Absage

Sehr geehrte SEO-Bude Mediazin-Gruppe.de,

Sie haben mir in den vergangenen Wochen gleich drei E-Mails geschrieben, in denen Sie eine „Anfrage an Ihre Internetpräsenz notes.computernotizen.de“ schicken und die Hoffnung bekunden mit mir „eventuell eine Kooperation zu starten.“ Heute haken Sie nochmal nach, „ob die Mails nicht irgendwo hängen geblieben sind“ und bekräftigen, dass sie sich sogar über eine Absage freuen würden.

Dies ist die Absage.

Ihre Mails blieben nirgendwo hängen, was ich meinem Spam-Filter ein wenig übel nehme. Was ich Ihnen übel nehme ist die ignorante Penetranz, die Sie an den Tag legen. Denn wenn ich mit einem Blogger eine Kooperation angeben will, nenne ich zumindest sein Blog beim Namen und nicht „Ihre Internetpräsenz“ mit der URL und dem Namen, die aus irgendeiner Blogliste kopiert wurden.

Um welche Kooperation es sich dabei handelt — ich kann bloß raten. Da Sie es nicht in den drei E-Mails verraten haben und da Sie eine SEO-Bude sind, deren Webspräsenz zwar ein unterhaltsames Bullshit-Bingo (Mal ehrlich: die Webseite ist doch hoffentlich ein Witz?), aber keine Referenzliste oder nachvollziehbare Leistungsbeschreibung enthält, gehe ich Mal davon aus, dass es um die künstliche Erzeugung von Backlinks für Angebote geht, die ich ohne aktive Ermunterung und Bezahlung nicht gut finden würde. Ebenso wie ich die Erzeugung von künstlichen Backlinks ablehne. Hätten Sie mein Blog tatsächlich gelesen, wüssten sie das wahrscheinlich. Haben Sie aber nicht.

Bitte sagen Sie Ihren Kollegen Bescheid.


Gruß
Torsten Kleinz

Glaubwürdigkeit

Gestern hatte ich mich ja schon kurz mit dem aus meiner Sicht allzu internet-optimistischen Internet-Manifest beschäftigt. Eine der Behauptungen ist, dass die Ansprüche des Publikums gestiegen sei: „Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig und besonders ist.“ Ich persönlich fände es sehr bedauerlich, wenn nur noch herausragende Menschen vom Publizieren leben könnten – man stelle sich vor nur Madonna verdient mit Musik Geld und alle gehen leer aus. Aber das ist eine Petitesse, das Thesenpapier wurde einfach zu hurtig formuliert um tatsächlich fundierte Analysen zu bieten.

Trotzdem möchte ich hier nochmal drauf eingehen. Eine der Lieblings-Quellen für deutsche Netizens ist das Blog von Fefe, der beim Chaos Communication Congress immer die unterhaltsamen Jahresrückblicke veranstaltet. Ist die Quelle glaubwürdig? Auf den ersten Blick: nein – ganz oben steht: „Wer schöne Verschwörungslinks für mich hat: ab an felix-bloginput (at) fefe.de!“ Das Blog ist demnach eher ein alternate reality game als eine Nachrichtenquelle. Was stimmt, was nicht? Wer erkennt das bekannte Muster? Wo sind die 23 CIA-Agenten versteckt?

Der Inhalt des Blogs stammt zum großen Teil aus Agenturen, Stücke von Spiegel Online, dem Guardian – kurz: die Massenmedien, die Fefe so gern verhöhnt, sind seine wichtigste Informationsquelle. Deren Kurzmeldungen dampft er nochmal auf ein zweizeiliges Zerrbild ein. Aber Fefe hat mehr: zusätzliche Infos, die die vielen Zuträger einsenden: unbekannte Fakten, neuer Kontext, verschrobene Interpretationen. Manchmal ist das sehr unterhaltsam – aber glaubwürdig? Nein.

Das Problem: Trotzdem wird Fefe geglaubt. Ihm selbst ist das furchtbar unangenehm und er hat zur Abschreckung einen Beitrag verfasst, der seine Arbeitsweise als inoffizielles Redaktionsstatut von bild.de entlarvt: von ihm kann man weder Neutralität, noch Korrekturen erwarten. Überhaupt: alles, was er schreibt, sind ja eh nur Meinungsäußerungen. Wer will, kann ja den Links folgen, die oft – aber keineswegs immer – die Quelle der Kurz-Anekdoten zeigen.

Und noch immer kommt es bei dem Publikum nicht an. So ist heute morgen wieder eine Fefe-Meldung in meinen Twitter-Horizont geschwappt.

Die SPD ist so verzweifelt, dass sie schon alte Schröder-Plakate aufhängt. Aufgenommen gestern in Berlin Pankow. Im Hintergrund sieht man ein großes Steinmeier-Plakat, falls jemand zweifelt, dass das eine aktuelle Aufnahme ist.

Wirklich lustig ist das ja nicht, und so blöd sind SPD-Plakatierer auch nicht. Ein Blick auf das Beweisfoto offenbart, was man eh schon vermutet hat: jemand hat das Steinmeier-Plakat abgerissen und darunter kam ein Schröder-Plakat zum Vorschein. Oben hängt sogar noch ein Fetzen Steinmeier herum. Und dennoch: auf Twitter wird die Falschinterpretation ohne jede Kritik weiter verbreitet – von Menschen, die eigentlich selbst denken können, die eine so billige Manipulation mit einem Blick erkennen müssten.

Ich bin mal gespannt, wie viele Leute heute glauben werden, dass der Axel-Springer-Verlag Welt.de und Bild.de noch in diesem Jahr für den freien Zugriff sperren will. Schließlich hat es ja RIA Novosti in einem Fünfzeiler gemeldet. Zwar sind glaubwürdigere Quellen nur einen Klick entfernt, man kann die Rede von Herrn Wiele sogar komplett online ansehen – aber wen interessieren schon Fakten?

Was bleibt zu sagen? Medienkompetenz wird nicht automatisch mit einem Internet-Anschluss erworben, objektive Wahrheiten sind eh nur eine Illusion und daher auch komplett verzichtbar.

Die unkritische kritische Masse

Kai Gniffke im tagesschau-Blog:

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich in solchen Fällen gerade hier im blog oft wohltuende Bestärkung und Ermutigung bekomme. Insofern könnte ich es mir einfach machen und hier wieder genau erklären, warum wir den Fall Kardelen nicht in der Sendung hatten. Es gäbe sicher Schulterklopfen für so viel Verantwortungsbewusstsein und Reinheit in der Tagesschau.

Wer kritisiert oder beleidigt werden will, muss nur ein Blog eröffnen. Doch irgendwann wird die Schwelle zur kritischen Masse überschritten – und die Masse wird unkritisch. Zwar gibt es unter Dutzenden oder Hunderten Kommentaren noch Kritik, die geht aber restlos unter, versinkt im Sumpf des Blog-Konsenses. Denn die meisten Leser suchen sich doch lieber die Community, die sowieso ihrer Meinung entspricht. Gegen diesen selbstverstärkenden Mechanismus anzukommen, ist nicht leicht.

Werbekrise auch im Online-TV?

Peer Schader hat einen offensichtlichen Werbeverlust im RTL-Programm bemerkt. Müssen billige Shows jetzt noch billiger werden? Aber positiver Nebeneffekt: Es ist mehr Platz für Wer-kenn-Wen-Werbespots.

Aber nicht nur die Offline-Medien in Deutschland haben das Problem. Denn schon seit Wochen ist beim Online-Angebot von Comedy Central – zum Beispiel in den Strams von The Colbert Report oder The Daily Show with Jon Stewart – nur ein einziger Werbekunde aktiv: Comedy Central selbst. Und es laufen immer nur die selben zwei Spots:

comedy-central-eigenwerbung

Werbekrise beim Online-TV? Oder haben die Werbekunden bemerkt, dass Werbespots für US-Produkte bei europäischen IP-Adressen schlichtweg sinnlos sind?

Die neue politische Arena?

Auf Netzpolitik findet sich die dritte Kurzstudie zur Politik im Web 2.0. Was mir fehlt: eine erste Erfolgsbilanz. Was kann ein deutscher Politiker in welchem Forum gewinnen? Nicht nur ich frage mich: Braucht ein Bundestagsabgeordneter einen Facebook-Account?

Was haben die Bürger davon, wenn der Spitzenkandidat herumtwittert? Und was hat der Politiker davon? Betrachten wir die ach so sympathischen Experiment einiger Spitzenpolitiker mit Twitter. So sorgt zuletzt Thorsten Schäfer-Gümbels Microblog für Mini-Aufsehen. Inhalte werden nicht wirklich transportiert, im Kurz-Wahlkampf kann der hessische Spitzenkandidat den Rückkanal der Wähler kaum nutzen. Er war nicht mal für einen Hack wichtig genug. Die Follower passen in ein Bierzelt und müssen wohl kaum noch von ihm überzeugt werden. Und falls sie es müssten: Mit den Micro-Frotzeleien macht er keinen Stich. Eine lustiger PR-Stunt – mehr nicht.

tsgtwitter

Warum also überhaupt auf jeder Hochzeit mittanzen? Politiker sind Berufskommunikatoren – sie müssen auf allen Ebenen mit Dutzenden von Kanälen umgehen. Sicher gehören neue Medien dazu – aber muss man unbedingt auf Facebook sein? Denn Inhalte können dort kaum kommuniziert werden, zur Mobilisierung der Anhänger funktioniert auf eigenen Plattformen besser. Überhaupt sind die sozialen Plattformen in Deutschland bemerkenswert unbemerkenswert. Und die gesammelten Twitteraner konnten nicht mal Twitter dazu bringen, die IM-Anbindung wiederherzustellen oder OAuth zu implementieren.

Pointy haired Scott Adams

Ich mag ja Dilbert als Comic ganz gerne. Wenn man das Blog von Dilbert-Zeichner Scott Adams liest, erfährt man, dass er sich wohl schon lange nicht mehr in der Figur des unverstandenen Ingenieurs sieht – er ist der pointy haired boss. Immer meinungsstark, ahnungslos, ein moron.

Bestes Beispiel ist die ach so unabhängige Umfrage, die er unter Wirtschaftswissenschaftlern durchführen ließ. Die Ergebnisse lesen sich so:

Nationally, most economists are male, and I’m told that most are registered as either Democrats or independents. Our sample reflects that imbalance:

48 percent — Democrats

17 percent — Republicans

27 percent — Independents

3 percent — Libertarian

5 percent — Other or not registered

Eighty-six percent of our economists are male, and 65 percent work in the field of academia or education. The rest are spread across various industries or not working.

Auf seiner Webseite veröffentlicht Adams die ausführlicheren Ergebnisse in einer Powerpoint-Datei(!). Und es zeigt das ganze Problem: Adams hat nur erforschen lassen, für wen die Ökonomen stimmen würden – und eine wenig erhellende Liste von Politikbereichen dazu veröffentlicht. Was soll das heißen, dass 71 Prozent der Befragten die Ausbildung als „wichtig“ eingestuft wurden? Nichts. Die Umfrage ist Blödsinn.

Wenn ich 500 Ökonomen befragen lassen würde, wären ihre persönlichen Präferenzen das Letzte, was mich so interessieren würde. Die USA stecken in vielen wirtschaftlichen Miseren – Adams hätte das Geld investieren können, dass ihm Ökonomen zum Beispiel die Ursachen der sub prime crisis erklären und Maßnahmen ausarbeiten, wie man ähnliches in Zukunft verhindern kann. Er hätte sein Blog nutzen können, um Zusammenhänge aufzuzeigen, sich über Effekte von Neuverschuldung, Inflation und des aufgeblähten Militärhaushalts erkundigen können. Stattdessen hat er ein paar Zahlen zusammenwerfen lassen, und durfte dafür McCain auf cnn.com einen lukewarm cadaver nennen.

Alice, es ist Zeit für die fist of death.

PS: In einem Update verspricht Adams nun geheimnisvoll ein Update, bei dem sich wohl CEOs und Ökonomen real life questions stellen sollen. Dass wäre so ziemlich genau das, was ich als Alternative vorgeschlagen hatte. Allerdings scheint es Adams wohl eher darum zu gehen, den Gruppen einen bias zu unterstellen als tatsächlich Antworten zu bekommen. Warten wir es ab.

PPS Nach einer Woche ist nichts von diesen ominösen real life questions zu sehen. Stattdessen beschwert sich Adams über die mangelnde Berichterstattung über seine ach so lehrreiche Umfrage. Und berichtet brühwarm über Anti-Obama-Verschwörungstheorien, die er natürlich nicht teilen will. Er berichtet nur darüber.