Zunächst Mal: Ich bin kein großer Fan von Jan Böhmermann. Ab und zu werden mir seine Videos in die Streams gespült, und dann finde ich sie oft gut. Richtig gut. Aber seine Sendung ist nicht so wirklich mein Ding, weil ich viele seiner popkulturellen Referenzen nicht (er-)kenne und er für meinen Geschmack etwas zu krawallig ist. Zudem hatte ich keine Ahnung wer Dendemann ist. Kurzum: Ich finde Böhmermann gut, schalte ihn aber eher selten ein.
Ein schönes Beispiel ist das aktuelle Video „Be deutsch“, das ich so gut fand, dass ich es auch teilte. Am Tag darauf stellte ich erstaunt fest, dass viele Leute das Video offenbar als kraftvolle und gänzlich unironische Gegenhyme zu Pegida und Co verstanden. Das führte dann zu Gegenstimmen wie die von Sascha Lobo und Anke Groener, die darauf aufmerksam machten, dass Böhmermann da mit deutschtümelnden Klischees gespielt hatte, die uns aus gutem Grund Unwohlsein verursachen sollten. „Wir sind die Deutschen, nicht ihr!“ brüllt der bunte, tolerante Mob den Klischee-Pegidisten am Schluss zu. Aber Moment mal, wie passt ein solcher Spruch mit dem Angedenken an die Nazizeit zusammen, das am Anfang beschworen wurde als Schöpfungsmypthos des toleranten, vermeintlich besseren Deutschen?
Einerseits: Gar nicht. Es ist ein direkter Widerspruch. Wer Gruppen gewaltsam ausschließen will und in Form eines Mobs angreift, wie es in dem Video geschieht, hat die Lektionen aus dem Holocaust nun wirklich nicht tief verinnerlicht. Andererseits: Es passt perfekt. Denn viele übersehen eine Prämisse. Jan Böhmermann ist nicht der Bundespräsident, sondern Comedian. Und zwar einer, der sein Handwerk versteht.
Und er verlangt etwas Aufmerksamkeit von seinem Publikum. Grade das „Remember, remember“ am Anfang war für mich ein klares Zeichen. Es ist der Erkennungs-Slogan des Films „V as Vendetta“, der einen geheimen Rächer zur Ikone erhebt. Der Film wird oft missverstanden, da er ein reines Schwarz-Weiß-Bild des Guten und Bösen darstellt. Der Comic von Alan Moore bietet ein paar mehr Nuancen, aber es reicht auch ein Blick in die Wikipedia: Das historische Vorbild Guy Fawkes taugt nicht wirklich als Held. Und so geht es mir mit Böhmermanns Video. Der vermeintlich geläuterte Klischee-Deutsche ist ein Zerrbild, das eigentlich für jeden erkennbar sein sollte.
Ich hab „Be deutsch“ daher primär als Parodie auf mein Millieu gesehen. Fast alle meiner Freunde haben studiert, Geburtstags-Buffets sind großteils vegan und ich hab mir grade einen neuen Fahrradhelm gekauft. Ein offen Strapse tragender Pfarrer gehört aber dennoch nicht zu meinem erlebten Deutschlandbild, ebensowenig umarmen sich in meiner Nachbarschaft Juden und Araber. Wir können zwar alle einen bis zwei Sätze Kant zitieren, aber richtig gelesen haben wir ihn nicht.
Und was mach ich nun mit dieser Erkenntnis? Welche Botschaft hat das Video nun? Meine Antwort: Es ist Comedy.
Ein Comedian geht dahin, wo es die Leute kitzelt, oder wo es ihnen sogar weh tut. Und das tut Böhmermann auf intelligente Art. Wer meint, er habe die eigene Position uneingeschränkt unterstützt, muss oft feststellen, dass er eigentlich das Ziel des Spottes war. So war es beim Varoufakis-Finger, so ist es beim rassistischen Erdogan-Gedicht. Böhmermann operiert auf einer Meta-Ebene. Oft ist der Witz nicht in der Mediathek zu sehen, die eigentlich Pointe ist die Reaktion des Publikums, der Medien, des Senders.
Zudem hat Böhmermann ein vermeintlich revolutionäres Konzept ins Fernsehen gebracht. Ein Witz ist ein Witz, weil er witzig ist. Dieses eher US-Amerikanische Verständnis von Comedy fehlt uns in Deutschland bisher. Zwischen den verkopften Comedians, die immer auf der vermeintlich richtigen Seite sein wollen und den Mario Barths und Oliver Pochers, die sich schon präventiv auf die moralisch falsche Seite stellen, gibt es kaum bekannte Namen. In den USA hingegen drängen sich in dieser Nische haufenweise Comedians. So finde ich viele Nummern von Louis CK genial. Der Streitfrage, ob man Witze über Vergewaltigung machen darf, setzt er sogar Witze über Kindesmissbrauch entgegen — aber eben auf intelligente Weise.
Was machen wir nun mit der Erkenntnis? Entzieht sich Comedy jeder Bewertung, weil ja alles nur ein Witz ist? Natürlich nicht. Kann auch schlechte Comedy die gesellschaftliche Diskussion eröffnen und die Welt zum Besseren ändern? Möglicherweise ja. Möglicherweise auch das Gegenteil. So habe ich neulich das Interview einer Frauenrechtsaktivistin gehört, die über den desaströsen Effekt eines Sketches von Saturday Night Life von 1993 die Vorstellung von „date rape“ lächerlich machte und die öffentliche Diskussion zum Thema eher abwürgte. Auch in den Folgejahren wurde SNL in diesem Punkt nicht wirklich zum Vorkämpfer im bereich Frauenrechte – trotz starker Frauen wie Amy Poehler und Tina Fey.
Also: Schaut Comedy. Denken müsst ihr aber weiterhin selbst.