispiel Regionalinhalte von Bild.de nicht lesen kann, obwohl die über einen normalen Desktop-Browser kostenlos abrufbar sind. Bei Springer glaubt man an diese Grenze, eine Klage ist daher konsequent. Auch die TV-Sender glauben an Grenzen, die man beispielsweise den Herstellern von internetfähigen Fernsehern vorschreiben kann. Wenn diese Grenzen niedergerissen werden, wird das Wehklagen noch lauter werden.

Wo soll man die Grenze ziehen? Wie weit reicht der Informationsauftrag von ARD und ZDF. Ich weiß es nicht. Herr Döpfner und Herr Keese offensichtlich auch nicht. Und Herr Beck und Herr Eumann? Auch da habe ich noch keine überzeugenden Ideen gehört.

Geschwätz von gestern

Journalisten haben die Aufgabe zu informieren. Doch was sind Informationen wert, wenn täglich Millionen Infosplitter über unsere Bildschirme flackern über Lybien, die Griechenland-Krise oder die Internet-Blase. Manche Leser erwarten von Journalisten Antworten, doch wir haben sie nicht.

Wir haben wirklich keine Antworten. Wir plappern nach.

Circle of media life

Wenn wir nur lang genug über die Killer-Bakterien auf Tomaten, Salat und Äpfeln berichten, haben wir auch schon die nächsten Schlagzeilen für Juni in petto:

Seefahrer-Krankheit greift um sich. Skorbut in Deutschland!

Wie konnte das nur passieren? Im Zweifel hat es ein Gesundheitsminister verbockt.

 

PS:

Dumpio Experts

Die Blog-Zähler von Wikio.com haben mir ein tolles Angebot unterbreitet. Sie haben eine Plattform namens „Wikio Experts“ und ich als Experte darf mich daran beteiligen. Yay!

Jeder veröffentlichte Beitrag wird von uns vergütet, entweder mit einem festen Betrag oder über Umsatzbeteiligung. In der Regel zahlen wir pro Artikel 5 bis 15 Euro, je nach Thema und Arbeitsaufwand. Die Beiträge sollen zwischen 300 und 400 Wörtern lang sein. In Frankreich, wo Wikio Experts schon seit 7 Monaten online ist, erhalten unsere Mitglieder oft rund 350 Euro pro Monat.

Liebe Wikio-Mitarbeiter,

natürlich werde ich gerne für 5 Euro 400 Wörter liefern. Schließlich texte ich ja gerne! Und dass ihr mir sogar etwas bezahlt, ist dann nur ein unverhoffter Bonus. Dafür bekommt ihr sogar alles exklusiv.

Aber Ihr macht doch auch sicher gerne ganz tolle Sachen. Zum Beispiel Heimwerken. Machen wir es doch so: Bevor ich Euch meinen Experten-Artikel liefere, streicht Ihr meine Wohnung komplett für 5 Euro. Die Farbe bringt ihr natürlich mit. Und Einkaufen macht auch Spaß! Also erlaube ich Euch, meine Wocheneinkäufe zu erledigen. Für einen Einkaufwagen voll hochwertiger Bio-Lebensmittel zahle ich Euch nochmal 5 Euro. Ach, was soll der Geiz: 10 Euro. Aber dann sollten schon ein paar gute Flaschen Wein dabei sein. Sonst macht das Einkaufen keinen Spaß, gell?

Wisst Ihr was noch Spaß macht? Schlecken und Körperhygiene. Wenn ihr beides verbinden wollt, könnt ihr mich gerne am Allerwertesten lecken. Das aber umsonst.

Medienethik zum Sonntag

Ein Promienter ist tot. Freitod. Selbstmord.

Verschweigt man den Menschen, was nicht zu leugnen ist?

Oder ignoriert man, dass nach prominenter Selbstmord-Berichterstattung die Zahl der Nachahmer sprunghaft ansteigt?

Es gibt natürlich auch Abstufungen: die taz klemmt die Todesart in den letzten Absatz des Artikels.

Bild.de hingegen:

Und Express.de:

A Punkt. Das ist keine medienethische Übersprungshandlung, um wenigstens ein Detail nicht auf die Titelseite zu setzen. Es ist ein Zitat aus dem Abschiedsbrief. Die Botschaft: wer Alzheimer hat, wer Worte verliert, sollte sein Gut bestellen, reinen Tisch machen, den Schlussstrich ziehen. Solange er noch kann.

Sprachverlust, diese Diagnose muss die Redakteure bei Express.de hart treffen. Denn unter dem Screenshot des Briefes lesen wir die Aufforderung: ZUM LESEN GROSS KLICKEN.

Keine Bange, es handelt sich nicht um Alzheimer. Diese Leute gehen mit der Sprache immer so um. Es ist kein Symptom, es ist ihr Broterwerb.

PS: Es geht immer etwas schlimmer.

Das ist wirklich unterhaltsam. Entertainment!

Club der toten BKA-Präsidenten

In den letzten Monaten sehe ich immer wieder grotesk wirkende Tickermeldungen, unter denen das Kürzel „dts Nachrichtenagentur“ steht. Laut Eigenwerbung ist der Vorteil dieser Nachrichtenquelle, dass sie besonders schnell ist und sich nicht mit unnötigen Dingen wie Korrespondentennnetzen oder Hintergrundberichten belastet.

Wohin das führt zeigt zum Beispiel diese Meldung:

Während seiner Zeit als Präsident des Bundeskriminalamts von 1965 bis 1971 hat der Spitzenbeamte Paul D. offenbar Zahlungen vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA erhalten. […] In den Akten findet sich etwa der Vermerk eines CIA-Mannes, der D. im Dezember 1968 in Wiesbaden traf. Bei dem rund einstündigen Treffen habe er D. auch „dessen Gehalt für den Monat Dezember“ und „sein Weihnachtsgeschenk“ übergeben. D. war während des Zweiten Weltkriegs SS-Untersturmführer und verstarb im Jahr 1973.

D Punkt? Warum haben die „Rechercheprofis“ den Namen abgekürzt? Weder der Deutschlandfunk, noch die taz hielten das für nötig. Auch die Vorabmeldung des Spiegel enthält den Namen Dickopfs. Hat die „Eilmeldungsagentur“ vielleicht solche Angst vor einem potenziellen Rechtsstreit, dass sogar Wikipedia-öffentliche Informationen einfach viel zu brisant sind?

Unternehmerjournalismus

Immer wieder höre ich Appelle, dass Journalisten sich doch immer mehr als Unternehmer begreifen sollten. Zum einen ist das eine Selbstverständlichkeit: weite Teile der Arbeit in Medien wird von „Freien“ gemacht, die sehen müssen, dass sie Aufträge bekommen und Themen besetzen. Also: ich bin schon Unternehmer. Was sollen also die nicht enden wollenden Appelle?

Mein Unbehagen an der Sache beschreibt Hans Leyendecker in einem Artikel über eine Studie, die sich mit der „Bild“ beschäftigt.

Was immer Bild treibe, schreiben Arlt und Storz, diene „primär der Selbstdarstellung des Blattes und nur als Nebenfolge der Informationsvermittlung“. Was an Bild Journalismus sei, habe „eine dienende Funktion, nicht für das Publikum, sondern für die Marke Bild“. Das Massenmedium tritt demnach hauptsächlich als Öffentlichkeitsarbeiter für seine eigene vermeintliche Wichtigkeit auf – um Geschäfte zu machen. An Bild gehe kein Weg vorbei, ist die gewünschte Botschaft. Auch für Unternehmen.
[…]
Nach den Feststellungen der Autoren „dramatisierte, moralisierte, emotionalisierte, personalisierte“ Bild nimmermüde das Thema. Rund zwanzig Sätze mit durchschnittlich 220 Worten habe ein durchschnittlicher Bild-Bericht, lernt der Leser der Studie. Na und? Weit interessanter als diese Zählerei ist die These von Arlt und Storz, die Griechenland-Kampagne sei weniger eine misslungene politische Mission gewesen als ein „Instrument des Reputations- und Markenmanagements“: Bild habe sich als Wächter der vermeintlichen Interessen des deutschen Steuerzahlers geriert. Ein politischer Erfolg der Griechenland-Kampagne sei aber von Anfang an zweitrangig gewesen.

„Bild“ ist ein erfolgreiches Unternehmen. Wenn ich also mehr Unternehmer sein soll, soll ich vielleicht mehr wie die Boulevardzeitung sein? Bedeutet mehr Unternehmer zu sein nicht auch, dass ich etwas weniger Journalist sein sollte? Recherchen kostenoptimieren. Skandale schüren, so lange sie Leser bringen? Provokante Thesen suchen — nicht weil ich an sie glaube, sondern weil sie meinen Namen nach oben bringen? Querfinanzierungen suchen, meine Expertise in Beraterverträge und Nebenjobs ummünzen?

Ja: Unternehmertum bedeutet auch Freiheit, Mut zur Kreativität, neue Wege ausprobieren. Geschichten schreiben, die in den alten Verlagsstrukturen keinen Platz hatten. Aber die Verlockungen sind groß, den falschen Weg zu nehmen.