Überfordert von Transparenz?

Angesichts der Medienberichterstattung zu Wikileaks frage ich mich: Ist das zu viel Transparenz für uns?

Jede Nachrichtensendung verbreitet die Banalitäten um Teflon-Merkel und dem überschäumenden Westerwelle. Doch es gibt in den 250000 Nachrichten ja genug anderes. So zum Beispiel die amerikanische Einflussnahme im Fall des von der CIA entführten Khaled El Masri – sie findet in deutschen Medien kaum Beachtung. Stattdessen gibt es eine nicht wirklich ernst gemeinte Treibjagd auf den FDP-Informanten, der Koalitionspapiere flugs in die US-Botschaft brachte.

Schon heute kann selbst die vermeintliche Oberschicht der Wissensgesellschaft kaum mit dem tagesaktuellen Wissen Schritt halten. So wurde letztens auf Twitter ein Link zu einem Artikel der Zeit von 2003 herumgereicht, der auf die erstaunliche Tatsache verwies, dass die Castoren in Gorleben oberirdisch gelagert werden. In aller Begeisterung für jede Sitzblockade, für jeden georeferenzierten Meter Bahnstrecke hatten die Oberinformierten vergessen sich ein Fundament an Informationen zu bauen. Dass das radioaktive Material eben noch nicht in den Salzstock gebracht wird, ist mithin einer der wichtigsten Fakten rund um den Atomstreit.

Für einigen Bohei sorgte auch die Nachricht, dass Schauspieler Mark Ruffalo wegen seiner Unterstützung für die kritische Dokumentation Gasland auf einer terror watch list gelandet sei. Die Nachricht wurde nicht nur auf Twitter und in Blogs herumgereicht. Quelle waren Entertainment-Blogs und Panorama-Redaktionen, die wiederum ein Interview in der Lifestyle-Zeitschrift GQ zitierten. Die Empörung über die USA war mal wieder groß bei allen, die sich sowieso schon über die USA empören.

Es kostet mich ganze anderthalb Minuten um den Ursprung der Geschichte zu finden: Der investigative Reporter-Thinktank Pro Publica hatte bereits im September über die Machenschaften der Homeland Security berichtet:

A confidential intelligence bulletin sent from the Pennsylvania Department of Homeland Security to law enforcement professionals in late August says drilling opponents have been targeting the energy industry with increasing frequency and that the severity of crimes has increased.

It warns of „the use of tactics to try to intimidate companies into making policy decisions deemed appropriate by extremists,“ and states that the FBI — the source of some of the language in the Pennsylvania bulletin — has „medium confidence“ in the assessment. A spokesman for the FBI did not immediately respond to a request for comment.

Sprich: die Homeland Security hat nach mehreren Akten von Vandalismus die Behörden auf mögliche Gesetzesbrüche in Zusammenhang rund um die Filmpremiere von Gasland aufmerksam gemacht. Doch nicht nur das, wenn man den Patriot News aus Pennsylvania glauben will:

Although many of the notices of rallies and protests in the intelligence bulletins could have been gleaned – as the governor said – from newspapers, the most recent bulletins make it clear that ITRR was specifically tracking anti-drilling groups to determine which local public meetings they planned to attend.

The Office of Homeland Security then distributed this information to drilling companies as well as law enforcement agencies.

Sprich: eine Behörde der USA hat Staatsgelder für einen Bespitzelungsauftrag gegen Umweltschützer ausgegeben und die Ergebnisse an die Gasindustrie weitergegeben. In Sicherheits-Warnungen für Polizeibehörden standen die beobachteten Gruppen neben verdächtigen Terroristen. Ein handfester Skandal, nach Aufdeckung musste die Behörde das Programm einstellen, ein hochrangiger Mitarbeiter trat sogar zurück.

Dass Ruffalo selbst jedoch auf einer terror watch list stand, die einem Schauspieler das Reisen und damit seine Arbeit unmöglich gemacht hätte — diesen Vorwurf erhebt keiner, der auch nur ansatzweise recherchiert hat. Ruffalos Name mag in dem Kalender der überwachten Veranstaltungen gestanden haben – aber das macht ihn eben nicht zum Ziel der Bespitzelung. Er ist lediglich ein Headliner, ein besorgter Bürger mit großem Namen, den er zu einem guten Zweck einsetzen wollte. Im Fokus der DHS-Spitzel oder gar auf einer terror watch list stand er deswegen noch lange nicht. Selbst ein Dementi bringt Time nicht dazu die völlig offen liegenden Fakten nachzuschlagen und wiederzugeben.

Was hingegen immer weiter verbreitet wird, ist ein missverstandener Schnippsel eines Interviews von GQ, obwohl die wahre Story nur ein paar Klicks und eine Minute ruhigen Nachdenkens entfernt liegt.

Wenn wir nicht Mal die Informationen ausschöpfen, die so offen liegen bei Themen die uns offenbar sehr interessieren — was bringt weitere Transparenz? Wo sind die Mechanismen, die echte Skandale von Banalitäten, die Hörensagen von Fakten und Recherche unterscheiden? Wo sind die Leser, die mehr lesen wollen als ihre eigene Meinung?

P.S.: Die Pennsylvania Emergency Management Agency hat die „Intelligence Bulletins“ online gestellt — übrigens nicht freiwillig.

In den Berichten 128 und 125 sind Veranstaltungen genannt, an denen Ruffalo teilnahm. Sein Name wird jedoch nicht erwähnt:

27 August 2010: An outdoor screening of the controversial “Gasland” movie is scheduled for Clark Park in West Philadelphia. Another screening is scheduled for the same day in Frick Park, Pittsburgh.

An additional screening is slated for 3 September 2010 at the Piazza in Northern Liberties (near the Delaware River) in Philadelphia.

27 August-4 October 2010: The following meetings have been singled out for attendance by anti-natural gas drilling activists:

27 August – a Marcellus Shale Panel Discussion in the Oakland section of Pittsburgh (G23 Parran Hall, 130 DeSoto St.)

2 September – a hearing on a proposed Marcellus Shale gas drilling ordinance in Cranberry Township (Butler County)

13 September – a hearing on Marcellus Shale drilling in the Pittsburgh City Council chambers (414 Grant St.)

4 October – a hearing on a proposed amendment to the township zoning ordinance to regulate oil and gas drilling operations in Upper St. Clair Township (Allegheny County)

Es stimmt übrigens, dass in dem Dokument vermeintlich gefährliche Gruppierungen aufgelistet werden, die man gemeinhin als Terrorismus-verdächtig bezeichnen kann. Direkt neben den Gasland-Aufführungen ist jedoch eine andere aufrührerische Veranstaltung genannt:

27 August 2010: Former Governor and conservative political leader Sarah Palin (R-AK) is the featured speaker at the Pennsylvania Family Institute’s banquet at the Hershey Lodge in Derry Township (Dauphin County). The Pennsylvania organization is active in opposing abortion and same-sex marriage, as well as promoting other socially conservative political positions.

Viral ist auch egal

Moin-Moin Social-Media-Manager der elbkind GmbH,

ich bin ganz sicher, dass ihr Euch viel, viel Mühe gegeben habt bei Eurer ganz, ganz tollen Kampagne für Telekom Recruiting, die ihr mir so fürsorglich per Mail geschickt habt.

Super auch, dass ihr einen „Viral Teaser“ zentral auf die Videoabspielplattform YouTube gestellt habt. Ich bin schon ganz hibbelig, wenn ihr mir ellenlang von dem „überraschenden Schockeffekt“ schreibt und in die Massenmail sogar die URL eines meiner Blogs und meinen Vornamen eingebettet habt. „Sympathische und zielgruppengerechte Ansprache“ nennt ihr das – beim Pitch in der Firmenzentrale in Bonn ist das bestimmt runtergegangen wie Öl. Und dass in dem total tollen Spot auch noch echte Telekom-Mitarbeiter mitspielen: authentischer geht es ja nur wenn auch noch Paul Potts mitspielt.

Es gibt da aber ein kleines Missverständnis. Ein „Viral Teaser“ ist eben nicht „viral“, wenn ihr Pressemitteilungen an Leute verschickt, zu denen ihr offenkundig keine sozialen Beziehungen habt, die ihr nicht kennt und deren Blog ihr nicht gelesen habt. Das ist dann auch keine „Social Media Kampagne“, es verdient wohl nicht Mal den Namen „Kampagne“. Vergleichbar wohl am ehesten mit den netten Damen von den Telekom-beauftragten Callcentern, die mich ständig anrufen, obwohl ich kein Telekom-Kunde mehr bin. Oder kurz gesagt: es ist alberne Zeitverschwendung.

Mit tuffigen Grüßen aus Köln

OpenDNS und der Netzneutralitäts-Showdown?

David Ulevitch, Gründer von OpenDNS, beklagt sich gegenüber der Washington Post über eine Blockade durch einen der weltweit größten Provider, weiter könnten folgen:

Q: Why do you have a dog in this fight?
A: We just want a level playing field. Verizon Wireless is blocking us and there are reports that ISPs want to block OpenDNS. They don’t want third party domain name services.

Q: Why would they do this?
A: We have 20 million users, it’s free (for consumers) and we are making money. We serve search results and ads like Yahoo or Google to people who have opted in and chosen to use my service. So we monetize traffic that way. The ISPs see this as all this revenue they are leaving on the table that they believe belongs to them. I don’t know why they think so because it doesn’t belong to them.

Der Fall könnte ein Showcase für Netzneutralität sein. Ein Zugangsprovider dreht einem innovativem Startup den Hahn ab und raubt seinen Kunden, die Möglichkeit dessen Service zu nutzen. Ein Verstoß gegen Netzneutralität. Sonnenklar! Spätestens seit dem Google-Deal hat sich Verizon ja eh auf der Seite des Bösen platziert, ist einer der Vorzeige-Schurken in der Netzneutralitätsdebatten.

Schönheitsfehler: Verizon erklärt gegenüber der Washington Post, dass Sie OpenDNS gar nicht blockieren.

A Verizon Wireless spokeswoman said Monday its network engineers „see no issue from our end“ and that the service isn’t being blocked.

Aber auch wenn das Dementi falsch wäre: OpenDNS ist im Gegensatz zu dem Namen der Firma alles andere als offen. Die Firma macht genau das, was Netzneutralitäts-Verfechter manchen Access-Providern vorwerfen. Statt standardgemäß die Kunden bei falscheingaben mit der korrekten Fehlermeldung zu bedienen, biegt OpenDNS diese Anfragen um, um für sich Werbeeinnahmen zu generieren. Also gehört OpenDNS eigentlich zu den Bösewichten, die intransparent und heimtückisch das Netz vergewaltigen. Aber gleichzeitig sollten die Kunden doch die Möglichkeit haben, sich selbst zu entmündigen, oder?

John F. Kauder

Ich appeliere an jeden Verleger, jeden Redakteur unseres Landes, die eigenen Standards kritisch zu untersuchen und sich die unmittelbare Gefahr für unser Land vor Augen zu führen. In Zeiten des Kriegs haben sich Regierung und Presse schon früher gemeinsam in Selbstdisziplin geübt um unautorisierte Enthüllungen an den Gegner zu verhindern. In Zeiten einer erhöhten Gefährdungslage haben die Gerichte entschieden, dass selbst das privilegierte Recht auf freie Meinungsäußerung hinter dem öffentlichen Interesse nach Sicherheit zurücktreten muss.

Siegfried Kauder John F. Kennedy — zehn Tage nach dem Beginn der CIA-gesteuerten Invasion der Schweinebucht.

Überwachungslogik (5)

Der Verkehr lahm gelegt, die Polizei überlastet, die Bevölkerung in Panik — und nur wegen eines vergessenen Koffers. Wie soll ich rechtzeitig zu meinem wichtigen Termin kommen?

Vielleicht sollten wir vergessliche Menschen internieren. Natürlich nur vorübergehend. Bis der Terrorismus beendet ist.

Überwachungslogik (3)

Die einfachste Methode, ein Gemetzel zu vermeiden: man muss möglichst viele Männer mit Maschinenpistolen auf Plätzen mit vielen Menschen stationieren.

Überwachungslogik (2)

Wenn Vorratsdatenspeicherung gegen unmittelbar bevorstehende Anschläge hilft, warum hilft nicht auch Google Street View?

Lassen Terroristen ihre Schläfer-Camps verpixeln?

Überwachungslogik

Wenn „Gefährder“ ihre Handies abgeben sollen, sind sie dann nicht schwerer zu orten?

Jedes GSM-Gerät ist doch eine kleine GPS-Wanze in Wartestellung.