Ich mag Sitcoms. Das heißt: Ich mag nicht jede Sitcom, ich mag vielmehr das Medium.
Was mich immer wieder erstaunt: An sich intelligente und medienkompetente Menschen teilen immer wieder diese YouTube-Videos. „XYZ – No laugh track“ und meinen, sie hätten damit ihrem Umfeld eine ungeahnte Wahrheit mitgeteilt. Der Gag ist immer der gleiche: Szenen aus bekannten Comedy-Serien werden hier gezeigt, bei denen das Gelächter fehlt, das noch in der Sendefassung zu hören war.
Der Effekt ist enorm und eigentlich ganz lehrreich: Was vorher wie eine halbwegs natürliche Dialogsituation erscheint, wirkt nun plötzlich wie das Schulungsmaterial für Leute, die sich beruflich mit psychotischen Episoden und Zwangsstörungen befassen müssen. Die Leute auf dem Bildschirm pausieren plötzlich alle paar Sekunden nicht nachvollziehbaren Gründen und starren sich für unkomfortabel lange Zeitspannen in die Augen. Oder sie wiederholen ihre Gesten drei, vier Mal — ohne jeden ersichtlichen Grund.
Die Lehre, die man daraus ziehen kann: Timing spielt eine enorme Rolle, ob ein Witz funktioniert oder nicht. Du kannst Dir den besten Witz der Welt ausgedacht haben — wenn Du ihn auf der Bühne mit einer leicht falschen Betonung, mit einer falsch gesetzten Pause präsentierst, ist er plötzlich nicht mehr halb so witzig. Oder sogar: gar nicht mehr witzig. Nichts ist auf einer Bühne so schlimm wie eine lange Stille, wo du eigentlich mit großem Gelächter gerechnet hast.
Sitcoms sind eine Lüge!
Die Lehre, die jedoch die meisten daraus ziehen, ist jedoch eine ganz andere: Sitcoms sind eine Lüge! Niemand lacht in TV-Studios und die Witze, die wir auf dem Bildschirm sehen, sind überhaupt nicht witzig! Wir lachen einfach nur, weil andere lachen. Wir sind halt soziale Wesen und TV-Sender sind Lügner. Doch tatsächlich sind diese „No laugh track“-Videos eine Lüge, die den Zuschauer auf eine falsche Spur schicken.
Um es klar zu sagen: Ja, es gibt Lachkonserven. Und ja, insbesondere wenn wir die deutsche Synchronisation einer US-Sitcom sehen — vermeidet das, wenn immer möglich — hören wir Gelächter aus der Dose. ABER: Bei den großen Produktionen wie Friends oder The Big Bang Theory ist das Lachen eben nicht nur eine Akustiktapete, die dem Publikum zu Hause etwas vormachen soll. Nein, diese Shows werden tatsächlich vor einem Live-Publikum aufgezeichnet. Das ist auch der Grund, warum die Leute in Sitcoms so oft auf ihrem Sofa im Wohnzimmer sitzen. Das Sofa steht auf einer Bühne vor Zuschauerrängen. Und darauf sitzen — wie der Name sagt — Zuschauer und lachen sich einen Ast ab, sie jauchzen, manchmal stöhnen sie sogar vor Sympathie.
Die Wahrheit ist: Sitcoms sind eine Art Broadway-Show. Das ist tatsächlich so, denn genau hier entstand das moderne Fernsehen. Und die Produktionsweise hat nicht nur historische Gründe. Es ist die Live-Performance, die vielen Schauspielern überhaupt die Energie bringt, um eine tolle Performance zu bieten. Sie lesen die Stimmung des Publikums, sie verbessern ihr Timing, sie probieren Grimassen und lustige Tänze aus. Sie sind da ähnlich wie Late Night Shows oder Saturday Night Live. Es ist — wie hier sehr schön beschrieben wird — theater with do-overs.
tl;dr: Sitcoms sind eine Kunstform. Und die vielen „No laugh track“-Videos sind ein billiger Taschenspielertrick, der das Gegenteil von Medienkompetenz vermittelt.