Bei Thomas Knüwer bin ich auf einen Lobgesang auf Harry Potter gestoßen. Der Handelsblatt-Redakteur schlägt die Buchserie sogar als Karriereleitfaden vor. Und überhaupt ist er recht überschwänglich.
So wie mit Harry Potter. Dort sind die Handlungsstränge verwoben, die Sprache selbstironisch, die Wortwahl gewaltig.
Irgendwie scheinen wir nicht die gleichen Potter-Bücher zu kennen. Verwobene Handlungsstränge bei Harry Potter? Wo bitteschön? Dieser Eindruck wird höchstens erzeugt, weil Leser und Hauptfiguren dauernd im Dunkel gehalten werden. Sicher: hier und dort wird ein nebensächliches Detail nachher ganz, ganz wichtig. Aber die Spannung letztlich dadurch aufrecht erhalten, dass der ach so vielbeschäftigte Dumbledore seinem Liebling Harry schlichtweg die nötigen Informationen vorenthält – unter sehr fadenscheinigen Gründen. Und der obligatorische Streit der drei Hauptfiguren ist wohl kaum als verwobener Handlungsstrang tauglich, dazu wirkt der andauernde Wechsel von Snape zwischen Gut und Böse lediglich albern. Und Selbstironie sehe ich dort gar nicht – JKR nutzt Ironie lediglich als Waffe, gegen die dummen Dursleys, gegen die charakterschwachen Deatheater und den weirdos, die Harry Potter in seiner unendlichen Güte durch die Handlung schleppt.
Aprospos: Wenn Knüwer dann noch eine Kritik zitiert, dass „Gut und Böse sind allerdings nicht schicksalhaft festgelegt“ seien, fasse ich mir an den Kopf. Gerade die Szene im letzten Band, in der der böse Stiefbruder Dudley vermeintlich seine Menschlichkeit entdeckt ist so dünn und so uncharakteristisch, dass sie die Dursleys nur um so härter aburteilt. Und wenn sich Harry Potter mal entscheidet böse zu sein, dann steckt ein heimtückischer Zauber oder die große Liebe dahinter.
Wie kommen diese grotesken Fehlurteile zu Stande? Ganz einfach: den Leuten fehlt es an Vergleichsmaßstäben. Aber das kann man ändern. Verwobene Handlungsstränge, Selbstironie und eine wirkliche Vermischung zwischen Gut und Böse findet man zum Beispiel in der Scheibenwelt. Das ist Fantasy, wie sie sein sollte. Terry Pratchett hat eine Welt mit solidem Fundament gebaut, auf die er echte Charaktere gesetzt hat.
Mein Liebling ist Commander Vimes – hierzulande als Hauptmann Mumm bekannt. Er ist der Anti-Potter: grobschlächtig, oft gemein und mit einem unbestechlichen moralischen Kompass. Sicher ist er auch ein Märchenfigur, aber er hat mit echten Problemen zu kämpfen. So ist er unter einer Diktatur groß geworden, wurde zum Säufer, dem letzten Abschaum der Stadt. Aber das Leben hat ihn geschliffen. Man kann richtig mitleiden, wenn der trockene Alkoholiker mit der Versuchung nach einem Glas Bärdrücker-Whiskey kämpft. Es ist nachvollziehbar, wie er mit dem brutalen „Tier“ in sich ringt, wenn er an der Welt zu zerbrechen droht und bemüht ist, so viele Leute wie möglich mitzunehmen. Dazu fasziniert die Konstruktion der Scheibenwelt, die natürlich ein überzeichnetes Bild unserer eigenen Welt ist und uns letztlich nur einen schärferen Blick auf die eigene Welt bietet. Die Legalisierung von Mord und Diebstahl und die Abgabe der Kontrolle an die Gilden ist brilliant.
Als Karriereratgeber taugt Vimes hingegen nicht wirklich. Er sucht sich zwar auch die richtigen Freunde – tritt aber viel lieber den falschen Leuten gegen das Schienbein . Manchmal benutzt er dazu auch sein Schwert. Dass er nicht in der Gosse stirbt, ist ein unwahrscheinlicher Zufall. Dafür bekommt der aufmerksame Leser über die Scheibenwelt mehr Einblick in politische Systeme, als mancher Politik-Student in seinem Grundstudium erfährt.
Also: Wer verwobene Handlungsstränge, Selbstironie und eine solide Fantasiewelt sucht, sollte sich mal auf die gute Literatur stürzen. Ich empfehle als Einstieg Guards! Guards!, gefolgt von Men at Arms, The Fifth Elephant, The Truth, Night Watch und schließlich Thud!.