In diesen Tagen wird viel über Freiheit und die Pandemie gesprochen — und viel davon ist deprimierend falsch. Kein Wunder: Nicht jeder, den man sprichwörtlich ins tiefe Wasser wirft, lernt sofort zu schwimmen. Das Thema ist viel zu komplex, als dass man aus dem Stegreif erkenntnisbringend argumentieren könnte. Man kann spontan seine Wünsche oder persönlichen Erfahrungen austauschen, aber nicht verantwortungsvoll Entscheidungen für andere treffen. Und das ist der Kern der Pandemie: Die Entscheidungen, die man scheinbar nur für sich trifft, trifft man auch für andere.
Wer über Freiheit nachdenken will — und ich empfehle das Denken vor dem Sprechen oder dem Schreiben — kann sich zum Beispiel diesen Fall vornehmen: Eine Frau hat eine ansteckende, potenziell tödlich Krankheit, ist aber selbst völlig symptomfrei. Als man sie findet, sind bereits viele Menschen erkrankt und wohl einige gestorben. Sie wird ermahnt, Hygienevorschriften einzuhalten und nur noch ordentlich durchgegarte Nahrung zu servieren. Was sie nicht tut.
Die Krankheitsträgerin arbeitet weiter als Köchin. Irgendwann wird es den Behörden zu viel. Die Frau wird zwangsweise in Quarantäne gesteckt und immer wieder getestet. Drei Jahre lang. Und als man sie entlässt, verbietet man ihr als Köchin zu arbeiten. Sie jedoch sieht sich zu Unrecht verurteilt. Sie hat ja nichts gemacht. Und nach einer Unterbrechung, in der sie einen anderen schlecht bezahlten Job ausübt, arbeitet sie unter anderem Namen wieder als Köchin, in Restaurants und sogar in einem Krankenhaus. Wo es zu einem neuen Ausbruch kommt, der Ermittler und schließlich auch die Polizei auf den Plan ruft.
Was soll man mit dieser Person tun? Die Antwort damals war: Man schickt sie wieder in Quarantäne. 23 Jahre lang, bis zu ihrem Tod. Zwar bekommt sie ein eigenes kleines Häuschen, einen neuen Job und kann Tagesausflüge in die Stadt machen — doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine Gefangene war. Und bald darauf fand man neue symptomfreie Überträger, die man jedoch nicht in Gefangenschaft schickte.
Es handelt sich hier nicht um einen hypothetischen Fall, sondern um das Leben von Mary Mallon, auch bekannt als Typhoid Mary. In der Wikipedia steht einiges, etwas mehr erfahrt ihr in diesem Podcast.
Man kann den Fall nicht im Nachhinein lösen, die Frau nicht rehabilitieren oder sie nachträglich überreden, man kann ihr auch nicht eine heute bekannte Medizin verabreichen. Man kann die New Yorker Behörden von damals nicht von Rassismus und Korruption befreien. Aber man kann ein wenig nachdenken.