Unbezahlte Spammer

Eine gern verbreitete Geschichte ist: Promi/Firma/Partei X hat Tausende Fake-Follower auf Facebook/Twitter/Instagram. Also hat er/sie wohl dafür bezahlt.

Ich hatte zu meinen Bildblog-Zeiten mal den Hinweis bekommen, dass verdächtig viele Fake-Profile die Hamburger Regional-Ausgabe der „Bild“ liketen. Als ich mir die Profile jedoch ansah, stellte ich fest, dass sie auch viele andere Hamburg-Seiten mit Likes beglückten – auch solche, bei denen man sich eine Kauf-Aktion nicht vorstellen kann. Es stellt sich heraus: Fake-Accounts liken auch Seiten, die sie nicht bezahlen. So versuchen sie reale Aktivität vorzutäuschen. Accounts, die ausschließlich Fake-Viagra-Seiten toll finden, wären auch allzu einfach auszusortieren.

Dies hat zum Beispiel Facebook grade wieder bei einer großen Lösch-Aktion festgestellt.

The accounts had been created not en masse, but through “more sophisticated means” in an attempt to disguise the link between them. Proxies were used to disguise their true location. “The apparent intent of the campaign was to deceptively gain new friend connections by liking and interacting primarily with popular publisher pages on our platform, after which point they would send spam.”

Wenn ihr also wieder die Geschichte seht, in der die schiere Existenz von Spamaccounts als Beweis für bezahlte Manipulationen verkauft wird, schenkt ihr nicht allzu viel Glauben.

BKA-Vorfreude

Grade schwappt die Botschaft durch Twitter, dass ein Gericht dem BKA die Umsetzung der Sperrverträge mit Providern verboten habe. Ich muss schon wieder Spielverderber spielen: Denn das ist offenbar falsch.

In dem im zu Grunde liegenden Blogbeitrag ist der Schriftsatz verlinkt, der eine ganz andere Sprache spricht. Hier wird lediglich auf eine unzureichende eidesstattliche Versicherung des BKA vom April verwiesen. Legt das BKA eine nachgebesserte Erklärung vor, ist das Verwaltungsgerichtsverfahren hinfällig. Legt das BKA keine ausreichende Erklärung vor, beschäftigt sich das Verwaltungsgericht überhaupt erst Mal mit der Frage, inwieweit diese Sperrverträge gegen die Rechte des Klägers verstoßen.

Natürlich ist es spannend, wie das BKA nun unter den neuen Voraussetzungen reagieren wird – war man im Frühjahr doch davon ausgegangen, dass das Gesetz jetzt schon in Kraft getreten wäre. Aber ein Verbot hat das Verwaltungsgericht nicht ausgesprochen – zumindest ist davon nichts in dem Schriftsatz zu entdecken.

Discordianer müssen Twitter lernen

Ein Bekennerschreiben der „Discordischen Mediengruppe“ kursiert grade – großspurig betitelt mit Erklärung zur Manipulation der Twitter Prognosen (sic!).

Vor der Wahl wurde häufig die Sorge geäußert, auf der Microblogging-Plattform Twitter könnten sogenannte Exit Polls schon lange vor dem Schließen der Wahllokale bereits veröffentlicht werden. Die Ergebnisse der Befragungen, die normalerweise bis ca. 14 Uhr erhoben werden, erreichen üblicherweise gegen 15.30 Uhr Medien und Parteien. Bei der letzten Bundespräsidentenwahl wurden die Ergebnisse via Twitter veröffentlicht, noch bevor das Ergebnis der Bundesversammlung bekannt gegeben wurde.

Die Panik um den Einsatz von Twitter als Plattform für den anonymen Ergebnisverrat hat sich in diesem Fall aber als haltlos herausgestellt. Warum das so war? Wir haben die Veröffentlichung von Exit-Polls auf Twitter am Wahltag dominiert, manipuliert, gefälscht was das Zeug hält. Dazu haben wir zunächst 125 Twitter-Accounts angelegt, und falsche Ergebnisse veröffentlicht. Andere als Exit Poll bezeichnete Ergebnisse sollten in unserem Rauschen untergehen.

Liebe(r) Discordianer,

netter Versuch, aber der ist völlig in die Hose gegangen. Da ihr 125 zufällige Accounts mal eben angelegt habt, hat fast niemand Eure tollen Prognosen gelesen, ernst genommen hat sie erst recht keiner. Ihr habt nicht das Rauschen erzeugt, ihr seid selbst im Rauschen völlig untergegangen. Halb Twitter hat auch ohne Euch Prognosen verbreitet – und fast jeder hat sich mehr Mühe gegeben als Ihr. Dass ihr es kurz vor Löschung nicht mal geschafft habt, den Link auf Euer Bekennerschreiben korrekt zu twittern, hätte Euch zu denken geben sollen. Und dass „ihr“ mehr als einer seid, ist unwahrscheinlich – Deine sehr spezielle Rechtschreibung enttarnt Dich.

Dass die Aufregung um vermeintliche Twitter-Prognosen nicht wirklich gerechtfertigt ist, wussten wir übrigens schon.

PS: Richtig bitter ist es, wenn man um die Aufmerksamkeit betteln muss. Aber wenigstens eine ist drauf hereingefallen. Ein Happy End, Glückwunsch.

Sims 3 als Killerspiel

Da es mal wieder viele nicht kapieren: Das da ist – natürlich – ein Fake.

PS: Lukas Heinser hat drüben auf Bildblog das Ganze nochmal ausführlicher geschildert.

Natürlich sind Anführungszeichen und Absätze nicht das einzige Zeichen für einen Fake. Auch inhaltlich sollte man sich automatisch ein paar Fragen stellen: wer sollte eine solche hanebüchene Behauptung in die Welt setzen? Wer glaubt, dass die Polizei drei Stunden nach der Tat einen Computer durchsucht hat und die Ergebnisse verkündet? Warum glauben viele Leute das, was ihnen auf auf einer Haha-Witzig-Picdump-Seite präsentiert wird? Und: wer ist eigentlich Bernd – sind nicht nach jedem Amoklauf genug Fakes durchs Internet gegeistert?

Vor Ort mit Google Maps

Auslandskorrespondent müsste man sein. Am besten in den USA. Eintauchen in die kulturelle Weltmacht – in den Straßen des Big Easy, auf den Avenues des Big Apple, unter Orangenbäumen in der Stadt der Engel. Ja, wenn man in Los Angeles wäre, könnte man jetzt zum Beispiel direkt vor Ort dabei sein, wie Gerichtsmediziner Plastiktüten mit Medikamenten aus einer Luxusvilla schleppen oder die Nase rümpfen über die Boulevardreporter, die das so aufmerksam beobachten.

Ja, man könnte sein wie Gregor Peter Schmitz, der über die Klatsch-Webseite TMZ schreibt und zu diesem Anlass gleich bei der Zentrale des Klatsches vorbei gefahren ist – während wir in Deutschland auf den billigen Plätzen saßen und das Ganze per Glotze und Internet verfolgen mussten:

Als die Gründer der Internet-Seite TMZ ein Büro suchten, wurden sie im Westen Hollywoods direkt am Sunset Boulevard fündig. Hier bietet sich dem jungen angesagten Traumfabrik-Menschen alles, was er braucht: noble Nightclubs wie die „Hyde Lounge“, schicke Sonnenbräunungsstudios – und Fitness-Center mit dem schlichten Namen „Crunch“, was frei übersetzt nahelegt, den eigenen Körper für die perfekte Figur ordentlich in die Zange zu nehmen.

Dieses Stimmungsbild konnte Schmitz nur einfangen, weil er eben vor Ort ist – am Puls des Geschehens. Warum er nicht aus dem Auto gestiegen ist, um mit den TMZ-Redakteuren zu reden und stattdessen nur ein paar Presseberichte zitiert, ist allerdings rätselhaft.

Aber was soll nur der Neid? Muss ich mich halt selbst nach L.A. begeben und mir das Ganze anschauen. Das TMZ-Büro, den Fitness-Club Crunch, die Hyde Launch und die vielen Sonnenstudios im verregneten Kalifornien.

Irgendwie habe ich ein Déjà-vu.

Tote sind sexy

Newsjunkies haben es schwer: in der Medienmetropole Köln ist das Stadtarchiv eingestürzt, Großeinsatz der Polizei und Feuerwehr. Und gerade jetzt brechen die Server des Medienkonzerns Dumont-Schauberg offenbar zusammen. Express.de ist nur noch schwer zu erreichen, die Webseite des Kölner Stadtanzeigers wirft fast nur noch Fehlermeldungen aus.

Doch warum unbedingt bei der Lokalpresse nachlesen? Der WDR ist doch auch in der Stadt? Nun, die Nachrichten dort sind zu langweilig: Keine Nachrichten über Tote, vermutlich sogar nur leicht Verletzte. Ausgeschlossen werden kann natürlich nichts. Aber langweilig. Dagegen ist die Untergangsstimmung auf express.de doch sexy:

express-30tote

30 Tote! Der Express ist am Ball, weiß mehr als alle anderen. Oder doch nicht? Im Artikel ist jedenfalls plötzlich nicht mehr von Toten die Rede. Im Gegenteil:

Über Tote oder Verletzte gibt es noch keine Erkenntnisse. Todesopfer sind zu erwarten, bislang wurde kein Mensch geborgen.

Wer etwas anderes vermutet oder befürchtet haben könnte, verrät uns der Express nicht.

Alles kein Problem. Schließlich ist der Express eine Boulevardzeitung, die mit der BILD zu konkurrieren muss und bei einem Brand in der Brauerei mal eben von „explodierenden Bierfässern“ fabuliert, um die Nachrichten etwas interessanter zu machen.

Nur leider ist die Vermutung von den 30 Toten auch zu dem seriösen Schwesterblatt Kölner Stadtanzeiger rübergewandert – wie beim Express sind die Toten nur in der Überschrift zu finden, wandern im Laufe des Nachmittags aber runter in den Teaser. Quellen für diese spektakuläre Zahl werden nicht genannt.

ksta-30-tote

Aber das reicht schon aus, um die Kunde von den 30 Toten quer durch die Republik weiterzureichen.

PS: Ursprung des Gerüchts ist offenbar ein Anwohner, der einem n-tv-Reporter aus zweiter Hand erzählt hat, dass er etwas gehört habe. Dass dessen Aussage in der Überschrift und die offiziellen Auskünfte unten im Text landen – eigentlich nur logisch. Oder?

PPS: Die Fehlinformation Latrinenparole wurde inzwischen bei allen Medien gelöscht – bei fast allen.

Der Boulevard kennt keine Zweifel

Ein Verbrechen, das die Medien die nächste Zeit noch beschäftigen wird: Der Passauer Polizeidirektor Alois Mannichl wurde von einem Unbekannten niedergestochen. In Agenturmeldungen kursieren wörtliche Zitate des Angreifers – noch bevor die Staatsanwaltschaft und Innenministerium Details bekannt gegeben haben.

„Viele Grüße vom nationalen Widerstand“, soll der Angreifer gesagt haben. Wer das allerdings zu Protokoll gegeben hat, wird von den Medien nicht überliefert. Eine klassische situation unfolding. Die gesamte Täter-Story kann sich als dicke Ente entlarven.

Also ist erst Mal Vorsicht angesagt. Die These der Neonazi-Attacke sollte in der Überschrift von dicken Fragezeichen, einem „vermutlich“ oder mindestens einem „offenbar“ begleitet werden, das Wort „Verdacht“ wäre auch nicht verkehrt.

Natürlich kann sich nicht jeder Zweifel leisten:

boulevard-vermutlich

PS: N-tv hat auch nicht allzu viel für Abwägungen in der Überschrift übrig. Aber das ist nichts gegen das Ende dieses Artikels. Dort erwartet den Leser diese Bildergalerie:

ntv-lachen-der-nazis

Lancieren und dementieren (Update)

Mit reichlich Verspätung dementiert der aktuelle StudiVZ-Chef Clemens Riedl Verkaufsgerüchte. Nun – es ist kein starkes Dementi. Riedl sagt, seine Gesellschafter hätten ihm „versichert“, dass es keine solchen Pläne gebe. Eine Wortwahl, die nicht viel Vertrauen weckt.

Aktueller – wenn auch nicht einziger – Anlass der Verkaufsgerüchte war eine Vorabmeldung der Wirtschaftswoche. Darin heißt es:

Ein Zusammengehen von StudiVZ mit dem amerikanischen Portal Facebook, das einen eigenen Ableger in Deutschland betreibt, könnte nach Verlagsangaben sinnvoll sein.

Wow. Holtzbrinck spekuliert offen über den Verkauf an Facebook, obwohl die Unternehmen sich grade gegenseitig verklagen? In einer konzerneigenen Zeitschrift? Ich konnte das nicht ganz glauben und habe mir die Print-Ausgabe der Wirtschaftswoche gekauft. Dort heißt es:

Ein Zusammengehen von StudiVZ mit dem amerikanischen Portal Facebook, das einen eigenen Ableger in Deutschland betreibt, könnte sinnvoll sein. Gespräche darüber gab es – doch seit dem Sommer herrsche Funkstille, heißt es aus Stuttgart. Doch StudiVZ scheint zum Verkauf zu stehen – wenn der Preis stimmt.

Also eine Ente? Vielleicht. Dass hier jemand einfach etwas falsch zusammengefasst und zwei nebeneinander stehende Aussagen irrtümlich einer Quelle zugeordnet hat, scheint naheliegend. Aber wieso korrigieren weder Wirtschaftswoche noch Holtzbrinck diese simple Schludrigkeit?

Update: Im Gegensatz zu meiner Anfrage an Holtzbrinck wurde die von netzwertig.com beantwortet. Dort heißt es:

Sowohl studiVZ-CEO Dr. Clemens Riedl als auch Holtzbrincks stellvertretender Vorstandsvorsitzender Dr. Jochen Gutbrod dementierten auf Anfrage von netzwertig.com Gerüchte über einen anstehenden Verkauf. Die WiWo sei falsch informiert gewesen, so Gutbrod.

Update 2: Meine Mail an die Wirtschaftswoche blieb leider unbeantwortet, aber wohl nicht ungehört. Stillschweigend wurden die Wörtchen „nach Verlagsangaben“ aus dem Text entfernt. Stattdessen prangt nun ein Update daneben:

Die Verlagsgruppe Holtzbrinck hält an ihrer Internet-Tochter StudiVZ fest. „Unser Gesellschafter hat versichert, dass er voll und ganz hinter StudiVZ steht, und es keine Pläne für einen Verkauf von StudiVZ gibt“, sagte Clemens Riedel, StudiVZ-Chef zur FAZ.

Seit Wochen hielten sich Gerüchte im Markt, das größte deutsche Social Network im Web würde an den US-Konkurrenten Facebook verkauft. Gespräche darüber hat es bereits gegeben. Sie wurden jedoch laut WirtschaftsWoche im Sommer beendet.

Laut WirtschaftsWoche? Laut Verlagsangaben!

Skandal! Ich weiß, was Du in der Wikipedia getan hast!

Die taz bringt die Story über die BND-IP-Adressen und die Wikipedia-Edits:

Vorwürfe gegen BND
Wikipedia-Artikel angeblich geändert

Im Internet ist eine Liste mit IP-Adressen aufgetaucht, die vom BND stammen sollen. Von ihnen aus wurden Einträge im Online-Lexikon Wikipedia verändert.

Allein – wo sind die Vorwürfe? Ein Geheimdienst, der die Wissensgewinnung als Aufgabe hat, für den Tausende Leute am Computer arbeiten, nutzt tatsächlich eine der bekanntesten Webseiten der Welt. Wenn der BND Quellen wie Wikipedia ignoriert, wäre ihm das meiner Meinung nach eher vorzuwerfen.

Aber halt – da hat doch tatsächlich ein Schlapphut den Artikel über den BND geändert. Und zwar wurde eine offenes Geheimnis unbelegtes Gerücht ins Gegenteil verkehrt. Und ein paar Monate später warf ein nicht besonders verdächtiger Wikipedia-Autor die selbe Spekulation wieder heraus.

Es stellt sich die gleiche Frage: wo ist der Vorwurf?