Es gibt keine Gesetzeslücke im Fall Edathy

Die Politik funktioniert in der Affäre um Sebastian Edathy grade wie ein Überdruckventil. Wenn kein Spitzenmann der SPD zurücktritt, dann soll eben ein neues Gesetz her!

Der Vorschlag, der derzeit verbreitet wird: Alle kommerziellen Nacktaufnahmen von Kindern sollen verboten werden. Dazu kann ich nur sagen: Nein!

Es ist ein typischer Vorschlag in solchen Situation: Er hätte weder den in diesem Fall betroffenen Kindern geholfen, gleichzeitig würde er viele kriminalisieren, die keinerlei kriminelle Absichten haben.

Wie Gerhard Baum heute morgen im Deutschlandradio ausführte, sind die Kinder, deren Fotos Edathy gekauft hatte, tatsächlich auch missbraucht worden. Und deshalb wurden sie auch identifiziert und sind von ihrem Umfeld getrennt worden. Die jetzige Rechtslage reichte dafür aus. Denn nach jahrelangem Kampf haben es die Kinderschutzverbände tatsächlich geschafft, international weit reichende Gesetze gegen Kindesmissbrauch und die Verbreitung von Bildern zu schaffen.

Nackte Kinder hingegen gehören zu unserem Alltag, deshalb finden sich in unseren Familienalben Bilder von nackten Babies, Kleinkindern, etc. Und jede Zeitung, jeder Fernsehsender hat solche Bilder im Archiv. Ein Familienalbum landet auf dem Flohmarkt? Eine Straftat! Schließt man die vermeintliche „Gesetzeslücke“ müssten die Strafverfolger Tausende von Verfahren gegen Leute einleiten, die niemals zu Kindesmissbrauch beigetragen haben. Denn Gesetze haben keine Fußnote: „Diesen Paragraphen bitte nur auf böse Menschen anwenden“.

Dass Edathy „davonkommt“, sollte niemanden beunruhigen. Seine politische Karriere war schon vor der Durchsuchung faktisch beendet. Eine Geldstrafe, wie sie von dem von der Staatsanwaltschaft bisher vergeblich beschworenen „Graubereich“ vielleicht hätte fällig sein können, hätte keinen erkennbaren Effekt.

Es ist Politikern so vieles verboten, was nicht verboten ist. Er hätte sich auch völlig legal Prostituierte in sein Büro bestellen, in der Bundestags-Raucherzone einen Eigenbedarfs-Joint anzünden, er hätte mit einem Jagdgewehr durch Berlin ziehen können. Alles legal, aber politisch wäre er erledigt gewesen. 

Die andere Wikileaks-Verschwörung

Julian Assanges Anwalt lässt sich seit Tagen ausgiebig über eine angebliche geheime Grand Jury in den USA aus, die die Anklage gegen Assange vorbereiten soll. Eine Befürchtung, die nicht von der Hand zu weisen ist — die den zeitraubenden Widerstand gegen eine Rückkehr nach Schweden aber rätselhaft macht. Wäre Assange bereits im November nach Schweden zurückgekehrt um dort seine Aussage zu machen, wäre er — seine Unschuld vorausgesetzt — vielleicht schon wieder frei und müsste nicht befürchten von Schweden an die USA ausgeliefert zu werden.

Der zweite Punkt, an dem die Geschichte wenig Sinn ergibt: warum sollte Schweden so viel bereitwilliger an die USA überstellen als Großbritannien? Inmitten des Promi-Trubels hat Assanges Anwalt Mark Stephens halt wenig Zeit für substanzielle Erläuterungen. Sie lägen auch nicht unbedingt im Interesse des Angeklagten: Stephens führt nicht nur einen juristischen Kampf vor Gericht, er spielt auch den PR-Beauftragten Assanges, der die öffentliche Stimmung zugunsten Assanges beeinflussen will.

Das ist bei Verfahren mit politischer Brisanz nicht unwichtig, verstopft aber die Informations-Kanäle. Ob die grand jury überhaupt existiert ist unklar – die bloße Behauptung des Anwalts reicht vielen Medien aus, um die Nachricht weiter zu verbreiten. Dass Stephens in dem Fall natürlich keine neutrale Informationsquelle ist, wird Mal mehr, mal weniger gut transportiert.

Die New York Times — die wegen eines kritischen Portraits bei Assange in Ungnade gefallen ist und danach keinen direkten Zugang mehr zu den Wikileaks-Dokumenten erhielt, bringt ein wenig Lichts ins juristische Dunkel. In einem Artikel wird eine mögliche Anklage thematisiert. Zentraler Anklagepunkt wäre demnach nicht Geheimnisverrat oder Spionage, sondern Verschwörung.

Justice Department officials are trying to find out whether Mr. Assange encouraged or even helped the analyst, Pfc. Bradley Manning, to extract classified military and State Department files from a government computer system. If he did so, they believe they could charge him as a conspirator in the leak, not just as a passive recipient of the documents who then published them.

Spannend ist dieser Punkt:

Among materials prosecutors are studying is an online chat log in which Private Manning is said to claim that he had been directly communicating with Mr. Assange using an encrypted Internet conferencing service as the soldier was downloading government files. Private Manning is also said to have claimed that Mr. Assange gave him access to a dedicated server for uploading some of them to WikiLeaks.

Ob Adrian Lamo eine glaubwürdige Quelle ist, ist unklar — aber die absolute Trennung zwischen Informanten und Wikileaks durch technische Verfahren war immer ein Verteidigungswall von Wikileaks. Assange betont immer wieder, er selbst wüsste nicht, ob Bradley Manning die Quelle für die veröffentlichten Dokumente der USA ist. Offenbar, um genau den Vorwurf zu entkräften, der jetzt in den USA erwägt wird. Sollten zum Beispiel auf Mannings Computer Logs existieren, die das Gegenteil zeigen, wäre Wikileaks in Erklärungsnot.

Doch sollte das überhaupt eine Rolle spielen? Bei Journalisten spielt es ja auch keine Rolle ob er mit den Informanten geredet hat oder ob ein brauner Umschlag plötzlich im Briefkasten liegt. Hans Leyendecker hatte dazu vor Monaten ein interessantes Interview gegeben, in dem er auch erklärt hat, wie oft er Informanten einen Laufpass gibt. Dass Assange Bradley Manning bestochen hat, ist kaum zu vermuten — ein Geldfluss wäre wohl ziemlich einfach nachzuweisen.

Das führt zurück zu der Kernfrage: Ist Wikileaks ein publizistisches Angebot wie Spiegel, Guardian und New York Times? Oder ist die Plattform wenigstens die Erweiterung der geschützten MEdien zu verstehen? In einer gemeinsamen Erklärung haben heute die tageszeitung, der Freitag, die Frankfurter Rundschau, der Tagesspiegel, European Center For Constitutionel and Human Rights (ECCHR) und Perlentaucher.de zeitgleich einen Appell gegen die Angriffe auf Wikileaks veröffentlicht, in dem auch diese Frage eine Rolle spielt:

Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbriefte Publikationsfreiheit ist eine Grundlage der demokratischen Gesellschaften. Sie gilt nicht nur für klassische Medien wie Zeitungen oder Fernsehanstalten. Das Internet ist eine neue Form der Informationsverbreitung. Es muss den gleichen Schutz genießen, wie die klassischen Medien. Längst hätte es einen weltweiten Aufschrei gegeben, wenn die USA ein Spionage-Verfahren gegen die New York Times, einen finanziellen Kreuzzug gegen den Spiegel oder einen Angriff auf die Server des Guardian führen würden.


So unbequem es auch für Assange wäre – eine gerichtliche Auseinandersetzung über diese Frage in den USA könnte tatsächlich Rechtsgeschichte schreiben. So war es auch im Fall von Daniel Ellsberg, der die pentagon papers über Lügen der US-Regierung im Vietnam-Krieg geleakt hatte, aber erst über den Freispruch vor Gericht wesentlichen Einfluss auf die Rechtsprechung und damit auf den Journalismus in den USA nehmen konnte.

PS: Die BBC erklärt in einer FAQ die Gesetzeslage im Fall Assange. Demnach wäre es einfacher, Assange direkt aus Großbritannien ausliefern zu lassen. Denn würde er in Schweden inhaftiert, müsste die USA sowohl die Zustimmung Schwedens, als auch die Zustimmung Großbritanniens bekommen, um Assange ausgeliefert zu bekommen.

It has been suggested that it would be easier for the United States to extradite Mr Assange from Sweden than from the United Kingdom.

This does not appear to be the case as the United States would have to show that there were reasonable grounds for the extradition from Sweden. This is arguably a higher test than the test which applies when an extradition is sought from the United Kingdom.

Der oft insinuierte Zusammenhang zwischen den Vergewaltigungsvorwürfen und dem Vorgehen der USA gegen Wikileaks wird damit noch etwas unwahrscheinlicher. (Danke, Armin.)

Ermäßigter Privatsphärensatz

Immer wenn uns Journalisten nicht wirklich etwas einfällt, um die Absurditäten des Staatswesens zu beschreiben, zücken wir die Mehrwertsteuer-Karte: 19 Prozent auf Windeln, 7 Prozent auf Trüffel. Wie absurd! Dass das Problem unterschiedlicher Steuersätze nicht konsistent zu lösen ist, ignorieren wir. Wenn das Prinzip durchgesetzt wird, beklagen wir den Einzelfall. Werden für den Einzelfall Ausnahmen gemacht, beklagen wir das Prinzip.

Eine ähnliche Situation existiert grade bei der Privatsphäre. Ist Streetview der Untergang des Abendlandes? Ja: unser Fassaden, unsere Adressen! Die Einbrecher, die SCHUFA! Nein: der Falk-Stadtplan mit Patentfaltung hat uns auch nicht die Privatsphäre geraubt. Soll Facebook wissen, wo ich bin? Klar: so können mich meine Freunde finden. No way: Facebook vermarktet die Daten und Dritte melden unseren Standort ohne zu fragen.

Okay: diese digitalen Medien sind so neu, im Analogen war es so viel einfacher. Da wusste man noch, was öffentlich und was sehr, sehr privat ist. Den Chef oder die eigene Oma nackt sehen? Nicht mal im Traum! Doch wenn ich arte glauben darf, ist das in finnischen Saunen Alltag. Polizeiberichte einsehen? Doch nur mit Presseausweis oder Anwaltsmandat, sagt der Deutsche! Ich bin Steuerzahler und ich muss kontrollieren ob King George nicht wieder die Regierung an sich reißt, sagt der Amerikaner! Selbst auf die Frage ob wir mit offenem oder geschlossenen Mund kauen, ob wir uns dezent räuspern oder herzlich rülpsen sollen, scheint keine universelle Antwort zu existieren.

Kurz gesagt: Was privat ist und was nicht, ist nicht gottgegeben. Wir alle haben zwar irgendwie dringenden Bedarf nach Feigenblättern – aber wir sind uns nicht sicher, ob wir damit lieber unserer Scham oder über unseren Kontoauszug verdecken sollten. Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Antworten gefunden. Und da diese Antworten sehr, sehr verschieden sind, lassen sie sich nicht einfach auf eine globale Plattform übertragen.

Eine einigermaßen konsistente Antwort auch nur für unsere bundesdeutsche Gesellschaft zu finden, wird uns noch fünf, zehn Jahre beschäftigen. Mindestens. Und definitive Lösungen wird es auch nicht geben – im besten Fall angreifbare Gesetze und schon bald überkommene Konventionen.

Die Propaganda der anderen

Große Aufregung um den Artikel Schnell gelöscht? Von wegen!. Für Andre Meister ist es klare Propaganda für Netz-Sperren, für Thomas Stadler ist der Autor nur ein gewisser Stefan Tomik. Beleuchtet wird der Artikel alleine unter der Vorgabe: Nutzt er dem Ziel, Netzsperren zu verhindern?

Dabei hat Tomik in seinem Artikel – neben einigen Mängeln – sehr valide Punkte gemacht. Wenn die INHOPE-Statistiken wenig wert sind, gehört das zur öffentlichen Diskussion. Man kann sich nicht über Statistik-Tricks bei Ursula von der Leyen echauffieren und das Hinterfragen der Statistiken verweigern, die einem selbst in den Kram passen.

Dass der etwas plumpe Slogan „Löschen statt Sperren“ unter den alten Prämissen, ohne konkrete Maßnahmen und Zielvorgaben einfach so funktionieren würde, war einfach nicht zu erwarten. Wieso eine simple Parole als Alternativvorschlag nicht funktionieren konnte, habe ich hier schon im Februar begründet.

Tomik hat aber nicht schlicht die INHOPE-Angben zerpflückt, er hat auch weiter nach Gründen gefragt:

Die Provider direkt informieren, im Netz-Slang heißt das „Notice and Takedown“, das dürfen manche Hotlines gar nicht. Nationale Regeln verbieten es ihnen. Andere schieben juristische Gründe vor. Sie gäben in ihrer E-Mail ja Hinweise auf illegale Websites weiter. Also Verbreitung von Kinderpornographie. Dabei unterhält jeder anständige Provider einen speziellen Abuse-Kontakt. Was soll man denn dort sonst melden, wenn nicht Hinweise auf illegale Inhalte?

Das ist ein ernstes Problem. Durch die hysterische Gesetzgebung ohne Blick auf die Folgen wurde schon viel Porzellan zerschlagen. So mach zum Beispiel Udo Vetter darauf aufmerksam, dass ein besorgter Bürger keinesfalls den gut gemeinten Vorschlägen der Polizei folgen sollte, wenn man nicht selbst angezeigt werden will. Wenn nicht einmal mehr Beschwerdestellen sich trauen, Links weiterzusenden, hat der Kampf gegen Kinderpornografie sich selbst ins Knie geschossen. Die gut gemeinten Gesetze sind eine Fassade, hinter der sich Verbrecher verstecken können.

In Deutschland ist der Gesetzgeber bereits vor zwei Jahren viel zu weit gegangen, als er die Jugendanscheinspornografie unter Strafe stellte. Wollte die Polizei dieses Gesetz wirklich durchsetzen, könnte das Bundeskriminalamt nichts anderes mehr tun – denn für den juristischen Laien ist ja schon das Fernsehprogramm von VIVA im jugendpornografischen Graubereich.

Lange Rede, kurzer Sinn: die Fakten zeigen wieder einmal, dass man – wenn man denn das Problem Kinderpornografie angehen will – nur mit Koordination und einem Funken Menschenverstand Erfolg haben kann. Simple Parolen sind nicht zielführend – egal von welcher Seite sie kommen.

P.S.: Andere wachsame Geister haben sich die Fakten genauer angesehen und ernste Fehler entdeckt.

Schnapsidee Alkoholverbot

Zur Zeit wird ja viel über Alkoholverbote gesprochen, sogar in der Bahn soll ein solches eingeführt werden. Was auf den ersten Blick ach so sinnvoll erscheint, ist in Wahrheit nicht viel mehr als eine Schnapsidee. Denn wer soll das konsequent durchsetzen? Wer soll Fußball-Fans auf dem Weg zum Spiel die mitgebrachten Bierkästen wegnehmen? Der jetzt schon überlastete Schaffner? Und was ist mit den feucht-fröhlichen Frauenkegelvereinen mit ihren Piccolos und Kleinen Feiglingen? Um die voneinander zu trennen wäre wohl ein Bundeswehreinsatz im Inneren erforderlich.

Es läuft wohl wieder darauf hinaus, dass Gesetze geschafft werden, die es Polizisten ermöglichen quasi jeden unpassenden Menschen zu sanktionieren – und die angepassten lässt man gewähren. In meinen Augen ist das kein Erfolgsrezept für den Rechtsstaat.