Die Leaks der anderen

Whistleblower sind Vorbilder, Vorreiter der Demokratie, Helden – solange man selbst nicht betroffen ist. Auf der Antragsseite zur Piratenpartei-Vorstandssitzung von gestern zeigt sich diese Dualität sehr schön:

Antrag Nummer 1:

Der Bundesvorstand möge beschließen, Wikileaks Unterstützung anzubieten und dementsprechend auch eine Pressemitteilung rauszubringen.

Begründung

Die schwedische Piratenpartei bietet mittlerweile Unterstützung für Wikileaks an [1]. Würden wir dasselbe machen, würden wir einerseits auch das Projekt unterstützen und andererseits auch unseren Programmpunkt „Whistleblowing“ aktiv besetzen.

Wie die Unterstützung genau dann ablaufen soll/wird, müsste geklärt werden. Wichtig ist jedoch, dass wir nicht noch weiter warten können, bis das Rechtliche/Technische „Gebilde“ steht, wir müssen aktiv werden. Es reicht doch schon nur seine Unterstützung zuzusagen und entsprechend eine Pressemitteilung rauszubringen. Der Rest sollte dann allerdings nicht in Vergessenheit geraten!

Antrag Nummer 2:

Hier beantrage ich gegen den Beisitzer im Bundesvorstand Christopher Lauer, eine Verwarnung gemäß §6(1) Bundessatzung der Piratenpartei Deutschland auszusprechen.

Begründung

Christopher Lauer hat mich am 28. Juli um 21:14 in meiner Eigenschaft als Richter am BSG gebeten, ihm ein Urteil vorab zukommen zu lassen um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen. Er sandte mir dazu eine Direktnachricht per Twitter mit dem Wortlaut „also vielleicht könntest du mir dann das Urteil leaken, damit wir wissen welcher Server am Start sein muss“.
Gerade für ein Mitglied des Bundesvorstandes ist es eine Ungeheuerlichkeit, entgegen besseren Wissens zu versuchen, ein Urteil vorab erhalten zu wollen. Er ist aufgrund dieses Verhaltens zu verwarnen.

The beauty of tragedy

It often happens that the real tragedies of our life occur in such an inartistic manner that they hurt us by their crude violence, their absolute incoherence, their absurd want of meaning, their entire lack of style. They affect us just like vulgarity affects us. They give us an impression of sheer brute force, and we revolt against that.
Sometimes, however, a tragedy that possesses artistic elements of beauty crosses our lives. If the elements of the beauty are real, the whole thing simply appeals to ourt sense of dramatic effect. Suddenly we find that we are no longer the actors, but the spectators of the play. Or rather we are both. We watch ourselves, and the mere wonder of the spectacle enthralls us.

Osar Wilde, The Picture Of Dorian Gray

Rettung für den physischen Journalismus

Alle haben es gewusst, jetzt ist es amtlich von der Financial Times gedrucktpixelt: die Verlage bremsen sich selbst aus, wenn es ums Digitale geht.

Ja, wie auch sonst? Die Trennung von der physischen Welt, der Quantensprung zur die Information mit der man weder Blumen noch frische Fische einwickeln kann – das überfordert die Internetausdrucker. Das iPad mag als goldener Content-Käfig die Illusion der Druckerpresse aufbauen, aber wieso sollte man dem Ganzen trauen? Steve Jobs, unser Retter! Messias! Teufel! Steve Jobs, wir trauen Dir nicht! Wir wurden von Google verraten, warum solltest es bei Dir besser sein?

Liebe Verlage, ich habe eine Idee. Wir retten den physischen Part des Journalismusbevertriebs, revolutionieren die Geolokalisation und die Geeks rennen uns die Türen ein. Sicher – es wird einige Milliarden kosten, aber ihr habt über Jahrzehnte Traumrenditen erwirtschaftet. Schließlich konnten die Atomstrom-Produzenten den Mobilfunk nach Deutschland bringen, warum ihr nicht eine neue Lese-Kultur?

Die Idee, die mir vorschwebt ist ganz einfach: ein Cafe. Nein: Tausende! Überall in Deutschland. Ich liebe es, am Wochenende ins Cafe zu gehen und in den herumliegenden Zeitschriften zu schmökern. Stunde um Stunde verrinnt, wenn die FAZ, die SZ, der Kölner Stadt-Anzeiger ausliegen. Gastronomiebetriebe mit Lesezirkel-Abo meide ich, ich will den unmittelbaren Zugang zu dieser archaischen Leseform, die Papierzeitungen nun Mal sind. Brauereien haben über Jahrzehnte in Kneipen investiert, warum sollten Verlage nicht in Cafes investieren? Selbst in Thalia-Buchhandlungen kann man sich die Spiegel-Bestsellerliste bei einem staubigen Cappucino durchlesen.

Jetzt kommt der Clou. In den Lese-Cafes – die Markenanwälte finden sicher einen eingängigen Namen, der für ein paar Hunderttausend Euro zu haben ist – liegen nicht nur die Verlagsprodukte aus. Sie sind auch ein Rückkanal. Ich weiß: alle Anstrengungen im letzten Jahr zielten darauf, den kleingliedrigen Lokaljournalismus zu verbilligen und zu banalisieren: ein paar Redakteure in der Zentrale – das sollte reichen. Doch die unterbezahlten Amateure vor Ort – sie kaschieren die Leere nicht wirklich.

Hier kommt der revolutionäre Aspekt meines Konzepts. Denn der Kellner in meinem Content-Cafe ist nicht nur der unmotivierte Koffeindistributor, der zwischen Kaffeemaschine und Trinkgeldannahme hin- und herscharwenzelt. Er ist ein Content-Agent. Sprich: er hat vorher die Verlagsprodukte studiert und weiß, dass in meiner Nachbarschaft ein Mann niedergestochen schwere Stichverletzungen hatte. Mit kurzen Fragen erkundet er meine Interessensgebiete – eventuell gebe ich ihm auch einfach mein Facebook-Profil – und er serviert mir die Nachrichten aus der Nachbarschaft brühwarm, während der Capuucino kalt wird. Aber das ist mir egal – ich greife gerne zu der Zeitung, die er mir mit der Tasse gereicht hat und versinke in der Welt der journalistischen Erzählung. Objektiv. Überparteilich. Und unterhaltsam wie ein Sack Flöhe. Und pro Tasse Koffein gibt es 30 Cent für FAZ, SZ und De:Bug. An dem Bionade-Umsatz werden Neon und Bravo beteiligt.

Und nun zum zweiten Twist in meinem Pitch: in jedem der Cafes sitzt ein Lokalredakteur. Keine Bange – die meisten werden froh sein den Newsdesks zu entkommen – und werkt so vor sich hin. Um authentisch zu sein, muss der Journalist heute nicht Mal mehr Kette rauchen oder betrunken sein: Kaffee, ein Laptop und Internetzugang reichen aus, um voneinander abzuschreiben. Für eigene Recherchen sollte auch ab und zu ein Croissant drin sein oder gar ein frischer Salat.

Der Redakteur vor Ort dient als unmittelbarer Rückkanal, eine Revolution des Verlagswesens. Wir müssen nicht warten, bis ein Herr Sauerland zurücktritt – der Cafedakteur hört von den umgebenden Tischen, dass der Sündenbock gefunden ist und schreibt das auf. Eine Geo-Information dazu und die Content-Agents in den Cafes der Umgebung können die Botschaft gleich weitertragen. Und falls sie nicht anschlägt, schreibt der Cafedakteur halt was anderes.

Natürlich darf der Leser auch andere Vorschläge machen, Rechercheaufträge erteilen. Warum soll er auch googlen, wenn das ein Profi übernimmt. Über Jahre wurde Medienkompetenz jedes Einzelnen gepredigt. Ein Irrweg, wie wir heute wissen: das Erfolgsprinzip unserer Gesellschaft ist die Arbeitsteilung – wenn also nicht mehr jeder seinen Grünkohl selbst anbaut, wieso sollte jeder wissen, wie der Ministerpräsident seines Bundeslandes heißt. Die Cafedakteure sind Infoarbeiter an vorderster Front und werden den Part gerne übernehmen, den sie schon immer spielten: besser wissen und belehren. Und vielleicht können sie nebenher ein paar Volkszahnbürsten verkaufen.

Ach ja: das Leistungsschutzrecht kommt natürlich trotzdem. Denn schließlich können die Leute auch zu Hause Kaffee und Bionade trinken. Und das wollen wir doch nicht einreißen lassen. Zur Sicherheit sollten wir auch das Mitführen von Computern und computer-ähnlichen Geräten in Cafes verbieten.

Plumpe Werbung unter der Dorflinde

Der „Deutsche Knigge-Rat“ widmet sich in einer Pressemitteilung der mondänen Welt von Facebook, Twitter und Co hin. Zwar hat die Konkurrenz von der „Deutschen Knigge-Gesellschaft“ grade für die Deutsche Telekom auch ganz viele tolle Ratschläge aufgeschrieben, aber seien wir nicht kniggerich. Rainer Wälde handelt aus höherem Antrieb:

Für Rainer Wälde, Leiter des Deutschen Knigge-Rats, übernehmen die Netzwerke für den postmodernen Menschen „die Funktion der Dorflinde, unter der sich früher die Bewohner zum täglichen Austausch getroffen haben.“

Nicht Stammkneipe, Sportverein oder der Friseursalon sind die Referenz für sozialen Austausch, sondern die Dorflinde. Was mich zur Schlussfolgerung verleitet: Entweder hat Herr Wälde 150 Jahre in einem Schneewittchenschlaf verbracht oder er bezieht seine guten Sitten aus der Welt der Rosamunde Pilcher.

Immerhin hat er es geschafft die Selbstverständlichkeiten des digitalen Umgangs miteinander in zwölf schön anzuschauende Thesen zusammenzuschnüren. Banal? Ja, vielleicht – aber sicher ein Anlass über sein Digitales Ego zu reflektieren. Eine wirklich nette Story.

Allerdings ist der Schluss etwas kurios:

12. Business-Tipp: Vorsicht vor plumper Werbung
Belasten Sie „Freundschaften“ nicht mit plumper Werbung. Wenn Sie nur platt verkaufen wollen, werden Sie schnell ignoriert. Denken Sie langfristig und vermeiden Sie es als „nervender Nachbar“ ausgegrenzt zu werden.

Rainer Wälde ist Vorsitzender des Deutschen Knigge-Rats und Autor des neuen Ratgebers „Personal Branding. Natürlich erfolgreich – auch bei Facebook, Twitter & Co.“. (ISBN 978-3927825048)

Ja, plumpe Eigenwerbung sieht ganz anders aus…

Zukunftsplanung mit Ulfkotte

Wer ist Deutschlands führender Autor im Bereich „Städtebau & Stadtplanung“? Nun – laut Amazon ist es Udo Ulfkotte:

Autor und Leser sind aber augenscheinlich nicht an architektonische Debatten oder kommunaler Verwaltung interessiert. So schaltet Ulfkottes Verlag – der auch andere prominente und ähnlich rational argumentierende Autoren publiziert – offenbar auch Anzeigen bei Google:

Endlich Wut! Endlich Bürgerkrieg! Endlich!

s—

Das Wall Street Journal berichtet, dass bei Goldman Sachs neue Nüchternheit einkehren soll: E-Mails und Instant-Messenger-Nachrichten werden in Zukunft nach bösen Schimpfwörtern durchsucht. Hintergrund: die Großbank geriet in schlechtes Licht, weil ein Angestellter in E-Mails recht deutlich schrieb, was er seinen Kunden da verkaufte.

Die WSJ beschreibt es so:

That means all 34,000 traders, investment bankers and other Goldman employees must restrain themselves from using a vast vocabulary of oft-used dirty words on Wall Street, including the six-letter expletive that came back to haunt the company at a Senate hearing in April. „[B]oy, that timberwo[l]f was one s— deal,“ Thomas Montag, who helped run Goldman’s securities business, wrote in a June 2007 email that was repeatedly referred to at the hearing.

Ja, auch das Wall Street Journal wagt es nicht, das böse Wort auszuschreiben. Stattdessen steht dort „s—“. Eine einfache Google-Abfrage zeigt: das verpönte Wort heißt „shitty“. Das Wall Street Journal wagt es nicht, seinem in der Regel sehr erwachsenen Publikum diese sechs Buchstaben zu nennen.

Wo die Schwelle beim WSJ liegt zeigt sich ein paar Absätze später:

The new edict—delivered verbally, of course—has left some employees wondering if the rule also applies to shorthand for expletives such as „WTF“ or legitimate terms that sound similar to curses.

Abkürzungen sind erlaubt. Obwohl jeder weiß, dass da ein „fuck“ steht, steht es ja eben doch nicht da. WTF? Ach nein: O tempora, o mores. Wenn die Verschämtheit so groß ist, ist die Lust an Informationen, der Respekt vor der Intelligenz der Leser eben sehr klein.

Die von mir sehr geschätzte Sendung Planet Money begibt sich übrigens auf die Suche nach Ersatzbegriffen.

Durchsage der Humor-Polizei

Witze über Kachelmanns Haftentlassung und das Wetter sind ab sofort zu unterlassen.

Verstöße werden mit nicht weniger als drei Stunden Elton bestraft.

Poetry Slams funktionieren einfach nicht

Poetry Slams boomen seit Jahren. Erst Geheimtipps unter Studenten, dann „Open Mic“-Abende, dann Kulturfestivals mit den supergenialtollsten Slammern. Aber geben wir uns keinen Illusionen hin: Poetry Slams funktionieren einfach nicht.

  • Zum einen ist diese Kunst total unterfinanziert. Was gibt es bei einem Slam schon zu gewinnen? 50 Euro? Eine Fußmassage vom Gastgeber? Wer slammen will, braucht einen anderen Beruf. Wie soll sich eine Kunst so etablieren? Der kleine Call-Center-Chor geht auf Tournee und schläft auf Sofas und durchgelegenen Gästebetten. Nein, das klappt einfach nicht. Nicht auf Dauer.
  • Zum zweiten: Slammer sind die Twitterer unter den Literaten. Fünf Minuten Perfomance sind eigentlich noch weniger als 140 Zeichen Textbotschaft. Was kann man da schon machen? Eine Pointe drei Mal wiederholen? Mit ein und dem selben Wortwitz so lange punkten, bis einen der Gong erlöst? Hurz! Hahaha, der nächste Komiker. Das ganze ist so flüchtig, dass die Zuhörer zu Ende des Applauses nicht mehr wissen, wofür sie eigentlich klatschen! Das ist doch keine Literatur!
  • Zum dritten: Die Schwelle ist viel zu hoch. Ja, es trauen sich noch ab und zu Anfänger auf die Bühne, zittern ungestüm und werden in der Vorrunde vom Platz gefegt. Sie kommen, um sich Selbstbestätigung zu holen und dann fegt ein Sebastian23 oder andere angereiste Slammer-Prominenz sie von der Bühne. Die leisen Töne gewinnen nie!

Und deswegen spielt es – in großem Maßstab betrachtet – auch keine Rolle, dass der Reim in Flammen gestern abend wieder durch und durch gelungen ist, dass eine Newcomerin mit leisen Tönen gewonnen hat und dass die Veranstalter sich schon wieder Gedanken um einen größeren Veranstaltungsraum machen müssen. Wenn alle kapieren, dass Poetry Slams nicht funktionieren können, wird es schon wieder ruhiger werden.

Und ich sitze in der ersten Reihe.