Leistungsschutzpflicht

Während deutsche Verleger spannende Ideen zu einem Leistungsschutzrecht haben, scheinen es die Kollegen in den USA etwas anders zu handhaben: als die Geschichte des Rolling Stone Magazine über General McChrystal zum Politikum wurde, stellten die Redaktionen von Politico und Time.com den Artikel kurzerhand online – und scherten sich einen Dreck darum, dass sie keinerlei Rechte an dem Artikel hatten.

Die Begründung ist spannend:

“Time.com posted a PDF of the story to help separate rumor from fact at the moment this story of immense national interest was hitting fever pitch and the actual piece was not available,” a spokeswoman for Time wrote in an e-mail message. “We always had the intention of taking it down as soon as Rolling Stone made any element of the story publicly available, and we did. It was a mistake; if we had it do over again, we would only post a headline and an abstract.”

Sprich: wenn ein Verleger einen Artikel selbst noch nicht online stellt, übernehmen es halt andere Verlage – ungefragt und kostenfrei. Aus dem Leistungsschutzrecht wird eine Leistungsschutzpflicht.

Supermarktkunde

Der Shoplogger Apu Nahasapeemapetilon Björn Harste gibt Tipps, die schnellere Kasse zu finden:

Was nämlich viele Leute schlichtweg vergessen: Es kommt nicht auf die Länge an. Also von der Länge der aus wartenden Kunden bestehenden Schlange, meine ich. […] Aber die beiden wichtigsten Faktoren vergessen viele.Erstens: Die anderen Kunden! Wieviel kaufen sie ein? Wie bezahlen sie? Mehrere Großeinkäufe werden viel Zeit benötigen. Wenn also ein paar Kunden vor einem stehen, die jeweils einen randvollen Einkaufswagen haben, ist die Chance auf eine längere Wartezeit ziemlich groß. Aber Achtung: Ein Wagen kann auch gut gefüllt sein, wenn nur zwei Kisten Bier und ein paar Tüten Chips darin liegen. Und so ein Einkauf ist wiederum recht zügig abkassiert. Wenn natürlich nur ein paar Kunden vor einem stehen, die jeweils ein oder zwei Teile in der Hand halten, ist die Schlange schnell abgearbeitet.

Noch ein paar Tipps:

  • Großeinkaufende Ehepaare sind kein Hemmschuh: Ein eingespieltes Team kann gewaltige Warenmengen auf das Band laden und abräumen ohne die Warteschlange aufzuhalten. Zudem gibt es nur einen Kassiervorgang, der je nach Supermarktkette sehr lange dauern kann. Payback, Treuepunkte, Coupons, Parkkarte und nun auch noch Fußball-Sammelbildchen – Supermarktkassen sind zum Rabattbüro geworden
  • Männer kassieren langsamer. Das mag ein sexistisches Klischee sein, aber in meiner Umgebung entspricht es den Tatsachen. Das mag allerdings daran liegen, dass kaum einer der Männer Kassieren als Lebenskarriere verfolgt.
  • Kleider sind des Teufels. Die Billig-Textilien werden mit besonderen Anti-Diebstahl-Vorrichtungen versehen, die schwierig zu entfernen sind. Zudem werden Kleiderbügel entfernt und der Barcode ist oft nicht zu lesen. Ausnahme: Tchibo-Ware.
  • Der Supermarkkassen-Profi erkennt nicht nur welche Schlange am schnellsten ist, sondern erspürt auch den Moment, wenn eine neue Kasse geöffnet wird. Die Bewegungen des Supermarkt-Personals sind zu berücksichtigen – ebenso wie der Rückstau an den offenen Kassen.

mspr0 revisited

Zur causa Michael Seemann vs. FAZ gibt es grade eine enorme Menge an Empörung. Versuchen wir es zur Abwechslung mit ein wenig Nutzwert.

Eine deprimierend große Anzahl von Netizens weiß offenbar nicht, wie sie die heute gelöschten Beiträge nachlesen können. Nun, das ist ganz einfach:

  1. Wenn ihr das Blog so toll fandet, wie ihr es in Tweets und Blogbeiträgen schildert, sind alle Blogbeiträge sicherlich in Eurem Feedreader zu finden.
  2. Und falls nicht: da gibt es eine ganz neue Erfindung namens „die Cloud“. Viele Informationen werden auf vielen Servern zwischengespeichert. Konkreter: Loggt Euch bei Google Reader ein, klickt auf „Abonnement hinzufügen“ und gebt den Blognamen „CTRL-Verlust“ ein. Dort sind die Beiträge zwar nicht ewig, aber bestimmt noch während des nun aufkommenden Shitstorms bequem nachzulesen. Sogar die mehr als unbedacht eingebundenen CC-Bilder sind dort noch zu sehen.

Und nein: das macht eine Löschung nicht ungeschehen.

BILD kämpft für SIE (oder sich?)

Kai Diekmann ist in ein ausgezeichnet vernetzter Mann. Kaum berichten die Medien über seinen Versuch, einen Nachlass auf seine enorme Telefonrechnung herbeizumauscheln, hat er offenbar zur Gegenoffensive ausgeholt. Heute erschien ein vermeintlicher Spiegel-TV-Beitrag auf YouTube, in dem Diekmann als Roaming-Opfer „Kai D. aus Brandenburg“ posiert:

Wir sehen ihn mit LIDL-Tüten auf dem Weg zu der Springer-Zentrale, die Sprecherin erzählt über die vermeintlichen Ehe-Probleme durch die Rechnung und Kai D. räsonniert: „…und dann hat es auch noch dauernd geregnet“. Gekonnt gemacht.

Gut verdienende PR-Facharbeiter lachen sich eins, wie der mächtige BILD-Chefredakteur sich da als Hinz und Kunz inszeniert. Der Angestellte, dessen Ehefrau dauernd die Telefonrechnung hochtreibt, der Pauschalurlauber, der sich über das Wetter mokiert. Ehen, die durch fünfstellige Beträge ruiniert werden können. Die alberne Anonymisierung, die durch das riesige BILD-Logo im Hintergrund ad absurdum geführt wird.

Doch: ist das Selbstironie? Oder zeigt da nur jemand, was er von den Leuten hält, die er mit Slogans wie „BILD kämpft für Sie!“ einzuwickeln versucht? Die Leute, die nicht den Telekom-Chef persönlich um Nachlässe angehen können. Angestellte, deren Arbeitgeber nicht Mal eben einen fünfstelligen Betrag zahlt, um deren Ego-Eskapaden zu bezahlen.

Diekmann ist sich selbst in die Fall gegangen: Hätte er sein Roaming-Malheur gleich thematisiert, hätte er ja sogar noch als glaubwürdiger Anwalt derer fungieren können, die auf die unverschämt hohen Roaming-Tarife hereingefallen sind. Dass er es erst einmal hinterrücks beim Telekom-Chef versuchte und sich dann keinesfalls hinten anstellen will, zeigt hingegen, dass BILD sich zunächst um sich selbst kümmert und vielleicht dann mal anfängt an die Leser zu denken.

Aber das YouTube-Filmchen ist eh nicht für den BILD-Leser gedacht. Hier zeigt ein Alpha-Tier lediglich, dass die kleinen Pinscher aus den kaputtgesparten oder trivialisierten Medienressorts nicht an seinem enormen Ego kratzen können.

Gott schlägt Logik

Große Aufregung gibt es über einen Tweet, mit dem Mark Shurtleff, Justizminister des US-Bundesstaates Utah, die Hinrichtung eines Mörders ankündigte:

Ist so ein Tweet angemessen, geschmacklos, barbarisch? Ich für meinen Teil bin sehr irritiert davon wie völlig merkbefreit Gott ins Spiel gebracht wird.

May God grant him the mercy he denied his victims.

Kann ein Mörder die göttliche Gnade, das Seelenheil verweigern? Falls ja: ein sehr ungerechter Gott. Was können die Opfer für die Tat eines Mörders? Und falls nein – in dem Fall betet Mark Shurtleff wohl dafür, dass Gott dem Mörder doch das Leben schenkt? Denn dies ist genau die „Gnade“, die ein Mörder seinen Opfern verweigert.

Shurtleff mag meinen, dass er das Richtige tut. Dass er sich jedoch zum göttlichen Erfüllungsgehilfen aufschwingt. um einen staatlich sanktionierten Mord zu rechtfertigen, ist unter aller Kanone. Oder hat er nur eine Formulierung gesucht um „god“, „mercy“ und „victims“ irgendwie in den 140 Zeichen unterzubringen?

Ich weiß, dass die Mormonen sehr merkwürdige religiöse Ansichten haben, aber auch für sie gilt eines der Zehn Gebote, das von Vertretern aller möglichen christlichen Glaubensausrichtungen immer wieder sträflich ignoriert wird:

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.

Keine Details!

Die hohe Geistlichkeit gibt sich diskret:

Als Reaktion auf seine Vorwürfe hat die bayerische Bischofskonferenz erklärt, man sehe nicht zuletzt zum Schutz Mixas „davon ab, Einzelheiten öffentlich auszubreiten. Wir wünschen ihm gute Genesung. Sein Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik war ein erster Schritt“.

Aber keine Sorge: beim Beichtgeheimnis machen wir Katholiken keine Kompromisse!

Gatefilterkeeper

Marcel Weiß antwortet mir auf meinen kleinen Gatekeeper-Rant vom vergangenen Monat – und hat sogar einen Tippfehler gefunden:

Ich schrieb schrub (sic!) damals:

Die Legende vom Ende der Gatekeeper ist der Heiliger Gral der Netzbegeisterten. Doch wer mit offenen Augen das Netz betrachtet, sieht ständig neue Gatekeeper – ob sie nun Google, Carta, Michael Arrington oder Stefan Raab heißen. Aufmerksamkeitsströme können gelenkt werden – wer dabei den besseren Job macht, bleibt abzuwarten.

Die Antwort von Marcel Weiß:

Das verkennt die Situation signifikant. Wie war die Mediensituation im Massenmedien-Zeitalter? Verhältnismäßig wenige Redakteure entschieden darüber, was die Öffentlichkeit erfährt und was nicht.Im besten Falle: Konkurrenz unter den Medien – der Markt- sorgte dafür, dass Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, selbst wenn der eine oder andere Chefredakteur sie zurückhalten will. Entweder greift ein anderer sie auf, oder man veröffentlicht sie doch selbst, weil man eben diese Veröffentlichung an anderer Stelle befürchtet.Im schlechtesten Falle: Die Chefredakteure einer Handvoll überregionaler Tageszeitungen bestimmen das Geschehen. Aufgrund der Machtkonzentration sind Absprachen, um Agenden zu pushen oder Geschichten unter den Tisch fallen zu lassen, zumindest theoretisch möglich. Geschichten können leichter unter den Tisch fallen.

Zunächst ist es bemerkenswert, dass wir laut Weiß das „Massenmedien-Zeitalter“ verlasssen haben. Aber lassen wir uns darauf ein: folgt man der Argumentation von Weiß, war eine der wesentlichen Beschäftigungen von Redakteure das Unterdrücken von Nachrichten und Informationen. Das ist – gelinde gesagt – eine steile These. Denn die Chefredakteure einer Handvoll überregionaler Zeitungen konnten sich damals(TM) auf so ziemlich gar nichts einigen. Und wenn sie doch Mal an einem Strang zogen – zum Beispiel gegen die Rechtschreibreform – waren sie wenig erfolgreich.

Richtig ist vielmehr: Alleine Chefs von Regionalzeitungen konnten Themen unter den Tisch fallen lassen. In einer Gegend, in die nicht Mal der Landesfunk der nächsten ARD-Anstalt zum Berichten vorbeikommt, ist der Lokalredakteur erstaunlich mächtig. Doch der große Machtmissbrauch war auch hier die Ausnahme, nicht die Regel. Heute kommt der einst realitätsstiftende Lokaljournalismus nur noch in Extremfällen zum Zuge.

Nundenn, der netzbegeisterte Weiß hat zwar keine Erinnerung an die Vergangenheit, interpretiert sie aber mit Verve. Was sagt er zur Gegenwart?

Arrington kann Tech-Geschichten nach oben pushen, weil er sie auf TechCrunch einem breiten Publikum präsentieren kann. Er kann aber keine Geschichten verhindern, weil diese dann einfach von anderen Blogs aufgegriffen werden. Die Informanten suchen sich notfalls einen anderen Weg. Wenn die Geschichte in die Öffentlichkeit will, findet sie einen Weg. Heute einfacher als früher.

Er ist ein Filter, kein Gatekeeper.

Ein lustiger Schachzug. Filter, keine Gatekeeper. Dass beide Worte in diesem Kontext Synonyme sind, fällt gar nicht auf.

Aber mal ganz unpolemisch: Ja, Medien sind durchlässiger geworden. Die Legende vom gänzlich geschlossenen Komplex der großen Massenmedien ist zwar ein Zerrbild, aber tatsächlich können heute unter anderem über Blogs neue Öffentlichkeiten geschaffen werden, können sie die Sicht der Redakteure hinter dem Schreibtisch im Verlag korrigieren, ein Gegengewicht bilden. Das hat natürlich positive Effekte, aber eben auch negative.

Zum einen: wenn man die Latte sehr niedrig hängt, muss man lange nach den besseren Inhalten suchen. Und es gibt viele, viele schlechte Inhalte. Was zum Beispiel Tech-Blogs wie TechCrunch in Sachen Persönlichkeitsrechte abziehen, ist unterste Boulevard-Schule.

Zum anderen: wichtige Themen haben es schwerer auf dem Radarschirm zu bleiben. Die deutsche Twitter-Karawane hat nur eine sehr eingeschränkte Kapazität – wenn pro Monat zwei bis drei Themen tatsächlich die Schwelle der Social-Media-Zielgruppe überspringen, ist das schon viel. Doch dann handelt es sich meist um Unsäglichkeiten, aufgebauschte Randnotizen. Dabei gibt es so viel mehr wichtige Themen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen.

Und denen will ich mich nun widmen.

100 Twitterer können nicht irren!

Stefan Niggemeier findet es nicht gut, wie „Welt Online“ einen vermeintlichen Lapsus von ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein hochschreibt.

Für mich ist das eine alltägliche Redewendung, um einen besonderen Triumph zu beschreiben, ein Gefühl von Schadenfreude oder die Genugtuung, es allen gezeigt zu haben. Von mir aus können wir gerne darüber diskutieren, ob das eine besonders passende oder geschmackvolle Redewendung ist — aber doch nicht ernsthaft darüber, dass der öffentliche Gebrauch der Formulierung einen Nazi-Skandal darstellt?

Aber, aber – Welt Online hat doch lediglich dem Shitstorm auf Twitter eine Plattform gegeben. Dort scrollte nämlich eine empörte Stimme nach der anderen über die Timelines. Und wenn Twitter sich empört, dann doch bitte auch Journalisten. Empörungsspirale pre-approved.

Journalismus 2.0 – dem Volk aufs Maul geschaut. Buzzriders! Warum wir keine Journalisten, sondern Community-Manager und Algorithmen brauchen.