Die unkritische kritische Masse

Kai Gniffke im tagesschau-Blog:

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich in solchen Fällen gerade hier im blog oft wohltuende Bestärkung und Ermutigung bekomme. Insofern könnte ich es mir einfach machen und hier wieder genau erklären, warum wir den Fall Kardelen nicht in der Sendung hatten. Es gäbe sicher Schulterklopfen für so viel Verantwortungsbewusstsein und Reinheit in der Tagesschau.

Wer kritisiert oder beleidigt werden will, muss nur ein Blog eröffnen. Doch irgendwann wird die Schwelle zur kritischen Masse überschritten – und die Masse wird unkritisch. Zwar gibt es unter Dutzenden oder Hunderten Kommentaren noch Kritik, die geht aber restlos unter, versinkt im Sumpf des Blog-Konsenses. Denn die meisten Leser suchen sich doch lieber die Community, die sowieso ihrer Meinung entspricht. Gegen diesen selbstverstärkenden Mechanismus anzukommen, ist nicht leicht.

Der Non-Impact von Facebook & Co

Stern.de hat zu Weihnachten eine gute Idee und bringt etwas über die karitative Seite von Facebook, StudiVZ und Co: Soziale Netzwerke – Communitys als Lebensretter.

Das Problem: die Überschrift stimmt nicht. Im ersten geschilderten Fall stirbt das Baby trotz einer per Facebook vermittelten Knochenmarkspende. StudiVZ kann nur berichten, dass man gerne karitativen Organisationen unterstützen würde – es aber bisher nicht tut. Die Community-Suche nach einer vermissten Studentin in Trier war wie zu erwarten erfolglos. Und bei der abschließend genannten Knochenmarkspenden-Suche ist auch kein Erfolg zu verbuchen.

Haben die sozialen Netzwerke wirklich so wenig greifbare Erfolge zu bieten?

StudiVZ-Mitglieder klaglos oder ahnungslos?

Eben ist folgende Meldung hereingeschwappt.

Die breite Masse von Social-Community-Mitglieder hat gegen die Vermarktung ihrer persönlichen Daten nichts einzuwenden. Es war offenbar nur ein Sturm im Wasserglas, den einige Protestanten Ende vergangenen Jahres gegen die neuen AGB bei der Studentencommunity StudiVZ da auslösten. Die Mehrheit der StudiVZ-Mitglieder macht die neuen Werbestrategie jedoch sang- und klanglos mit.

Zur Realitätskontrolle habe ich mich mal bei StudiVZ eingeloggt. Zwar muss man nun die neuen AGB akzeptieren, über die neue Verwendung der persönlichen Daten erfährt der Nutzer erst nach ausgiebiger Lektüre etwas. Und wie man das Ganze abschaltet, steht auch nicht oben in den FAQ, sondern unten, im Kleingedruckten.

StudiVZ AGB-Einstellungen

Nach 10 Minuten ausführlichen Suchens konnte ich die in erwähnte Option „Einstellungen zur Verwendung meiner Daten“ nicht finden. Weder auf der Startseite, nicht im eigenen User-Profil, auch nicht unter dem Punkt „Privatsphäre“ oder „Datenschutz“.

Erst Google brachte mich weiter: In dem Blog Suchtwolke habe ich eine Klick-für-Klick-Anleitung zum Auffinden der Werbeeinstellungen gefunden:

1. Einloggen

2. Ganz unten in der Leiste, die mit “Presse” beginnt und mit “Verhaltenskodex” endet, auf “Datenschutz” klicken.

3. Dort dann auf [ Datenschutz-Erklärung ] klicken.

4. Ganz unten auf [ Einstellungen zur Verwendung meiner Daten ] klicken.

5. Alle Häckchen ausstellen und die Sache speichern – fertig.

Sprich: Die Einstell-Möglichkeit wurde gezielt versteckt. Wer die Datenschutzerklärung findet, muss erst zwei Seiten nach unten scrollen um dort den ganz kleinen Link auf die Einstellungs-Seite zu finden.

Das Unternehmen glaubt offenbar nicht daran, den User selbst entscheiden zu lassen und baut darauf, dass die Kommunikation auf der Plattform denkbar schlecht ist. Wäre es anders, hätten sie die Optionen schlichtweg in die Privatsphären-Einstellungen integriert oder wenigstens in den FAQ einen Link auf die Einstellmöglichkeiten gesetzt.

Dass die Strategie funktioniert, ist dennoch deprimierend. Vielleicht auch für die Werbekundschaft – wer auf solche Tricks reinfält, wird nie zum zahlungskräftigen Kunden werden.

StudiVZ: Anwälte gehen, Nutzer bleiben

Netzökonom Holger Schmitz berichtet bei der FAZ berichtet über die Konsequenzen des AGB-Desasters bei StudiVZ:

Das Studentennetzwerk StudiVZ hat der Kanzlei, welche die umstrittene Neufassung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Studentengemeinschaft formuliert hat, das Mandat entzogen. „Die juristischen Texte waren in entscheidenden Details nicht sauber formuliert. Deshalb haben wir uns von der Kanzlei getrennt“, sagte der StudiVZ-Geschäftsführer Marcus Riecke, ohne jedoch den Namen der Kanzlei zu verraten

Schmitz nennt auch einige Zahlen:

Als der Protest am Freitag vor einer Woche laut wurde, haben sich 10000 Nutzer abgemeldet. Die Zahl der Abmeldungen sei aber inzwischen auf das Normalmaß gesunken und StudiVZ wachse inzwischen wieder stark, sagte Riecke.

10000 Abmeldungen sind gerade Mal ein Viertel Prozent. 2,5 Promille sind zwar viel am Steuer, in allen anderen Kotexten würde man das als „kaum spürbar“ bezeichnen. Wirklich interessant wird wohl sein, wieviele Accounts sich nicht aus Protest zurückziehen, sondern schlichtweg ausgeschlossen werden, weil sie StudiVZ schon lange nicht mehr aktiv nutzen. Und selbst wenn diese Leute rausfallen, dürfte die Datenqualität für Werbetreibende nicht allzu verführerisch sein. Fake- und Jux-Accounts sind zwar verboten, aber wohl sehr gebräuchlich.

Knapp eine Million der rund vier Millionen Mitglieder des Netzwerkes haben die neuen Geschäftsbedingungen inzwischen akzpetiert. „Weniger als 1 Prozent haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die zielgerichtete Werbung auszuschließen“, sagte Riecke.

Warum sagt Herr Riecke das? Das ist ein eindeutiges Argument für Datenschützer, die das Vorgehen von StudiVZ kritisieren. Wie hier zu lesen ist hat StudiVZ diese Privatsphären-Einstellungen so versteckt, dass sie von niemandem zufällig gefunden werden.

Brüder zur Sonne, zu YouPorn!

YouPorn hat gemerkt, dass in Deutschland etwas passiert. Konkret: Ein deutscher Porno-Anbieter verklagt Zugangs-Provider, damit sie Youporn für ihre Kunden sperren.

Youporn ruft zu Kommentaren auf

Nun sammelt YouPorn Kommentare seiner Nutzer. Das Ergebnis ist – gelinde gesagt – kein Sammlung von durchdachten Statements, mit denen man Lobby-Arbeit betreiben könnte. Vielleicht wird es ja mit der Zeit besser.

Ich persönlich würde als Kampflied die zweite Strophe des bekannten Arbeiterliedes „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ vorschlagen:

Seht, wie der Zug von Millionen
endlos aus Nächtigem quillt,
bis eurer Sehnsucht Verlangen
Himmel und Nacht überschwillt!

Das klappt sogar auf Englisch:

See the procession of Millions
endless pouring out of the nightly dark,
until your yearning’s desire
Will flood over heaven and night.

Nachtrag: Communitynapping

Das vorher erwähnte Communitynapping bei StudiVZ hat nicht geklappt. Im Studi-Kalender-Blog wird das Ende des Projekts verkündet:

Mangels Sponsoren müssen wir das Projekt Studikalender nun leider einstellen. Besonders enttäuschend ist für Viele von uns das Verhalten von Unicum. Nachdem für den angebotenen Platz auf der Unicum-Website extra noch über Nacht Werbebanner gestaltet und ein Artikel geschrieben wurde, kam von Unicum weder eine Rückmeldung noch eine Absage.

Dass Kreativität und Witz gegen billige Erotik á la StudiVZ Eleganz scheinbar keine Chance hat, haben wir auch gemerkt. Trotzdem sind wir froh, dass unser Projekt wenigstens Niveau gehabt hätte! ;)

Communitymanagement und Sposoren-Suche sind doch schwerer als es scheint.

Communitynapping

Zugegeben – zuerst war ich misstrauisch, als sich mal wieder StudiVZ-Mitgliedern zusammenrauften und ihren Unmut über eine Marketingaktion in einer Diskussionsgruppe zusammenfassten – natürlich auf der kritisierten Plattform selbst.

Diesmal ging es um den „Eleganz-Kalender“ des StudiVZ in der wohl halbnackende Studenten in „eleganten“ Posen abgebildet werden sollen. So weit, so langweilig. Kaum eine Frauensportmannschaften, Studentenfachschaft oder Jungbauernvereinigung, die nicht in den letzten Jahren ähnliches gemacht oder zumindest angedacht hätten.

Es kam wie immer: Studenten kritisieren die Kalender-Aktion heftig, ein Moderator droht mit Löschung der Gruppe, schließlich geht ein Forum außerhalb von StudiVZ online. Alles wie gehabt.

Das Überraschende: die Gegenaktion scheint ausnahmsweise nicht im Sande zu verlaufen. Die Kalender-Rebellen haben ihren eigenen Kalender geplant und dafür bereits einen Sponsor gefunden: die Studenten-Zeitschrift Unicum.

Nun könnte man denken: wenn gleich zwei Gruppen aus StudiVZ Kalender produzieren – um so besser für die Plattform. Sie beweist ja ihr Mobilisierungspotenzial gleich doppelt. Super. Wäre da nicht das Problem mit den Sponsorengeldern. Denn StudiVZ finanziert sich unter anderem dadurch, dass Firmen solche Aktionen auf StudiVZ planen und dafür gutes Geld zahlen. Unicum zahlt aber offenbar nichts an die Holtzbrinck-Tochter.

Macht das Beispiel Schule, können sich Marketing-Firmen das Geld für StudiVZ sparen und sich gleich auf die Gruppen stürzen, die sich in StudiVZ gefunden und dann verselbständigt haben. Das ist sehr viel billiger – schließlich kostet so eine Plattform für einige Millionen Studenten, Nicht-Studenten und Karteileichen täglich einen ganzen Batzen Geld.

Wie auch immer die Kalender aussehen werden: Die Entwicklung wird spannend.

Yigg – das News-Prekariat?

Ich gebe zu: ich verstehe den Sinn der Dutzenden von ach so sozialen News-Portalen nicht. Im Idealfall kann durch eine Community ein interessanter redaktioneller Prozess erzeugt werden – die meisten Anbieter scheinen sich aber nicht darum zu bemühen.

Nehmen wir nur einmal Yigg.de, eine deutsche Adaption von digg.com, die vor zwei Monaten professionell wurde. Was erwartet uns auf der Startseite des News-Portals? Zuerst einmal: erstaunlich wenig neues. Ein Google-Video einer ARD-Reportage über Humor im Dritten Reich, die ich schon vor Monaten gesehen habe oder ein Hinweis auf einen mäßig originellen Carlsberg-Werbespot, der schon vor zwei Monaten auf Youtube zu finden war.

yigg-heftig

Wenn es schon mit der Aktualität nicht klappt – wie sieht es aus mit der Aufbereitung der Inhalte? Kurz zusammengefasst: Schrecklich. Der Carlsberg-Werbespot wird angeteasert ohne jeden Hinweis auf Werbung oder den Inhalt – der Leser wird im Glauben gelassen, dass es sich um ein weiteres unterhaltsames Experiment handelt.

Auch bei ernsteren Themen scheinen die Yigg-Autoren kein wirkliches Interesse daran zu haben, Nachrichten korrekt zusammenzufassen. Stattdessen werden Meldungen noch einmal künstlich skandalisiert. Ein Focus-Online-Artikel zur Diskussion um eine Hartz-IV-Erhöhung wird mit der Schlagzeile „Werden Arbeitslose hungern?“ ergänzt – BILD lässt grüßen. Den zugegebenermaßen lächerlich wirkenden Gesetzvorschlag zur Verschärfung des Copyrights in den USA kommentiert der Einreicher mit einer Frage: „Lebenslang ins Gefängnis weil man den Content anderer kopiert hat? Sei wann gibt es für Diebstahl lebenslänglich?“ Hätte er den verlinkten Artikel gelesen, wüsste er, dass die lebenlängliche Strafe nur für Mordversuche oder Verstöße mit Todesfolge vorgesehen ist.

Überhaupt scheint es sehr schwer von der Yigg-Meldung auf den Inhalt zu schließen. Was hinter der Überschrift „Der Versuch Social-Networks auszutricksen scheint nicht immer zu funktionieren“ stecken mag, kann man nur herausfinden, wenn man den Link anklickt. Man könnte einwenden, dass dies der Sinn solcher Newsportale ist – aber in dem Fall könnte man die Links auch mit undifferenzierten Grunzlauten anteasern.

Lange Rede, kurzer Sinn: Zur Information taugt Yigg derzeit noch weniger als eine Boulevardzeitung.

Wenn Communities nicht liefern

Nach der neusten Wikimedia-Wahlen gibt es Kritik wegen mangelhafter Vorbereitung des Wahlganges – zum Beispiel fehlten Übersetzungen der Wahlseiten in einigen Sprachen. Wikimedia-Vorsitzende Florence Devouard antwortet:

The board delegated organizing the elections to a committee. The committee begged to have more translators, and the COMMUNITY (not the board) failed to provide appropriate translators. The elections are to populate the board, but these elections are to elect people from the community. Just how much is the community responsible to make sure everyone votes ? to make sure everyone is informed ?