Openleaks: Technik ist nicht die Antwort

Nun ist es also endlich soweit: Openleaks geht mit einem halben Jahr Verspätung in den Testbetrieb. Daniel Domscheit-Berg stellt das Modell kurz vor:

On our site, the informant has more choices in determining what happens with his material: he can, for example, give it to a partner of his choosing, for instance, to a newspaper he trusts and where he knows that they have the resources and are also working with material that others leave to the side. In contrast to Wikileaks, Openleaks will not publish any documents itself. We won’t even be able to read the material ourselves – because everything will immediately be locked with codes from our partners.

Lange Rede, kurzer Sinn: OpenLeaks beschränkt sich im wesentlichen darauf, Informationen zu Partnern durchzuschleusen. Aber das wird in meinen Augen den Whistleblowern nicht wirklich helfen. Ein soziales Problem mit Technik zu lösen, hat bisher nur selten geklappt.

Ich bin zwar kein „investigativer Journalist“ der in Parkhäusern Informanten trifft, oder der millardenschwere Betrugsfälle auf dem Tisch hat. Aber ab und an bekomme ich Material zugespielt und Menschen verlassen sich darauf, dass ich ihre Identität wahre oder nicht ausplaudere, was genau sie mir gesagt haben. Und aus diesen Erfahrungen ziehe ich ein paar Schlussfolgerungen:

  • Die Geheimhaltung der Identität vor Journalisten ist nicht das zentrale Problem von Whistleblowern. Statt ein kryptographisch super ausgefeiltes System zu nutzen, kann ein Whistleblower Akten auf ein öffentlich zugängliches Fax legen und in eine beliebige Redaktion schicken. Oder eine E-Mail vom Wegwerfaccount im Internet-Cafe 50 Kilometer weiter. Die Methode ist nicht wesentlich unsicherer als OpenLeaks. Denn:
  • Nicht die Datenübermittlung ist der riskante Part, der soziale Kontext ist es. Organisationen wissen, wer Zugang zu bestimmtem Material hat. Menschen sprechen miteinander und viele Leute haben eine Ahnung was der Kollege zwei Tische oder Türen weiter für ein Typ ist. Also: wenn über OpenLeaks die Geheimunterlagen von Konstruktionsbüro X oder Dienststelle Y auftauchen, wird der Verdacht recht schnell auf den Leaker fallen. Und falls nicht: wer kann schon einen riesigen Skandal auslösen und dann der Versuchung widerstehen, darüber zu reden. Ohne Rückmeldung, was denn mit ihren Daten passiert ist, neigen Whistleblower zu Dummheiten. Siehe Bradley Manning. Siehe Daniel Ellsberg. Eventuell werden sie durch Openleaks in falscher Sicherheit gewiegt.
  • Journalisten brauchen in den allermeisten Fällen Zugang zu ihren Quellen, wenn sie ordentliche Arbeit machen sollen. Man stelle sich vor, man bekommt 5000 interne E-Mails auf den Schreibtisch. Wie stellt man sicher, dass die Daten nicht manipuliert wurden? Wie weiß man überhaupt in welchem Kontext die Nachrichten stehen? Ein Leaker kann Missverständnisse verhindern und viel Arbeit ersparen, in dem er Zusammenhänge erläutert und weitere Quellen nennt.
  • Journalisten können Leaker schützen, indem sie ihnen bewusst machen, wie einfach sie entdeckbar wären. Sie können Publikationen zurückhalten, bis die Quelle aus der Schusslinie ist. Manchmal raten sie der vermeintlichen Quelle auch ab, weil das Ergebnis für die Person so viel gravierender ist als der zu erwartende Gewinn. Noch häufiger sagen sie jedoch ab, weil sie schlicht zu viel auf dem Schreibtisch haben und das angebotene Thema nicht wirklich die Investition zu rechtfertigen scheint. Oder sie wissen nicht ob die Konkurrenz mit der Story nicht schon eine Woche vorher rauskommt. Journalisten können Anker, Ratgeber sein. Natürlich solche mit einem Eigeninteresse und natürlich sind auch sie nicht vor Spionage-Attacken gefeit.
  • Leaken ist kein einfacher Prozess. Nur wenige Menschen können konsequent zwischen Fakt und ihrer Überzeugung, ihren Schlussfolgerungen unterscheiden. Hier hilft Openleaks schlichtweg nicht weiter.

Kurz: der einzige reale Effekt, den ich von OpenLeaks erwarte, ist PR. Redaktionen können sich mit dem Openleaks-Briefkasten schmücken und vielleicht werden ein paar Leute mehr ihr Gewissen entdecken und Skandale aufdecken.

P.S. Der Deutschlandfunk zitiert mich so:

Der Blogger Torsten Kleinz hält das Konzept des anonymen Leakens generell für fragwürdig. Sein Einwand: „Nicht die Datenübermittlung ist der riskante Part, der soziale Kontext ist es.“

Das ist in dieser Zuspitzung falsch. Ich halte das derzeitige Konzept von OpenLeaks für begrenzt sinnvoll — unter anderem weil es keinen Rückkanal beinhaltet. Anonymes Leaken generell lehne ich jedoch keinesfalls ab.

Openleaks – der Flicken an der falschen Stelle?

Derzeit tobt ja der Kampf Openleaks versus Wikileaks, Daniel versus Julian durch alle Gassen. Dabei gehen nicht nur die Inhalte der berüchtigten „cables“ in Vergessenheit, sondern auch das Leaken selbst, das Veröffentlichen von Geheimnissen, die Kontrolle der Macht ist aus dem Blickfeld geraten.

Constanze Kurz hat es bei einer Veranstaltung der Böll-Stiftung richtig gesagt: Ohne eine Organisation wie Wikileaks wären die Depeschen der US-Diplomaten wohl nie so groß veröffentlicht worden. Die meisten NGOs und Zeitungen wären vor dieser gewaltigen Aufgabe zurückgeschreckt. Oder kurzscher ausgedrückt: „Also den Arsch in der Hose muss man erst mal haben.“

Für fast alle anderen Leaks gilt aber: dazu hat es Wikileaks nicht gebraucht. Zumindest im Prinzip nicht. Denn wir feiern Jahrestag um Jahrestag wieder die Erfindung einer Technik, mit der quasi jeder Dokumente weltweit veröffentlichen kann: das Internet. Das World-Wide-Web war nicht als Lesemedium gedacht, sondern sollte vor allem das Publizieren vereinfachen. Wenn Dokumente tatsächlich so brisant sind, dass sie sich selbst verbreiten reicht es aus, die Dokumente einem einigermaßen bekannten Blogger in die Hand zu drücken, auf Google zu stellen oder sogar – wenn es die Kürze erlaubt — in Webcomics einzuschmuggeln.

De facto hat Wikileaks schon vor über einem Jahr das Publizieren eingestellt — und trotzdem ging das Leaken weiter. ACTA-Dokumente, Bankenskandale Geheimberichte der Bundeswehr fanden ihren Weg an die Öffentlichkeit. Für 99,9 Prozent der Fälle gilt: ohne Wikileaks geht es ohne Probleme weiter wie bisher. Wikileaks war nicht die Kommunikationsrevolution, sondern nur das Symptom, eine Entwicklung die eigentlich unvermeidbar war. Halbe Bibliotheken passen auf Daumennagelgröße, das IT-Sicherheitsverständnis der Mächtigen ist unterentwickelt und die Skandalmaschinerie der Medien verlangt nach ständig neuer Nahrung.

Nur um nicht missverstanden zu werden. Leaken ist für Informanten nach wie vor mit hohen Risiken verbunden — ich möchte das nicht klein reden. Aber das Risiko ist zu managen. Beziehungsweise: der Leaker macht sich nicht nur durch die simplen Fehler bei der Datenübermittlung angreifbar. Insofern ist es zwar ganz interessant und ehrenvoll, dass Daniel Domscheit-Berg mit OpenLeaks einen Kommunikationskanal plant, der Informanten unterstützen will, indem er anonyme Kommunikation absichert und Metadaten entfernt.

Aber das deckt eben nur einen sehr kleinen Teil des Leakens ab. Die mutmaßliche Quelle von Wikileaks wurde verhaftet, weil er sich auf anderen Kanälen bemerkbar machte. Ein Whistlerblower, der allein in seinem Kämmerlein sitzt, Dokumente in einen toten Briefkasten wirft und keinerlei Rückmeldung erhält, tendiert dazu sich auf andere Weise sichtbar zu machen.

Zudem: nur in seltenen Fällen ist eine Akte ohne Kontext oder andere begleitende Dokumente schon ausreichend, einen Skandal aufzudecken. Selbst wenn man als Bestandteil eines Systems Informationen zuordnen kann – außerhalb der Organisation sind im Zweifel nur wenige Menschen fähig, die richtigen Zusammenhänge zu sehen. Oder gar die Irrtümer eines Whistleblowers fachgerecht zu sehen. Wikileaks selbst hat es demonstriert: die Redakteure des Collateral Murder“-Videos haben geflissentlich die Waffen der angeblichen Zivilisten am Boden übersehen, haben ignoriert, dass es bereits ein Buch gab, dass die Geschehnisse an diesem Tag in Baghdad beschrieben hatte. Die Bilder waren stark und emotional, der Kontext komplett falsch. Auch so kann man die öffentliche Meinung beeinflussen und sogar Geschichte schreiben.

Lange Rede, kurzer Sinn: ich glaube nicht, dass es derzeit einen Mangel an Publikationsmöglichkeiten gibt. Was fehlt: Organisationen, die Kontexte herstellen können, die es sich erlauben auch Mal 15000 Seiten Aktenmaterial durchzuarbeiten ohne einen Skandal zu finden oder daraus zu konstruieren. OpenLeaks will dies nicht sein. Zusammengesparte Redaktionen haben es schwer, und die öffentliche Aufmerksamkeit ist durch die fortwährende Skandal-Kanonade schon fast taub geworden.

Was benötigt wird ist: guter Journalismus.