Online-Durchsuchung

Es ist nicht immer einfach zu verstehen, wie Juristen ticken, da sie eine eigene Sprache sprechen. Wenn Sie denn mal ins Trivial-Deutsch ausweichen, ist es manchmal erhellend, manchmal auch schmerzhaft. So auch hier:

Warum sich um eine Aufnahme in ein Trainingslager bemühen, wenn das Internet den “verdrahteten Krieger” als eine Art “Universität des Dschihad” alles bietet. Deshalb wirbt Al-Qaida im Internet wie folgt: “O Mudschaheddin-Bruder, um die großartigen Ausbildungslager zu absolvieren, musst du nicht in andere Länder reisen. Allein zu Haus oder mit einer Gruppe von Brüdern, kannst du mit dem Trainingsprogramm beginnen.” (Theveßen S. 86). Täglich schicken die Internetabteilungen diverser Organisationen neue Botschaften ins Web (vgl. Theveßen S. 98). Wer den möglichen Ernstfall vermeiden will, kann auf die Online-Durchsuchung nicht verzichten.

Da fallen mir zwei Dinge ein:

Punkt 1: Wer einen Online-Kurs zum Gottes-Krieger macht, sprengt sich im Erfolgsfalle selbst in die Luft, bevor er einen Anschlagsplan zusammen hat.

Punkt 2: „Online-Durchsuchungen“ sind gegen Online-Straftaten so sinnvoll wie eine gesetzliche gesicherte heimliche Durchsuchung von Fahrzeugen in voller Fahrt auf der Überholspur. Die Durchführung ist verdammt schwer und wenn das Auto steht, dürfte man erheblich mehr finden.

Natürlich gibt es bei „Online-Durchsuchung“ und „Online-Straftat“ eine große Begriffsverwirrung – das gemeinsame Präfix „Online“ sollte aber zu keinen falschen Schlüssen verleiten. Gegen die meisten Online-Übel hilft die Online-Durchsuchung nichts – und wenn man vorher Geheimdienstausschüsse und Ministererlaubnisse durchexerzieren muss, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit gleich Null. Nicht Mal Spammer sind mit solchen Methoden zu fangen.

Reden wir drüber

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamten, Klaus Jansen, hat nach dem Tod eines 17jährigen in Köln ein Anliegen:

Dazu seien besondere technische und psychologische Fähigkeiten und eine entsprechende Qualifizierung des zuständigen Personals nötig. Für diese Weiterbildung müsse auch Geld investiert werden. Auch das umstrittene Thema Online-Durchsuchungen müsse vor diesem Hintergrund noch mal diskutiert werden.

Die Diskussion kann man gerne führen. Sie umfasst exakt einen Satz:

Hier haben wir mal wieder einen Fall, wo eine Online-Durchsuchung absolut unnütz gewesen wäre: man kann keine Computer durchsuchen wenn man nichts von einem Täter weiss.

Vielleicht möchte Herr Jansen seine Internet-Fortbildung machen, bevor er das nächste Mal ein Interview zum Thema gibt?

Wenn die Polizei zum Kopieren kommt

In letzter Zeit wurde viel von kopierten Festplatten erzählt. Da ist es ganz praktsich, wenn sich eine Firma meldet, die ihre Systeme speziell für die Ermittler von LKA und MKA herstellt.

Der Trecorder wurde dazu konstruiert, Festplatten schnell und gerichtsfest zu kopieren. Bei einer Haussuchung können Beamte so die gespeicherten Daten abgreifen ohne die Computer zu entfernen.

Laut Werbung kann der Trecorder bis zu 8,5 Gigabyte pro Minute speichern. Das aber nur, wenn man ihm parallel drei verschiedene Festplatten mit unterschiedlichen Anschlussarten zum Kopieren gibt. In der Praxis wird das aber nie passieren. Wirft man einen Blick in die Excel-Tabelle zum Performance-Test erfährt man: das Kopieren einer handelsübliche Festplatte mit 250 Gigabyte Daten benötigt in der Regel anderthalb Stunden.

Der wackere Schäuble

Die FAZ porträtiert Bundesinnenminister im Licht der Terroranschläge als missverstandenen, aber unverdrossen wackeren Helden.

Zu alledem konnten und wollten die Dienste und der Innenminister wochenlang nichts Konkretes sagen. Schäuble, unterdessen in einem Sturm von Kritik und Verwünschungen stehend, musste darauf hoffen, dass die Zeit ihm recht gebe, und beten, dass er nicht auf blutige Weise recht bekäme. Als der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) am Dienstagnachmittag dieser Zeitung ein Interview übermittelte, sagte er darin wörtlich: „Derzeit haben wir keine konkreten Anhaltspunkte für eine Anschlagsplanung.“ Das war wohl eine falsche Auskunft, denn zur selben Zeit lagen etwa fünfhundert Polizisten rund um das Terroristenversteck im Sauerland auf der Lauer.

Um nicht misszuverstanden zu werden: dass die Polizei ein paar verhinderte Mörder gefasst hat, ist ein großer Erfolg – aber muss man aber so dick auftragen? Denn faktisch stimmt die Lobrede der FAZ hinten und vorne nicht. Es waren eben nicht „zwölf Fässer voller Sprengstoff“. Selbst wenn die Fässer nicht vorher ausgetauscht worden wären, hätte die Polizei gestern lediglich eine brandgefährliche und legal zu erwerbende Substanz gefunden. Auch die Zahl von „fünfhundert Polizisten rund um das Terroristenversteck“ erscheint mir unwahrscheinlich – ansonsten wäre es mehr als peinlich, dass ein Verdächtiger aus dem Haus fliehen und einem BKA-Beamten die Waffe entwinden und diesen anschießen konnte. Zudem wurden ja auch andere Gebäude durchsucht. Dass der FAZ-Autor Sicherheitsbehörden Minister und Strafverfolger für das Vermelden und das Verschweigen von Anschlagsplänen gleichermaßen lobt, erscheint zumindest inkonsequent.

Insofern ist auch die Exklusiv-Information der FAZ – dass nämlich ausgerechnet die umstrittenen Onlinedurchsuchungen zu dem Ermittlungserfolg geführt hätten – auch sehr mit Vorsicht zu genießen. Der gleiche Autor beschreibt nämlich in einem ausführlicheren Artikel jede Menge Ermittlungsarbeit – von der angeblich entscheidenden Onlinedurchsuchung ist da jedoch keine Rede mehr.

PS: In einem Interview mit der Süddeutschen dementiert FDP-Innenexperte Max Stadler dieses Gerücht:

Mit dem Fall bin ich ja nicht ganz unvertraut. Ich kann Ihnen sagen: Nach meinem Wissenstand haben heimliche Online-Durchsuchungen von Festplatten keine Rolle gespielt. Hier hat ganz normale Polizeiarbeit zu diesem Fahndungserfolg geführt, also Telefonüberwachung, Überwachung des E-Mail-Verkehrs, Observationen und ähnliches. Das hat mit Online-Überwachung nichts zu tun.

Vernunft nach dem Rücktritt?

Zwar fordern viele Politiker die Debatte um die Onlinedurchsuchung und das neue BKA-Gesetz zu versachlichen, im gleichen Atemzug schütten sie aber mal eben frisches Öl ins Feuer: da wird fern jeder Kompetenz über die technischen Möglichkeiten spekuliert, der Straftatenkatalog ausgeweitet oder die Hohlphrase vom rechtsfreien Raum im Computer aufs schmerzlichste malträtiert. Auch die Gegner der Onlinedurchsuchung kommen nicht immer ganz ideal rüber.

Eine schöne Ausnahme ist das Interview mit Gerhart Baum, das Kai Biermann für die Onlineredaktion der ZEIT geführt hat. Ein paar Ausschnitte:


ZEIT online
: Gehen Sie davon aus, dass die Onlinedurchsuchung heimischer Computer von Karlsruhe ebenfalls verboten würde?

Baum: Es gibt derzeit eine Reihe von Beschwerden gegen das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz, das die Onlinedurchsuchung erlaubt, darunter eine von mir. Das Verfassungsgericht hat dazu fünf Sachverständige eingeladen, denen das Gericht Fragen vorgelegt hat. Aus denen geht hervor, wie schwierig die Materie ist. Denn die technischen Abläufe haben einen großen Einfluss auf die Beurteilung der verfassungsrechtlichen Situation.

[…]

ZEIT online: Die SPD will auf das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde warten, das Innenministerium aber sagt, diese betreffe das BKA-Gesetz nicht, da sie gegen ein Landesgesetz gerichtet sei und für ein Bundesgesetz keine Auswirkungen habe.

Baum: Das ist eine Ansicht, die ich nicht teile. So wie in Karlsruhe das Verfahren vorbereitet ist, legt es mir den Eindruck nahe, dass das Gericht ein Grundsatzurteil anstrebt. Welches in seiner Bedeutung auch über das Verfassungsschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen hinausgeht. Es ist ohnehin eine merkwürdige Situation. Als wir vor zehn Jahren den Großen Lauschangriff diskutiert haben, ist der Eindruck entstanden, die Sicherheit der Bundesrepublik hinge am Lauschangriff. Wie wir später festgestellt haben, ist das gar nicht der Fall gewesen. Auch jetzt fokussieren wir uns wieder auf eine Maßnahme. Sie wird in ihrer Bedeutung für die Sicherheit hochgespielt. Ich möchte bei dieser Gelegenheit mal fragen, warum die Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis nimmt, dass wir im Internetbereich nur 350 Fahnder haben?

[…]

ZEIT online: Vielleicht, weil wir alle etwas zu verbergen haben, und wenn wir das tun, es auf der Festplatte unserer Computer verbergen?

Baum: Mein FDP-Kollege Burkhard Hirsch hat mal gesagt, die Festplatte ist das ausgelagerte Gehirn. Hans-Dietrich Genscher nannte es mal Seelendepot. Ja, das ist wohl so.

Vielleicht darf man kein politisches Amt bekleiden, um zu differenzierten Äußerungen fähig zu sein.

Technisches Missverständnis

Laut Netzeitung sagt die bayerische Justizministerin Beate Merk folgendes:

In der Auseinandersetzung um die Pläne von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) werde zum Teil «ideologisch verbrämt» diskutiert, kritisierte Merk am Samstagmorgen im Deutschlandfunk. Dabei würden «ganz bewusst Ängste geweckt» und «Horrorszenarien» über flächendeckende Untersuchungen verbreitet. Diese seien in Wirklichkeit jedoch technisch gar nicht möglich.

Das ist ein Missverständnis. Phisher und Virenprogrammierer zeigen, dass das Anzapfen von Hunderttausenden Rechnern kein großes Problem ist. Entsprechende Software ist sogar käuflich erhältlich – wenn man mit Kriminellen ins Geschäfte macht. Die Kritik an der Onlinedurchsuchung gründet sich unter anderem darauf, dass eben der gezielte Einsatz bei Terroristen, Mördern und Kinderschändern (war nicht zunächst nur von internationalem Terrorismus die Rede?) technisch zwar nicht unmöglich, aber in den meisten Fällen unrealistisch ist.

PS: Das Interview ist jetzt online. Das Zitat in lang:

Die Technik allein ist sehr kompliziert, sodass wir nicht sagen können, das wird sehr oft angewandt, sondern das wird nur bei schwersten Delikten, also bei Mord, bei Terror bzw. was ich immer wieder sage, auch im Fall von Kinderpornografie ganz massiv ist. In solchen Fällen wird man mit Online-Durchsuchungen arbeiten und nicht in anderen Fällen. Wir müssen wegkommen von diesen Gespensterdebatten, von diesen Horrorszenarien, dass eine flächendeckende Durchsuchung gemacht würde, geplant wäre oder überhaupt technisch möglich wäre.

Strafanzeige gegen das Bundesinnenministerium?

Verknüpfen wir mal zwei Dinge aus den letzten Wochen:

Fakt1: Vor kurzem trat der Paragraph 202c StGB in Kraft. Ein Gesetz gegen Hackerprogramme.

(1) Wer eine Straftat nach § 202a oder § 202b vorbereitet, indem er
1. Passwörter oder sonstige Sicherungscodes, die den Zugang zu Daten (§ 202a Abs. 2) ermöglichen, oder
2. Computerprogramme, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat ist, herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verkauft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Fakt 2: Das Bundesinnenministerium hat eingestanden, ein solches Programm hergestellt zu haben. Ohne gesetzliche Befugnis.

Möchte vielleicht jemand Strafanzeige erheben?

„Strafanzeige gegen das Bundesinnenministerium?“ weiterlesen

Onlinedurchsuchung durchdringt die Medien

Ich bin ja in letzter Zeit positiv überrascht vom WDR2-Morgenmagazin. Obwohl die Sendung sich zweifellos an die breite Masse richtet, lässt es sich die Redaktion nicht nehmen, kompetent über Digitalkrams zu berichten. So wurde beispielsweise das Jugendschutz-Handy als Alibi-Veranstaltung bezeichnet, die Redakteure steuern auch zu China-Hackern, Onlinedurchsuchung und Co ihr Scherflein bei.

Heute morgen gab es sogar einen kleinen Sketch zur Onlinedurchsuchung. Anruf beim Finanzamt: Der Anrufer erkundigt sich, ob das Finanzamt ihm eine Mail geschickt habe. Der Finanzbeamte lässt sich die Mail weiterleiten, öffnet sie – und bekommt vom Bundestrojaner die Festplatte gelöscht.

Sicher ist das ein Flachwitz, aber mir gefiel er. Leider gibts den Sketch nicht zum Download – ob er wiederholt wird, konnte mir die Hörerredaktion leider auch nicht verraten.

Ach ja: Bei Markus gibts noch einige Links zur Bundestrojaner-Berichterstattung.

PS: Einen ähnlichen Witz als Cartoon gibt es hier.

Big Bauhaus is watching you

Heise schreibt:

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und Politiker der Union haben sich anlässlich des Jahrestages der misslungenen Kofferbomben-Anschläge am morgigen Dienstag derweil laut ddp besorgt über die Terrorgefahr in Deutschland geäußert. Der stellvertretende GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut betonte, der zunehmende Reiseverkehr verdächtiger islamischer Extremisten zwischen dem Irak und der Bundesrepublik sei „alarmierend“. Die gescheiterten Anschläge hätten gezeigt, dass die Terroristen „nicht mehr nur auf groß angelegte Operationen setzen müssen.“ Vielmehr würden „eine Handvoll verblendeter und überzeugter Anhänger“ ausreichen, „die sich die Zutaten für eine Bombe im Baumarkt zusammenkaufen können“.

Die Marschrichtung ist klar: Zusätzlich zur Online-Durchsuchung muss die Live-Kundenüberwachung eingeführt werden. Die Infrastruktur von Payback & Co könnte genutzt werden, um bei verdächtigen Einkäufen sofort Alarm zu schlagen. Will zum Beispiel jemand Nägel oder Schrauben kaufen, die in Splitterbomben platziert werden können werden seine Kundendanten sofort an das BKA übermittelt. Falls der Betreffende bar zahlt, wird ihm schnell und unauffällig eine DNA-Probe entnommen.

Skeptisch? Nicht anwendbar? Bei Fletchers Visionen hat ein ähnliches System durchschlagenden Erfolg gehabt. Aprospos: die schwarzen lautlosen Hubschrauber müssen unbedingt auch ins BKA-Gesetz.