Schengen-Routing? Nur zu, aber ohne Gesetze

Als ich das erste Mal von „E-Mail made in Germany“ gehört habe, dachte ich: Nur zu. Warum habt ihr so lange gewartet? Die Erklärung von Telekom, United Internet und Freenet, dass sie ihre E-Mails endlich beim Transport verschlüsseln wollten, war zumindest ein Hoffnungsschimmer. Dass die Teilnehmer dieser „Allianz“ ein besonderes Symbol bekommen sollten, wo sie in Sachen E-Mail-Sicherheit zum Beispiel Google so weit hinterherhinkten, war zwar etwas gewagt — aber jeder kämpft mit seinen Mitteln um Marktanteile. Google installiert dafür Google Mail auf fast allen Smartphones.

Ähnlich dachte ich beim „Schengen-Routing“ oder dem verspotteten #schlandnet: Das Internet ist zwar sehr auf weltweite Verbindungen angewiesen. Aber die Router schießen Datenpakate aber nicht aus purer Freude und Übermut über den Atlantik. Sie sind so eingestellt, dass sie die schnellste oder günstigste Route nehmen. Wenn nun also die deutschen, europäischen oder schengenräumischen Anbieter mehr gute und günstige Verbindungen aufbauen wollen: Nur zu. Das könnte sogar etwas an den Abends stockenden YouTube-Videos ändern, die Google natürlich nicht jedesmal aus Amerika herübersendet, sondern aus den in Europa angesiedelten Rechenzentren und Zwischenspeichern. Und: Der GCHQ bekommt etwas weniger zum Schnüffeln — zumindest nicht direkt ins Haus geliefert.

Kein Telekom-Zwang per Gesetz!

Problematisch wird es aber dann, wenn dieses Routing in Gesetze gegossen werden soll. Dann wird es hoch problematisch. Die Deutsche Telekom verwies auf der Konferenz Cyber Security Summit zwar wiederholt daraufhin, dass auch andere Länder solche Routing-Regeln hätten. Mir fielen da spontan nur China, Iran, Kuba und Co ein. Auf wiederholte Nachfrage nannte der Telekom-Vorstand dann die USA als Beispiel. Da dort fast alle wichtigen Tier-1-Provider, Facebook, Google und Apple sitzen, dringt natürlich wenig Datenverkehr nach außen. Zudem gebe es im Telekommunikationsbereich Vorschriften, den Telefonverkehr nicht über anderen Länder zu leiten. Die Amerikaner wissen warum. Wenn man den Enthüllungen Snowdens glauben mag, nutzten sie Kooperationen ihrer eigenen Telekom-Konzerne, um in Netze anderer Länder einzubrechen.

Doch Telefonverkehr ist nicht das Internet. Es gibt keine Ländervorwahlen und viele der obsoleten Telekom-Vorschriften greifen nicht mehr. Der BND nutzt diese Erkenntnis angeblich, um das ganze Internet zur Auslandskommunikation zu erklären. Darüber sollten wir, darüber sollte der Gesetzgeber dringend reden. Auch mit Schengen-Routing kann man keine brauchbare Trennung zwischen geschützter und ungeschützter Kommunikation ziehen. Auch wenn ich per Facebook oder Skype kommuniziere, sollte meine Telekommunikation nach Grundgesetz vor dem deutschen Staat geschützt sein. Und ein Gesetz, das so tut, als ob Deutsche nur ihre T-Online-E-Mail nutzen, ginge an der Realität vorbei.

Das Internet muss flexibel sein. Man stelle sich vor, ein Gesetz zwingt die kleinen Anbieter mit dem einen großen deutschen Telekom-Konzern so weit zu kooperieren, wie es technisch und wirtschaftlich nie erreichbar wäre. Eine Störung bei der Telekom würde das gesamte deutsche Netz ins Wanken bringen. Denn die Verbindungen zu US-Anbietern wie Level3, die durch Telekom-Verbindungen ersetzt worden wären, wären flugs überlastet. Zudem wäre es ein bequemer Unterpfand für die Pläne der Telekom, für die Nutzung des eigenen Netzes von Content-Anbietern wie YouTube Geld zu kassieren. Denn wenn die US-Konkurrenz gesetzlich ausgesperrt oder gebremst würde, flösse mehr Verkehr über die Telekom. Wenn die an der einzigen Hochgeschwindigkeits-Anbindung ins deutsche Netz ein Mauthäuschen aufbaut, dann müssen die Großspediteure wohl oder übel zahlen. Gibt es mehrere gleich gut ausgebaute Zufahrten, wer soll ausgerechnet die Mautstrecke nehmen?

Eine AG kann keine Geschenke verteilen — und tut es nicht.

Natürlich hat die Telekom recht, wenn sie die vielen Forderungen nach Netzausbau, Qualität und Neutralität mit den Frage beantwortet: Wer soll das bezahlen? Die Politik hat entschieden, die Telekom zu einer Aktiengesellschaft zu machen, sie ist daher profitorientiert und kann nicht pausenlos Geschenke verteilen, weil es der Politik gefällt. Kapitalanleger verlangen, dass sich Investitionen in fünf Jahren bezahlt machen. So baut man kein Glasfasernetz. Vielleicht lernen Kapitalanleger ja dazu.

Die Umkehrseite heißt dann aber auch: Mit der Telekom gibt es kein informelles quid pro quo. Wenn die Politik dem Konzern Einnahmen in Höhe von einer Milliarde Euro zuschustert, darf der sich gar nicht in den deutschen Netzausbau pumpen, wenn ein Investment im Ausland so viel lukrativer erscheint. Wenn ich also lese, dass Bundesinnenminister Friedrich das Deutschland/Schengen-Netz in ein vermeintliches, höchstwahrscheinlich missverstandenes Sicherheitsgesetz gießen will und die Telekom gleichzeitig um umfangreiche Regulierungserleichterungen, sogar „Regulierungsferien„, lobbyiiert, liegt ein solcher politischer Tauschhandel nahe: Eine vermeintlich verbesserte Sicherheitsinfrastruktur wird gegen Wettbewerbsvorteile eingetauscht. Und der Bund muss nichts bezahlen, spart sogar ein paar Stellen bei der Bundesnetzagentur.

Ein solcher Handel wäre jedoch ein Kuhhandel. Die Sicherheitserhöhung ist nur marginal, wenn die Anbieter endlich aufwachen und ihre Verbindungen verschlüsseln — und was der BND tut, sollen wir eh nicht erfahren. Die Auswirkungen auf das Internet, den Wettbewerb und die Rechtssicherheit von Angeboten wäre jedoch beträchtlich. Wenn US-Anbieter auf unzulässige Weise in den Markt eingreifen, um Herrschaft über Datenleitungen zu bekommen, dann sind die Wettbewerbsbehörden gefragt.

Merkelphone — und nun?

Zunächst einmal: Ja, die Häme ist gerechtfertigt. Wir haben gesehen, wie der NSA-Skandal von der Bundesregierung öffentlich abgefertigt wurde. Optimisten konnten sich zwar irgendwie zusammenreimen, dass die Bundesregierung hinter den Kulissen daran arbeitet, der US-Regierung Grenzen aufzuzeigen. Falls es einen solchen Dialog gegeben haben sollte, so hat die Presseerklärung der Bundesregierung von gestern gezeigt: Dieser Dialog hat nichts gebracht.

Ob es den Dialog gegeben hat, kann man in Zweifel ziehen. So sagte Wolfgang Bosbach heute morgen im Deutschlandfunk:

…ich glaube, dass die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin auch deshalb so empört sind, weil gerade die Bundesregierung doch in ihren Reaktionen eher zurückhaltend war.

Diese Haltung ist merkwürdig. Es ist die Hoffnung, wenn man nur den Kopf unten hält, wird man schon nett behandelt werden. Doch Deutschland ist nicht Dänemark, Machtpolitik kann unsere Regierung selbst. Wenn ihr an dem Thema etwas liegt. In Sachen Autoindustrie halten wir unsere Köpfe auch nicht unten.

Im gleichen Interview wurde Bosbach noch etwas grundsätzlicher:

Nein, denn wir können nicht die Freiheit dadurch verteidigen, indem wir sie schrittweise abschaffen. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob ich Telekommunikation überwache bei begründetem Tatverdacht zum Zwecke der Gefahrenabwehr, oder ob ich weltweit Daten sammele, und zwar völlig unabhängig davon, ob ein Verdacht vorliegt oder nicht, nach dem Motto, wenn ich den gesamten Telekommunikationsverkehr überwache, auch von völlig unbelasteten unschuldigen Bürgerinnen und Bürgern, dann werden schon die Informationen dabei sein, die wir zur Gefahrenabwehr brauchen.

Was er da beschreibt, ist nicht nur die NSA-Ausspähung, sondern auch die Vorratsdatenspeicherung, die Bosbach sehr befürwortet. Hier wie dort geht es darum Daten von „unschuldigen Bürgerinnen und Bürgern abzuspeichern“ um dann nachher die Daten herauszufiltern, die man zur Gefahrenabwehr benötigt.

Der einzige Unterschied: Hier sollen die Daten bei den Providern zwischengelagert werden, dort landen die Daten direkt auf den NSA-Festplatten. Ist das genug Unterschied, um den Rechtsstaat auf der einen, aber nicht auf der anderen Seite zu sehen? Theoretisch vielleicht ja, praktisch jedoch nein. Wir haben in den letzten Jahren auch in Deutschland eine zunehmende Datenbankgläubigkeit und eine Aufweichung der Grenzen gesehen. Datenabfragen wie die Handyinformationen Zehntausender Demo-Besucher werden von den Gerichten routinemäßig abgefragt und landen dann in Dateien — irgendwo zwischen Geheimdiensten und Strafverfolgern. Ganze Stadien werden kriminalisiert. Männer zwischen 14 und 64 — haltet Eure DNA bereit.

Wenn die Bundesregierung auch nicht in der Lage sein mag, die NSA aus Deutschland auszusperren, wenn es naiv sein mag, dass man Geheimdiensten rechtsstaatliche Grenzen aufzeigen kann, kann die Bundesregierung ein Zeichen nach innen setzen.

Ich bin kein fundamentalistischer Vorratsdatenspeicherungs-Gegner. Wenn wir Autonummernschilder haben, wenn wir unsere Buchhaltung über 10 Jahre ablegen und auf Verlangen vorzeigen müssen, wenn wir biometrische Personalausweise akzeptieren und mit Fingerabdruck zahlen, dann fällt es schwer, den Online-Bereich als große Ausnahme zu definieren.

Doch warum sind die Argumente für die Vorratsdatenspeicherung nur so schlecht? Was Berlins Justizsenator — ich vermute Mal als Ansage für die Große Koalition (oder gar als Bewerbung für den Posten des Bundesinnenministers?) in der FAZ veröffentlichte spottet jeder Beschreibung.

Angefangen mit Statistik-Verblödung

der Bericht des CRIM-Komitees des Europäischen Parlaments, der in der vergangenen Woche erschienen ist, beziffert die Schäden durch Cyber-Kriminalität auf 290 Milliarden Euro. Jeder private Internetnutzer in Deutschland wird im Schnitt um mehr als 200 Euro im Jahr betrogen.

…über die Gesellschaftsphilosophie-Dribbling…

Die Frage stellt sich ähnlich im Privatsektor. Bekomme ich einen Vertrag, bei der Bank, bei dem Telefonanbieter oder bei der Krankenversicherung? Als Bürger weiß ich nicht, für wen ich ein Risiko darstelle und schon gar nicht, warum.

…hin zu „Ich kenne Kriminalität eigentlich nur aus dem Tatort“.

Straftäter, die das Internet missbrauchen, lassen sich durch solche Regeln leider nicht beeinflussen. Was sie tun, ist heute schon strafbar – theoretisch. Praktisch arbeiten die Täter aus der Distanz und bleiben unerkannt. Sie greifen mit ausspähender Hard- und Software an, die sie bequem im Internet bestellen können. […] Die Strafverfolgung ist auch deswegen erheblich erschwert, weil die Täter keine realen Spuren hinterlassen. Deshalb müssen die wenigen Spuren, die sie bei den Telekommunikationsunternehmen hinterlassen, dort sechs Monate erhalten bleiben.

Besonders bezeichnend fand ich die Begründung, warum er den Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ nicht mehr will. Die Wahrheit ist — davon bin ich fest überzeugt — die Deutschen wollen keine Vorratsdatenspeicherung, selbst wenn sie nicht so recht verstehen, was das Wort bedeutet.

Das wird unter der etwas irreführenden Bezeichnung Vorratsdatenspeicherung diskutiert. Denn gespeichert wird dort nichts extra, sondern Daten, die da sind, werden heute schnell gelöscht – in der Regel zu schnell, um einige dieser Daten zur Ermittlung von Internettätern noch per Gerichtsbeschluss der Polizei zu übergeben.

Man kann sich das mehrmals durchlesen und es ergibt keinerlei Sinn. „Vorrat“ heißt nicht, dass es um eigens erfasste Daten geht, das steckt in der Wortbedeutung nicht drin. Daten werden mal schnell, oft viel weniger schnell gelöscht, und die Kriminellen, die Herr Heilmann benennt, wird man damit allesamt nicht ermitteln. Vielleicht aber erwischt man viel mehr Leute, die ein paar Musikalben oder Serien kostenlos aus dem Netz geladen haben — die zählen sicher zu den Schadenssummen, die Heilmann oben dem kleinen Mann zugerechnet hat. In Wahrheit sind es wohl 200 Euro, die der Verbraucher mehr zahlen soll, und damit nicht mehr in den zuweilen kreativen Verluststatistiken der Industrie auftauchten.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn die Bundesregierung sich über die NSA empört, kann sie Botschafter einbestellen und Handies austauschen — es ändert nichts. Wenn sie ein Zeichen setzen will, muss sie das hier tun. Und ihre Bürger nicht für doof verkaufen.

Das ist nicht Star Trek

Patton Oswalt ist hierzulande vielleicht am ehesten bekannt als „Spence“ aus der Serie „King Of Queens“. Der liebenswerte Nerd aus der Nachbarschaft, der keine Frau abkriegt, übergewichtig ist und sich aus Verzweiflung von seinen Freunden als der letzte Dreck behandeln und manipulieren lässt. Wer sich Oswalts Standup Comedy ansieht, erlebt eine Überraschung: Der kleine dicke Mann hat es faustdick hinter den Ohren, ist souverän und brilliant. Und er kommt bei Frauen an.

Und doch… Und doch hat er eine Geschichte über sich als Star-Trek-Fan. Sein Physik-Professor hatte in einer Prüfung eine Aufgabe gestellt, in der er Star-Trek-Charaktere benutzte, um seine Schüler zu motivieren. Der junge Patton Oswalt marschierte während der Prüfung nach vorne und korrigierte den Fehler, dass nicht Spock, sondern irgendjemand andere der TOS-Crew die Phaser abfeuert. Er ist halt doch Nerd. Wenn auch nicht die weichgespülte Sitcom-Variante.

Ich bin kein Trekkie. Ich habe „The Next Generation“ als Jugendlicher verschlungen, habe aber absolut kein emotionales Verhältnis zu Kirk, Picard oder gar Deanna Troi. Den neusten Film habe ich nicht gesehen, „Enterprise“ war ein Reinfall und wer glaubt, aus Star Trek Lehren für’s Leben ziehen zu können, hat mein Mitleid sicher.

Und doch… Als ich in den letzten Tagen immer mehr Meldungen in meiner Timeline sah, dass der NSA-General Keith Alexander die Brücke der Enterprise nachgebaut habe, um Parlamentariern zu imponieren und sich immer neue gesetzlichen Vollmachten zu sichern, da dachte ich vor allem eins:

DAS IST NICHT STAR TREK.

DAS IST NICHT DIE ENTERPRISE.

Tatsächlich steht in dem acht Seiten langen Artikel auf Foreign Policy dieser Absatz:

When he was running the Army’s Intelligence and Security Command, Alexander brought many of his future allies down to Fort Belvoir for a tour of his base of operations, a facility known as the Information Dominance Center. It had been designed by a Hollywood set designer to mimic the bridge of the starship Enterprise from Star Trek, complete with chrome panels, computer stations, a huge TV monitor on the forward wall, and doors that made a „whoosh“ sound when they slid open and closed. Lawmakers and other important officials took turns sitting in a leather „captain’s chair“ in the center of the room and watched as Alexander, a lover of science-fiction movies, showed off his data tools on the big screen. „Everybody wanted to sit in the chair at least once to pretend he was Jean-Luc Picard,“ says a retired officer in charge of VIP visits.

Alleine: Wer Star Trek irgendwann mit wachen Augen gesehen hat, könnte sich fragen: Wo waren auf der Enterprise „chrome panels“? Wer dann noch die magische Gabe des Googelns beherrscht, stößt schnell auf die Bilder des Information Dominance Centers (Really? Are you fucking kidding me?).

Es stellt sich heraus: Der Raum in Fort Meade sieht irgendwie spacy oder science fictiony aus. Mit Star Trek hat er aber nichts gemein außer einem großen Bildschirm. Die Captains bei Star Trek saßen nicht alleine vor einem großen Screen, es gab keine Glaswände oder runde Chromlemente, jedes Bedienelement war auf eine typische Art platziert, die absolut nichts mit dem Informations-Showroom der Army (nicht der NSA) zu tun hat. Nicht mal die Farben sind ähnlich oder die Form der Räume. Hätte nicht irgendein ungenannter Angestellter diesen plastischen, aber nun mal falschen Vergleich angebracht — niemand würde in den Fotos Star Trek wiedererkennen. Zumindest niemand, dem ich zutrauen würde, sein Auto auf dem Parkplatz wiederzufinden. Die sehen doch irgendwie alle gleich aus. Sie haben ein Dach.

Den Vogel abgeschossen hat Felix von Leitner, der in der FAZ sogar fantasierte, dass Star Trek eine allzu passende Parabel auf die Machtgelüste der NSA seien. Passenderweise hat die Redaktion bei der Bebilderung Captain Kirk mit Captain Picard verwechselt. Da fällt es nicht so sehr auf, dass Star Trek weder blaue LEDs erfunden hat, noch unkritisch gegenüber der zentralen Staatsgewalt war. In der Tat waren Admiräle und Botschafter in TNG ein Rudel inkompetenter, krimineller oder machtvergessener Idioten. Die Geheimdienste wurden in Star Trek sogar dämonisiert, ein finsterer NSA-Admiral will sich gewiss nicht mit Section 23 31 vergleichen? Oder dem Tal Shiar, der über Leichen geht?

Ich bin kein Trekkie. Wirklich nicht. Dies ist eine Lektion, wie eine Suggestion nicht hinterfragt wird, wie ein popkulturelles Meme unser Wahrnehmung so weit beeinflusst, dass unsere Augen kein Mitspracherecht haben. Ich bin kein Trekkie. Wirklich nicht.

Es ist keine Spähaffäre

Am Wochenende sah ich einem Kiosk die Schlagzeile der „Welt“: Online-Banking im Visier der Geheimdienste“. Und ich stoppte für zwei Sekunden und dachte nur: NEIN. Das ist eben nicht die Neuigkeit. Wisst ihr denn gar nichts??? Und dann sah ich darunter die Überschrift: „So erleben Sie die interaktive Zeitung“. Und ich dachte mir nur: Ja. Ihr wisst nichts.

Um es klar zu sagen: Online-Banking ist nicht im Visier der Geheimdienste. Sie scheren sich einen Dreck darum, wann ihr die GEZ-Gebühren überweist, wie viel Nebenkosten ihr für Eure Wohnung überweisen müsst und ob Euer Dispo 700 Euro oder 1200 Euro ist. Es sei denn… Es sei denn, es ergibt sich ein Muster. Es ist der Zauber von Big Data, dass quasi alles ein Muster ergeben kann.

Die öffentliche Wahrnehmung kann noch nicht wirklich damit umgehen. Die seriöseren Medien haben den NSA-Skandal zur „Spähaffäre“ gemacht. Das klingt sachlich, ein wenig abstrakt, nicht allzu anklagend und ergibt eigentlich überhaupt keinen Sinn. Denn wer späht denn da was aus? Das Bild stimmt einfach nicht mehr. Es gibt keinen Techniker, der in einem Hauptquartier mit großen Kopfhörern sitzt, und gezielt unsere Gespräche mitschneidet, keine Geheimagenten, die uns in verfänglichen Situationen fotografieren. Das heißt: diese Leute gibt es zwar noch, aber sie sind nicht Teil des NSA-Skandals.

Korrekter wäre wohl „Speicherskandal“. Denn das ist es, was NSA und ihre Partner in vielen anderen Ländern machen: Sie entreißen die Kommunikation von Milliarden Menschen ihrer Umgebung und speichern sie in gewaltigen Rechenzentren ab. Und weil selbst die gewaltigsten Kapazitäten und Geheimbudgets nicht ausreichen, wirklich alles zu speichern, suchen die Geheimdienstanalysten nach Mustern, um zu entscheiden, was mehr als ein paar Tage auf den Datenspeichern bleiben soll.

Doch „Speicherskandal“ klingt langweilig. Denn unsere gesamte Kommunikation besteht daraus, dass Daten gespeichert, kopiert und weitergesandt werden. Die NSA oder die GCHQ oder irgendwer anders setzt einen Speichervorgang hinzu und liest diese Informationen wahrscheinlich nicht einmal? Wo ist das ein skandal, wenn man das mit Facebook vergleicht, mit dem Datenhunger von Google, Apple, Amazon , die uns tatsächlich überzeugten, es wäre viel besser, wenn wir unsere Daten nur noch leihweise kontrollierten. Haben wir wirklich erwartet, dass Geheimdienste still im Kämmerlein sitzen und das Internet an sich vorbeiziehen lassen. Das nennt ihr einen Skandal? Get real!

Doch: Es ist ein Skandal, und zwar kein kleiner. Denn die allumfassende Speicherung von Daten, die ihren Kontexten entrissen wurden, ist nicht nur ein Vertrauensbruch. Die Geheimdienstler, die unsere Techniken systematisch schwächten, haben auch an den Grundfesten gerüttelt, auf denen das Internet aufgebaut wurden. Große Worte, aber was heißt das?

Nun: Die vielen stückweisen Enthüllungen von Edward Snowden geben uns einen Vorgeschmack. Denn Snowden macht dies ohne erkennbares Gewinnstreben und hat sein bisheriges Leben weggeworfen. Wie viele andere NSA-Leiharbeiter da draußen gibt es, die vermeintlich schlauer waren, und diese Informationen weiterverkauft haben? Oder die nicht schlauer waren, sondern selbst abgelauscht wurden? Wie viele Millionen Informatiker kann China drauf ansetzen, die Schwachstellen zu finden, die die NSA offen gelassen hat? Digitale Horchposten sind keine Einbahnstraße. Was Richtung Utah geschickt wird, landet vielleicht auch in Peking. Dass die USA chinesischen Hardwareunternehmen unterstellen, Spionagekomponenten einzubauen — soweit ich weiß ohne bisher Beweise geliefert zu haben — lässt erahnen: Was machen die US-Hardwareunternehmen? Doch was hat das mit uns zu tun? Als Politiker, der Freihandelsabkommen oder Militärschläge beraten muss, würde ich kein Outlook einsetzen wollen, kein GMail, kein Windows. Ich würde übrigens auch nicht auf eine Yandex-Alternative setzen oder das Rote-Fahne-Linux einsetzen. Und der Normalbürger?

Ja, der Normalbürger kann sich in der „Ich habe nichts zu verbergen“-Illusion sonnen. Denn den NSA interssiert nicht wirklich, mit wem Max Mustermann Geschlechtsverkehr hat, welche Medikamente er nimmt, ob er hinterrücks falsche E-Mails verschickt um einen Kollegen anzukreiden. Die Geheimdienste durchwühlen Eure Daten und lassen meist keine Spuren zurück. Meist. Bisher.

Eine der beunruhigendsten Enthüllungen der letzten Zeit stammt von vergangener Woche und sie hat für wenig Aufsehen gesorgt: Demnach wurden nicht nur Milliarden Telefondaten an die Geheimdienste weitergegeben, sondern auch eine spezialisierte Einheit aufgebaut, die den Beweisprozess verfälschte. Kurz gesagt: Die Geheimdienste sollen in ihrer gewaltigen extra-legalen Datenbank Spuren gesucht haben und dann anderen Strafverfolgern den Tipp gegeben haben, welche legalen Daten denn zu einem Erfolg führen konnten. Vor Gericht landeten dann eben nur die offiziellen Polizei-Erhebungen. Wie sie denn darauf kamen, Anschluss XYZ abzuhören oder das Hotmail-Konto von Zeugen ABC ausliefern zu lassen — wer weiß das schon? Solide Polizeiarbeit halt.Und dennoch — warum sollte das den Normalbürger interessieren, der nichts verbrochen hat?

Weil es ihn auch treffen kann. Mit einer zunehmenden Wahrscheinlichkeit. Denn jeder muss sich nur die rechte Spalte auf Facebook ansehen, um zu erkennen, wie fehlerhaft Big Data doch ist. Die Technik hinter Facebook-Anzeigen ist im Prinzip nicht viel anders als das, was Geheimdienstanalysten machen: Sie suchen Muster in Deinen Postings und denen Deiner Friends und versuchen daraus Schlüsse zu ziehen. Dazu kommen noch allerhand Mutmaßungen, IP-Daten und ein Schuss Werbe-Voodoo. Dass sie damit in 999 von 1000 Fällen falsch liegen müssen, ist ja egal. Bei Facebook macht die Masse der Klicks das Versagen weniger relevant, bei den Geheimdiensten wird die Erfolgskontrolle systematisch verhindert. Und das nicht nur, weil erfolgreiche Geheimdienstarbeit spektakuläre Anschläge verhindern mag, sondern weil die Kontrollgremien irrelavant gemacht wurden. Und die interne Kontrolle der NSA so motiviert ist wie die Doping-Kontrolle zur Zeiten von Lance Armstrongs großen Tour-Erfolgen.

Das Teuflische an Big Data ist auch: Es wird Dich niemals entlasten. Die Verdachtsmuster summieren sich von mal zu mal und niemand kann Dir sagen, was denn zu einem Rabatt führt. Du hast 80 Mal das Flugzeug benutzt, ohne dass Du aufgefallen bist? Mach Dich nicht lächerlich: Auf der No-Fly-Liste gibt es keinen Rabatt. Und wir haben immer mehr solcher Listen.

Mir gehen die Metaphern aus. Es ist als ob jedes millionste Auto auf Kommando explodiert? Nein, es explodiert nicht, du Idiot. Du musst bei jedem dritten Flug zwei Stunden mehr warten. Dein Gepäck wird durchsucht. Deine Telefonrechnung, von der Dich nur der Endbetrag interessiert, landet für einen Sekundenbruchteil im Arbeitsspeicher eines Analysten, der rauszukriegen versucht, wer Geld nach Syrien überweist. Oder ob ihn sein Freund betrügt — wer weiß das schon?

They just won’t stop

Es ist der übliche Weg eines Skandals: Eine Verfehlung wird aufgedeckt, der Betreffende wehrt sich vielleicht für eine Viertelstunde, fühlt sich falsch verstanden, beschuldigt seine Gegner — schließlich muss er aber doch Abbitte leisten und verspricht Besserung. Leute werden entlassen, Verhaltenskodizes aufgestellt, Gesetze geschrieben. Sie bringen vielleicht nichts, aber der Skandal bekommt seine Genugtuung.

Im Falle NSA, GCHQ und BND passiert dies nicht. Niemand wird entlassen, niemand gelobt Besserung, Gesetze werden nicht umgeschrieben. Es bemüht sich nicht einmal jemand wirklich. Zumindest niemand, der tatsächlich die Möglichkeit hat, etwas zu ändern.

Die G-10-Kommission mag es nicht so sehen, aber für mich ist mittlerweile klar: die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste funktioniert nicht. Allein schon aus demokratisch-technokratischer Sicht: Dass sich der NSA dem GCHQ mal eben 100 Millionen Pfund zukommen lässt und die Haushaltspolitiker beider Seiten des Atlantiks merken nichts davon — das ist eine rote Karte. Das Budgetrecht des Parlaments ist eine Keimzelle der Demokratie. In Deutschland wurde der Absolutismus durch die Bürokratie abgeschafft, nicht durch Revolutionen. Dass Parlamente den Königen das Haushaltsrecht entzogen, war das Ende der meisten Könige in Deutschland.

Abseits dieser formal-kalten Argumentation gibt es ein Problem: Wir können dem Skandal keine Gesichter geben außer das des Werkvertrags-Verräters Edward Snowden. Wo sind die Opfer der NSA, der Spionage. Die nach Schnellkochtöpfen googelnden Mittelständlerfamilien sind es schon mal nicht. Khaled al-Masri, der vom CIA entführt wurde? Vielleicht. Aber wer kennt noch al-Masri und will mit ihm zu tun haben? Die Hunderttausenden, die an Flughäfen schikaniert werden, weil sie auf nicht einsehbaren Listen standen? Vielleicht. Aber was ist etwas Unbequemlichkeit am Flughafen, wenn es um Sicherheit geht?

Sicherheit — das ist ein ambivalentes Schlagwort. Die einen meinen damit Anschlagsverhinderung und die Gewissheit, dass der ADAC auch morgen noch seine Schutzbrief-Verpflichtungen erfüllt. Sicherheit heißt für andere, dass der Staat nicht durch ihr Privatleben wühlt. Doch wer das Privatleben wirklich durchwühlt, sind die gar nicht so geheimen Polizeibehörden, wie zum Beispiel der Fall Andrej Holm zeigt. Der NSA observiert nicht, der NSA schickt keine V-Männer, die andere zu Straftaten ermutigen, der NSA dreht der Polizei eine lange Nase. Wie sich Polizisten derzeit vorkommen müssen, denen man die Vorratsdatenspeicherung — aus guten Gründen — versagt hat, kann man sich vorstellen. Wo ist das Verfassungsgericht, wenn es um NSA geht? Nirgends. Wer wird klagen? Und wogegen konkret?

Es läuft doch alles nach Gesetz. Irgendein Gesetz. Irgendwo. Die das Gesetz beschlossen, kennen es vielleicht nicht — egal. Die Dienste haben vielleicht nicht recht, aber sie haben das Recht. Sie müssen sich nicht schämen, müssen nicht Abbitte leisten. Sie müssen sich nicht ändern. Denn niemand zwingt sie.