Von Libyen lernen

Ich lese grade in der taz ein interessantes Interview mit Thomas Hüsken zum politischen System der Stämme, zur Tribalität in Libyen. Autonome Stämme regeln was sie können ohne den Bürgern eine Haltung aufzuzwängen. Sie sind nicht gegen den Zentralstaat, denn er ist eine Einrichtung, die Leistungen erbringen kann, die im kommunalen Bereich nicht umsetzbar sind.

Es ist eine differenzierte Gesellschaft, in der Urbanität und Tribalität herrschen. Sie steht fraglos vor großen Herausforerungen, und das tribale Element kann eine ganz wichtige soziale und kulturelle Rolle in diesem Wandlungsprozess spielen. Demokratie und Tribalität widersprechen sich nicht. Das tribale System hat sich historisch als flexibel erwiesen, es ist nicht starr, sondern ständig in Bewegung.

Teil der westlichen Aufbauhilfe wird es wohl sein, in Libyen Strukturen nach dem Vorbild westlicher Staaten einzurichten — als Ersatz für den Diktator. Vielleicht sollten wir keine hochtrabenden Demokratie-Lehrer nach Libyen schicken, sondern Nachwuchspolitiker, damit sie dort lernen, gesellschaftliche Zusammenhänge neu zu verstehen und Leute zu überzeugen statt sie nur zu verwalten, zu benebeln und zu unterschätzen.

E10

E10 ist der neue Guttenberg: Jeden Tag neue Schlagzeilen, obwohl es eigentlich so wenig Neues gibt. Die Schlagzeile von Montag ruft aufgeregt „Boykott“ und die Schlagzeile vom Dienstag wundert sich, dass die Autofahrer trotzdem nicht massenhaft E10 tanken und erklärt das Ganze zum „Aufstand“. Aufstände sind gerade sehr angesagt.

Interessantes Detail: Während alle anderen von „Biosprit“ reden, schreibt die taz vom Agrosprit. Bio ist Natur, frisch, gut. Agrar, das ist Überdüngung, Gentechnik und Lebensmittelkonzerne.

Die Hoffnung, dass die Deutschen E10 aus enttäuschtem Umweltbewusstsein massenhaft verweigern, halte ich für haltlos. Wer so denkt, fährt tendentiell eh schon Fahrrad und Bahn. Was ich mich frage: Warum wirbt die Bundesregierung für E10 nicht viel lauter mit dem Argument: „Wir wollen den Gaddafis dieser Welt nicht so viel Geld überweisen“?

Wer sich mit Biosprit auseinandersetzen will und sich dabei unterhalten lassen will, sei an dieser Stelle nochmal die Serie The West Wing empfohlen. In Staffel 6, Folge 13 mit dem Titel „King Corn“ wird die Ethanol-Politik der USA aufs Korn genommen. Die Vorzeichen sind etwas andere, die Politik dahinter jedoch die gleiche wie hier:

Russell: It takes more oil to transport it and fertilize it than we save using it.
Will: Sir, you’re not considering changing the speech?
Russell: Don’t worry, I’m not suicidal.

Ferndiagnose einer Ferndiagnose

Es wird ja viel Mist zu Wikileaks geschrieben. Es ist deprimierend mit anzusehen, wie eine so komplexe Story in Banalitäten und Info-Schnippsel zerteilt und über 24-Stunden-Infotainment-Kanäle in die Bevölkerung gepumpt wird. Man kann die größten Skandale offenbaren – und trotzdem ändert sich nichts an dieser korrupten Welt.

Das hat auch Arno Frank mitbekommen und schildert uns die vielen Unzulänglichkeiten der Berichterstattung – angefangen von dem peinlichen Interview bei CNN bis hin einem bitter-bitter-bösen Artikel der New York Times, über den sich Julian Assange medienwirksam mokiert hat.

Er lebt, wenn er nicht in wechselnden Wohnungen auf einem Sofa übernachtet, in einer einsamen Hütte in Nordschweden. Er war Hacker. Er ist ein egomanischer Tyrann. Er wechselt seine Mobiltelefone wie andere Männer ihre Hemden. Er bezahlt nie mit Kreditkarte, sondern immer nur bar, und das Geld leiht er sich von Freunden.

[…]

Genau so las man’s in der New York Times, die ihrer Berichterstattung zu den Enthüllungen von Wikileaks ein Fernpsychogramm von Julian Assange beistellte. Um zu ihrem Fazit zu kommen, dass der Typ ein gefährlicher Irrer ist, mussten Journalisten nicht einmal bei einem Psychiater einbrechen. Wikileaks tut, was eigentlich Aufgabe des Journalismus wäre. Darauf reagiert der Journalismus gereizt und gekränkt.

Irgendwie habe ich den Eindruck, dass Frank den New York Times-Artikel ebenfalls nur ganz aus der Ferne gelesen hat. Denn von einer Ferndiagnose kann absolut keine Rede sein: Reporter der Zeitung haben Assange – zumindest kurz – in London begleitet, sie haben viele Menschen aus dem Umfeld von Wikileaks interviewt, sie haben ihre Büros in Kabul und in Washington zu Rate gezogen. Das ist es, was Journalismus, was Recherche ausmacht. Welche Arbeit hat sich Frank gemacht? Nun, er hat den New York-Times-Artikel angesehen und möglichst irreführend wiedergegeben.

Zum Beispiel: was schreibt die New York Times über die Ermittlungen in Schweden gegen Julian Assange? Bei Frank liest sich das so.

Er hat zwei Frauen vergewaltigt. Okay, sexuell belästigt. Na gut, dann eben nur belästigt. Oder auch nicht.

Die New York Times hat Assange also unbelegte Vorwürfe gemacht und sich dabei aber in Widersprüche verstrickt. Wirklich?

He is also being investigated in connection with accusations of rape and molestation involving two Swedish women. Mr. Assange has denied the allegations, saying the relations were consensual. But prosecutors in Sweden have yet to formally approve charges or dismiss the case eight weeks after the complaints against Mr. Assange were filed, damaging his quest for a secure base for himself and WikiLeaks. Though he characterizes the claims as “a smear campaign,” the scandal has compounded the pressures of his cloaked life.
[…]
Within days, his liaisons with two Swedish women led to an arrest warrant on charges of rape and molestation. Karin Rosander, a spokesperson for the prosecutor, said last week that the police were continuing to investigate.

Man kann dies als nüchterne Zusammenfassung der Ereignisse lesen. Man kann aber auch nach Reizwörtern suchen und daraus einen Angriff auf Assange stricken. Ich weiß schon, welche Alternative ich als „tabloid“-Journalismus bezeichnen würde.

PS: Wer den kritischen Journalisten in sich entdecken will und die Rolle der Medien analysieren will, kann zum Beispiel den Schwerpunkt der Berichterstattung in verschiedenen Medien vergleichen. Als am Freitagabend die Sperrfrist von Wikileaks zu den Irak-Akten endete, kamen zum Beispiel Al Jazeera und CNN zeitgleich mit Sonderberichten heraus. Während sich der arabische Sender in seinem englischsprachigen Programm vor allem Einzelschicksalen widmete, die durch die US-Militärakten enthüllt wurden, brachte CNN eigentlich nur Berichte über die Berichterstattung. Was sagt das Pentagon? Was sagt der Mann auf der Straße – und das zu einem Zeitpunkt, wo niemand Gelegenheit hatte in das Material zu schauen. CNN selbst hätte die Gelegenheit gehabt – und hat die Inhalte zu Gunsten einer Sprechblasen-Berichterstattung ignoriert.

Weitere spannende Frage: Führt die Publikation zu einer Stärkung der Anti-Irakkriegs-Bewegung oder sind sie eher Antrieb für diejenigen, die einen Krieg gegen den Iran fordern. Denn sobald die Rechtsausleger an der Wikileaks-Bedrohung abgearbeitet haben, dann werden sie in den 400000 Akten viel Material finden, was sie in ihrer Überzeugung bestärken wird, dass der Iran eine unmittelbare Bedrohung sei.

PS 2: Den Cameo-Auftritt von Assange bei dem Comedy-Format Rap News finde ich lustig – er ist aber absolut unvereinbar mit seinen Beschwerden über die Personalisierung der Wikileaks-Berichterstattung und dem „tabloid journalismus“. Natürlich wird der Kampf um Wikileaks in den Medien geführt und natürlich bedient sich die US-Regierung der US-Medien, um die Glaubwürdigkeit von Wikileaks anzugreifen. Journalisten, die sich so instrumentalisieren lassen, betreiben schlechten Journalismus. Für Assange aber gibt es wohl nur ein Kriterium für guten Journalismus: er muss schreiben, was Assange will. Und alleine das.

Auslandskompetenz und mündige Kunden

Die taz schreibt über Verkaufsgerüchte bei Nachrichtenagenturen:

Würden nun aber AP und ddp enger zusammenrücken, entstünde ein neuer kleiner Agentur-Riese. Einer, der im Paket billiger anbieten könnte, wofür die dpa bisher fast ohne Konkurrenz stand: ein, vom Sport abgesehen, vollumfängliches Angebot an Meldungen aus dem In- und Ausland. Allerdings übersetzt die AP im Auslandsgeschäft vor allem Meldungen ihres US-Dienstes und reichert diese mit deutschen Aspekten an.

Wie sich das konkret äußert, habe ich vor kurzem schon Mal aufgeschrieben. Wenn der deutsche Dienst von AP ohne Sinn, Verstand oder Rückfrage US-Meldungen übersetzt, scheint die Bezeichnung „Nachrichtenagentur“ fehl am Platze. „Translated Press“ dürfte beim Publikum aber kein Verkaufsschlager sein.

Die Süddeutsche Zeitung ist unterdessen unter anderem einer Blödsinnsmeldung von Pressetext.at nachgegangen.

Das Versenden von Mitteilungen funktioniere „wie bei Ebay oder Amazon“, erklärt Wilfried Seywald, Marketingdirektor bei Pressetext – „vollautomatisch“. Der Kunde müsse ein Konto einrichten und bezahlen, dann könne er Meldungen verschicken. Pressetext setze auf den „mündigen Kunden“. Dennoch werde natürlich alles kontrolliert, auf „politische Parolen, pornographische Inhalte, aber auch unsinniges Geschreibsel“.

Und wie kam P.’s Geschreibsel in Umlauf? Wegen der Tageszeit, heißt es in Wien. Der Text ging nach 21 Uhr rein – und wieder raus. Zu dieser Zeit sei der zuständige Mitarbeiter nicht online gewesen. Die Meldung sei daher nicht geprüft worden. Über Hürden, um so etwas zu verhindern, denke man nun nach.

Demo-Mathe

Die taz tickert von der Freiheit-statt-Angst-Demo:

Der Veranstalter spricht in einer ersten Presseerklärung von mehr als 20.000 Teilnehmern. Eigenen Zählungen ergeben jetzt, dass ungefähr 15.000 Demonstranten dabei sind.Die Polizei spricht von 10.000 Teilnehmern.

Eigentlich ist es immer so: Die Veranstalter sagen, es sind doppelt so viele Teilnehmer wie die Polizei meldet. Die Realität befindet sich irgendwo in der Mitte.

Alpha-Journalisten

Jan Feddersen vorabdruckt in der taz:

Niggemeier, 1969 geboren, in jenem Jahr, als Willy Brandt zum Kanzler gewählt wurde, ein Jahr nachdem die Studentenbewegung die Bild-Zeitung als Hassobjekt Nummer eins ausgemacht und „Enteignet Springer!“ gerufen hatte, erzählt bereitwillig, wie er dazu kam, sich mit dem Marktführer aller Boulevardmedien anzulegen.

Würde ich fürs Feuilleton schreiben, würde ich es wohl Feuilletonitis nennen.

Idiotensteuer?

Die taz interviewt Lotto-Forscher Mark Lutter:

Lotterien sind staatliche Veranstaltungen, bei denen 39 Prozent der Einnahmen garantiert einbehalten werden. Der Staat hält das Lottomonopol, er stellt das Spiel sogar unter Strafe, wenn er selbst nicht beteiligt ist. Nur die Hälfte des Erlöses schüttet er wieder aus, 13 Prozent gehen in die Verwaltung, den Rest behalten die Finanzminister. Man kann das Lotto als Steuer ansehen.

Interessanter Ansatz. Gleichzeitig führt Lutter aber auch aus, dass sich die meisten Spieler mit einem Lotto-Los ganz bewusst den Eintritt in eine Fantasiewelt erkaufen. Eigentlich ist das ein ganz rationales Geschäft: Kino kostet ja auch Geld und wir bekommen dort nicht wirklich radioaktive Spinnenmenschen und Laserschwerter zu sehen. Und wenn der Glücksspiel-Anbieter die Adresse der Spieler nicht an 1000 Adresskarteien verkauft, ist der Lottoschein sogar ein Schnäppchen.

Allerdings verhält sich die staatliche Seite auch allzu rational. Zwar schreiben sich die staatlichen Glücksspielveranstalter vor allem den Schutz vor der Spielsucht auf die Fahnen, ihr primäres Interesse gilt jedoch den eigenen Annahmen. In einer Pressemitteilung beklagten sie vor kurzem den Rückgang der Spieleinsätze:

Im Jahresverlauf 2008 ist bislang kein einziger Lotto-Jackpot über 20 Millionen Euro zu verzeichnen. 2007 sorgte insbesondere der Jackpot in Höhe von 45,3 Millionen Euro im November und Dezember für eine Steigerung der Spieleinsätze, die nun niedriger ausgefallen sind.

„Wir durchleben schwierige Zeiten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise geht auch am Glücksspiel nicht spurlos vorbei“, sagte Dr. Friedhelm Repnik, Geschäftsführer der Staatlichen Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg und derzeitiger Federführer des Deutschen Lotto- und Totoblocks. „Die Höhe der Spieleinsätze hängt zu einem großen Teil vom Lotto-Jackpot ab. Und ob der Jackpot geknackt wird oder über 20 Millionen Euro steigt, ist rein zufallsabhängig“, so Repnik weiter.

Nunja – nicht ganz zufällig. Denn just die umsatzfördernde Gewinnsumme von 20 Millionen Euro gibt es zu Silvester im Extra-Lotto zu gewinnen.

Skandal! Ich weiß, was Du in der Wikipedia getan hast!

Die taz bringt die Story über die BND-IP-Adressen und die Wikipedia-Edits:

Vorwürfe gegen BND
Wikipedia-Artikel angeblich geändert

Im Internet ist eine Liste mit IP-Adressen aufgetaucht, die vom BND stammen sollen. Von ihnen aus wurden Einträge im Online-Lexikon Wikipedia verändert.

Allein – wo sind die Vorwürfe? Ein Geheimdienst, der die Wissensgewinnung als Aufgabe hat, für den Tausende Leute am Computer arbeiten, nutzt tatsächlich eine der bekanntesten Webseiten der Welt. Wenn der BND Quellen wie Wikipedia ignoriert, wäre ihm das meiner Meinung nach eher vorzuwerfen.

Aber halt – da hat doch tatsächlich ein Schlapphut den Artikel über den BND geändert. Und zwar wurde eine offenes Geheimnis unbelegtes Gerücht ins Gegenteil verkehrt. Und ein paar Monate später warf ein nicht besonders verdächtiger Wikipedia-Autor die selbe Spekulation wieder heraus.

Es stellt sich die gleiche Frage: wo ist der Vorwurf?

Taz-Leser sind Helden!

Frustration. Entfremdung. Gewalt in U-Bahnen. Die Zeit ruft nach neuen Superhelden!

Wir präsentieren… den Taz-Leser:


taz-Leser in Aktion

Klar, der Film ist garantiert gestellt. Aber es wäre ein toller neuer Werbefilm für die taz. Was meint ihr Genossen, ist dafür Geld in der Kasse?

taz: Gravenreuth wegen versuchten Betrugs verurteilt

Die taz berichtet:

Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat gestern den berüchtigten Münchner Abmahnanwalt Günter Freiherr von Gravenreuth wegen versuchten Betruges zum Nachteil der taz zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

[…]

Die taz ließ durch ihren Anwalt Jony Eisenberg Strafanzeige wegen versuchten Betruges erstatten: Gravenreuth habe wahrheitswidrig dem Vollstreckungsgericht gegenüber behauptet, dass noch nicht gezahlt worden sei. Eine Durchsuchung der Kanzlei im Januar 2007 förderte ein Telefax-Schreiben der taz an Gravenreuth zu Tage, dessen Eingang er bis dahin bestritten hatte. Das Amtsgericht Tiergarten glaubte ihm gestern nicht, dass er wegen „Chaos“ in seinem Büro und mangelnder Rechtskenntnis nicht gewusst habe, dass ihm das Geld nicht mehr zustand. Er hatte sich damit verteidigt, angenommen zu haben, noch weitere Forderungen gegen die taz gehabt zu haben, auf die er die Zahlung verbucht habe. Das Gericht hielt eine Geldstrafe wegen einer früheren Verurteilung im Jahre 2000 wegen Urkundenfälschung in 60 Fällen nicht mehr für ausreichend.