Das ist kein Radweg

Neulich hatte ich einen geschrieenen Dialog auf offener Straße. „Fahr auf dem Radweg!“, brüllte ein Autofahrer hinter mir. Ich – natürlich auf dem Rad – brüllte zurück. „Das ist ein Fußweg!“

Der erboste Fahrer hinter mir muss mich für einen Idioten gehalten haben. Denn der Weg an der Straße An der Piwipp sieht zumindest ganz so aus, wie ein Radweg: breit, flach, leicht rote Pflasterung.

Aber da das hier mein Blog ist, wird Euch nicht überraschen: Es ist ein Fußweg. Er sieht aber so aus, als ob es irgendwann ein nutzungspflichtiger Radweg gewesen sein könnte. Aber irgendwann hat sich die Stadt offenbar umentschieden und hat den Weg zum Fußweg mit Fahrradfreigabe umdeklariert.

Gründe gibt es dafür viele: Zum einen die vielen Unebenheiten, die den Radweg heute fast unbefahrbar machen – schon bei durchschnittlichem Tempo können Gegenstände aus dem Fahrradkorb geschleudert werden. Zum anderen gibt es eine Bushaltestelle, die nicht nur Radfahrer und Fußgänger direkt auf Kollisionskurs bringt, sondern auch beiden die Sicht nimmt. Weil: Bushaltestellen ohne Werbeplakate gibt es hier nicht. Der Grund für die Herunterstufung könnte auch in den vielen Ausfahrten von Geschäften zu finden sein, die Autofahrer dazu verleiten, so lange quer auf dem Weg zu parken, bis sie eine Lücke im Autoverkehr sichten.

Am Anfang der Straße sieht es noch so aus, als würde Fußgängern als auch Radfahrern jeweils ein eigener Weg zugestanden, doch die Beschilderung macht schnell klar, dass es sich nur um eine Fiktion handeln. Sie mögen zwar zwei Wege sehen, lieber Bürger, aber es ist amtlich: Es gibt nur einen Weg. Und den müssen sich Fußgänger mit Radfahrern teilen. Die Radfahrer können jedoch darauf verzichten.

Und Radfahrer sollten auch verzichten, denn der Weg ist dank hoher Bordsteine eine Falle. Sobald man merkt, dass es eine schlechte Wahl war, rechts neben der Fahrbahn zu fahren, kann man so schnell nicht wieder zurückwechseln.

Also muss ich damit leben, dass immer mal wieder ein Autofahrer hinter mir einen Wutanfall bekommt, obwohl ich den Verkehr nicht ausbremsen kann. Ein paar Meter weiter ist eh eine 30er-Zone, die erwähnten Ausfahrten und Busse tun ein übriges, dass hier faktisch nicht viel schneller gefahren werden kann, als ich es mit meinem City-Bike mache.

Liebe Stadt Düsseldorf: Wenn hier irgendwas an der Straße renovieren müsst, sorgt bitte dafür, dass der Fußweg auch wirklich unmissverständlich wie ein Fußweg aussieht.

Warum Raser Staus verursachen und dennoch nicht schneller ankommen

Vor ein paar Tagen habe ich auf Twitter Bilder und ein Video einer Aktion der Gruppe „Letzte Generation“ gesehen, die mir zu denken gibt: Statt sich an Fahrbahnen festzukleben, besorgten sich Aktivisten zwei Autos und fuhren damit die Autobahn mit 100 km/h entlang und bremsten dadurch den nachfolgenden Verkehr aus.

Das Bild sorgt für Emotionen. Die eine Sichtweise: Da sind zwei Autos, die mutwillig einen Stau verursachen. Die andere Sichtweise: Diese Art der Nötigung ist gerechtfertigt, da wir grade mit einer Kombination von Weltkrisen leben.

Ich habe jedoch eine dritte Sichtweise darauf, eben weil ich in den vergangenen Wochen nach Auslaufen des Neun-Euro-Tickets öfters per Autobahn nach Düsseldorf gefahren bin. Die lautet: Auf dem Bild sind nicht zwei Fahrzeuge, die gegen das Gesetz verstoßen und andere – gefühlt(!) – nötigen, sondern über ein Dutzend.

Während sich die Aufmerksamkeit ganz auf die beiden vorderen PKW konzentriert, betrachte ich eher den hinteren Teil: Nur eine Handvoll von Autos hält klar sichtbar einen Mindestabstand ein. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen, die ich auf im Berufsverkehr machte. Sobald es ein wenig voller wird, rücken sich insbesondere auf der Überholspur Autos ganz dicht auf die Pelle.

Raser müssen viel bremsen

Raser erkennt man dann nicht an ihrem Tempo – sondern an ihren ständig aufleuchtenden Bremslichtern. Da sie ständig zu wenig Abstand halten, ist jede Verzögerung ein Notfall, der mit sofortigem Bremsen beantwortet werden muss.

Und jetzt kommt der Clou: Diese Raser sorgen für mehr Staus als sich viele träumen könnten. Stellt Euch einfach eine Reihe von zehn Autos vor, die mit zu geringem Abstand fahren. Das erste Auto bremst ein kleines bisschen. Der nächste Fahrer kann aufgrund der menschlichen Reaktionszeit nicht sofort reagieren, muss also etwas stärker bremsen, um wieder den Abstand herzustellen. Der nächste muss also noch stärker bremsen – und nach ein paar Wiederholungen wird daraus eine Vollbremsung. Ergebnis: Stau aus heiterem Himmel.

Das geschieht zum Beispiel auf der A57 Richtung Düsseldorf seit Auslaufen des 9-Euro-Tickets wieder fast täglich. Dabei versucht die Verkehrszentrale des Landesbetriebs Straßenbaus NRW das zu verhindern und verhängt mittels elektronischer Schilder Tempolimits, mal 100 km/h, mal 80 km/h, selten sogar mal 60 km/h. Würde sich jeder dran halten, gäbe es an den Auf- und Abfahrten keinen Stau und jeder käme schneller an.

Doch da die Pendler ganz genau wissen, dass die Kamerabilder der Verkehrsüberwachung nicht zu Bußgeldbescheiden führen, werden diese Schilder ignoriert. Man hat die Illusion, dass man schneller vorankommt, aber letztendlich brauchen alle länger, sind alle gestresster, zahlen alle mehr Geld.

Die linke Spur gehört mir!

Ein Grund dafür ist die Überzeugung, dass die linke Spur schnellen Autos vorbehalten ist. Laut StVO haben diese Leute natürlich unrecht: Es gibt kein Benutzungsverbot der linken Spur für langsamere PKW. Manchmal gibt es ein Überholverbot für LKW, ganz selten mal eine Mindestgeschwindigkeit. Aber in der Regel darf man auch links 100 km/h fahren, wenn man jemand anders überholt. Solange man beim Spurwechsel aufpasst, niemand anderen zu gefährden, hat der lahme Kleinwagen mit einem Neupreis von 8.000 Euro genauso viel Recht auf die Überholspur wie ein getunter Porsche für 350.000 Euro. Erst nach Abschluss des Überholvorgangs muss man wieder nach rechts wechseln – unabhängig von Preis, Geschwindigkeit und Hubraum.

Das entspricht aber nicht dem Alltagserleben auf der Autobahn. Ein kleiner – allerdings nicht allzu kleiner – Anteil der Autofahrer, besteht auf ihrem nicht existenten Recht, indem sie andere Fahrer einschüchtern wollen. Dazu gehört das zu dichte Auffahren, das in der Regel seinen Zweck erfüllt. Wer im Rückspiegel einen Wagen mit 2,5 Tonnen im Abstand von weniger als einer Autolänge bemerkt, fühlt sich zu recht gefährdet. Kommt dann noch die Lichthupe dazu, hat man es mit einem Fahrer zu tun, der andere absichtlich gefährdet – natürlich möchte man so viel Abstand wie möglich zu solchen Typen haben.

Diese permanente Eigen- und Fremdgefährdung ist nicht nur eine individuelle Entscheidung, sondern ein strukturelles Problem. Dies illustriert zum Beispiel die „Auto Bild“ in einem Artikel vom Juni. Hier wird ein Truck mit besonders aggressiven Design unter anderem mit dieser Bildunterschrift angepriesen:

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Sprich: Wer dieses Auto kauft, hat sich einen festen Platz auf der Überholspur gesichert. Wenn man das so ausspricht, klingt es natürlich idiotisch. Aber dies ist die Aussage.

Was besonders traurig ist: Dieses Rumgeprotze dient nicht wirklich dem schnelleren Vorankommen. Im Stadtverkehr seht ihr die aggressiven Spurwechsler und Drängler oft an der roten Ampel wieder. Auf einer Autobahn gewinnen sie selten mal einen Kilometer Vorsprung vor den von ihnen Bedrängten. Also gewinnen sie nicht einmal eine Minute.

Wir Menschen sind notorisch schlecht darin, die Zeiteffekte des Gaspedals korrekt einzuschätzen. Wer etwa den Aktivisten vom Anfang über 60 Kilometer nachgefahren ist, statt einen Schnitt von 130 km/h zu fahren, hat weniger als zehn Minuten verloren. Hieraus eine strafbare Nötigung zu konstruieren, wird nicht so einfach sein, wenn man bisherige Urteile berücksichtigt. Ein Großteil der Drängel-Aktionen mit Gefährdung anderer Menschen bringt allenfalls ein paar Sekunden Gewinn. Wir haben es da also in der Regel nicht mit einem Zeitproblem zu tun, sondern mit einem emotionalen Problem.

Einfach mal den Fuß vom Gas nehmen

Wer richtig Abstand lässt, spart nicht nur selbst Sprit, sondern auch allen anderen Autofahrern Zeit. Wenn vor mir jemand 100 km/h fährt – zum Beispiel, weil ein Wohnmobil überholt – muss ich in den allermeisten Fällen nicht einmal aufs Bremspedal treten. Ich gehe einfach vom Gas.

SUVs sind einfach zu breit

Ich wurde herausgefordert, die Probleme von SUVs zu benennen. Nun – das könnte ein längerer Text werden. Um nicht allzu sehr auszuufern, beschränkte ich mich hier auf die Probleme, die ich aus unmittelbarer Anschauung in meiner Nachbarschaft mit bloßem Auge beobachten kann.

Zum ersten: Ich verstehe die Motivation, sich einen SUV zu kaufen. Es erscheint einfach sicherer. Obwohl man als Autofahrer im Stadtverkehr kaum noch Unfälle mit Verletzungen zu befürchten hat, ist ein Sports Utility Vehicle einfach besser. Selbst für die Leute, die weder Sports, noch Utilities benötigen: Mit der erhöhten Sitzposition schaut man einfach weiter. Und: Es gibt innen wahnsinnig viel Platz. Gleichwohl: Kratzer an der Stoßstange und ähnliches sind keine Risiken mehr, sondern Gewissheit. Zum einen, weil andere Verkehrsteilnehmer die Übergröße nicht gewöhnt sind. Viel wahrscheinlicher: Weil die Fahrer selbst die Übergröße nicht gewöhnt sind.

Wenn man mit einem normalen Auto oder Fahrrad auf den Straßen unterwegs ist, ist ein SUV ein Sichthindernis wie ein Linienbus oder ein LKW. Das ist ein Problem. Wer etwa im Berufsverkehr hinter einem SUV an einer Ampel steht, müsste eigentlich an der Haltelinie warten, bis absolut sicher ist, dass es hinter der Kreuzung weitergeht. Das ist einerseits Gesetz, andererseits unrealistisch. Der Verkehr käme zum Erliegen, wenn sich jeder wirklich daran hielte. Der einzige Weg für den Einzelnen: Man kauft sich ebenfalls ein SUV, um sich mehr Überblick zu verschaffen.

Das Problem: SUVs sind einfach zu groß und vor allem breit für die bestehende Verkehrsinfrastruktur in Köln. Wenn man einparken will, gibt es vorne und hinten zwar hilfreiche Piepstöne. Die Sensoren an der Seite fehlen jedoch meist. Wenn ich etwa auf der Luxemburger Straße in Köln unterwegs bin, begegne ich immer wieder Autos, die auf beiden Fahrbahnen gleichzeitig unterwegs sind. Vor dem SUV-Boom habe ich so etwas vielleicht einmal im Jahr beobachtet. Nun ist es eine alltägliche Erscheinung.

Zu breit

Am einfachsten kann man das Problem zum Beispiel auf dem ALDI-Parkplatz an der Dürener Straße sehen, wo die Autos gerne 20 Zentimeter über dem Trennstreifen parken. Theoretisch passen die Autos auf den eingezeichneten Platz. Dann müssten die Fahrer jedoch aus dem Schiebedach aussteigen. Noch extremer ist es bei den Tiefgaragenplätzen. Die werden von Supermärkten, Fitnesstudios oder medizinischen Einrichtungen immer öfters kostenlos bereitgestellt. Trotzdem werden diese Plätze von SUV-Fahrern immer wieder ignoriert. Drei Minuten von hier sind zwei Bio-Supermärkte. Eine beträchtliche Anzahl der Kunden parkt in zweiter Reihe statt einfach ins Parkhaus zu fahren. Wie gesagt: Es sind kostenlose Parkplätze. Die Fahrer trauen es sich halt nicht zu, hier zu parken. Denn neben jedem dritten Parkplatz ist eine Betonsäule, die teure Schrammen verursachen kann. Oder ein anderer SUV.

Ein Teufelskreislauf. Die SUVs fahren nicht in Tiefgaragen, also bleiben sie die Parkplätze dort leer, also werden sie Straßen noch voller. Volle Straßen bestärken Auto-Käufer, nach einem robusteren PKW zu suchen. Der höchstwahrscheinlich viel zu groß ist für Kölner Straßen.

Legal ist doch legal?

Wenn ich behaupte, dass Autos „zu groß“ sind, hangle ich natürlich an einem fragwürdigen Konzept entlang. Wie groß ist „zu groß“? Die Leute haben von einem amtlich zugelassenen Händler ein Fahrzeug erworben, das vom Kraftfahrbundesamt genehmigt wurde. Dass der Gesetzgeber und die Ämter wegsehen, wenn ein Auto nicht mehr in eine Waschanlage passt, können sie ja nicht verantworten. Außer wenn sie mit offenen Augen durch die Straßen gehen und bemerken, dass Rollator- oder Rollstuhl-Nutzer nicht mehr den Fußweg vor ihrem Haus benutzen können.

Ach, da passt ein Fußgänger doch prima durch!

Wie rapide sich der Verkehr in Köln-Sülz verändert hat, war extrem beeindruckend. Als etwa die neue U-Bahn gebaut wurde, stellte ich zum Beispiel überrascht fest, dass schlichtweg alle Straßen von meiner Wohnung in Richtung der anderen Rheinseite für Radfahrer gesperrt waren. Für Autofahrer wurden Umleitungen eingerichtet, für Radfahrer gab es hingegen nur zusätzliche Verbotsschilder bis schließlich keine einzige Straße übrig war. Die einzige logische Erklärung: Verwaltung und die Straßenarbeiter gingen schlichtweg davon aus, dass Radfahrer die Schilder sowieso ignorieren. Ein inoffizielles Arrangement: Die Polizei und Ordnungsamt sehen weg, wenn Radfahrer verkehrt fahren, da sie selbst bei der Planung der Straße und der Baustellen weggesehen haben.

Mehr Blech gewinnt

Problem: Dieses Arrangement konnte spätestens seit den Nullerjahren nicht mehr aufrecht erhalten werden. Zu viele Leute sind als Radfahrer unterwegs. Zu viele Leute sind mit dem Auto unterwegs. Und die Leute reagieren mittlerweile sehr massiv darauf, wenn vor ihrer Haustür Leute totgefahren werden. Also wurden etwa die Einbahnstraßen von Sülz für Radfahrer zu Zweibahnstraßen.

Problem gelöst? Nein. Denn wann immer ich eine dieser Einbahnstraßen mit dem Fahrrad benutze, kommt mir ein Auto entgegen, das schlichtweg nicht genug Platz für mich lässt, weil es zu breit ist und die am Straßenrand parkenden Autos ebenfalls zu breit sind. Zwanzig Zentimeter hier, zwanzig Zentimeter dort — und schon klappt der kalkulierte Verkehrsweg nicht mehr. Wie zuvor bei den Radlern hat die Stadtverwaltung eine Laissez-faire-Haltung entwickelt. Regelt das doch unter Euch. Wer mehr Blech hat, gewinnt.

Sobald Fahrradwege auf die Fahrbahn gezeichnet werden, werden sie rücksichtlos zugeparkt. Das passiert nicht nur aus purer Not, sondern weil die Fahrer der Auffassung sind, dass sie ein Recht dazu haben. Im fließenden Verkehr schneiden insbesondere SUV-Fahrer Radler regelmäßig — teils unbewusst, teils sogar absichtlich. Neulich hat mich ein BMW-Fahrer in einer Tempo-30-Zone ausgehupt und beschimpft, weil ich auf der Fahrbahn fuhr. Seiner Meinung nach gehörte ich auf den Fußweg nebenan. Selbst wenn nur ein Prozent der Autofahrer dieser Auffassung sind — wenn ich einmal die Luxemburger Straße entlangfahre, werde ich von mehr als 100 Autos überholt. Die Erwartungshaltung im Straßenverkehr genötigt zu werden, ist mittlerweile so hoch, dass ich mir einen extrabreiten Fahrradkorb zugelegt habe, damit ich ein imposanteres Profil aufbiete. Viele Radler haben aber aufgegeben und fahren gleich auf dem Bürgersteig. Was dann die Fußgänger zu verständlichen Protesten antreibt.

Auch die Autofahrer sind zunehmend frustriert. Wenn ich als Kind mit unserem Familienauto unterwegs war, war das eine einfache Sache. Ich öffnete die Autotür und stieg ein. In meiner Kölner Nachbarschaft ist das allzu oft keine Option mehr. Die Kinder dürfen die Türen nicht selbst öffnen, da viel zu wenig Platz zum Nebenauto bleibt und sie Lackschäden verursachen würden, wenn die Tür ungehindert aufschwingt. Also muss Papa oder Mama Chauffeur spielen, und jedem Kind die Tür genau den richtigen Spalt offen halten. Oder sie parken aus, bleiben auf Gehweg oder Straße stehen und beginnen dann eine mehrminütige Verlade-Aktion. Ein neuer Verleihauto-Anbieter parkt neuerdings seine Wagen mit dicken Werbesprüchen in der Nachbarschaft: Man zahlt nicht mehr für den Stau, sondern nur für die gefahrene Strecke. Dass man staufrei zum Einkaufen fahren kann, scheint eine Erinnerung an ferne Zeiten.

Die kritische Masse

Ein Geländewagen alleine ist noch kein Problem. Eine Stadt muss schließlich auch für Lieferwagen, Busse oder LKWs befahrbar sein. Das Problem ist die kritische Masse an übergroßen PKWs, die in meiner Nachbarschaft inzwischen weit überschritten wurde. Was sollen wir also tun? Die Straßen im gleichen Ausmaß verbreitern wie die Autos? Das wäre sicher schön, doch wie soll das gehen? Reißen wir alle Häuser ab und bauen sie dreißig Zentimeter schmaler neu auf? Oder einigen wir uns auf Regeln, die SUVs auf ein verträgliches Maß reduzieren?

Ich habe Volkswirtschaft studiert. Ein Konzept, das wir damals als erstes lernten, war das der „externen Kosten“. Wer ein überbreites, überlanges und überhohes Autos kauft, verursacht wahrscheinlich viele Probleme für andere Verkehrsteilnehmer. Weit mehr Probleme, als durch die zusätzlichen Steuern und Gebühren abgedeckt sind. Um diesen Mißstand zu lösen, müsste man die externen Kosten internalisieren. Das macht jedoch niemand. Ein SUV ist für den Gesetzgeber trotz Klimapaket bis heute nichts prinzipiell anderes als ein Renault Twizy, der weniger als 1,20 Meter breit ist und kein Benzin tanken kann.

In den letzten Tagen sind mit immer wieder Tweets von Kollegen aufgefallen, die sich darüber echauffieren, dass SUV-Fahrern mittlerweile ab und zu die Meinung gesagt wird. Diskriminierung! Ein Auto, auf dem gar ein paar harmlose Sticker geklebt wurden, wird gar zum Schauplatz krimineller Sachbeschädigung.

Diese Dünnhäutigkeit ist wirklich bemerkenswert. Wenn man diese Maßstäbe anlegt, hätte man etwa Fortuna Köln vor Jahrzehnten als kriminelle Organisation verbieten müssen. Aber solche Vergleiche sind natürlich albern. Diese Dünnhäutigkeit ist Ausdruck eines Verteilungskampfes um den öffentlichen Raum. Wer mehr Blech hat, gewinnt. Dieser Grundsatz ist zwar nirgends aufgeschrieben, er gilt dennoch vielen als eine Grundfeste unserer Gesellschaft.

Nun. Wer die Augen ab und zu mal aufmacht, muss einsehen, dass es so nicht mehr geht. Nur wie finden wir einen neuen Kompromiss, wenn man nicht mal das Verhalten Einzelner öffentlich kritisieren und hinterfragen soll?

Die Radfahrer und die Ampeln

Wann immer die Rede auf die Anpassung der Verkehrs-Infrastruktur an den Radverkehr kommt, schäumen die Kommentarspalten vor gerechtem Zorn. Die Radfahrer! Fordern und fordern — dabei halten die sich eh nie an die Regeln! Sollen sie doch schieben!!!

Tatsächlich kann man es in vielen deutschen Städten kaum leugnen: Viele Radler halten sich nicht an viele Regeln. Wie zum Beispiel rote Ampeln. Hier in Köln haben sich viele gar angewöhnt, vor der Ampel stehenzubleiben. Da sie eh losfahren, wie sie lustig sind, brauchen sie das grüne Licht ja gar nicht abzuwarten. Also erübrigen sich Umbauarbeiten, um bessere Radwege und fahrradgerechtere Ampelschaltungen zu etablieren? Absolut nicht.

Bonus für Rotfahrer

Fangen wir von vorne an. Warum fahren so viele Radfahrer bei rot? Eine Antwort ist ganz einfach: Weil sie es können. Sie werden nicht nur selten von der Polizei kontrolliert, sondern sie beschleunigen auf der kurzen Strecke auch deutlich schneller als Autos, brauchen dabei wesentlich weniger Platz und haben den besseren Überblick. Sprich: bevor sie jemandem im Weg sein können, sind sie auch schon wieder weg. Wem ist damit geschadet? (Dazu später mehr.)

Das Vertrackte an der Situation: Radfahrer, die sich nicht an rote Ampeln halten, werden strukturell belohnt. Denn in der Regel sind Ampelschaltungen ganz auf den Autoverkehr ausgerichtet, der ohne Probleme auf 50 Stundenkilometer beschleunigt. Radfahrer sind deutlich langsamer unterwegs. Folge: Insbesondere wo der Durchgangsverkehr eine möglichst grüne Welle hat, hangeln sich Radler von Rot zu Rot zu nochmal Rot.

Insbesondere wo die Rechtsabbiegerspur dem motorisierten Verkehr eine Extra-Grünphase spendiert, ist der Unterschied enorm. Wer hingegen taktisch geschickt jede zweite oder dritte Ampel ignoriert, kann hingegen diesen Takt durchbrechen. Wer einmal bei Rot fährt, hat plötzlich eine grüne Welle. So etwas merken sich Leute. Und so sehe ich viele Radler, die sich nicht mehr um Ampeln scheren, sondern sich davor stellen. Wenn die Verkehrssituation günstig aussieht, fahren sie halt.

Der Radweg führt ins Nichts – wo geht es nun weiter?

Der Unwillen sich an rote Ampeln zu halten hängt auch daran, dass die Verkehrsplaner eine ganz ähnliche Attitüde haben. In den letzten zwei Jahren hat sich in Köln zwar viel verbessert — aber immer noch komme ich alltäglich an Stellen vorbei, wo Radfahrer schlichtweg raten sollen, wie sie sich denn verkehrsgerecht verhalten sollen. Radwege enden unvermittelt, Haltestreifen werden nach dem Zufallsprinzip platziert und Ampeln sind so angebracht, dass sie vom Fahrradsattel nicht zu sehen sind. Baustellen werden präventiv mit Fahrrad-Verbotsschilder ausgeliefert — selbst wenn es dazu offensichtlich keinen Grund gibt.

Es ist wie ein ungeschriebener Vertrag: Ja, das Schild ist sinnlos, die Rotphase ist inakzeptabel lang — wir machen das nur wegen des Anscheins. Ihr braucht Euch ja nicht wirklich dran zu halten. So wie das Ordnungamt auf vielen Straßen Falschparker toleriert.

Das skaliert nicht!

Das Problem daran: Das Fahrrad leidet unter dem eigenen Erfolg. Wo früher ab und zu mal ein Radfahrer alleine unterwegs war, zieht sich jetzt oft eine lange Karawane von Radlern hintereinander die Radwege entlang. Wenn der einzelne Radfahrer immer noch meint, dass er sich schadlos durchschlängeln kann, klappt das in der Masse nicht mehr. Man kann diesen Effekt auch schön bei Fußgängerampeln sehen. Wenn die Ampel ewig auf Rot steht, drängt sich plötzlich ein einzelner Fußgänger auf die Straße – weil er eine Lücke im Verkehr gesehen hat. Und plötzlich laufen alle Fußgänger los obwohl da überhaupt keine Lücke mehr ist. Gehupe. Gemecker. Frust.

Radler müssen sich neu orientieren. Wir sind nicht nur viel mehr, wir sind auch wesentlich schneller als früher. Wer auf ein E-Bike steigt und plötzlich mit einem Schnitt von 25 Stundenkilometern im Berufsverkehr unterwegs ist, muss sich andere Bremspunkte angewöhnen, insbesondere wenn man bisher eher nur am Wochenende in Naherholungsgebieten spazierengefahren ist. Wer an Radfahrer an einer roten Ampel steht, muss sich klarmachen, dass er nicht mehr nur auf den Autoverkehr achten muss. Slalomfahren auf dem Radweg ist auch kein akzeptables Verhalten mehr – also holt die Hände aus den Jackentaschen und zieht Euch Handschuhe an. Der Schulterblick ist wichtiger als jemals zuvor.

Das gilt natürlich auch für die anderen Verkehrsteilnehmer. Wer auf einen Radweg tritt oder fährt, muss wissen: Das ist eine Hauptverkehrsstraße, keine ruhige Raucher-Ecke. Und erst recht keine erweiterte Abbiegespur.

„Radfahrer können doch schieben“

Ich bin Mitglied in ein paar hyperlokalen Facebook-Gruppen und dort wurde eine Aktion von Polizei und dem ADFC diskutiert, bei der so genannte „Geisterradler“ angesprochen wurden, wenn sie die Rheinbrücke auf der falschen Seite überqueren.

Ich kenne das Problem. Ich fahre zwar nicht täglich, aber relativ oft über die Kölner Brücken. Gerade auf der Deutzer Brücke ist die Anzahl der in Gegenrichtung kommenden Radler enorm. Und da sie mal komplett links, mal in der Mitte, mal auf dem Fußweg fahren, ist das durchaus nicht ungefährlich. Insofern ist es schön, wenn aufgeklärt wird. (Update: zumindest auf einer Seite darf man in beide Richtungen fahren.)

Was mir aber in der Diskussion mehrfach aufgefallen ist, waren Äußerungen wie diese: „Also ich habe früher auch gelernt, dass man sein Rad notfalls auch mal schieben muss, um eine Straße zu überqueren.“ Die erschienen mir etwas merkwürdig, da mir nicht ganz klar wurde, was Schieben mit dem Fahren auf der falschen Brückenseite zu tun hat. Doch waren mehrere Leute über solche Kommentare sehr begeistert, und ich begriff: Das Schieben ist nur eine Metapher. Sie steht für: „Radfahrer können sich gefälligst verpfeifen.“

    Ich steh hier mal eben mit Warnblinker in zweiter Reihe auf der Radspur. Ist ja nicht schlimm – notfalls können die Radfahrer ja schieben.
    Eine Baustelle blockiert völlig unnötig den Radweg? Ist ja nicht schlimm – notfalls können die Radfahrer ja schieben.
    Radfahrer sind keine richtigen Verkehrsteilnehmer. Ist ja nicht schlimm – notfalls können die Radfahrer ja schieben.

Und so langsam geht mir das auf den Keks.

Die Haltung kommt nicht von ungefähr. Dass irgendwer freiwillig oder gar als Berufstätiger mit dem Fahrrad den Rhein überquert, war für die Stadtplaner vor 30 oder 40 Jahren allenfalls eine Ausnahme. Verständlich — denn kaum jemand tat es. Und seien wir ehrlich: Die Radfahrer beschwerten sich auch weniger über Behinderungen, weil sie sie schlichtweg ignorieren. Schon lange bevor in meinem Viertel die Einbahnstraßen für Radfahrer in Gegenrichtung freigegeben wurden, fuhren Radfahrer bereits gegen den Autoverkehr. Das war auch kein riesiges Problem. Doch diesen Luxus können wir uns allesamt nicht mehr leisten. Die Zahl der Radfahrer hat sich vervielfacht, die Autos verbreitert und das Blinken ist irgendwann 2014 aus der Mode gekommen.

Für erstaunlich viele ein Albtraum: Radfahrer erobern die Straße.

Ich verstehe die Frustration vieler Leute. Ich muss nur mal eine halbe Stunde um den Block gehen, um mehrere Fahrradfahrer zu sehen, die sich scheinbar an keine Regel halten. Wenn ich gleich den Fußweg auf der Luxemburger Straße entlang gehe, kommt mir unter Garantie ein Radfahrer auf einem relativ engen Bürgersteig entgegen — ohne jedes Schuldbewusstsein. Abends wimmelt es von Radfahrern ohne Licht. Bringdienst-Fahrer starren auf ihr Smartphone, während sie im Affentempo mit ihrer riesigen Warmhaltebox auf dem Rücken zum nächsten Kunden jagen.

Allerdings bin ich auch selbst Radfahrer und ich weiß: Es ist einfach, Gesetze zu missachten — es ist hingegen gar nicht so einfach, sich an das Gesetz zu halten. An vielen Stellen in Köln wird es uns Radfahrern geradezu unmöglich gemacht. Radwege sind in einem unbenutzbaren Zustand oder enden einfach im Nichts. Zweispurige Hauptverkehrsstraßen werden zur unfreiwilligen Mutprobe, wenn SUVs mit 30 Zentimeter Abstand vorbeibrausen. Selbst Fahrradständer werden mit hohen Bordsteinen umgeben. Ist ja nicht schlimm – notfalls können die Radfahrer ja schieben.

Der Radweg führt ins Nichts – wo geht es nun weiter?

Es stimmt: Wir Radfahrer schieben nicht gerne. Wir tun sogar alles mögliche, um nicht abzusteigen. Das Schieben ist nicht nur sehr viel mühsamer, als eben mal mit dem Auto zu stoppen. Es macht auch meist keinerlei Sinn. Ein Radfahrer, der sein Fahrrad durch eine Baustelle schiebt, benötigt wesentlich mehr Platz als ein Radfahrer auf seinem Sattel. Und wen stören wir schon, wenn Verkehrsschwellen kurz auf dem Fußweg umgehen? Die wurden ja eh nur für Autofahrer eingerichtet.

Wenn man will, dass sich Radfahrer an die Regeln halten, muss man ihnen auch Gelegenheit geben, dies zu tun. Radfahrer sind wie Fußgänger und Autofahrer Verkehrsteilnehmer — und keine Lückenbüßer zweiter Klasse. Es hat knapp fünf Jahre gedauert, bis ich in meiner Umgebung alle Tricks und Wege gefunden habe, um mich in den allermeisten Fällen an die Verkehrsregeln zu halten. Ich weiß genau, wie schnell ich an welcher Stelle fahren muss, um an der Inneren Kanalstraße nicht an jeder einzelnen Ampel warten zu müssen. Ich weiß, an welcher Stelle ich mit dem Fahrrad auf einen Parkplatz ausweichen kann, um mir 600 Meter regelgerechten Umweg plus vier Ampeln zu ersparen. Ich kenne die Schleichwege, die mich auf die richtige Seite einer Brücke bringen.

Doch nicht jeder hat fünf Jahre Erfahrung. Und nicht jeder will Schleichwege suchen.

Gerade die Kölner Brücken sind ein Albtraum. Wer zum Beispiel aus Richtung Südstadt auf die Severinsbrücke fahren will, darf auf keinen Fall den Schildern Richtung Severinsbrücke folgen. Denn die führen für Radfahrer in eine Sackgasse. Stattdessen muss man am Blaubach links statt rechts abbiegen. Was kein Vergnügen ist, da man auf einer viel und schnell befahrenen vierspurigen Straße an einer unübersichtlichen Stelle auf eine der linken Spuren wechseln muss. Dann fährt man zum Waidmarkt, biegt in die Severinsstraße ab, die nicht Richtung Rhein führt. Dann überquert auf einer Brücke die Auffahrt zur Severinsbrücke, um dann in einer Unterführung eine andere Auffahrt zur Severinsbrücke zu unterqueren, um dann die doppelt so steile Auffahrt für Radfahrer zu nehmen.

Aber macht ja nichts, wir können ja schieben.

E10

E10 ist der neue Guttenberg: Jeden Tag neue Schlagzeilen, obwohl es eigentlich so wenig Neues gibt. Die Schlagzeile von Montag ruft aufgeregt „Boykott“ und die Schlagzeile vom Dienstag wundert sich, dass die Autofahrer trotzdem nicht massenhaft E10 tanken und erklärt das Ganze zum „Aufstand“. Aufstände sind gerade sehr angesagt.

Interessantes Detail: Während alle anderen von „Biosprit“ reden, schreibt die taz vom Agrosprit. Bio ist Natur, frisch, gut. Agrar, das ist Überdüngung, Gentechnik und Lebensmittelkonzerne.

Die Hoffnung, dass die Deutschen E10 aus enttäuschtem Umweltbewusstsein massenhaft verweigern, halte ich für haltlos. Wer so denkt, fährt tendentiell eh schon Fahrrad und Bahn. Was ich mich frage: Warum wirbt die Bundesregierung für E10 nicht viel lauter mit dem Argument: „Wir wollen den Gaddafis dieser Welt nicht so viel Geld überweisen“?

Wer sich mit Biosprit auseinandersetzen will und sich dabei unterhalten lassen will, sei an dieser Stelle nochmal die Serie The West Wing empfohlen. In Staffel 6, Folge 13 mit dem Titel „King Corn“ wird die Ethanol-Politik der USA aufs Korn genommen. Die Vorzeichen sind etwas andere, die Politik dahinter jedoch die gleiche wie hier:

Russell: It takes more oil to transport it and fertilize it than we save using it.
Will: Sir, you’re not considering changing the speech?
Russell: Don’t worry, I’m not suicidal.

New York 21 fällt aus

Gigantische öffentliche Verkehrsprojekte kann man einfach nicht stoppen. Oder etwa doch?

The largest public transit project in the nation, a commuter train tunnel under the Hudson River to Manhattan, was halted on Thursday by Gov. Chris Christie of New Jersey because, he said, the state could not afford its share of the project’s rising cost.

Then, reinforcing his reputation for audacity, the governor called on the senators who had secured the $3 billion in federal money for the tunnel to try again, for a less costly project.