Citizendium – auf ein Neues

Larry Sanger – wir erinnern uns – war der erste Chefredakteur der Wikipedia und ist im Streit aus dem Projekt ausgeschieden. Im vergangenen Jahr warf er dem Projekt den Fehdehandschuh hin: mit seinem „Citizendium“ wollte er alles besser machen.: besser geschriebene und zuverlässige Artikel, Fachverstand noch und nöcher, keinen Streit unter den Editoren. Als Grundlage für die neue, bessere Online-Enzyklopädie wollte er die Wikipedia ja grade noch akzeptieren.

Vier Monate später ist das Projekt noch in der Experimentierphase: Das Wiki ist nicht öffentlich einsehbar, trotzdem soll es schon begeisterte Mitarbeiter geben. Doch es scheint derzeit nicht ganz so gut zu laufen, denn Sanger verkündet im Citizendium Blog einen Kurswechsel: Er will Wikipedia-Artikel nicht mehr als Grundlage nehmen, sondern die Enzyklopädie von Grund neu errichten. Die Begründung klingt freilich wie Pfeifen im Walde:

We probably have had as much or more activity as Wikipedia did in its early months, and a similar number of contributors, but–well, the passion hasn’t been the same. I have been idly puzzling over what the difference might be. Then it occurred to me, a few days ago, that Citizendians (or maybe we’ll be “Citizens”) are just disheartened by the fact that their first obligation seems to be to edit mediocre Wikipedia articles.

Wikipedia: Kooperation oder Werbung?

Auf allen Wikipedia-Seiten prangt heute das Logo der Hilfsorganisation Virgin Unite. Dahinter steckt die neuste Spendenkampagne der Wikimedia Foundation. Ich hatte im Vorfeld bei Heise darüber berichtet, bei Tim Bartels gibt es eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten.

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Der spannende Moment: obwohl für die Platzierung eines Firmenlogos eine beträchtliche Menge Geld fließt, ist dies keine Werbung – das sagt zumindest die Wikimedia Foundation. Und es steht in der offiziellen FAQ zur Spendenkampagne.

Inwiefern unterscheidet sich die Zusicherung einer Spende von Werbung?

 

Werbung ist die Platzierung eines vom Werbenden erstellten Werbeträgers, wie zum Beispiel in „Kauft die ABC-Ware von XY, denn sie ist die Beste“. Würden wir einzelne Pixel am Kopf unserer Seiten verkaufen und hätten die Unternehmen die freie Wahl, welchen Inhalt sie dort platzieren möchten, dann wäre das Werbung. Dies gehört aber explizit nicht zu den von uns getroffenen Vereinbarungen. Und dies schon alleine deshalb nicht, weil eine solche Vorgehensweise die Steuerfreiheit dieser Transaktionen gefährden würde.

Stattdessen erklären wir uns einverstanden, eine Dankeschön-Notiz für die Verdoppelung von Spenden der Nutzer einzublenden: „Ihre heutigen Spenden werden durch die großzügige Unterstützung von XY verdoppelt.“ Das auf diese Weise gesammelte Geld steht dabei in direktem Verhältnis zur Spendenbereitschaft des Einzelnen für unsere Projekte. Wenn nur wenige Einzelspenden zusammenkommen, wird es auch nur wenig Geld von den jeweiligen Unternehmen geben. Sind die Einzelspender großzügig, werden sich auch die Unternehmen als großzügig erweisen. Es handelt sich also um eine Kooperation in der finanziellen Unterstützung.

Die Präsenz eines Logos und eines Links zur Bezeichnung des Spenders ändert nichts am Wesen der Vereinbarung und der normale Nutzer unserer Websites wird sich damit nicht weiter befassen müssen.

 

Gehen wir mal den Werbecharakter der Sitenotice anhand der verschiedenen Argumente durch.

Gestaltbarkeit der Werbung

Hauptargument ist, dass Virgin Unite die Werbung gar nicht selbst gestalten konnte. Aber ist das wirklich die Haupteigenschaft von Werbung? Schon in der Schülerzeitung haben wir Werbungen relativ frei gestaltet – ein kleines Geschäft, das uns mit ein paar Euro unterstützen wollte, hatte nicht immer eine verwertbare Druckvorlage – also klebt man etwas zusammen aus dem Material, das der Händler mal eben bereitstellen kann

Auch bei professionell vermarkteter Werbung kann der Auftraggeber nicht wirklich frei über das Werbemedium verfügen. Die überaus erfolgreichen Google Ads lassen grade Mal ein paar Zeichen Text zu – oft reicht dies nicht mal zu einer eindeutigen Produktanpreisung wie einem Slogan. Ist es deshalb keine Werbung?

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Keine Produktwerbung

Dieses Argument kommt in der englischen FAQ etwas besser heraus:

 

Advertising is the placement of copy written by the advertiser, i.e., „Buy Joe’s Widgets, they’re the best“.

 

Offenbar sehen die FAQ-Autoren in der konkreten Produktanpreisung ein weiteres zentrales Merkmal von Werbung. Doch ist es das wirklich noch? Gerade Konzerne und Firmengruppen wie eben Virgin schalten in Massenmedien allgemeine Image-Werbung. Wenn der Kunde weiß, dass hinter dem roten Virgin-Logo Qualität und lauter nette Menschen stecken, ist das oft mehr wert, als wenn ein einzelnes Produkt dieses Konzerns breit beworben wird.

Zusammenarbeit statt Bezahlung

Der zweite Absatz der FAQ ist merkwürdig: Hier wird verquast von einer Vereinbarung und einer „Kooperation in der finanziellen Unterstützung“ (im Englischen: „cooperation in financial gift“) erzählt. Ich vermute mal, dass das Argument so läuft: Wikimedia hilft als gemeinnütige Organisation einer anderen Wohltätigkeits-Organisation Spenden einzutreiben. Eine Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit, nichts weiter.

Doch die Kooperation ist ein einfacher Vertrag: Virgin zahlt, Wikimedia liefert eine Gegenleistung. Wie sich der genaue Kaufpreis des Werbeplatzes berechnet, ist keine zentrale Eigenschaft von Werbung. Und dass Wikimedia mehr „kooperiert“ als jeder andere Werbetreibende ist auch nicht ersichtlich. Die Wikipedia-Community wird nicht aufgefordert sich an Projekten von Virgin Unite zu beteiligen, Wikipedia-Admins helfen nicht bei dem Aufbau eines Virgin-Unite-Wikis.

Fazit:
Halten wir fest: Wir sehen auf Wikipedia keine Produktwerbung. Die Sponsoren werden von Jimmy Wales und der Foundation handverlesen und es wird keine Werbebotschaften verbreitet, sondern ein Logo und ein Link. Werbung ist es trotzdem.

Nicht die Wikipedianer ärgern

Die Süddeutsche Zeitung hat siebzehn relativ belanglose Fälschungen in der Wikipedia untergebracht und dokumentiert wie schnell sie entfernt wurden.

In meinen Augen sind solche Tests eher albern, sie waren vielleicht vor zwei Jahren gerechtfertigt. Wer sich heute mit der Wikipedia beschäftigt hat, weiß ohnehin was bei solchen Tests herauskommt. Und wer sich in einem Fachgebiet auskennt, findet genug Fehler ohne sie selbst einzuschmuggeln.

Die Wikipedianer reagierten übrigens nicht amüsiert und sperrten die für die Fälschungen verwendete IP erst für einen, dann für drei Monate.

Keine Wikipedia-Sammelklage

Im vergangenen Jahr berichtete ich von einem Versuch eine Sammelklage gegen die Wikipedia einzureichen. Die sowieso nicht besonders fundiert anmutende Seite ist mittlerweile ganz verschwunden – stattdessen steht die Domain für 150 Dollar zum Verkauf. Die von Wikipedianern ins Netz gestellte Parodie ist hingegen noch online.

Die von der ominösen Infochannel betriebene Webseite Wikimania ist ebenfalls noch online – seit Juni sogar unter einer EU-Domain. Gleichwohl gibt es hier keine Aktivitäten zu verzeichnen. Einer der letzten Einträge stammt vom März und enhält einen Spendenaufruf. Wie eine „Ltd. & Co. KG“ mit Konto in Hamburg steuerabsetzungsfähige Spendenquittungen ausstellen will, erschließt sich mir allerdings nicht.

Die ersten Anfänge der ersten Anfänge der Neuorganisation

Rein zufällig bin ich auf den Bericht eines Klausur-Treffens von einem Treffen der Ober-Wikipedianer in Frankfurt letzte Woche gestoßen

Das Ergebnis der zweitägigen Klausur(?)-Sitzung wird so zusammengefasst:

  • Clarify and redefine each committees‘ scope, role, authority and obligations
  • Clarify requirements for chapters
  • Clarify role and function of each of the private mailing lists
  • Create events committee
  • Create relationships with educational partners
  • Design a road-map for Wikimedia technology
  • Develop regional conferences and programs
  • Expand the board
  • Improve analyses of projects and users
  • Lobby governmental educational groups
  • Manage customer/donor communication and relations
  • Start (re-)organization and where necessary staffing
  • Structure and organize PR
  • Update Bylaws

Ist irgendein Punkt dabei, der nicht seit Jahren immer wieder angesprochen wird?

Erster Kommentar auf der Diskussionsseite:

sounds like marketbabble to me –Jollyroger 09:44, 26 October 2006 (UTC) real expert in marketbabble