Die Welterbe-Kampagne von Wikimedia ist grade angelaufen und die deutschen Medien (inklusive mir) reagieren folgsam darauf. Doch eigentlich ist Wikipedia ist längst Bestandteil der Welt-Kultur — egal was die Unesco sagen mag. Was hat gerade den Schulalltag von Hunderten Millionen junger Menschen in letzter Zeit mehr verändert als Wikipedia? Wo wird ein 13jähriger in seiner Freizeit Mal eben nachschlagen, wer dieser Michelangelo war, wie ein Dieselmotor funktioniert oder wer diese Madonna ist, die dauernd mit Lady Gaga verglichen wird?
Ich glaube nicht, dass die Aktion irgendeine Erfolgsaussicht hat. Statt sich beim immateriellen Welterbe oder beim Weltdokumentenerbe einzuordnen, möchte sich Wikimedia Deutschland die Wikipedia unbedingt in der elitärsten Liste verewigen, die die Unesco zu bieten hat. Nicht Flamenco und französische Küche sind vergleichbar mit Wikipedia, sondern die Große Mauer von China und die Pyramiden von Giseh. Das wird nicht passieren. Aber die Unesco öffnet sich gerade sowieso für digitale Güter, engagiert sich bereits für Meinungsfreiheit im Internet. Mit oder ohne Wikimedia-Kampagne wird Wikipedia in den nächsten Jahren auf einer Unesco-Liste auftauchen.
Tim Pritlove hat recht, wenn er bei Dradio Wissen erklärt, dass die Diskussion wichtiger ist als das Ergebnis, dass die Welt sich mit ihrer digitalen Kultur auseinandersetzen muss. Aber auch umgekehrt wird ein Schuh daraus. Nicht nur die Gesellschaft muss reflektieren, wie sie mit digitalem Wissen umgeht, die Wikipedia muss reflektieren, wie sie als Kulturgut funktioniert. Denn die Autoren müssen sich nicht nur mit der ungeheuren Popularität der Plattform herumschlagen, die Artikelarbeit gerade in umstrittenen Bereichen schwerer macht, als es für viele erträglich ist. Sie muss sich auch damit auseinandersetzen, was sie selbst ist. Die Wikimedia Foundation hat grade die Parole ausgegeben, dass sie eine Bewegung, ein „movement“ ist und will so alle Strukturdiskussionen ersticken. Bezahlte Wikimedianer und freiwillige Aktivisten. Die allmächtige Wikimedia mit den Root-Rechten auf den Servern, die sich aber nicht traut, inhaltlich Partei zu ergreifen. Alles kein Problem für eine Bewegung, die gallertartig nachgibt, wenn man sie anstößt.
Einer der Kern-Streitpunkte in Wikipedia — der in 1000 verschiedenen Stellen ausgetragen wird — ist: Will die Wikipedia sich an der Hochkultur orientieren, das erprobte oder überkommene Prinzip von Enzyklopaedia Britannica und Brockhaus ausbauen? Ein neues Zerrbild der Geschichte, bunter als die Schulbücher die wir bisher kannten, aber den selben Prinzipien verhaftet? Oder will man selbst ein kultureller Marktplatz sein mit lebendigen Menschen? Wie viele Brüste und Schamhaarfrisuren soll die Wikipedia zeigen? Oder ist Erotik nur Kultur, wenn denn Michelangelo den Pinsel geführt hat? Kurzum: Was ist eigentlich dieses Weltwissen, das die Wikipedia abbilden will?
Noch spannender ist in meinen Augen aber die Frage der Selbstorganisation. Ursprungsgedanke war, dass die Wikipedia von jedem für jeden geschrieben wird. Von diesem Ansatz muss man sich verabschieden: Es waren von Anfang an wenige, die das Wissen in der Wikipedia bestimmten und noch weniger, die sich für die Projektorganisation interessierten. Die Beteiligungen an Abstimmungen ist minimal, das einzig verlässliche ist eine Haltung zur Blockade zur Erhaltung des Status Quo — egal wie verhasst er in Aspekten allen Beteiligten auch sein mag. Wenn Wikipedia nicht irgendwann wirken will wie in Stein gehauen, nicht wie die zerfallenen Ruinen einer vergangenen Zivilisation, muss sie sich nochmal verschäft mit sich selbst beschäftigen. Und endlich Mal zu Ergebnissen kommen.