Unbezahlte Spammer

Eine gern verbreitete Geschichte ist: Promi/Firma/Partei X hat Tausende Fake-Follower auf Facebook/Twitter/Instagram. Also hat er/sie wohl dafür bezahlt.

Ich hatte zu meinen Bildblog-Zeiten mal den Hinweis bekommen, dass verdächtig viele Fake-Profile die Hamburger Regional-Ausgabe der „Bild“ liketen. Als ich mir die Profile jedoch ansah, stellte ich fest, dass sie auch viele andere Hamburg-Seiten mit Likes beglückten – auch solche, bei denen man sich eine Kauf-Aktion nicht vorstellen kann. Es stellt sich heraus: Fake-Accounts liken auch Seiten, die sie nicht bezahlen. So versuchen sie reale Aktivität vorzutäuschen. Accounts, die ausschließlich Fake-Viagra-Seiten toll finden, wären auch allzu einfach auszusortieren.

Dies hat zum Beispiel Facebook grade wieder bei einer großen Lösch-Aktion festgestellt.

The accounts had been created not en masse, but through “more sophisticated means” in an attempt to disguise the link between them. Proxies were used to disguise their true location. “The apparent intent of the campaign was to deceptively gain new friend connections by liking and interacting primarily with popular publisher pages on our platform, after which point they would send spam.”

Wenn ihr also wieder die Geschichte seht, in der die schiere Existenz von Spamaccounts als Beweis für bezahlte Manipulationen verkauft wird, schenkt ihr nicht allzu viel Glauben.

Dreckschleuder Internet und Schweigekartell Berlin

Und wir müssen auch aufpassen, daß überhaupt noch Menschen bereit sind sich dieser Sache … auch im Internet, wenn sie da sehn, was alles über meine Frau alles verbreitet wird an Fantasien, dann kann ich nur sagen, da müssen wir doch auch sehen, dass die Menschen auch noch bereit sind sich der Öffentlichkeit zu stellen, in die Öffentlichkeit zu gehen, […]

In seinem Interview thematisierte Bundespräsident Christian Wulff die wilden Internet-Gerüchte, die sich um die Vergangenheit seiner Ehefrau gedreht hatten. Dieses Thema wurde in den letzten Tagen mehrfach thematisiert. Zum Beispiel schreibt Hans Leyendecker Heribert Prantl in der Süddeutschen:

Warum ist das anders geworden? Unter anderem deshalb, weil die Mediengesellschaft über viel mehr und größere Gebläse verfügt als die Gesellschaft vor 30 und 40 Jahren. Vielleicht auch deswegen, weil es den Amtsbonus immer weniger gibt, der selbst demjenigen Amtsinhaber eine Aura gab, der keine hatte. Diesen Bonus hat das Internet in einen Malus verwandelt, weil es dort eine besondere Lust daran gibt, aus Dreckkübeln, die in ausländischen Servern gefüllt werden, ungestraft auf Hass-Subjekte zu schütten. Wulff war und ist da eines der Opfer.

Dass es gar nicht die ausländischen Server waren, hat Alvar Freude in seinem Blog als Reaktion auf einen Cicero-Artikel mit ähnlicher Aussage schön herausgearbeitet:

Aber wie der Laie schon sieht, lautet schon die Top-Level-Domain .de. Sollte es ein Journalist tatsächlich nicht wissen, so kann er leicht recherchieren, dass .de-Domains grundsätzlich nicht anonym zu haben sind. Man kann problemlos gegen den Verantwortlichen vorgehen. Aber selbst wer nicht in der Lage ist dies zu recherchieren, sollte den Link „Impressum“ auf der Webseite finden. Das gleiche gilt für andere vom gleichen Autor gefüllte Webseiten.

Doch es geht noch weiter. Denn es waren nicht die Klowand-Beschreiber, die das Gerücht in die Welt setzten. So erschien am 15. Dezember dieser Artikel von Frankfurter-Rundschau-Journalist Holger Schmale:

Wenn Wulff nicht bald folge, so wurde in Berlin gemunkelt, könne das Blatt mit einer Geschichte über das Vorleben Bettina Wulffs aufwarten. Angeblich verfügt die Redaktion über Informationen, die bisher auf Weisung von ganz oben nicht gedruckt werden dürfen. Aus Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten. Man wird sehen, ob die wenigen Sätze aus dem Schloss Bellevue den Präsidentenjägern nun genügen.

Sprich: Die Gerüchte, die von den Dreckkübeln im Internet verbreitet wurden, kursierten schon drecklöffelweise in Journalistenkreisen. Und irgendwie hat man sie dann über Weihnachten komplett vergessen.

Dass der Anruf bei BILD-Chef Kai Diekmann mit einem solchen Hintergrund einen ganz anderen Hintergrund hätte, taucht in der Berichterstattung nicht auf. Dabei ist der Vorwurf beträchtlich: Ein Medium soll versucht haben den Bundespräsidenten mit gezielten Indiskretionen gefügig zu machen. Das klingt doch sehr nach News Of the World. Aber wir sind ja nicht in England, oder?

Abendgebet norwegischer Kinder

Lieber Gott,

wenn mich ein verrückter Extremist erschießt, lass es bitte nicht umsonst gewesen sein. Ich will, dass mir wenigstens auf der Titelseite eines Schmutzblatts 1000 Kilometer von meiner Heimat, meinem Grab entfernt gedacht wird. Schließlich können die tapferen Journalisten nicht unbegrenzt den blonden Teufel, den Teufels-Killer auf die Seite 1 drucken. Und bitte belästige meine Eltern nicht. Ich hab ja die passenden Fotos auf Facebook hochgeladen.

Amen.

Presseinformation des Presserats vom 22. Mai 2009:

Den hier festgehaltenen besonderen Begleitumständen der Tat von Winnenden hat der Presserat in einigen Fällen jedoch Rechnung getragen. So zeigten mehrere Zeitungen und Zeitschriften Bildergalerien der Opfer, vorwiegend als Porträtbilder. Der dezente Umgang in diesen Bildergalerien ohne sensationelle Aufmachung und unangemessene Formulierungen, sondern lediglich mit dem Hinweis, dass es sich im Folgenden um die Opfer des Amoklaufs handelt, hält der Presserat für mit dem Pressekodex vereinbar.

Andererseits hat der Presserat Fälle sanktioniert, bei denen Fotos und Namen der Opfer lediglich zur Illustration einer Geschichte benutzt wurden. Hier haben Redaktionen Opferfotos als sensationelles Element zweckentfremdet, um auf die Story aufmerksam zu machen. Der jeweilige Kontext der Verwendung war für den Ausschuss hier ausschlaggebend. Als Symbolfoto können Opferfotos nicht benutzt werden.
[…]
Generell stellt der Presserat fest, dass das Mediennutzungsverhalten der Gesellschaft sich durch das Internet sehr gewandelt hat. Visualisierung ist wichtiger geworden, der Umgang der Menschen mit eigenen Daten wie Fotos etc. hat sich stark verändert. Dies hat auch Folgen für die Art der Berichterstattung und die Spruchpraxis des Presserats.

Todeskrake Facepalm!

Gestern wurde auf der re:publica darüber gesprochen, wie diskriminierend Wörter wie „Internet-Aktivist“ oder „Datenkrake“ gegenüber der Internet-Gemeinde doch sind. Das konnte die „BILD“ natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Wer heute in Berlin seine Brötchen holen geht, wird von dieser Schlagzeile begrüßt:

Unternehmerjournalismus

Immer wieder höre ich Appelle, dass Journalisten sich doch immer mehr als Unternehmer begreifen sollten. Zum einen ist das eine Selbstverständlichkeit: weite Teile der Arbeit in Medien wird von „Freien“ gemacht, die sehen müssen, dass sie Aufträge bekommen und Themen besetzen. Also: ich bin schon Unternehmer. Was sollen also die nicht enden wollenden Appelle?

Mein Unbehagen an der Sache beschreibt Hans Leyendecker in einem Artikel über eine Studie, die sich mit der „Bild“ beschäftigt.

Was immer Bild treibe, schreiben Arlt und Storz, diene „primär der Selbstdarstellung des Blattes und nur als Nebenfolge der Informationsvermittlung“. Was an Bild Journalismus sei, habe „eine dienende Funktion, nicht für das Publikum, sondern für die Marke Bild“. Das Massenmedium tritt demnach hauptsächlich als Öffentlichkeitsarbeiter für seine eigene vermeintliche Wichtigkeit auf – um Geschäfte zu machen. An Bild gehe kein Weg vorbei, ist die gewünschte Botschaft. Auch für Unternehmen.
[…]
Nach den Feststellungen der Autoren „dramatisierte, moralisierte, emotionalisierte, personalisierte“ Bild nimmermüde das Thema. Rund zwanzig Sätze mit durchschnittlich 220 Worten habe ein durchschnittlicher Bild-Bericht, lernt der Leser der Studie. Na und? Weit interessanter als diese Zählerei ist die These von Arlt und Storz, die Griechenland-Kampagne sei weniger eine misslungene politische Mission gewesen als ein „Instrument des Reputations- und Markenmanagements“: Bild habe sich als Wächter der vermeintlichen Interessen des deutschen Steuerzahlers geriert. Ein politischer Erfolg der Griechenland-Kampagne sei aber von Anfang an zweitrangig gewesen.

„Bild“ ist ein erfolgreiches Unternehmen. Wenn ich also mehr Unternehmer sein soll, soll ich vielleicht mehr wie die Boulevardzeitung sein? Bedeutet mehr Unternehmer zu sein nicht auch, dass ich etwas weniger Journalist sein sollte? Recherchen kostenoptimieren. Skandale schüren, so lange sie Leser bringen? Provokante Thesen suchen — nicht weil ich an sie glaube, sondern weil sie meinen Namen nach oben bringen? Querfinanzierungen suchen, meine Expertise in Beraterverträge und Nebenjobs ummünzen?

Ja: Unternehmertum bedeutet auch Freiheit, Mut zur Kreativität, neue Wege ausprobieren. Geschichten schreiben, die in den alten Verlagsstrukturen keinen Platz hatten. Aber die Verlockungen sind groß, den falschen Weg zu nehmen.

Medienkompetenz fängt zu Hause an

Am Freitag macht die Parodie einer Antwort der Agentur Jung von Matt an Judith Holofernes die Runde — und ich muss zugeben, dass das Fake so gut gelungen war, dass ich mich fragte, ob er nicht doch echt sei.

Dabei fehlte es nicht an Warnsignalen, bzw. Misstrauensanlässen: Warum sollte die Antwort ausgerechnet an dieser Stelle erscheinen? Wer ist dieser „synthie_und_roma“ überhaupt, der den Text veröffentlichte? Und: Welcher ernstzunehmende Player im deutschen Medienzirkus würde sein Gegenüber so rüde attackieren?

Natürlich würden wir die Aussage: „Ich glaube es hackt“ groß bei Ihnen einbauen, Frau Meier. Ein bisschen Sex darf bei der BILD-Zeitung nicht fehlen. Auch wenn unsere Leser den Sex-Appeal einer weltverbesserischen Neofeministin mit Sendungsbewusstsein wohl nicht ganz erfassen werden. Denn für BILD- Leser haben Frauen nur eine Seite: Seite 1.

Nun hat sich der Autor der Satire geoutet und erklärt ganz richtig:

Die ganze Aktion macht klar: Es gibt auch unter superschlauen Nicht-BILD-Lesern jede Menge leichtgläubige Menschen. Man muss sich nur die Kommentare unter meinem Text ansehen. Sogar lange nachdem der Fake aufgeflogen war, wurde dort teilweise übel geschimpft: auf die BILD, die Werber und überhaupt.

Ein ähnliches Phänomen hatte ich schon hier festgestellt. Aber die Diagnose des ehemaligen Werbers Alf Frommer etwas kurz:

Einige Aspekte kamen zusammen, um das zu ermöglichen. Das Thema war hochaktuell und die Bereitschaft der User neue Informationen darüber weiter zu verbreiten, entsprechend groß. Zudem taugen Boulevard und Werbung bei einer bestimmten Klientel als wunderbares Feindbild. Speziell Werbern traut man wohl wirklich einiges an Arroganz und Überheblichkeit zu. Gerade die sehr erfolgreiche Werbeagentur Jung von Matt hat viele Neider innerhalb und außerhalb der Werbeszene, die sich richtig gefreut hätten, wenn die so einen Fehler gemacht hätten. Nicht umsonst hat kress.de mit großer Schadenfreude darüber berichtet. Sehr beliebt war darüber hinaus der Seitenhieb: „weltverbesserische Neofeministin“. Vielleicht, weil das viele Medienvertreter denken, aber niemals sagen würden. Aber gerade dafür gibt es ja Satire.

Ich mag nun wirklich nicht der liebenswürdigste Mensch sein, aber Neid auf Jung von Matt? Ich will bestimmt nicht durch die Kreativmühle gedreht werden, ich gönne anderen Leuten gerne ihr Gehalt — wer sollte auch sonst die tollen Wohnungen im „Perfekten Dinner“ bei VOX vorführen? Ich kenne schlichtweg niemanden von Jung von Matt — ich wusste spontan nicht einmal, dass sie hinter der BILD-Kampagne stehen. Sie sind nicht auf meinem Radarschirm.

Nicht der Neid machte mich schwankend, es war eher der Tabubruch, der natürlich zum ganz normalen Besteck von Agenturen wie Jung von Matt gehört. Ausgerechnet Willy Brandt für BILD werben zu lassen war für mich so ein Tabubruch, ebenso andere Motive der Kampagne. Die Jung-von-Matt-Satire hätte deshalb in meinen Augen die Chance gehabt, authentisch zu sein – gezielt lanciert, um für Empörung zu sorgen.

In seinem letzten Absatz teilt Frommer nochmal kräftig aus:

Überhaupt sind sich BILD und Holofernes eigentlich viel ähnlicher, als zumindest die Sängerin glaubt: Beide haben – auf ihre Weise – ein Weltbild, dass auf klarer Aus- und Abgrenzung beruht. Und nur weil die Gründe bei Judith Holofernes vielleicht bessere sind, als bei der Springer-Presse, ist Abgrenzung grundsätzlich abzulehnen. Denn das Ergebnis kann man jeden Tag in den Innenstadtbezirken Berlins bewundern: Wohlstands-Ghettos der Dienstleistungsgesellschaft für Leute, die gerne unter sich bleiben und sich gegenseitig versichern, was für gute Menschen sie sind. Und wie intelligent.

Damit zeigt Herr Frommer leider nur eins: er selbst ist auch etwas beschränkt, grenzt sich selber ab gegen die Menschen, die er nicht gut findet.

Aber das per se halte ich nicht für das Problem – diese Wahrnehmungsfilter sind bei uns Menschen eingebaut. Wir werden diese „Abgrenzung“ nicht aus anderen Menschen und erst recht nicht aus uns selbst herausbekommen. Deshalb müssen wir damit reflektiert umgehen und Mechanismen finden, wie wir damit umgehen können.

Die BILD-Armee (eine kleine Polemik)

Empörung über den Militärisch-Guttenbergschen Komplex. Wie die Financial Times Deutschland meldet, bahnt sich eine lukrative Zusammenarbeit an:

Den Angaben des Ministeriums zufolge soll die Kampagne im März beginnen und bei den Zeitungen „Bild“ und „Bild am Sonntag“ sowie der Online-Ausgabe von „Bild“ laufen. Zu den Kosten machte das Ministerium noch keine Angaben.

Natürlich vermuten die Nicht-Fans des Barons im Ministerrang einen sinistren Zusammenhang: keine Zeitung stand dem Ehepaar Guttenberg so zur Seite wie BILD. Selbst Schwesterblatt Welt hat sich von den fadenscheinigen Ausflüchten zu den Plagiaten nicht wirklich beeindrucken lassen. Gibt es hier ein quid pro quo? Ich vermute keinen direkten Zusammenhang – aber es ist bemerkenswert instinktlos diese Pläne nun zu verkünden.

In der Debatte um die Wehrform hatten Gegner einer Berufsarmee vor einer Entwicklung der Bundeswehr zu einer Unterschichtenarmee gewarnt. Unter Verweis auf die Erfahrungen anderer Länder hieß es damals, ohne Wehrpflicht müsse die Truppe stärker auf Personal aus sozial schwachen Schichten und ohne andere berufliche Perspektive zurückgreifen.

Was den Empörten jedoch entgeht: Hier sollen BILD-Leser systematisch an Waffen ausgebildet werden. Es ist kein Geheimnis, dass RAF-Sympathisanten keine Terrorcamps in Pakistan aufsuchten, sondern sich gezielt bei der Bundeswehr an der Waffe schulen ließen. Eine Armee, die ihre staatsbürgerlichen Pflichten an Informationen ausrichtet, die sie aus BILD haben? Es braucht keine Volksaufstände in Nordafrika, um das beunruhigend zu finden.

Die Gelder für die Anwerbung für das Freiwillige Soziale Jahr, für die Ersatzdienste, die unseren prosperierenden Pflegesektor in Gang halten sollen, liegen bestimmt bei Guttenbergs Kabinettskollegin Kristina Schröder. Ich bin gespannt, welche Medienpartner sie findet.

Wie ich letztens gesehen habe, wird es nach den bemerkenswert folgenlosen Girls‘ Days in Zukunft auch Boys‘ Day geben. Der bundesweite Jungen-Zukunftstag, bei dem Fünftklässler Input zur Lebensplanung bekommen sollen. Ob hier die Bundeswehr auch ihre löchrigen Netze auswerfen wird?

Alles gutt

In der süddeutschen Zeitung von heute nennt Kurt Kister BILD das „Zentralorgan der Guttenberg-Verteidigung“. Ist das berechtigt? Sicherlich.

Kleines Beispiel: Mit einer Umfrage versichert sich die Redaktion heute der unverbrüchlichen Guttenberg-Treue ihrer Leser.

Wo ist der Unterschied zwischen „Er macht eine unglückliche Figur“ und „Ihm ist der Erfolg zu Kopf gestiegen“? Nun: es gibt keinen. Die Umfrage ist so konstruiert, dass die Guttenberg-Unzufriedenen zwischen drei indifferenten Antwort-Optionen wählen müssen, die unerschütterten Guttenberg-Anhänger versammeln sich hingegen bei einer Antwort-Option.

Praktischerweise unterscheidet die Option A nicht zwischen Amtsführung und Plagiatsvorwürfen, und fragt ausdrücklich nicht nach Konsequenzen. Trotzdem verkündet BILD.DE stolz:

Dennoch – einen Rücktritt lehnt die Mehrheit der BILD.de-User ab. Mehr als 50 Prozent sagen: Guttenberg macht seinen Job GUTT!

Hätte Bild.de einfach die Frage gestellt: „Soll Guttenberg zurücktreten – Ja oder Nein?“ — ich glaube, die Leser von Bild.de hätten den Rücktritt (noch) mehrheitlich abgelehnt. Aber so sicher scheint man sich im Axel-Springer-Haus nicht gewesen zu sein.

Nachtrag, 22. Februar: Ein wenig zu lange hat Bild.de die Umfrage in seine Guttenberg-Artikel eingebaut. Nun lautet das Ergebnis tatsächlich so:

Und war die Umfrage zum Beispiel am Samstag noch ein Beleg dafür, was Deutschland denkt, findet sich in dem heutigen Artikel kein Hinweis mehr auf das Ergebnis.

BILD meint: „Tatort Internet“ gucken!

„BILD“ hat mal wieder die Bundesjustizministerin zum Verlierer des Tages gemacht:

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (59, FDP) sieht weiterhin keinen Grund, Daten von Online­Kriminellen wie Kinderschändern zu speichern. In einem Papier für die FDP-Fraktion bestreitet sie Sicherheitslücken, widerspricht insoweit auch dem Bundeskriminalamt (BKA).

BILD meint: „Tatort Internet“ gucken!

Was BILD und wohl auch „Tatort Internet“ nicht erwähnt: Mit der Vorratsdatenspeicherung werden keineswegs nur Daten von „OnlineKriminellen“ gespeichert, sondern auch die von „OnlineOpfern“, von „OnlineZuschauern“ und auch von „OnlineIrgendwem“. Kurz gesagt: von jedem.

An anderer Stelle titelt BILD: Kinderschänder beschimpfen Stephanie zu Guttenberg und blendet dabei jede legitime Kritik an der Sendung aus. Alleine ein Satz-Zipfel der „Südeutschen Zeitung“ hat es in den Artikel geschafft:

Auf einschlägigen Seiten warnen sich Pädophile gegenseitig: „Gebt Obacht, wenn ihr euch in der nächsten Zeit verabredet!“ Andere jammern: „Sind wir wirklich solche Monster?“ Oder fühlen sich wie Juden diskriminiert: „Irgendwann bekommen wir ’nen Stern auf die Brust.“

Das sieht die „Süddeutsche Zeitung“ offenbar ähnlich. Das Blatt attackiert besonders Stephanie zu Guttenberg. Deren Einsatz gegen Kinderschänder habe „die Lynchmobs des Ku-Klux-Klan“ zum Vorbild, heißt es dort. Die Ministergattin wecke einen „gefährlichen Volkszorn“ gegen erwachsene Männer, die mit 13-jährigen Kindern Sex haben wollen.

Was der SZ-Autor Adrian Kreye schrieb, findet man hier:

Das Bedenkliche an der Sendung ist, dass unter der Schirmherrschaft einer Ministergattin ein gefährlicher Volkszorn geweckt wird. Demokratie und Rechtsstaat stellt Tatort Internet prinzipiell in Frage. Sie wolle die laschen Gesetze verschärfen, betonte Frau zu Guttenberg in der Sendung immer wieder. Man solle endlich unsere Kinder schützen, fordern die Einspieler im Alarmton. Das sind berechtigte Anliegen. Doch vielleicht sollte sich Stephanie zu Guttenberg bei ihrem Einsatz für unsere Kinder lieber ein Vorbild bei der Präsidentengattin Eleanor Roosevelt nehmen, die sich für Mütter und Kinder in Parlament und Regierung stark machte, als bei den Lynchmobs des Ku Klux Klan. Demokratie und Bürgerwehr bleiben ein Widerspruch.