Darf ich vorstellen? Das ist Kate Micucci. Jahrgang 1980, aufgewachsen auf dem Lande — eine Stunde von New York entfernt — hat sich die Schauspielerin inzwischen in Los Angeles angesiedelt.
Kate ist ein „late bloomer“. Ihre Kindheit war gut behütet, ihre Eltern taten alles, um die Kreativität ihrer Kinder zu fördern. Klassisches Klavier, selbstgebasteltes Spielzeug, ein Frosch im Keller. Wenig Geld. Kate finanzierte sich ihr Studium selbst. Und baute im Studentenwohnheim tatsächlich ihre Modelleisenbahn auf und malte alleine, statt auf Parties zu gehen. College Girls gone wild? Nicht Kate.
Das änderte sich, als sie endlich nach Kalifornien umsiedelte und dort den Beruf einer Schauspielerin ergriff. Ihr Äußeres, das so gar nicht der Durchschnitts-Schauspielerin entsprach, öffnete ihr Türen und ihr unbestreitbares Talent brachte den Erfolg. Erfolg? Nunja: Sie erschien — neben ihren Jobs als Babysitter und Sandburg-Tutorin — in vielen Werbespots. Man kann davon leben, aber nicht wirklich mehr.
Auch kleine independent movies gab es zuhauf. Micucci ging in dem kreativen Umfeld auf. So richtig ging es aber erst los, als sie sich mit Riki Lindholm anfreundete. Die ist auch Schauspielerin und traf Micucci immer wieder bei den Castings, bei denen es nie um die Hauptrolle, sondern um die der komischen, redseeligen, irgendwie quirky Freundin / Bedienung / Assistentin ging. Eine Karriere im Schatten, die die Miete zahlt. Doch Riki und Kate freundeten sich an und es ging los. Kate schrieb lustige Songs, Riki baute die Kamera auf und „Garfunkel and Oates“ waren geboren:
Es begann wie mit Justin Bieber. Nicht so schnell, nicht so extrem, nicht so jung. Der YouTube-Counter ging steil bergauf, die großen Studios bissen aber nicht an. Tom-Hanks-Fans erinnern sich vielleicht an die Szene aus „That Thing You Do!“ — und wer sonst außer seinen Fans sollte den Film sehen? — an dem das Lied der sympathischen Teenager-Band im Radio läuft und sie auf den Straßen tanzen, weil sie wissen: Sie haben es geschafft: Plattenvertrag, Konzerte, Durchbruch. Bei Riki und Kate rief kein Plattenstudio an.
Die Medienlandschaft ist heute anders. Um Riki zu zitieren: Es gibt keine Ausrede mehr. Niemand muss mehr auf Radio und Plattenvertrag warten. Jeder publiziert heute, es ist so billig. Und wenn die Medienmaschinerie erst einmal angebissen hat, heißt das noch lange nicht, dass man eine Villa in Beverly Hills sicher hat. Riki und Kate — oder: Garfunkel and Oates — sind kein Act, der ohne weiteres dem ganz breiten Publikum nahezubringen ist. Zu viele Worte, nicht genau das, was das Publikum schon kennt. Aber etwas, was in Los Angeles nicht unbemerkt bleibt. Und so castete Bill Lawrence, der Showrunner von Scrubs Micucci nicht für die Rolle, für die sie sich beworben hatte, sondern schrieb eine eigene Rolle für sie. Ein Farbtupfer in der Serie, die nach drei Staffeln kreativ erschöpft war.
Ja, das ist das gleiche Lied wie oben. Mit dem offensichtlichen Unterschied: „fuck“ wurde durch „screw“ ersetzt. Network Television hat seine eigenen Gesetze.
Riki und Kate setzten ihre Off-Television-Karriere fort. Tatsächlich haben Casting-Agenturen angefangen, YouTube zu durchsuchen. Wer nicht sein eigenes Ding macht, kann nicht ihr Ding machen. Also ziehen Garfunkel and Oates das Ding etwas größer auf. Machen professionelle Low-Budget-Videos. Kate und Riki sind in einer hoch kreativen Umgebung. Erinnert ihr Euch an „Tootsie“? Mittlerweile müsste sich Dustin Hoffman nicht mehr für eine Daily Soap in ein Kleid zwängen, um das Geld für sein Theaterprojekt zu bekommen — er würde einen YouTube-Channel anfangen: #tootsie.
Die Videos von Garfunkel and Oates wurden aufwändiger. Sie kannten Regisseure, Schauspieler, Tänzer, Musiker en masse. Und mit „Sex with ducks“ kam schließlich der entscheidende Durchbruch: Ich bemerkte sie auf YouTube. Erst das low budget music video.
Und dann die raw and absolutely no budget version.
9100 Kilometer vom Kalifornien entfernt, lernte ich das Werk von Micucci kennen. Internet hooray. Statt auf Hochglanz-Flachwitz-Magazine zurückzugreifen höre ich mir ganz einfach drei Podcasts mit Kate Micucci an und erfuhr mehr von ihr als wenn ich ihr biopic gesehen hätte. Fans haben Playlisten zusammengestellt, in der zum Beispiel Videos von Micuccis Bühnenshow Playing with Micucci zusammengetragen sind. Ja, das ist ein double entendre. Sie heißt nun mal so, get over it.
Im letzten Jahr hatte sie endlich eine für deutsche Zuschauer sichtbarere Rolle: Sie spielte in The Big Bang Theory die Rolle von Rajs exzentrischer Fast-Freundin Lucy. Aus meiner Sicht ein verschwendetes Talent, denn die Serie hat wie damals Scrubs ihren kreativen Zenith längst überschritten. Dank Werbespots bleibt den Autoren immer weniger Platz für Inhalte, die Prominenz der Show stiehlt ihr die Spontanität. Sheldon darf zum Beispiel nichts Reales mehr schlecht finden und recht behalten. Die aufgebauten Charaktere werden für Witze verheizt. Da mittlerweile in jeder Folge sieben Charaktere untergebracht werden müssen, bleibt eh keine Zeit für Dialoge über Twitter-Länge. Und so ist auch die Rolle von Micucci ist schlichtweg nicht witzig — anders als die ihrer Freundin Riki in Staffel 2.
Kates Karriere wird es nicht schaden, hoffe ich. Ich werde sie aus der Ferne im Auge behalten — egal ob network television sie nach oben befördert oder wieder vergisst. YouTube, spotify, social media — sie hat viele Kanäle zum Publikum und ich gehöre dazu.
Was können Kreative daraus lernen? Produziert. Findet eure Stimme und euer Publikum. Und bleibt nicht stehen. Den großen Durchbruch gibt es noch, aber es gibt so viele andere Wege, die sich lohnen.
Halt — noch eins: Es klappt nicht immer.
PS: Kaum habe ich es geschrieben, hat Garfunkel and Oates eine eigene TV-Serie. Premiere: 2014 bei IFC, wo auch Marc Maron seine autobiographische Serie untergebracht hat.