„Inseratenkorruption“

Eine meiner Grundthesen, die ich immer wieder ausbreite: Werbung und Werbefinanzierung hat einen erheblichen Einfluss auf unsere öffentliche Diskussion. Ich rede da meist von strukturellen Einflüssen. Wenn etwa YouTube entscheidet, die Werbekunden vor vermeintlich kontroversen Themen zu schützen, dann finden sich plötzlich auch eigentlich erwünschte Inhalte wie Aufklärungsvideos auf der Verliererseite. YouTube hat hier keine Agenda gegen gesundheitliche Aufklärung. Die Verantwortlichen schrauben halt am System herum und bekommen es nicht besser hin.

Dass es auch direktere Einflüsse gibt, erklärt Helmut Brandstätter in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Während in unserem Land die staatliche Parteienförderung ständig erhöht wird – auch Kurz hat das getan – werden die vom digitalen Wandel ohnehin betroffenen Medien ausgehungert. Ausnahme sind die Zeitungen und Zeitschriften, die lieb schreiben. Die bekommen viele Millionen in Form von Anzeigen. Die Regierenden, nicht nur ÖVP und FPÖ, sondern auch die SPÖ, versuchen also, Medien durch öffentliche Gelder – sagen wir es freundlich – positiv zu stimmen. Darum verwende ich – weniger freundlich, aber treffend – das Wort „Inseratenkorruption“.

BILD meint: „Tatort Internet“ gucken!

„BILD“ hat mal wieder die Bundesjustizministerin zum Verlierer des Tages gemacht:

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (59, FDP) sieht weiterhin keinen Grund, Daten von Online­Kriminellen wie Kinderschändern zu speichern. In einem Papier für die FDP-Fraktion bestreitet sie Sicherheitslücken, widerspricht insoweit auch dem Bundeskriminalamt (BKA).

BILD meint: „Tatort Internet“ gucken!

Was BILD und wohl auch „Tatort Internet“ nicht erwähnt: Mit der Vorratsdatenspeicherung werden keineswegs nur Daten von „OnlineKriminellen“ gespeichert, sondern auch die von „OnlineOpfern“, von „OnlineZuschauern“ und auch von „OnlineIrgendwem“. Kurz gesagt: von jedem.

An anderer Stelle titelt BILD: Kinderschänder beschimpfen Stephanie zu Guttenberg und blendet dabei jede legitime Kritik an der Sendung aus. Alleine ein Satz-Zipfel der „Südeutschen Zeitung“ hat es in den Artikel geschafft:

Auf einschlägigen Seiten warnen sich Pädophile gegenseitig: „Gebt Obacht, wenn ihr euch in der nächsten Zeit verabredet!“ Andere jammern: „Sind wir wirklich solche Monster?“ Oder fühlen sich wie Juden diskriminiert: „Irgendwann bekommen wir ’nen Stern auf die Brust.“

Das sieht die „Süddeutsche Zeitung“ offenbar ähnlich. Das Blatt attackiert besonders Stephanie zu Guttenberg. Deren Einsatz gegen Kinderschänder habe „die Lynchmobs des Ku-Klux-Klan“ zum Vorbild, heißt es dort. Die Ministergattin wecke einen „gefährlichen Volkszorn“ gegen erwachsene Männer, die mit 13-jährigen Kindern Sex haben wollen.

Was der SZ-Autor Adrian Kreye schrieb, findet man hier:

Das Bedenkliche an der Sendung ist, dass unter der Schirmherrschaft einer Ministergattin ein gefährlicher Volkszorn geweckt wird. Demokratie und Rechtsstaat stellt Tatort Internet prinzipiell in Frage. Sie wolle die laschen Gesetze verschärfen, betonte Frau zu Guttenberg in der Sendung immer wieder. Man solle endlich unsere Kinder schützen, fordern die Einspieler im Alarmton. Das sind berechtigte Anliegen. Doch vielleicht sollte sich Stephanie zu Guttenberg bei ihrem Einsatz für unsere Kinder lieber ein Vorbild bei der Präsidentengattin Eleanor Roosevelt nehmen, die sich für Mütter und Kinder in Parlament und Regierung stark machte, als bei den Lynchmobs des Ku Klux Klan. Demokratie und Bürgerwehr bleiben ein Widerspruch.

Unbestreitbare Fakten

Tobias Kniebe schreibt im SZ-Magazin über die jüngste unsägliche Sarrazin-Debatte.

Bisher hat schlichtweg kein Meinungsforscher der türkischen und arabischen Bevölkerung Berlins diese Frage gestellt. Thilo Sarrazin behauptet also etwas, von dem er schlicht und einfach nichts weiß. Wenn man aber keine Zahl hat, erklärte Sarrazin dem Reporter weiter, muss »man eine schöpfen, die in die richtige Richtung weist, und wenn sie keiner widerlegen kann, dann setze ich mich mit meiner Schätzung durch«. Danke dafür. Hier zeigt das, was wir derzeit »Debatte« nennen, wenigstens einmal seine erschreckende Fratze.

Es ist leider so: wenn jemand Zahlen hat – egal wie wenig fundiert oder aus dem Kontext sie gerissen wurden – hat er ein Argument. Er kann nicht ganz falsch liegen. Denn er hat ja Zahlen!

Kniebe weiter:

Das Internet und der moderne News- und Fakten-Overkill verschärfen das Problem noch. Man muss aber eine persönliche Antwort darauf finden. Meine Antwort ist, dass ich jetzt erstens gar nichts mehr glaube und zweitens auch gar nichts mehr hören will. Halt!, rufen da die größten Schwachsinnsverbreiter. Muss man dieses und jenes nicht mal sagen dürfen? Die Debatte in Gang bringen? Ist Drüberreden nicht besser als Nichtdrüberreden? Ich sage inzwischen: Nein.

Das möchte ich gerne unterschreiben. Und zwar nicht nur, wenn es um Sarrazin geht, sondern besonders auch wenn es um Dinge geht, die einem selbst am Herzen liegen.

Auslandskompetenz und mündige Kunden

Die taz schreibt über Verkaufsgerüchte bei Nachrichtenagenturen:

Würden nun aber AP und ddp enger zusammenrücken, entstünde ein neuer kleiner Agentur-Riese. Einer, der im Paket billiger anbieten könnte, wofür die dpa bisher fast ohne Konkurrenz stand: ein, vom Sport abgesehen, vollumfängliches Angebot an Meldungen aus dem In- und Ausland. Allerdings übersetzt die AP im Auslandsgeschäft vor allem Meldungen ihres US-Dienstes und reichert diese mit deutschen Aspekten an.

Wie sich das konkret äußert, habe ich vor kurzem schon Mal aufgeschrieben. Wenn der deutsche Dienst von AP ohne Sinn, Verstand oder Rückfrage US-Meldungen übersetzt, scheint die Bezeichnung „Nachrichtenagentur“ fehl am Platze. „Translated Press“ dürfte beim Publikum aber kein Verkaufsschlager sein.

Die Süddeutsche Zeitung ist unterdessen unter anderem einer Blödsinnsmeldung von Pressetext.at nachgegangen.

Das Versenden von Mitteilungen funktioniere „wie bei Ebay oder Amazon“, erklärt Wilfried Seywald, Marketingdirektor bei Pressetext – „vollautomatisch“. Der Kunde müsse ein Konto einrichten und bezahlen, dann könne er Meldungen verschicken. Pressetext setze auf den „mündigen Kunden“. Dennoch werde natürlich alles kontrolliert, auf „politische Parolen, pornographische Inhalte, aber auch unsinniges Geschreibsel“.

Und wie kam P.’s Geschreibsel in Umlauf? Wegen der Tageszeit, heißt es in Wien. Der Text ging nach 21 Uhr rein – und wieder raus. Zu dieser Zeit sei der zuständige Mitarbeiter nicht online gewesen. Die Meldung sei daher nicht geprüft worden. Über Hürden, um so etwas zu verhindern, denke man nun nach.

Voreilig

In einem Interview der Süddeeutschen Zeitung äußert sich der Direktor des Ansbacher Gymnasiums zu den Folgen des Amoklaufs an seiner Schule:

SZ: Welche Konsequenzen müssen aus dem Amoklauf gezogen werden?

Stark: Vor allem keine voreiligen. Mir sind viele Vorschläge und Forderungen viel zu reflexartig und schnell. Sicher muss man sich überlegen, wie Problemfälle schneller erkannt werden können. Aber Schulen dürfen nicht zu hermetisch abgeschirmten Hochsicherheitstrakten werden, womöglich mit elektronischen Einlasskontrollen, Taschendurchsuchungen und Leibesvisitationen. Wollen wir wirklich so die Bildung, den Charakter und das Menschenbild unserer Kinder prägen? Nein, so können wir sie nicht zu offenen Menschen erziehen.

Warum hört man solche Stimmen so selten?