Bye Albuquerque.
Und tschüß, Omaha.
Heute endet sozusagen das Golden Age Of TV. Die letzte Folge von Better Call Saul ist gesendet und sie nur vergleichsweise wenig Nachhall.
Ich erinnere mich noch an den 9. Oktober 2010, als ich zufällig die erste Folge von Breaking Bad auf arte sah. Es war kein lang erwarteter Moment. Ich wusste nichts von der Serie, die ursprünglich für den Kabelsender AMC gedreht worden war. Ich machte einfach die Glotze an und da segelte die Hose von Bryan Cranston durchs Bild, bevor er schließlich in Macho-Pose in Tiny Whities auf der Straße stand und mit der Knarre in der Hand seinen Tod herausforderte.
Das wäre mir im Prinzip egal gewesen, aber die erste Folge hatte mich dennoch an dem Haken. Vince Gilligan erzählte die Story eines desillusionierten Mittelstandes in Amerika. Walter ist in einer Tretmühle, sein Ego ist in sich zusammengefallen und er sieht sich seiner Optionen beraubt. Als Lehrerkind konnte ich mich immer ein wenig mit der Familie White identifizieren, mit Spannung sah ich den Held der Serie auf dem Weg nach unten. Die Serie elektrisierte viele wie vorher etwa The Sopranos oder The Wire. Oder wenn wir ein deutsches Beispiel wollen: vielleicht Diese Drombuschs? Es geht um eine Familie und um einen Moment in der Zeit. Fünf Jahre vorher oder fünf Jahre später hätte die Serie nicht mehr diesen Erfolg feiern können.
Breaking Bad erschien zu einer ersten Hochphase eines anderen Mediums: des Podcasts. Mit Begierde verfolgte ich, wie zuerst Vince Gilligan in Podcasts wie The Writers Panel mit Ben Blacker auftrat, um dort von seinem kreativen Prozess zu reden. Wie er ursprünglich vorhatte, Jesse nach ein paar Episoden umbringen zu lassen, aus der Serie herauszuschreiben. Und wie sich Aaron Paul einen festen Platz in der Serie erspielte. Wie die Autoren immer wieder den Plot anpassen mussten, weil zum Beispiel Jesses Haus für eine Staffel lang nicht mehr als Drehort zur Verfügung stand. Und wie Bryan Cranston den Schritt von den kleinen Podcasts zu den großen Abendshows unternahm und zu einem Weltstar wurde.
Doch das machte dem Writers Room nichts aus. Sie hatten Albuquerque als Mini-Kosmos neu erfunden, der auf der einen Seite nichts mit Amerika zu tun hat, aber auf der anderen Seite eine ganze Welt in einer Schneekugel war. Immer wieder konnten sie den Fokus in eine andere Richtung drehen. Die Witzfigur Hank wurde auf dem Parkplatz plötzlich dreidimensional und zog Marie mit. Diese Szene, in der beide im Aufzug nach unten fahren… einfach wow. Kleine Gesten und dennoch große Gefühle.
Breaking Bad war nicht perfekt, sondern ein Spiegel unserer Zeit. Viel zu spät bemerkte ich etwa, welchen Frust die anderen Fans gegenüber Skyler entwickelten, weil sie doch die Spielverderberin war und Walt daran hinderte, spannende Dinge zu machen wie Zugüberfälle und kleine Jungs zu ermorden. Ach nein, das war ja nur Todd. Walter bringt Dealer um. Vielleicht machte diese Misogynie Skyler für mich sogar zu einer stärkeren Figur. Sie verkörpert für mich das Wort Survivor. Aber es ist wohl kein Wunder, dass wir sie in den Folgeproduktionen nicht wiedersahen.
Breaking Bad versank in einem Sumpf. Statt mit seiner Hauptfigur richtig abzurechnen, hat Vince Gilligan Walter White ein paar grobschlächtige Comicbuch-Bösewichte an die Seite gestellt, die dann keine Backstory mehr bekamen – dabei war das das vorherige Kennzeichen der Serie: Jeder hat eine Geschichte. Nur so war es möglich, Walter einen versöhnlichen Tod herbeizuschreiben. Er büßt und verhilft Jesse, seinem eigentlichen Sohn, zur Flucht.
Als Better Call Saul angekündigt wurde, hatte ich wenig Hoffnung. Aber Vince Giligan und Peter Gould haben es wieder geschafft, mich in eine Story hineinzuziehen. Noch deutlicher als zuvor waren die Comedy-Elemente: Das Gericht in Albuquerque ist einfach eine Muppet Show. Aber mittendrin kamen immer wieder Elemente der Selbstinspektion eines Amerika, in dem kurze Zeit später Donald Trump das Ruder übernehmen sollte. Zum Beispiel in der Rolle der Betsy Kettleman, die neben einer Tasche voll unterschlagenem Geld sitzen konnte und gleichzeitig behauptete – nein, der Überzeugung war – dass sie nichts falsches getan hatte. Dass Gesetze für sie nicht gelten, weil sie dieses Geld einfach verdiente.
Chuck als Figur war ein Geniestreich, ein Pol, von dem sich Saul abstoßen konnte. Jimmys älterer Bruder lebt in einer Welt ohne Strom, ein Exil, in dem es ihm noch möglich ist an Prinzipien festzuhalten, die eigentlich nie wirklich ernst genommen wurden. Chuck ist das Establishment, das ganz fest die Augen verschließt, wie es zu der von ihm selbst beklagten Misere beigetragen hat. Chuck kann nicht verstehen, wie seine Aktionen seinen Bruder erst zu dem machen, was er verachtet. Zu Saul.
Better Call Saul hatte von den Fehlern der Vorgängerserie gelernt. Kim wurde nicht den Wölfen vorgeworfen. Sie konnte den Weg von Jimmy zu Saul mitbeschreiten, auch wenn ich ihre Motivation oft nicht nachvollziehen konnte. Der Verschluss der Tequila-Flasche symbolisierte den rebellischen Funken von Kim, die sich aus dem Nichts hochgearbeitet hatte, um schließlich in einem Corporate Apartmentb zu stehen und nicht zu wissen, wie es von hier weitergeht. Ob es noch eine Kim gibt, die nicht ausschließlich das Produkt ihrer Umgebung ist.
Was ich mich bei Serien immer wieder frage: In welcher Welt leben diese Leute eigentlich? Ich will sicher nicht im Albuquerque von Walter und Saul leben. Es gibt zwar ein paar interessante Menschen da. Aber sie spielen alle nur Rollen, die von der Gesellschaft vorgegeben werden. Hank muss in der Garage Bier brauen. Marie muss sich ein Problem wie Kleptomanie zulegen. Wäre Ignacio nicht Nacho, würde er Autositze schneidern, bis er das Geschäft von seinem Vater erben kann. In 20 Jahren. Niemand lebt wirklich in Better Call Saul. Je länger wir in die Schneekugel starren, um so mehr bemerken wir, wie klein sie doch ist. Und dass all die kleinen Figuren keine Augenbrauen haben, weil kein Pinsel klein genug war.
Die letzte Staffel war wie bei Breaking Bad eine Enttäuschung. Lalo war wie zuvor Todd ein Enigma, ein Psychopath, der halt tut, was er tut, um den Rest der Welt etwas besser dastehen zu lassen. Seine große Entdeckung: Er hat ein Loch gefunden. Als ob dies irgendetwas in dem Machtkampf der Salamancas gegen den Chicken Man bedeuten würde. Aber bumm, bumm, bumm. Tragisches Finale. Traumata für alle. An keiner Stelle ergibt der Plot noch irgendeinen Sinn, er schleudert die Charaktere nur noch grob in die erwünschte Richtung.
Better Call Saul war eine spannende Charakterstudie, aber letztlich hat sie ihr Ziel verfehlt. Sie sollte zeigen, wie man einen Menschen wie Saul konstruieren kann. Doch wenn wir uns an seine ersten Auftritte erinnern, ist das nicht gelungen. Ein Jimmy, der mit Kim zusammengelebt hat, wird niemals zum Saul, der von Skyler so aus dem Konzept gebracht werden kann.
Dennoch: Es waren 12 wilde Jahre, und ich würde sie nicht missen wollen. Denn sie markieren auch eine Periode, in der kreativ vieles realisiert wurde, was vorher nicht möglich war und mittlerweile auch nicht mehr möglich ist. Netflix muss sparen und es braucht Stoffe, sie mehr als nur einen Moment funktionieren. Disney Plus muss sparen und braucht Stoffe, die keinesfalls mehr Tiefgang haben dürfen als ein Pixar-Film. Amazon Plus muss sparen und brauchts Stoffe, mit denen man Cola verkaufen kann. Die ARD muss sparen, weil Schlesinger.
Bye Albuquerque.
Tschüß, Omaha.
Und auf Wiedersehen, Golden Age Of TV. Vielleicht müssen wir zur Abwechslung wieder selbst leben, statt nur in Dir ein Spiegelbild zu suchen.