Wiki-Forschung und Drama

Die Wikipedia Signpost ist immer wieder lesenswert. Diese Woche gibt es eine interessante Melange aus Wiki-Forschung und Wikidrama:

A community debate is ongoing at Wikiversity over appropriate content and the viability of Wikiversity, sparked by a wheel-warring and deletion incident. The issue had to do with a page created by Privatemusings called "Ethical Breaching Experiments," which was for designing and recording experiments designed to test Wikipedia's vandalism defenses and processes for removing false content. As reported last week, a false biography was on the front page of Wikipedia on 2 March as a DYK; the bogus information was designed as a breaching experiment, and the appropriateness of such experiments has recently been under community debate.

After being notified on his talk page about the new project, Jimmy Wales deleted the Wikiversity page as being "out of scope" (later referring to it as disruptive) and blocked the primary contributor, Privatemusings. The page was restored by SB Johnny, who also undid the block; finally, Wales redeleted the pages, restored the block, and desysopped SB Johnny. Gbaor resigned his Wikiversity adminship in protest of Wales‘ actions.

Don’t mess with Jimbo!

Wie man Informationen in der Wikipedia unterdrückt

Die New York Times berichtet über einen interessanten Präzedenzfall: Als der Reporter David Rohde von den Taliban entführt wurde, bemühten sich Kollegen und Arbeitgeber, die online erhältlichen Informationen so zu manipulieren, dass er einerseits als möglichst islam-freundlich und andererseits als relativ unwichtig erscheinen sollte.

Damit die Entführung nicht an die große Öffentlichkeit dringt, wurde Wikipedia-Gründer Jimmy Wales eingeschaltet: Er sollte vermeiden dass die Entführung in der Online-Enzyklopädie auftaucht und einen von Rohdes Kollegen decken, der den Wikipedia-Artikel über Rohde unter Pseudonym editierte.

“We were really helped by the fact that it hadn’t appeared in a place we would regard as a reliable source,” he said. “I would have had a really hard time with it if it had.”

The Wikipedia page history shows that the next day, Nov. 13, someone without a user name edited the entry on Mr. Rohde for the first time to include the kidnapping. Mr. Moss deleted the addition, and the same unidentified user promptly restored it, adding a note protesting the removal. The unnamed editor cited an Afghan news agency report. In the first few days, at least two small news agencies and a handful of blogs reported the kidnapping.

Dies ist ein interessanter Präzedenzfall. Hätte es schlichtweg keine verlässlichen Quellen für die Entführung gegeben, hätte die New York Times die Mitarbeit von Jimmy Wales nicht gebraucht. Dass Verweise auf Nachrichtenagenturen unterdrückt werden, wirft die Frage auf, wie hoch der – menschliche – Preis ist, um Wikipedia zu manipulieren.

PS: Die Behauptung, dass es keine verlässliche Quellen für die Entführung gab, ist übrigens falsch. Gleich zu Beginn wurde ein Artikel der Pajhwok Afghan News verlinkt. Und diese Quelle wird in der Wikipedia ansonsten ohne Probleme akzeptiert.

PS2: Auf meine Nachfrage hat Jimmy Wales das Zitat nochmal erläutert:

I would not consider a single report of an incident of that nature, not confirmed anywhere else, to be a reliable source.

Natürlich beißt sich die Katze in den Schwanz – exceptional claims require exceptional sources. Wenn diese exceptional sources aber nicht berichten, dann ist auch die Erwähnung Wikipedia hinfällig. Schwierigkeiten hätte Wales also nur gehabt, wenn beispielsweise CNN das Embargo gebrochen hätte – aber der Damm wäre damit überall gebrochen gewesen.

Oddly

Bei Pippi Langstrumpf heißt es „Ich mache mir die Welt, wi-di-wi-di-wie sie mir gefällt“. Das muss wohl umgedichtet werden in „Ich mache mir die Welt wi-di-valley-wag-sie mir gefällt.“

In einem neuen Artikel präsentiert das Klatschblatt den jüngsten Skandal. Jimmy Wales hat nun auch die Wikimedia-Chefin Sue Gardner verführt. Die Indizien sind einfach überwältigend.

Gardner has always been swift to rush to Jimmy Wales’s defense — oddly so, since he’s just one of many board members she reports to.

Ja, sehr merkwürdig. Die Wikimedia-Geschäftsführerin hat kein Interesse daran, den Gründer der Wikimedia und die Haupt-Werbefigur abzusägen, um einen ehemaligen Angestellten und gescheiterten Vorstandsanwärter zu stützen. Das kann ja nur sexuelle Motive haben.

Aber das ist ja nicht das einzige Indiz. Es gibt Fotos! Valleywag hat sie zwar nicht gesehen, aber sie haben eine Email-Adresse, an die man sie schicken kann.

Der Tag als Jimmy 40 wurde

War es gestern oder heute? Man weiß es nicht. Der Enzyklopaedia Britannica ist das eine Fußnote wert:

There is some confusion over the date of Jimmy Wales’s birth. A number of sources, including Current Biography and Who’s Who in America, give his birth date as Aug. 7, 1966. In June 2007 Mr. Wales notified Britannica that this date was incorrect. However, Mr. Wales would provide Britannica with the correct date and appropriate documentation only if it was agreed that his date of birth would not be published, which runs contrary to Britannica’s policies. Given that the majority of sources report Aug. 7, 1966, and without documentation that disproves this date, Britannica has decided to give August 7 with a question mark.

Mike Rogoway hat das nachrecherchiert und das echte Geburtsdatum aus einem öffentlichen Führerscheinverzeichnis gefischt. Peinlich: bis gestern hatte auch die Wikipedia das falsche Geburtsdatum ihres Gründers aufgelistet.

Ach ja: Jimmy Wales erklärt den Vorfall anders. In seinem Blog schreibt er, dass er die EB über sein echtes Geburtsdatum informiert habe, aber lediglich keine Dokumente vorlegen wollte.

Die sozialen Grenzen der Wikipedia

Heute habe ich mal wieder vom limitless potential of Wikipedia gelesen und mich ein wenig geärgert. Sicher: Die Grenzen sind noch nicht klar beschrieben, aber deutlich vorhanden. Denn bei Wikipedia haben nach wie vor Menschen das Sagen. Und so freute ich mich über ein Wired.com-Interview mit Jimmy Wales, in dem dieser einige dieser sozialen Grenzen aufzeigt.

So very obscure celebrities who have appeared on–I remember one very good example was Philippine Idol. Its like American Idol, but its in the Philippines. Its quite popular there. And of course, we should have an article about the show, and we do.

But in some cases, we had articles about contestants who had been on the show for two weeks and lost and left. And there just really isnt very much information about these people, other than their puff bios from the official website of the show, which arent always 100% truthful.

And you know, you have problems then in terms of how do you maintain those articles over time? If the person is unfortunately killed in a car crash, does anybody ever notice that and update the article? What is it going to look like 20 years from now when it’s horribly out of date and it’s just some crust laying around that nobody even knows what to do with.

Of course, we can also delete things at that time, if the problem arises. But that’s one of the parameters that I look at.

Der konstitutionelle Monarch von Wikipedistan

Was ist eigentlich mit Jimmy Wales? Er ist nicht mehr Erster Vorsitzender der Wikimedia Foundation, sondern schlichtweg Vorstandsmitglied. Trotzdem wird von der Community eine Entscheidung oft erst dann akzeptiert, wenn sie von Wales abgesegnet wird.

In diesem Blogbeitrag wird Jimmy Wales mit einem konstitutionellen Monarchen aus nach-absolutistischen verglichen. Andere vergleichen ihn mit einem dictator benevolens.

Konservative und liberale Nachrichten

Nach einer Woche habe ich mal einen Blick in Jimmy Wales fabelhafte Welt der kollaborativen Politikberichterstattung. Nichts überraschendes: Es geht auf der Titelseite ausschließlich um US-Politik, es geht mehr um Kommentare als um Berichterstattung.

Ins Auge fiel mir der Artikel: Possible proof that Digg.com is biased against Conservatives

Daraus habe ich folgendes gelernt:

  • Bei Digg geht es nicht um Nachrichten für die Leser, sondern um ein paar Tausend Klicks für den verlinkten Blogger
  • Es gibt nicht einfach Nachrichten, es gibt liberale und es gibt konservative Nachrichten.
  • Wer beim kollaborativen Voten unterliegt, wurde sabotiert.
  • Das Wort „Proof“ bedeutet im Englischen nichts. Es dient als Ausrufezeichen-Ersatz.
  • Wer auf der einen kollaborativen Plattform scheitert, zieht zur nächsten weiter.

On further news: Kuro5hin hat ein länglicheres Essay Why Digg Failed.

Wikipedia: Kooperation oder Werbung?

Auf allen Wikipedia-Seiten prangt heute das Logo der Hilfsorganisation Virgin Unite. Dahinter steckt die neuste Spendenkampagne der Wikimedia Foundation. Ich hatte im Vorfeld bei Heise darüber berichtet, bei Tim Bartels gibt es eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten.

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Der spannende Moment: obwohl für die Platzierung eines Firmenlogos eine beträchtliche Menge Geld fließt, ist dies keine Werbung – das sagt zumindest die Wikimedia Foundation. Und es steht in der offiziellen FAQ zur Spendenkampagne.

Inwiefern unterscheidet sich die Zusicherung einer Spende von Werbung?

 

Werbung ist die Platzierung eines vom Werbenden erstellten Werbeträgers, wie zum Beispiel in „Kauft die ABC-Ware von XY, denn sie ist die Beste“. Würden wir einzelne Pixel am Kopf unserer Seiten verkaufen und hätten die Unternehmen die freie Wahl, welchen Inhalt sie dort platzieren möchten, dann wäre das Werbung. Dies gehört aber explizit nicht zu den von uns getroffenen Vereinbarungen. Und dies schon alleine deshalb nicht, weil eine solche Vorgehensweise die Steuerfreiheit dieser Transaktionen gefährden würde.

Stattdessen erklären wir uns einverstanden, eine Dankeschön-Notiz für die Verdoppelung von Spenden der Nutzer einzublenden: „Ihre heutigen Spenden werden durch die großzügige Unterstützung von XY verdoppelt.“ Das auf diese Weise gesammelte Geld steht dabei in direktem Verhältnis zur Spendenbereitschaft des Einzelnen für unsere Projekte. Wenn nur wenige Einzelspenden zusammenkommen, wird es auch nur wenig Geld von den jeweiligen Unternehmen geben. Sind die Einzelspender großzügig, werden sich auch die Unternehmen als großzügig erweisen. Es handelt sich also um eine Kooperation in der finanziellen Unterstützung.

Die Präsenz eines Logos und eines Links zur Bezeichnung des Spenders ändert nichts am Wesen der Vereinbarung und der normale Nutzer unserer Websites wird sich damit nicht weiter befassen müssen.

 

Gehen wir mal den Werbecharakter der Sitenotice anhand der verschiedenen Argumente durch.

Gestaltbarkeit der Werbung

Hauptargument ist, dass Virgin Unite die Werbung gar nicht selbst gestalten konnte. Aber ist das wirklich die Haupteigenschaft von Werbung? Schon in der Schülerzeitung haben wir Werbungen relativ frei gestaltet – ein kleines Geschäft, das uns mit ein paar Euro unterstützen wollte, hatte nicht immer eine verwertbare Druckvorlage – also klebt man etwas zusammen aus dem Material, das der Händler mal eben bereitstellen kann

Auch bei professionell vermarkteter Werbung kann der Auftraggeber nicht wirklich frei über das Werbemedium verfügen. Die überaus erfolgreichen Google Ads lassen grade Mal ein paar Zeichen Text zu – oft reicht dies nicht mal zu einer eindeutigen Produktanpreisung wie einem Slogan. Ist es deshalb keine Werbung?

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Keine Produktwerbung

Dieses Argument kommt in der englischen FAQ etwas besser heraus:

 

Advertising is the placement of copy written by the advertiser, i.e., „Buy Joe’s Widgets, they’re the best“.

 

Offenbar sehen die FAQ-Autoren in der konkreten Produktanpreisung ein weiteres zentrales Merkmal von Werbung. Doch ist es das wirklich noch? Gerade Konzerne und Firmengruppen wie eben Virgin schalten in Massenmedien allgemeine Image-Werbung. Wenn der Kunde weiß, dass hinter dem roten Virgin-Logo Qualität und lauter nette Menschen stecken, ist das oft mehr wert, als wenn ein einzelnes Produkt dieses Konzerns breit beworben wird.

Zusammenarbeit statt Bezahlung

Der zweite Absatz der FAQ ist merkwürdig: Hier wird verquast von einer Vereinbarung und einer „Kooperation in der finanziellen Unterstützung“ (im Englischen: „cooperation in financial gift“) erzählt. Ich vermute mal, dass das Argument so läuft: Wikimedia hilft als gemeinnütige Organisation einer anderen Wohltätigkeits-Organisation Spenden einzutreiben. Eine Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit, nichts weiter.

Doch die Kooperation ist ein einfacher Vertrag: Virgin zahlt, Wikimedia liefert eine Gegenleistung. Wie sich der genaue Kaufpreis des Werbeplatzes berechnet, ist keine zentrale Eigenschaft von Werbung. Und dass Wikimedia mehr „kooperiert“ als jeder andere Werbetreibende ist auch nicht ersichtlich. Die Wikipedia-Community wird nicht aufgefordert sich an Projekten von Virgin Unite zu beteiligen, Wikipedia-Admins helfen nicht bei dem Aufbau eines Virgin-Unite-Wikis.

Fazit:
Halten wir fest: Wir sehen auf Wikipedia keine Produktwerbung. Die Sponsoren werden von Jimmy Wales und der Foundation handverlesen und es wird keine Werbebotschaften verbreitet, sondern ein Logo und ein Link. Werbung ist es trotzdem.