Mehr Pseudonym wagen

Es ist allgemeiner Sprachgebrauch: Wenn mit Daten nicht unmittelbar der bürgerliche Name des Urhebers, Besitzes oder Objektes verknüpft ist, dann wird das Wort „anonym“ verwendet. Doch in einer Mehrzahl der Fälle ist dies ungenau, irreführend oder einfach falsch. Wir sollten uns endlich an das Wort „pseudonym“ gewöhnen.

Wo ist der Unterschied? Nun, es ist ein ganz gewaltiger: Anonyme Daten können nicht mehr mit einzelnen Personen verknüpft werden, pseudonyme Daten hingegen schon.

Cookies kennen Deinen Namen

Ich schreibe viel über Online-Werbung und quasi alle Daten dort sind nicht anonym, sondern pseudonym. Wenn auf Eurem Bildschirm zum nächsten Mal ein Cookie-Banner aufpoppt, klickt Euch einfach durch die Einstellungen. Ihr müsst nicht alles lesen oder verstehen, lasst einfach mal den Blick schweifen. Dort stehen so Phrasen wie „Ein personalisiertes Inhaltes-Profil erstellen“, „Personalisierte Inhalte auswählen“ oder sogar „Geräteeigenschaften zur Identifikation abfragen“.

Sprich: Die Werbeindustrie verfolgt Eure Schritte von Website zu Website, von Gerät zu Gerät, verknüpft Euer Smartphone mit Eurem Fernseher. So entsteht ein sehr vollständiges – wenn auch ein kommerziell verzerrtes – Profil. In den jeweiligen Datensätzen ist vielleicht nicht Euer Name enthalten. Vielleicht aber doch. Es reicht, dass Ihr Euch irgendwo eingeloggt habt, irgendwo etwas gekauft habt, landen auch Euer Name und Eure Adresse in einer Datenbank. Diese mögen zwar nicht immer mit Euren Cookies verknüpft sein, aber es reicht schon, wenn die verschiedenen Datenbestände nur ganz selten abgeglichen werden. Deshalb: Heute ist die meiste Werbung nicht anonym, sondern pseudonym. Erst recht, wenn Werbefirmen solche Slogans wie „privacy first“ verwenden.

Währungen mit Nummernschild

Auch Bitcoin-Halter erleben derzeit unschöne Überraschungen, wenn sie ihre Digitalware verkaufen wollen. Theoretisch kann Bitcoin verdammt anonym sein: Jeder kann beliebig viele Konten anlegen, die quasi nur durch eine Kontonummer gekennzeichnet sind. Es gibt da aber einen ganz großen Haken: Die Bitcoins selbst haben auch eine Identität. Da alle Zahlungen unlöschbar auf einer öffentlichen Blockchain stehen, ist diese Anonymität schnell verflogen. Was nützt es 2000 namenlose Konten zu haben, wenn Du Dir einen Tesla kaufen willst? Du musst das Geld wieder zusammenführen, Tesla will eine Lieferadresse, etc, pp.

Schlimmer noch: Ein deprimierend großer Teil von Kryptowährungen war mal Teil eines kriminellen Geschäfts. Wer also nach dem nächsten Kurssprung schnell Kasse machen will, könnte sich einem Dilemma gegenübersehen. Ein mit neuen Finanzregulierungen konfrontierter Bitcoin-Dienstleister sagt: Sorry, dafür können wir Ihnen keine Dollar, Yen oder Rubel geben, dieses Bitcoin ist Hehlerware. Wer so unvorsichtig war, einen „Mixer“ benutzt zu haben, könnte mit einer Wallet enden, in der haufenweise kriminelle Bitcoin-Splitter gelandet sind: Ransomware, Betrug, Staaten auf internationalen Sanktionslisten, etc pp. Das ist der Grund, warum Kriminelle früher kofferweise Bargeld transportiert haben: Woher die Geldscheine kommen, ist meist nicht mehr zu ermitteln. Was nutzt eine scheinbar anonyme Kontonummer, wenn alles Geld eindeutig identifizierbar sind? Also, merken: Die meisten Kryptowährungen sind nicht anonym, sondern pseudonym.

Damit will ich nicht sagen, dass es gar keine anonymen Daten gibt. Es gibt sie und es gibt valide technische Umsetzungen, die Anonymität von Individuen zu schützen. Bevor man das Wort verwendet, sollte man aber zumindest nachfragen, ob es sich denn tatsächlich um Anonymität handelt oder ob das Gegenüber schlicht den Unterschied nicht kennt.

Werbelinks 1

Es passiert grade sehr viel in Sachen Werbung. — also packe ich interessante Links und Schnippsel in mein Blog.

1. Das politische Narrativ ist: Wenn man nur etwas gegen die datenverschlingenden Konzerne aus dem Silicon Valley aktiv wird, ist nicht nur dem Datenschutz gedient, sondern automatisch auch dem Wettbewerb. Doch dies ist falsch und irreführend. Denn grade sind es ja die Konzerne aus dem Silicon Valley, die die Datenhaltung zurückfahren wollen. Gilad Edelman dröselt das bei Wired auf: Antitrust and Privacy Are on a Collision Course

Sometimes, however, the privacy and competition relationship is inverted: As you turn the privacy dial up, you get less variety in the market. This is increasingly the case now that the most monopolistic companies are often the ones making the most extensive and lucrative use of personal data.

2. In einem Punkt ist der vorige Artikel jedoch falsch: „But since Apple doesn’t make its money by selling personalized ads based on surveilling user behavior, it’s harder to argue that it is hoarding access to user data for its own purposes.“ Tatsächlich macht Apple eine Menge Geld mit personalisierter Werbung. Indirekt, weil Apple beträchtliche Provisionen etwa von Google kassiert und weil ein großer Teil der für Apple-Kunden kostenfreien Apps werbefinanziert sind. Aber Apple hat auch ein direktes Werbegeschäft, wie Valentino Volonghi auf Twitter anmerkt:

(Ihr wollt keine Cookie-Banner für Tweets in Euer Blog einbauen? Link und Screenshot!)

3. Das ist auch den Aufsichtsbehörden in Frankreich aufgefallen. Zwar darf Apple die Datensammlung im Interesse seiner Kunden reduzieren, ist dann aber auch rechenschaftspflichtig, wie Dusan Zivadinovic in der c’t schreibt:

Damit ist der Fall aber noch nicht abgeschlossen. Die Behörde will Apples Datenschutzinitiative näher beleuchten und sicherstellen, dass sie keine „Form der Diskriminierung“ oder gar Selbstbevorzugung darstellt. Apple betonte nach der Entscheidung erneut, dass Datenschutz ein „fundamentales Menschenrecht“ sei. Die ATT-Regeln seien auch für Apple selbst bindend.

4. Parallel hat die Datenaufsichtsbehörde CNIL in Frankreich zum April die Übergangsphase für korrekt gesetzte Cookie mit korrekt erhobenen Zustimmung der Kunden für beendet erklärt und will Verstöße nun endlich verfolgen. Dies ist vermutlich ein Grund, warum Google seine eigenen Cookie-Banner bereits etwas aufgepimpt hat.

Google-Cookiebanner

Der Clou am Targeting

Alle paar Tage sehe ich eine neue Studie zu Social Bots und Microtargeting aufpoppen. Und sie haben im wesentlichen eine gemeinsame Botschaft: Auch wenn es diese Phänomene gibt, so ist ihre Wirkung höchst zweifelhaft. So zum Beispiel in diesem Beitrag von Keno C. Potthast über „Political Microtargeting“ – kurz:PMT.

Ganz grundsätzlich stellt sich aber bereits die Frage, ob und wie PMT überhaupt wirkt. Lassen sich Wähler*innen durch eine bloße Anzeige im Netz tatsächlich beeinflussen oder werden sie dadurch vielleicht sogar zur Partizipation und der Teilnahme am öffentlichen Diskurs animiert? Gleichermaßen ist auch hier zu konstatieren: Die Wissenschaft hat noch keine Antworten auf diese Fragen. Ob PMT eine Chance oder Risiko darstellt und wie gefährlich es tatsächlich ist, lässt sich noch nicht abschließend klären.

Kann eine einzige Anzeige einen Menschen umpolen? Wie wahnsinnig überzeugend müsste eine Anzeige sein, dass jemand vom SPD- zum AfD-Wähler wird — oder umgekehrt? Selbst wenn man lügen darf, würde wohl kaum jemand behaupten, dass er eine tolle Idee hat, wie man dies erreichen soll. Und dazu das Problem: Wird das Ziel der Kampagne diese einzelne Anzeige überhaupt sehen? Die meisten Werbebanner werden ja unbeachtet weggescrollt.

Solche Fragestellungen und Betrachtungen verkennen jedoch die grundsätzliche Funktionsweise des Werbemarktes. Es geht nicht um eine einzige Anzeige. Jeder kann sich mal überlegen, wie oft wir in den letzten Tage allesamt die aktuelle MediaMarkt-Kampagne mit Barbara Schöneberger gesehen haben. Auf Plakaten, im Fernsehen, auf YouTube, auf Bannern, im U-Bahn-TV, auf Instagram, und, und, und… Werbung ist ein Spiel auf Masse.

Der Clou am Targeting: Es ist ein konstanter Prozess. Tag für Tag. Hunderte und Tausende von Anzeigen. Nicht nur von einer Kampagne, sondern von Hunderten. Der Black Friday ist vielleicht das ideale Beispiel. Denn bei jedem einzelnen User scrollen einige Anzeigen für die Sonderangebote vorbei. Wer jedoch auf Facebook oder Google eine solche Anzeige anklickt und vielleicht sogar direkt etwas bestellt, wird sofort als als ideales Ziel für Black Friday-Kampagnen markiert. Dank eines lebhaften Adtech-Marktes und einem ständigen Geiz der Auftraggeber wandert die frohe Kunde von Datendienstleister zu Datendienstleister, von Werbenetzwerk zu Werbenetzwerk, von Facebook zu Twitter, von dem Nachrichtenportal zur Porno-Website. Denn all die Werbeanzeigen werden über die Rechner von Datenbrokern umgeleitet, die ständig versuchen, das letzte bisschen an Information auszuquetschen und zu vermarkten.

Wer einen Einblick bekommen will, kann etwa sein Twitter-Werbeprofil ansehen. Hunderte vermeintliche Interessen werden mit den Interessen aus anderen Datenbanken zusammengeführt und ab und zu bindet ein besonders eifriger Werbekunde noch eine Schleife darum und bindet ein Profil an eine „maßgeschneiderte Zielgruppe“. Das ist nur die alleroberste Schicht des Targetings. Wo diese Daten überall eingesetzt werden, weiß vermutlich nicht mal Twitter. Screenshot Twitter-Werbeprofil

Zweiter entscheidender Schritt: Das Micro-Targeting beruht auf einem Auktionssystem. Das mag bestimmte Anzeigenplätze zuweilen sehr teuer machen — aber durch die Bank wird Werbung sehr, sehr billig. Ich hatte vor Jahren mal das Anzeigen-Tool von Facebook erprobt und mit einem Gesamtbudget von unter 25 Euro konnte ich gezielte Anzeigen an meinen Redakteur schicken. Wer tatächlich länger im Markt ist und sich nicht davor scheut, in zwielichtigen Kontexten aufzutauchen, kann den gleichen Effekt mit Ausgaben von einigen Cent erreichen. Mit Microtargeting wird es weitgehend irrelevant, auf welcher Website, neben welchem Inhalt man wirbt. Und wer keine ethischen Maßstäbe hat, der kann sich heute an dem reichhaltigen Buffet bedienen, das als nicht „brand safe“ gilt und die Anzeigenplätze bekommen, wo Coca-Cola, MacDonalds und Nivea keine Werbung machen wollen. Zum Spottpreis.

Was haben wir nun? Eine fast unendliche Vielfalt von Werbeplätzen, die für unglaublich billige Preise und ohne Transparenz anzusteuern sind. Nun kommt noch das Profiling. Wenn man einmal als Black-Friday-Fan markiert ist, wird man mitunter einen schlagenden Effekt bemerken. Plötzlich handeln alle Anzeigen nur noch von diesem geheiligten Tag des Konsums. Keine Werbung für Autoversicherungen, keine Werbung für Blockchain-Anlegerverladen, und erheblich weniger Werbung, um in nur acht Tagen sieben Sprachen zu lernen! Stattdessen: Black Friday en masse. Und dann Cyber Monday.

Ähnlich kann dies auch in einem Wahlkampf passieren. Der Clou — insbesondere im US-Wahlkampf: Verschiedene Kampagnen können aufeinander aufbauen. Wer beispielsweise einmal auf eine Anzeige mit einer Fake-News geklickt hat, kann plötzlich zum Ziel legitimerer Werbung eines Super-PACs werden. Oder eines Kandidaten selbst. Oder der Firmen in Mazedonien, die keinerlei Interesse an einer politischen Kampagne haben, aber entdeckt haben, dass sie nur ein paar Fake-News-Websites aufbauen müssen, um all ihre Werbeplätze automatisch zu verkaufen.

Ein AI-gestütztes Marketing-Tool kann zum Beispiel die Kategorie „Judenhasser“ schaffen. Es ist niemand nötig, der diesen Effekt durchplant. Wahrscheinlich verpufft die Fake-News-Kampagne bei den allermeisten Nutzern. Bei einigen erreichen sie jedoch wahrscheinlich eine lawinenartige Masse und Geschwindigkeit und schlägt mit voller Wucht zu. Vielleicht reicht es aus, um die gesamte Facebook-Timeline umzuprogrammieren. Vielleicht reicht es aus, einen Menschen in einen Dauer-Aktivisten zu verwandeln, der 14 Stunden am Tag bei Twitter und Facebook postet und von einem Social Bot nicht mehr zu unterscheiden ist. Denn für soziale Netzwerke ist das Werbeprofil das entscheidende Profil. Und danach werden die Beiträge sortiert, die wir tagtäglich als erstes sehen. Vielleicht geht es sogar soweit, dass „Asylkritiker“ auf Porno-Seiten maßgeschneiderte Inhalte sehen, die sie in ihren ärgsten Ängsten bestätigen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Fake-News und Social-Bots basiert weitgehend auf einem Werbesystem, das längst durch eine viel komplexere Version ersetzt wurde. Es ist nicht mehr notwendig, dass irgendjemand die Beeinflussung von Wählern zentral durchplant. Das dominierende Werbesystem hat viele verstärkende Effekte eingeführt, die so manche Kampagne unvermutet nach oben schwimmen lässt, so dass sie schließlich die komplette Online-Wahrnehmung eines Menschen prägen kann. Wer wirklich ergründen will, welchen Einfluss Micro-Targeting, Social Bots und Fake-News haben, muss daher den Werbemarkt mitanalysieren.

Der wichtigste Werbemarkt

Es gibt zwei gänzlich verschiedene Werbemärkte. Der vielleicht unwichtigere Teil des Geschäfts ist, wenn Kunden überzeugt werden für ein Produkt Geld auszugeben. Die Milliarden Dollar Werbeumsätze kommen aber zusammen, weil die Werbetreibenden überzeugt werden, für Werbung Geld auszugeben. The Correspondent hat einen schön zu lesenden Artikel über die Welt der Onlinewerbung veröffentlicht. Kurzum: Die Zahlen, die aufgeregt herumgereicht werden, sind oft wertlos. Das kann ich absolut unterschreiben.

Leider wird der Artikel in der zweiten Hälfte etwas über-aufgeregt. Aus Anekdoten wird geschlossen, dass es quasi unmöglich ist, Werbeausgaben rational zu verteilen. Und es wird der Eindruck erzeugt, dass quasi alle Zahlen wertlos sind. Was natürlich nicht stimmt, weil die Kronzeugen des Artikels ja selbst Zahlen errechnen – nur halt andere.

Die Anekdote, dass Ebay viel Geld verschwendet hat, indem Manager Suchanzeigen für den eigenen Markennamen gekauft haben, ist anschaulich und zeigt die Lächerlichkeit des Geschäfts. Wenn man keine Werbung kauft, dann zeigt Google den Link zur eigenen Website schließlich umsonst an. Ha, was für Idioten!

Mit etwas Kontext wird das vermeintlich idiotische Geschäft von Ebay weniger lächerlich: In den Anfangszeiten des Suchmaschinenmarketings konnte ein Ebay-Konkurrent einfach das Suchwort Ebay kaufen und Werbung für die eigene Plattform darüberschalten. Über die Rechte an Keywords wurde hart und lange gerichtlich gestritten. Wenn Ebay nicht Anzeigen mit dem eigenen Namen kaufte, machte es womöglich jemand anders. Zudem lieferte sich Ebay mit Amazon über Jahre einen Anzeigenkrieg um die bloße Sichtbarkeit. Egal welche Ware man suchte, man sollte zuerst zu Ebay gelangen. Zudem operieren viele Unternehmen auch mit der Annahme, dass ein großes Werbebudget ihnen den guten Willen Googles oder Facebooks erkaufen kann.

Die Grundthese des Artikels ist, dass sie verschiedenen Marketing-Verantwortlichen durchweg davon profitieren, von viel zu hohen Zahlen auszugehen. Selbst wenn man für die Firma arbeitet, die Millionen Euro an Werbebudget verschwendet, ist das nicht unbedingt das Problem des zuständigen Managers. Denn mit dem Etat steigt seine Bedeutung. Von diesem Phänomen wurde mir schon öfters berichtet.

„Bad methodology makes everyone happy,” said David Reiley, who used to head Yahoo’s economics team and is now working for streaming service Pandora. „It will make the publisher happy. It will make the person who bought the media happy. It will make the boss of the person who bought the media happy. It will make the ad agency happy. Everybody can brag that they had a very successful campaign.“

Ja, die Werbebranche operiert mit schamlosen Übertreibungen. Sie operiert aber auch recht schamlos mit Adtech, mit der es möglich ist, Nutzer ziemlich weit zu verfolgen. Die im Artikel beschriebenen Werbemethoden sind eigentlich völlig veraltet. Heute versuchen Giganten wie Google nicht einfach nur darauf zu gucken, wo ein Nutzer auf einen Link geklickt hat. Google erfasst auch, wie oft der Kunde die Anzeige im eigenen Netzwerk vorher schon gesehen hat. Wenn der Werbetreibende entsprechende Dienstleister hat, geht das sogar über die Grenzen von Googles Werbenetzwerk hinweg.

Zudem gehören A/B-Tests zur Branchenpraxis und sind keine Geheimpraxis von wenigen eingeweihten Ökonomen. Wer wissen will, ob eine Anzeigenkampagne wirkt, kann zum Beispiel nur Nutzer in Düsseldorf buchen und anschließend schauen, was sich in den lokale Filialen tut. Anschließend werden die Daten es mit anderen Fillialen verglichen. Wenn man das Experiment nicht in Düsseldorf, sondern zum Beispiel in Albuquerque startet, kann man zudem einige interessante zusätzliche Daten auswerten. Zum Beispiel kann das Shopsystem die Blootooth-ID des Handies des Kunden identifizieren. Seinen kompletten Weg durch den Laden erfassen. Seine Kreditkartendaten gehen an einen Dienstleister, der die Daten wieder der Werbeindustrie zur Verfügung stellt.

Natürlich kommt man mit all den Daten nicht gänzlich um die Kausalitätslücke herum. Vielleicht kauft der Kunde ja nicht wegen der Anzeigen, sondern zum Beispiel weil es grade regnet. Das ist sicher möglich — aber natürlich wird längst auch schon das lokale Wetter für Werbenetzwerke erfasst.

Neben der Vielzahl an Datenquellen gibt es auch eine Vielzahl von Geschäftsmodellen. Wenn man ein Handelskonzern ist, der drei Radiokampagnen und 15 Online-Kampagnen parallel laufen hat, wenn man ein weltweites Netz von 5000 Filialen hat, ist es natürlich unmöglich den genauen Nutzen eines Werbe-Dollars zu errechnen. Doch die meisten Unternehmen sind viel, viel kleiner.

Wir können uns beispielsweise an die Groupon-Hysterie erinnern, wo Restaurants und kleine Onlineshops weltweit von der Wirksamkeit des Portals schockiert waren und die buchstäblich pleite gingen, weil die viel zu hohen Rabatte viel zu häufig in Anspruch genommen wurden. Es herrschte keine Verwirrung woher die Kunden kamen — schließlich hatten sie Gutscheine. Ob die Kunden dann zurückkamen, war im Extremfall nicht mehr wichtig. Denn der Laden war ja bereits pleite. Werbung wirkt manchmal sogar zu viel.

Hot Ones

Wenn Schauspieler einen neuen Film oder eine neue Serie herausbringen, müssen sie auf eine PR-Tour gehen. Wir wissen alle, wie das so ist. Denn wir haben „Notting Hill“ gesehen. Weltstars wie Julia Roberts reisen durch die Metropolen der Welt, schreiten bei der Filmpremiere über den roten Teppich und werden dann in einem anonymen Hotelzimmer durch eine Reihe von fünf, zehn oder zwanzig nichtssagenden Interviews geschleift. Dann Sex mit Hugh Buchhändler, Alec Baldwin taucht auf, Yadda, Yadda, Yadda. Nächster Film.

So war es zumindest einmal. Zumindest fast so. Doch das Filmgeschäft hat sich geändert. PR-Touren sind inzwischen so wichtig geworden, dass man einen Weltstar wie Kevin Spacey nur für eine Szene verpflichtet, damit er nachher bei Stephen Colbert auftritt und für den Film wirbt. Zum anderen ist aus dem anonymen Hotelflur mit den Fließband-Interviews ein regelrechter Hindernislauf geworden. Die Stars müssen sich nicht mehr nur zu langweiligen Interviews bereiterklären. Stattdessen werden sie durch einen ganzen Zirkus von PR-Events geführt. Sie geben in der Garage eines dauermasturbierenden Comedians Interviews, weil ja Obama auch schon da war. Sie müssen mit Jimmy Fallon in New York City dämliche Quiz- und Tanzspiele absolvieren, in L.A. mit James Corden Delphinhoden essen und dann auch noch über den Atlantik zu Graham Norton. Und wenn sie ganz, ganz viel Pech und einen guten PR-Manager haben, werden die Stars in ein kleines Studio in New York geschickt, wo die YouTube-Serie Hot Ones aufgenommen wird.

Das Konzept der Sendung ist einfach: Der hoodie-tragende Hipster-Moderator Sean Evans interviewt einen Star — Schauspieler, Comedian, Rapper, whatever — während beide zusammen Hot Wings essen — also gebratene Hähnchenflügel mit zunehmend scharfer Soße. Und wenn Sean Evans „hot“ sagt, meint er es auch. Den von ihm interviewten Stars bricht unweigerlich nach einigen Minuten der Schweiß aus. Manche schreien vor Schmerz, andere brechen in Tränen aus. Ein Gast hat sich auch vor laufender Kamera in die Hosen — Verzeihung — geschissen. Und dennoch liebe ich die Sendung. Denn es ist eine der besten Interview-Shows von heute.

Der Mythos der Sendung ist, dass die Interviews bei Hot Ones wegen des scharfen Essens so gut gelingen. Evans hat das Phänomen jahrelang in Dutzende Mikrofone erklärt: Wenn die Prominenten mit ihrer physischen Qual beschäftigt sind, werden sie aus dem Konzept geworfen und vergessen ihr jahrelanges Medientraining, mit dem sie sonst jede kritische oder interessante Frage abperlen lassen können.

Das mag so sein, aber es ist maximal die halbe Wahrheit. Das wahre Erfolgsrezept ist: Die Show nimmt nicht nur ihre Gäste ernst, sondern auch ihre Arbeit. Bei einem Interview in der Late Show mit Stephen Colbert behandelt ein Interviewsegment üblicherweise eine Anekdote und dann den Film, die Serie, die Show, die der Gast bewerben will. Bei Hot Ones gibt es „Deep cuts“. Vor der Sendung haben sich Sean Evans und sein Team stundenlang durch Interviews gewühlt, hat den Instagram-Account des Gastes geflöht und sogar die Fanforen nach den spannendsten ungeklärten Fragen durchsucht. Und er stellt sie. So redet er mit Kristen Bell über die Philosophie-Lektionen in The Good Place, mit Charlize Theron über das Kampftrainig für ihre Filme, mit Idris Alba über die Londoner Musikszene seiner Jugend. Er lässt sich nicht von der Prominenz blenden, sondern redet mit den Handwerkern des Show-Business über ihre Kunst.

Natürlich reicht eine 15 bis 25-minütige Sendung, die zum großen Teil aus Standardeinstellungen von kleinen Soßenflaschen besteht, plötzlich ganz neu das Wesen eines Lebenswerks zu entdecken. Aber bemerkenswert oft gibt die Sendung ein paar neue Denkanstöße. Und falls nicht, ist es doch lustig, dabei zuzusehen, wenn Sean Evans seine Gäste zum „Last Dab“ herausfordert — nämlich von der schärfsten Soße noch eine Extra-Portion zu verzehren. Hier sieht man: Niemand, fast niemand von den Stars hat auch nur bisher auch nur eine Folge von „Hot Ones“ gesehen. Ihre PR-Berater haben ihnen kurz das Konzept erklärt und sie in das Auto gesetzt. Trotzdem: Niemand kann der Herausforderung widerstehen, die Fans, die Hater oder auch nur Sean Evans beeindrucken zu wollen.

Meine Empfehlung: Schaut Euch durch den Katalog von Hot Ones und sucht Euch einen Gast raus, der Euch sowieso schon interessiert. Und wenn Euch die Sendung selbst gefällt: Schaut die Folge mit dem Superfan. Denn auch Hot Ones gehört zum Medienzirkus und verdient daher eine bullshitfreie Betrachtung.

Brave: Push-Nachrichten für Cents

Ex-Mozilla-Manager und JavaScript-Erfinder Brandon Eich will mit seinem chromium-basierten Browser Brave das Web umkrempeln. Brave hat nicht nur einen Werbeblocker integriert, sondern soll auch über eine Crypto-Währung einen neuen privatsphäre-schonenden Werbemarkt aufbauen. Im Prinzip ähnelt Brave hier dem Geschäftsmodell von Adblock Plus: Der Werbeblocker verdient sein Geld mit Werbung. Dabei sollte Brave jedoch etwas weiter gehen. So beschrieb CNet.com vor drei Jahren den Plan:

Brave blocks ads from websites and eventually will insert new ads targeted toward user interests by software running in the browser itself. Those ads won’t affect page performance or come with privacy concerns. Brave will share ad revenue with publishers — and with the people using its browser.

Vor ein paar Wochen begann nun Brave in der Desktop-Version Werbung auszuliefern, nun zog die Mobil-Version nach. Die ursprünglichen Pläne musste Eich deutlich reduzieren. So hat er offenbar zu wenig Unterstützung von Publishern gefunden, die ihre existierende Werbung durch Brave-Werbung ersetzen lassen wollen. Einfach ohne Zustimmung die Werbung auszutauschen dürfte teure Klagen nach sich ziehen.

Also geht Brave den anderen Weg: Auf dem Desktop liefert der Browser Werbung in Form schmuckloser Popup-Nachrichten am unteren Bildschirm, auf Android-Smartphones erscheint die Werbung in Form von Push-Notifications. Da diese Werbung nicht auf den Websites selbst erscheint, muss Brave den Publishern auch nichts von den Einnahmen abgeben.

Problem daran: Brave würde die Publisher sehr gerne einbeziehen. Das anvisierte Geschäftsmodell basiert darauf, einen Werbemarkt auf der Kunstwährung BAT aufzubauen. Werbetreibende kaufen Werbeflächen mit BAT, Publisher und Nutzer bekommen BAT ausgezahlt. Brave könnte dann über Währungsgeschäfte ihr Geld verdienen.

In dem Browser ist auch ein Flattr-haftes Vergütungssystem eingebaut. Fernziel: In Zukunft könnten sogar Abogebühren in BAT abgerechnet werden. Ein Milliardengeschäft, bei dem Brave nur die Hand aufhalten müsste.

Momentan sieht es also so aus: Nutzer bekommen für jede aufpoppende Werbung ein paar Cents in der Kunstwährung auf ihre im Browser installierte Wallet geschrieben. Dieses Geld wird aber in der Voreinstellung direkt weiterverteilt an Publisher, die sich an dem BAT-Programm beteiligen. Ich habe aber nur zwei Medienseiten gefunden, bei denen das der Fall ist: The Guardian und die LA Times. Bei allen anderen Websites steht „not yet verified“ – sprich: Die Betreiber finden Brave nicht mal relevant, interessant oder sympathisch genug, um Geld von ihnen anzunehmen. Und das bedeutet: Viel zu wenig Geld kommt rein und viel zu wenig Geld geht raus.

Also versucht Brave den Markt anzukurbeln. Den Usern wird immer mal wieder ein Betrag in BAT auf die Wallet aufgebucht. 5 BAT hier, 10 BAT da. Doch das Geld kann ich mir als User nicht in Dollar oder Euro auszahlen lassen – die Funktion fehlt in Brave wohlweislich. Vermutlich kann ich irgendwie versuchen, die BAT aus meinem Browser herauszueisen — aber bei den geringen Beträgen ist der Aufwand wohl kaum gerechtfertigt. Die Beträge reichen aber aus, um einen Markt zu simuliert, in dem Brave-Nutzer eine nachhaltige Einkommensquelle darstellen, weil diese Geld einzahlen oder durch freiwillig angesehene Werbung relevante Beträge verdienen. Würden Brave sein Pseudo-Geld nicht verschenken, gäbe es wohl kaum Geschäftsaktivität. Die ersten Werbekunden sind folgerichtig auch meist irgendwelche Kleinfirmen, die im Markt der Pseudowährungen unterwegs sind.

Alles in allem: Ich sehe hier zwar eine Strategie, ein auf Spekulationsgewinnen aufbauende Geschäftsmodell für Brave zu etablieren. Was ich nicht sehe: Einen gangbaren Weg zu besserer und privatsphäre-schonender Werbung. Zum einen sind Pop-Ups einfach nervig, die Antithese zu besserer Werbung. Zum anderer wird mit der BAT-Wallet im Browser hat Brave den Nutzern ja eine Art Super-Tracker verpasst: Eine eindeutige ID, an die sich alle Nutzungsgewohnheiten, gesehene Werbung und schließlich auch vollzogene Käufe koppeln lassen könnten, wenn es denn so käme, wie Brave will. Nach drei Jahren sieht es aber nicht so aus, als sei dies noch eine realistische Erwartung.

Verlage in der Tracking-Falle

Website-Betreiber, die Umsätze erwirtschaften müssen, befinden sich zunehmend in einer schwierigen Lage. Während das Publikum Werbeblocker und Anti-Tracking-Techniken einsetzen, verlangen Werber und Werbeindustrie immer mehr Daten, Skripte und Kontrolle. Nach der Verleihung des Big Brother Awards an Zeit Online hat Mathias Eberl bei Verlagen für das Magazin des DJV Hessen nachgefragt, wie sie es denn mit dem Tracking halten. Und tatsächlich antwortete ein Verlag ziemlich offen:

Die überraschendste Antwort kam vom Ippen-Verlag, der auch die HNA-Website verantwortet: Man gab unumwunden zu, dass man technisch und juristisch nicht mehr die Kontrolle über alle eingebetteten Skripte von Drittanbietern habe. Die Kritik sei richtig. Der Verlag wies darauf hin, dass man bereits seit Jahren versuche, gegen die Unart sogenannter Parasiten-Skripte vorzugehen.

Das zeigt: Nach Jahren der Debatte um bessere Werbung sind wir immer noch am Punkt Null. Google hatte mit der Coalition For Better Ads einen Schulterschluss der gesamten Industrie versucht. Doch augenscheinlich ist die Offensive für bessere Werbung im Sande verlaufen. Zwar habe ich schon ewig keine Werbung mehr gesehen, die ungefragt laute Werbespots ausspielt. Aber andere Werbeformen kommen zurück – wie zum Beispiel das Banner, das sich beim Scrollen über den gesamten Handybildschirm legt.

Wie geht es weiter: Einerseits wurde eine neue Organisation gegründet, die sich nun ganz auf die Bedürfnisse der Werbekunden spezialisiert. Zum anderen macht Google sich nun ohne die Allianz daran, Werbeauswüchse in Chrome zu bekämpfen. So soll verlleicht ein neuer Adblocker eingebaut werden, der allzu fette Skripte ratzeputz rausfiltert. Und die Datenschützer werden sich auch noch melden.

Für Verlage heißt das auch: Wenn sie nicht in den Griff bekommen, was über ihre Webseiten ausgeliefert wird, könnte das recht bald zu teuren Umsatzverlusten führen.

Die Legende von der personalisierten Werbung

Ich habe seit ein paar Wochen einen neuen Fernseher. Mein erster Fernseher mit Internetanschluss. Dabei habe ich etwas Kurioses festgestellt: Wenn ich Videos mit der vorinstallierten YouTube-App ansehe, wimmelt es von Werbung. Rufe ich die Video hingegen mit meinem Handy ab und übertrage sie per Chromecast auf meinen Fernseher sind exakt die gleichen Videos fast werbefrei. Ernsthaft: Es können Wochen vergehen, bis ich einen Werbespot sehe.

Wie kann das sein? Ein Werbeblocker ist nicht involviert. Jeder Part der Kette ist unter der Kontrolle von Google: YouTube, die Apps, Android auf dem Telefon und auf dem Fernseher. Warum bekommme ich also keine Werbung ausgespielt? Nun – die technischen Hintergründe sind mir noch unklar, aber dieses kleine Detail zeigt mir: Die Welt der Onlinewerbung ist weit weniger ausgefeilt, als es immer wieder dargestellt wird.

Personalisierte Werbung ist der ökonomische Pfeiler des heutigen Internets. Und gleichzeitig ist sie ein Mythos: So spricht Apple-Chef Tim Cook zum Beispiel vom „daten-industriellen Komplex“. Mehr als einmal wurde ich etwas in dieser Art gefragt: „Gestern habe ich mich mit Kollegen über Kopfschmerzen unterhalten. Und heute bekomme ich auf Facebook Werbung für Kopfschmerz-Tabletten. Hört Facebook mein Handy ab?“

Auch wenn das theoretisch und sogar praktisch denkbar wäre — die Realität ist doch eine ganz andere. Facebook hört Eure Gespräche nicht ab, weil es schlichtweg keinen Markt dafür gibt. Zumindest heute noch. Überlegt es Euch: Wo immer wir im Internet unterwegs sind, werden wir mit Werbebannern überschüttet. Und wie viel Prozent davon sind wohl tatsächlich auf Euch angepasst? Wenn ihr Euch wirklich jede einzelne Werbung anseht, werdet ihr merken: Erstaunlich wenig. Und die angepasste Werbung wird Euch meist nach den gröbsten Kategorien angezeigt: Kölner bekommen Werbung für Kölner Fußball-Vereine. Frauen bekommen Werbung für die Bikini-Figur. Männer für den Baumarkt. Braucht es dafür tatsächlich einen daten-industriellen Komplex, der uns quer durch das Internet folgt, und dafür Tausende verschiedener Cookies und Skripte einsetzt?

Katzen würden mit Persil waschen

Ein verbreiteter Sinnspruch ist: Wenn ihr nicht für das Produkt zahlt, seid ihr das Produkt. Die wahren Kunden sind also die Werbetreibenden, die versuchen uns ihre Produkte und Dienstleistungen anzudrehen. Denkt mal nach: Wie oft habt ihr beworbene Produkte gekauft? Haben die Werbekunden Euch wirklich voll im Griff? Werbung wirkt. Wie viele würden wohl Persil kaufen, wenn der Name nicht so allbekannt wäre? Aber von der vollkommenenen Gedankenkontrolle sind die Werber weit entfernt.

Die Wahrheit ist: Es gibt zwei verschiedene Werbemärkte. Auf dem einen Werbemarkt wird versucht uns Konsumenten zu überreden Waschmittel, Limonaden und Autos zu kaufen. Dieser Werbemarkt funktioniert leidlich gut. Wenn Du Leuten 15 Mal vorhälst, was sie bei Amazon oder Zalando angesehen und nicht gekauft haben, wird nach einer Weile einer von hundert Kunden doch schwach. Da Onlinewerbung spottbillig ist, rechnet sich das irgendwann.

Der wichtigere Werbemarkt ist jedoch der andere, auf dem den Herstellern der Waschmittel, Limonaden und Autos überredet werden, Werbung zu kaufen. Und man ist versucht zu sagen: Junge, sind diese Leute naiv…! Zum einen fließen Milliarden ihrer Gelder in die Taschen von Betrügern, die keinerlei Absicht haben die Werbung an tatsächliche lebende, atmende Kunden auszuliefern. Zum anderen schlucken die Markenartikler auch die Versprechen der Werbeanbieter, die ihnen die Früchte der Totalüberwachung der Kundschaft versprechen. Immer wieder höre ich Beschwerden von Werbetreibenden, dass die Facebook-Werbung nicht so gut funktionieren soll. Doch wenn man mit Facebook-Werbung angeblich den US-Präsidenten bestimmen kann — wer will da ernsthaft kein Stück von diesem Kuchen?

Aber ihr könnt die Gegenprobe machen. Schaut Euch mal Eure Werbeprofile bei Facebook, Google, Instagram oder Twitter an. Ich habe dies kürzlich bei Twitter getan und war doch sehr erstaunt, was meine Interessen so sein sollen.

Twitter-Werbeprofil

Ich, der Sport-Fan

Twitter erzählt seinen Werbekunden nicht nur, dass ich Formel 1-Fan bin, sondern hat auch ein sehr differenziertes Bild von mir als Fußball-Fan. Viele der Namen, für die ich mich angeblich interessiere, musste ich googeln und es stellte sich heraus: Es sind Profi-Fußballer. Das klitzekleine Problem dabei: Ich bin kein Sportfan. Ich schau mir nicht mal die Schachweltmeisterschaft an. Natürlich kann ich mich durch das Twitter-Profil wühlen und die wildesten Fehleinschätzungen korrigieren — doch wer macht sich schon den Stress? Es ist für beide Seiten einfacher, wenn Twitter mir fußballbasierte Werbung ausspielt, die ich dann ignoriere. Falls Twitter noch einen Werbekunden findet, der Fidget Spinner loswerden will – ich bin Euer Mann. Was in den Profilen nicht steht: „Würde niemals einen VW kaufen“. Denn wozu sollte man den Werbeetat von Volkswagen künstlich beschränken?

Dieses Werbeprofil ist nicht unbedingt mal das Ergebnis böser Absichten. So funktioniert das Geschäft halt. Denn woher glaubt die Werbeindustrie zu wissen, was mich interessiert? Ein Mittel ist die sogenannte „lookalike audience“. Ihr erinnert Euch vielleicht, das Facebook kürzlich einen Skandal hatte, weil sie die Handydaten von Kunden und insbesondere Teenagern über einen Datenfilter leiteten und haarklein auswerteten. Facebook hat dabei kaum ein Interesse an den Teenagern selbst — sie liefern lediglich ein Datengerüst. Leute, die morgens um 5 Uhr auf Snapchat aktiv sind, mögen Frühstückscerealien der Marke X. Wer Signal installiert hat, ist ein Tech-Freak. Wer Verschwörungstheorien teilt, isst zwei Mal mehr Süßigkeiten und hat keinen Fitbit. All diese Beziehungen werden in Datenmodelle gegossen, die dann darüber entscheiden, welche Werbung Dir ausgespielt werden soll. Ob diese Annahmen stimmen, interessiert nicht wirklich — Hauptsache die magischen Kenngrößen, die KPI, stimmen. Irgendwie.

Die große Schubladisierung

Die Realität heute ist: Es gibt personalisierte Werbung — sicherlich. Das große Geschäft ist aber ein anderes: Statt die Werbung auf uns anzupassen, werden wir in die größtmöglichen Schubladen einsortiert, die der Werbeindustrie den meisten Profit versprechen. Mann über 40. Handy-Nutzer in Köln. Der Dude, der neulich 20 Minuten auf eine Turnschuh-Werbung gestarrt hat. Schwangere Frau. Schwangere Frau! Ernsthaft, die Werbeindustrie fällt in einen kollektiven Zuckerrausch, wenn sie meint, dass Du schwanger bist. Sie tragen Dich auf Händen und treten dich mit Füßen. Denn das ist der auslösende Mythos der personalisierten Werbung: Die Leute mit den großen Datenbanken wissen früher von einer Schwangerschaft als die Familie selbst.

Personalisierte Werbung ist Realität, aber personalisierte Werbung ist als Mythos viel größer. Der Mythos entscheidet, wer im Internet Geld verdient. Ob Podcasts ein Beruf sind oder Hobby bleiben. Ob unsere Timelines Katzenbilder ausspucken oder Nachricht. Die Realität ist aber: Dahinter steckt meist nur eine riesige Sammlung von Schubladen.

„Bevor Sie fortfahren…“ – Googles GDPR-Fragen

Derzeit bereiten sich ungefähr alle Firmen auf die Datenschutz-Grundverordnung vor, die in vier Wochen gültig wird. Für uns Nutzer heißt das: An allen Ecken und Enden des Internets werden wir aufgefordert, neue Nutzungsbedingungen abzusegnen, E-Mail-Abos zu bestätigen oder unsere Einstellungen zu überprüfen.

Grade eben hatte ich die neuen Bedingungen von Google auf dem Schirm. Und es ist wirklich ein Vorzeigebeispiel dafür, wie einen Firmen dazu drängen, genau die Option auszuwählen, die in ihrem Interesse ist.

Zunächst mal: Die Aufforderung erschien, als ich mal eben etwas auf Google Maps nachschlagen wollte. Es gab keine Option zum Wegklicken — anders als bei anderen AGB-Änderungen. Also bin ich sehr motiviert, diesen Prozess schnell hinter mich zu bringen, weil ich doch schnell etwas auf Google Maps nachschlagen will.

Der Leerraum in diesem Dialog ist wirklich beachtlich. Warum wird hier so viel Platz verschenkt? Auf der zweiten Seite werde ich dann etwas näher aufgeklärt, worum es geht. Es sind grade so viele Details, dass ich auf meinem HD-Bildschirm scrollen muss, um alles zu lesen. Aber will ich das wirklich alles lesen? Ich will doch nur mal eben etwas auf Google Maps nachschlagen… Und dazu müsste ich nur auf den bereits blau markierten Button „Ich stimme zu“ klicken.

Doch halt. Da gibt es ja noch „Weitere Optionen“. Was dahinter wohl stecken mag?

Bingo. Eine wahre Schatzkiste an Sachen, mit denen Google Geld verdient. Zunächst einmal die Sucheinstellungen.

Hier geht es im wesentlichen um meine eigene Bequemlichkeit – also lässt mich Google gewähren.

Bei der Frage zur personalisierten Werbung hingegen wird klar, dass Google wirklich, wirklich nicht will, dass ich diese abschalte. Zunächst mal werde ich zu einer Einstellungs-Webseite geleitet, die ein ganz anderes Design hat. Dann werden mir zwei Fragen gestellt, wo eigentlich eine genügt hätte. Wenn ich Personalisierung abschalten will, will ich sie vermutlich überall abschalten. Google hingegen teilt dies in zwei Fragen auf, die verschiedene Optionen haben, „Nein“ zu sagen: Bei der ersten Frage muss man einen Schalter betätigen, bei der zweiten einen Button anklicken. Man beachte auch: War der „Zustimmen“-Button anfangs rechts, ist er nun links angesiedelt. die wahrscheinlichkeit, dass man zumindest einen Ausschalter übersieht, ist also ziemlich hoch.

Nicht genug. Falls man tatsächlich die Option „Deaktivieren“ wählt, warnt einen Google ausdrücklich davor, einen schweren Fehler zu begehen. „Werbetreibende können Ihre früheren Besuche ihrer Website nicht bei der angezeigten Werbung berücksichtigen.“ Das heißt: Keine Retargeting-Werbung mehr. Wie könnte ich nur so etwas wollen?? Die subtile Androhung, es könne mehr Werbung eingeblendet werden, halte ich derzeit für wenig realistisch.

Die Warnmeldung kommt gleich zwei Mal. Besonders lachen musste ich jedoch, als ich die zweite Warnung wegklickte, und dann dies angezeigt bekam:

Ich kann mir nicht helfen — aber ich sehe vor meinem inneren Auge einen kleinen Google-Manager verzweifelt-wütend mit dem Fuß aufstampfen. „Wenn du schon unsere kostbar-lukrative Werbung nicht willst, dann sperr wenigstens auch die der Konkurrenz!!!“

Was natürlich bei privatsphäre-orientierten Nutzern eh nicht klappt, weil sie in ihrem Browser Third-Party-Cookies gesperrt haben.

Als dritter Punkt kommen die YouTube-bezogenen Einstellungen, die nicht weiter interessant sind. Der vierte Punkt ist aber nochmal lustig: die „browserbezogenen Einstellungen“:

Statt einfach einen Link zu den Cookie-Einstellungen zu setzen, bekommt man eine 5 Punkte umfassende IKEA-Bauanleitung. Und um Google Analytics abzuschalten, muss man ein eigenes Add-On installieren.

Nachdem man das alles erledigt hat, muss man dann noch zwei Mal auf „Zurück“ klicken und dann auf „Ich stimme zu“. Erst dann ist Google GDPR-AGB-Parcour erfolgreich absolviert.

Wer bereits allzu eilig den Dialog weggeklickt hat, kann die Einstellungen auf dieser Seite wieder ändern.

Mittwoch ist mein Hobby

In den Facebook-Werbeeinstellungen kann jeder Nutzer zumindest einen Teil der Kriterien nachschlagen, mit denen die Werbung personalisiert wird. Meine Hobbies sind demnach unter anderem Mittwoch, Metalle und der Universal Serial Bus.

Welche Eure Hobbys laut Facebook sind, könnt ihr hier nachschlagen. Die Google-Variante gibt es hier.