Geht es überhaupt um die App?

Viel Häme ist nach der Verleger-Klage gegen die Tagesschau-App vergossen worden. Doch hören wir den Verlegern Mal zu. Dass Umwälzungen stattfinden müssen, ist eine Binsenweisheit. Doch niemand kann ernsthaft fordern, dass uns alle Änderungen auch tatsächlich gefallen.

Mathias Döpfner erklärt heute in der Süddeutschen:

Es geht um die Medienordnung in Deutschland. Die Apps der mit Gebühren finanzierten Sender beschreiben eine symbolische und faktisch außerordentlich problematische Entwicklung. Wir klagen, weil wir überzeugt sind, dass die App gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstößt. Im Rundfunkstaatsvertrag, Paragraph 11d, Absatz zwei, Ziffer drei, steht: Nicht sendungsbezogene, presseähnliche Angebote sind unzulässig. Die Tagesschau-App ist sehr eindeutig presseähnlich und nicht sendungsbezogen, also nicht zulässig.

Und Konzern-Kollege Christoph Keese sekundiert im Handelsblatt:

Worum geht es? ARD und NDR betreiben eine textbetonte Ausgabe der „Tagesschau“, die privaten Nachrichtenangeboten zum Verwechseln ähnlich sieht. Sie wird in Apples AppStore kostenlos angeboten und wurde seit ihrem Erscheinen vor einem halben Jahr 1,7 Millionen Mal auf iPhones und iPads heruntergeladen, finanziert durch Rundfunkgebühren.

Auf der einen Seite ist das Argument nachvollziehbar: Warum sollen die Öffentlich-Rechtlichen in Märkte vorstoßen können, die eigentlich der Privatwirtschaft vorbehalten sein sollten? (Fast) niemand erwartet GEZ-finanzierte Zeitungen — auch wenn mit Steuergeldern Neuntklässler zu Zeitungslesern ausgebildet werden sollen. Eine konvergente Welt, die Internet und andere Medieninhalte vereint, setzt sich über die althergebrachten Demarkationslinien hinweg.

Doch auf der anderen Seite: Warum ausgerechnet eine Klage gegen die App der Tagesschau? Denn eigentlich ist das Angebot ziemlich identisch mit dem Web-Angebot von tagesschau.de, es gibt keine separate App-Redaktion und AFAIK auch keine Inhalte, die exklusiv in der App auftauchen. Die App ist nicht prsseähnlicher als tagesschau.de. Als GEZ-Zahler fände ich es aber überaus verschwenderisch, wenn die ARD beispielsweise ihr großes Korrespondenten-Netz unterhält und dieses nur einmal pro Woche im ARD-Weltspiegel vorzeigt — oder in der Tagesschau, wenn die Bomben bereits fallen. Der Punkt „sendungsbezogene“ Inhalte sollte uns jedoch freuen. Wenn Springer hier konsequent handelt, müsste der Verlag auch ein Ende der idiotischen 7-Tage-Regel fordern, die erst auf Verlangen der privaten Konkurrenz in den Rundfunk-Staatsvertrag kam und wirklich niemandem geholfen hat.

Spannender Punkt: Wenn die App rechtswidrig ist, warum ist es die Webseite nicht? Sie ist ja auch kostenlos, textbasiert und nicht an eine Ausgabe der Tagesschau gebunden. Ist also die symbolische Klage gegen eine App in Wahrheit der Angriff auf sämtliche Textangebote von ARD und ZDF im Internet? Wollen wir den Springer-Managern zu Gute halten, dass Sie App und Web in Ihren Angeboten trennen und man deshalb mit dem iPhone-Browsern zum Beispiel Regionalinhalte von Bild.de nicht lesen kann, obwohl die über einen normalen Desktop-Browser kostenlos abrufbar sind. Bei Springer glaubt man an diese Grenze, eine Klage ist daher konsequent. Auch die TV-Sender glauben an Grenzen, die man beispielsweise den Herstellern von internetfähigen Fernsehern vorschreiben kann. Wenn diese Grenzen niedergerissen werden, wird das Wehklagen noch lauter werden.

Wo soll man die Grenze ziehen? Wie weit reicht der Informationsauftrag von ARD und ZDF. Ich weiß es nicht. Herr Döpfner und Herr Keese offensichtlich auch nicht. Und Herr Beck und Herr Eumann? Auch da habe ich noch keine überzeugenden Ideen gehört.

Wikipedia ist Weltkultur – deal with it

Die Welterbe-Kampagne von Wikimedia ist grade angelaufen und die deutschen Medien (inklusive mir) reagieren folgsam darauf. Doch eigentlich ist Wikipedia ist längst Bestandteil der Welt-Kultur — egal was die Unesco sagen mag. Was hat gerade den Schulalltag von Hunderten Millionen junger Menschen in letzter Zeit mehr verändert als Wikipedia? Wo wird ein 13jähriger in seiner Freizeit Mal eben nachschlagen, wer dieser Michelangelo war, wie ein Dieselmotor funktioniert oder wer diese Madonna ist, die dauernd mit Lady Gaga verglichen wird?

Ich glaube nicht, dass die Aktion irgendeine Erfolgsaussicht hat. Statt sich beim immateriellen Welterbe oder beim Weltdokumentenerbe einzuordnen, möchte sich Wikimedia Deutschland die Wikipedia unbedingt in der elitärsten Liste verewigen, die die Unesco zu bieten hat. Nicht Flamenco und französische Küche sind vergleichbar mit Wikipedia, sondern die Große Mauer von China und die Pyramiden von Giseh. Das wird nicht passieren. Aber die Unesco öffnet sich gerade sowieso für digitale Güter, engagiert sich bereits für Meinungsfreiheit im Internet. Mit oder ohne Wikimedia-Kampagne wird Wikipedia in den nächsten Jahren auf einer Unesco-Liste auftauchen.

Tim Pritlove hat recht, wenn er bei Dradio Wissen erklärt, dass die Diskussion wichtiger ist als das Ergebnis, dass die Welt sich mit ihrer digitalen Kultur auseinandersetzen muss. Aber auch umgekehrt wird ein Schuh daraus. Nicht nur die Gesellschaft muss reflektieren, wie sie mit digitalem Wissen umgeht, die Wikipedia muss reflektieren, wie sie als Kulturgut funktioniert. Denn die Autoren müssen sich nicht nur mit der ungeheuren Popularität der Plattform herumschlagen, die Artikelarbeit gerade in umstrittenen Bereichen schwerer macht, als es für viele erträglich ist. Sie muss sich auch damit auseinandersetzen, was sie selbst ist. Die Wikimedia Foundation hat grade die Parole ausgegeben, dass sie eine Bewegung, ein „movement“ ist und will so alle Strukturdiskussionen ersticken. Bezahlte Wikimedianer und freiwillige Aktivisten. Die allmächtige Wikimedia mit den Root-Rechten auf den Servern, die sich aber nicht traut, inhaltlich Partei zu ergreifen. Alles kein Problem für eine Bewegung, die gallertartig nachgibt, wenn man sie anstößt.

Einer der Kern-Streitpunkte in Wikipedia — der in 1000 verschiedenen Stellen ausgetragen wird — ist: Will die Wikipedia sich an der Hochkultur orientieren, das erprobte oder überkommene Prinzip von Enzyklopaedia Britannica und Brockhaus ausbauen? Ein neues Zerrbild der Geschichte, bunter als die Schulbücher die wir bisher kannten, aber den selben Prinzipien verhaftet? Oder will man selbst ein kultureller Marktplatz sein mit lebendigen Menschen? Wie viele Brüste und Schamhaarfrisuren soll die Wikipedia zeigen? Oder ist Erotik nur Kultur, wenn denn Michelangelo den Pinsel geführt hat? Kurzum: Was ist eigentlich dieses Weltwissen, das die Wikipedia abbilden will?

Noch spannender ist in meinen Augen aber die Frage der Selbstorganisation. Ursprungsgedanke war, dass die Wikipedia von jedem für jeden geschrieben wird. Von diesem Ansatz muss man sich verabschieden: Es waren von Anfang an wenige, die das Wissen in der Wikipedia bestimmten und noch weniger, die sich für die Projektorganisation interessierten. Die Beteiligungen an Abstimmungen ist minimal, das einzig verlässliche ist eine Haltung zur Blockade zur Erhaltung des Status Quo — egal wie verhasst er in Aspekten allen Beteiligten auch sein mag. Wenn Wikipedia nicht irgendwann wirken will wie in Stein gehauen, nicht wie die zerfallenen Ruinen einer vergangenen Zivilisation, muss sie sich nochmal verschäft mit sich selbst beschäftigen. Und endlich Mal zu Ergebnissen kommen.

DNS-Sperren und die DAUs

Ich habe ja in der vergangenen Wochen über die Sperrverfügungen in NRW geschrieben, mit denen zwei Provider verpflichtet werden sollen, den Zugang zu zwei Glücksspielseiten per DNS-Sperren zu erschweren. In der Landtagsdebatte wurde der Unterschied zu dem Löschen-statt-Sperren-Grundsatz bei Kinderpornografie debattiert. Dabei kam es auch zu diesem kleinen Dialog:

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank für die Frage, Herr Abgeordneter Witzel. Ich gestehe, dass ich persönlich nicht über
die entsprechenden technischen Fertigkeiten verfüge, eine Internetsperre zu umgehen.

(Ralf Witzel [FDP]: Ich auch nicht!

Was man Abgeordneten und Regierungsmitglieder klarmachen muss: sie können das durchaus.

Aber das ist nicht wichtig. Denn der Anbieter kann die Sperre für den User umgehen. Eine Sperre gegen bwin.com betrifft nicht bwin.biz, bwin.eu, bwin.org oder gar bwinnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn.com. Wenn der Veranstalter bösartig ist oder eine andere Rechtsauffassung durchsetzen will, stehen ihm unbegrenzte Möglichkeiten zur Verfügung. Er kann zum Beispiel beim User eine App installieren, die ständig die neusten Adressen kennt.

Nun könnte man argumentieren: der Nutzer merkt über die ständigen Adresswechsel, dass da etwas nicht stimmt. Außerdem kann man ja die Suchmaschinen verpflichten, die Seiten aus den deutschsprachigen Ergebnisseiten zu streichen. Doch wo will man da aufhören? Muss es irgendwann wieder vor den BGH gehen, weil eine Redaktion die verpönte Adresse genannt hat?

Die deutschen Behörden sagen: wir machen das schon. Wir wissen, was angemessen und wirkungsvoll ist. Das Problem: in der Vergangenheit wussten sie es nicht. Im Kampf gegen den Rechtsextremismus waren die Netzsperren in Nordrhein-Westfalen ein gewaltiger Fehlschlag.

Ich hab übrigens vor Jahren auf einer Party einen echten Online-Spielsüchtigen kennengelernt. Ein nervliches Wrack. Er hatte eine hohe Entschädigung bekommen, die ins Online-Kasino getragen und dort über Jahre gezockt. Irgendwann war nicht nur sein Geld weg, er war auch hoch verschuldet. Nun musste er gleichsam einen Entzug machen und hart arbeiten um seine Schulden abzuarbeiten. Ach ja: sein Glücksspielanbieter ist von dem Glücksspielstaatsvertrag nicht betroffen. Denn statt mit Karten hat er mit Aktien und Derivaten gezockt, das Casino war ein Online-Broker.

Leistungsschutzrecht und elektronische Pressespiegel

Das viel diskutierte Leistungsschutzrecht könnte eingedampft werden. Das legt jedenfalls ein Interview mit der Bundesjustizministerin nahe, die keine Internet-GEZ für Büro-PCs will, sondern von einer Vergütungspflicht für gewerbliches Verlinken spricht.

Durch Twitter und Blogs erschallt der Spott: diese Verleger haben noch nichts von robots.txt gehört. Wenn sie nicht von Google ausgewertet werden wollen, können sie Google doch ganz einfach aussperren. Das Blöde daran ist: zumindest einige der Leute, die so etwas äußern, scheinen das durchaus ernst zu meinen. Dabei sollte der gesunde Menschenverstand und ein halbwegs waches Ohr zur unweigerlichen Erkenntnis führen, dass die Verleger (zumindest die große Mehrheit) absolut nichts gegen Google haben, wenn es denn zu neuen Einnahmen führt. Da Google im Bereich Online-Werbung eine durchaus bestimmende Marktstellung hat, haben die Verleger eigentlich einen legitimes Grund zur Beschwerde, zumindest zur rationalen Kritik des Ist-Zustandes.

Während einige Leute nun die Kommunikationsfreiheit als solche gefährdet sehen, hilft vielleicht einfach Mal ein entspannter Blick auf das jetzt geltende Recht. Denn Pressespiegel und elektronische Pressespiegel sind bereits heute kostenpflichtig, entsprechende Lizenzen werden von der Verwertungsgesellschaft Wort vermarktet. Während das Leistungsschutzrecht nach der Lesart von Keese und Co einer kaum zu begründeten GEZ-Gebühr für Büro-PCs gleich käme, die Online-Distribution gegenüber Offline-Distribution stark reglementiert, haben wir im durch den neuen Vorstoß der Bundesjustizministerin eine Chance über übergreifende Vorschriften nachzudenken, die das Urheberrecht modernisieren.

Ich glaube zwar nicht daran, dass dies passieren wird — aber die Chance will ich dem Justizministerium durchaus zugestehen.

PS: Um es nochmal klarer zu formulieren: Als es keine Links und Internetverwertung gab, entschloss sich der Gesetzgeber eine Möglichkeit zur niedrigschwelligen Nutzung von Inhalten der aktuellen Berichterstattung zu schaffen, die einerseits die Urheber und Verleger entschädigt und gleichzeitig die Weiterverbreitung der Information selbst rationalisiert. Wie würde man diesen Paragraph 49 des Urheberrechts heute formulieren, in einer Zeit, in der Pressespiegel durch Snippets und Links abgelöst wurden und die Verwertungskette nahtlos in den privaten Bereich übergeht?

Nachtrag: Thomas Stadler deutet Leutheusser-Schnarrenbergers Vorschlag in eine allgemeine Zahlpflicht für Links jeder Art um und findet das Ergebnis nicht gut. Verfassungsrechtlich ist er damit auf der sicheren Seite — nur mit der Realität hat diese Uminterpretation nichts zu tun. In dem Interview sagt die Bundesjustizministerin klar, dass es bei dem Vorschlag alleine um die Vermarktung von Inhalten geht, bei denen eine Verlinkung eines von mehreren Elementen sein kann. Wie gesagt: ich glaube derzeit nicht, dass diese Initiative erfolgreich sein wird. Um so wichtiger ist es, keine Worte aus dem Kontext zu reißen. Eine fundierte und ehrliche Debatte tut von beiden Seiten not.

Medienethik zum Sonntag

Ein Promienter ist tot. Freitod. Selbstmord.

Verschweigt man den Menschen, was nicht zu leugnen ist?

Oder ignoriert man, dass nach prominenter Selbstmord-Berichterstattung die Zahl der Nachahmer sprunghaft ansteigt?

Es gibt natürlich auch Abstufungen: die taz klemmt die Todesart in den letzten Absatz des Artikels.

Bild.de hingegen:

Und Express.de:

A Punkt. Das ist keine medienethische Übersprungshandlung, um wenigstens ein Detail nicht auf die Titelseite zu setzen. Es ist ein Zitat aus dem Abschiedsbrief. Die Botschaft: wer Alzheimer hat, wer Worte verliert, sollte sein Gut bestellen, reinen Tisch machen, den Schlussstrich ziehen. Solange er noch kann.

Sprachverlust, diese Diagnose muss die Redakteure bei Express.de hart treffen. Denn unter dem Screenshot des Briefes lesen wir die Aufforderung: ZUM LESEN GROSS KLICKEN.

Keine Bange, es handelt sich nicht um Alzheimer. Diese Leute gehen mit der Sprache immer so um. Es ist kein Symptom, es ist ihr Broterwerb.

PS: Es geht immer etwas schlimmer.

Das ist wirklich unterhaltsam. Entertainment!

Was man bei Wuala nicht darf

Allgemeine Geschäftsbedingungen sollte jeder Nutzer lesen. Dringend. Das gilt offenbar nicht für die, die AGBs schreiben. So zumindest scheinen die Geschäftsbedingungen des Online-Speichers Wuala entstanden zu sein:

Hier klicken, um den Inhalt von Twitter anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von Twitter.

via)

Wo Korruption enthüllt wird, wird Datenschutz plötzlich wichtig

Während sich alle Welt fragt, wie Sony für das Leaken seiner Playstation-Datenbank angemessen bestraft werden kann, macht Indien Nägel mit Köpfen. Ein neues Datenschutzgesetz ist auf dem Weg und es sieht sogar Haftstrafen vor:

The UPA government is planning to set up a three-member Data Protection Authority of India, whose main functions would include monitoring and enforcing compliance of the proposed data protection laws and to “investigate any data security breach”. […] The Act proposes a maximum punishment of five years and/or fine of Rs 7 lakh for the first offence and Rs 10 lakh for every subsequent offence.

Endlich kümmert sich jemand um die skandalösen Umgang der Industrie mit den Daten der Bürger. Es ist schon zum Mäusemelken, wenn selbst die Unesco Bewerberdaten in die Welt pustet. Privatsphäre ist kein Privileg, sondern ein Recht. Und der Staat muss es schützen!

The Bill, a copy of which is with The Sunday Express, proposes to put in place a system to protect not just the privacy of an individual and secure all intercepted material, including phone taps, but also his “honour and good name”. The proposed law also aims to empower an individual or group of individuals to take legal recourse to protect the “confidentiality of his private or family life”; seek protection from “search, detention or exposure of lawful communication”: have privacy from surveillance: ensure confidentiality of his banking and financial transactions as well as his/her medical and legal information.

Ja, der indische Gesetzgeber denkt noch an die Familie. Jedermann wird in Zukunft geschützt von diesen Halunken, die in Indien offenbar wahllos Telefone abhören und das Privatleben des einfachen Mannes und seiner Familie in den Schmutz zerren. Intimste Details: die Akne der Tochter, der Bankauszug der Kreditkarte der Mutter.

Work on drafting the Bill began in December last year after the uproar over selective leakage of intercepted phone conversations between corporate lobbyist Niira Radia and her clients.

Auf Deutsch: alles oben Geschriebene ist reine Fantasie. Das Interesse für Datenschutz ist erst ausgebrochen, als die grassierende Korruption im Lande wieder einmal publik wurde, die mittlerweile immer mehr Menschen zum entschlossenen Protest antreibt. Nach einem Hungerstreik eines Aktivisten und breiter öffentlicher Unterstützung sah sich die Regierung zu einem Anti-Korruptionsgesetz genötigt. Das geplante Datenschutz-Gremium kann aber einen Deckel drauf halten, wenn die Korruption aufgedeckt wurde. Mitgeschnittene Gespräche, mitgefilmte Geldübergaben? Privat! Überweisungen auf das Firmenkonto der Ehefrau? Geht die Öffentlichkeit nichts an!

Manchmal fällt es echt schwer, nicht zynisch zu werden.

(via)

Filter-Paradoxon

Die Leute, die sich über den Hype um die Hochzeit von William und Kate empören, sind die einzigen, die das Ereignis in mein Leben bringen. Ich gucke kaum noch Live-TV, spule über Werbeblöcke. Die Panorama/Aus aller Welt-Seiten überblättere ich geflissen. Ich war schon drei Wochen nicht beim Friseur. Ich folge keinen Glamour-Royalisten oder überlese ihre Begeisterung. Ab und zu schwimmt ein Link vorbei und verschwindet ungeklickt hinterm Horizont. Ein paar Pressemitteilungen kamen und belegen ein paar Kilobyte auf meiner Festplatte.

Was ich lese, sind begeisterte Hinweise auf Parodien. Ich höre Leute, die sich darüber beschweren, dass CNN die Speisenfolge der Hochzeit zum Thema gemacht hat. Jon Stewart und Stephen Colbert haben sich drüber lustig gemacht und ebenso wohl Extra3. Und das ist mir so egal wie das Ereignis selbst. Prominenz verkauft sich halt. Es gibt wirklich schlimmeres.

Kulturwertmark – 20 Jahre zurück

Der CCC hat heute ein „zeitgemäßes Vergütungsmodell“ für Kreative vorgestellt. „Zeitgemäß“ heißt hier aber: Wir wollen 20 Jahre zurück und hoffen, dass wir die Fehler nicht wiederholen.

Schon der Name „Kulturwertmark“ ist ein Zeichen dafür. Wir haben die Mark vor 10 Jahren abgegeben,. Ab und an inseriert ein Teppichhändler oder ein Resteverkauf, dass er an einem Wochenende tatsächlich noch die gute alte Deutsche Mark als Zahlungsmittel akzeptieren will – und dann werden Schubladen durchwühlt und mäuseangefressene Geldscheine hervorgeholt. Die Mark ist eine ferne Erinnerung, sie steht für eine gute alte Zeit, in der das Geld stabil und unsere Lebensentwürfe in Stein gemeißelt waren. In der ein Sparbuch und eine Arbeitsstelle auf 40 Jahre sicher waren.

Doch über den Namen hinaus zeugt der CCC-Entwurf von der Sehnsucht nach vergangener Zeit. Der institutionelle Hintergrund der neualten Währung sieht so aus:

Wir schlagen vor, das System als eine vom Staat initial finanzierte, aber vollständig unabhängige Stiftung zu realisieren, die von den Ländern Hilfe beim Erheben der Beiträge erhält (oder alternativ mit den ISPs Verträge über Einzug und Weiterleitung abschließt). Die Besetzung des Exekutivgremiums der Stiftung sollte hälftig per allgemeiner Wahl unter den Teilnehmern und Künstlern erfolgen, so daß die Interessen beider Seiten adäquat repräsentiert sind. Stimmberechtigt ist, wer mindestens für eine festzulegende Zeit (etwa drei Monate) in das System eingezahlt hat. Wenn die Anzahl der Benutzer um eine signifikante Zahl gestiegen ist, sind Neuwahlen durchzuführen. Eine Besetzung analog der Quotenregelung wie bei den Rundfunkräten hat sich nicht bewährt und ist undemokratisch.

Stiftungsposten sollten zeitlich beschränkt werden. Das Budget der Stiftung soll schmal gehalten und auf die technische Durchführung ausgerichtet sein. Der Verwaltungs-Overhead sollte aus den Zinsgewinnen des Stiftungsvermögens gedeckt werden, so daß eine hundertprozentige Auszahlungsquote der erhobenen Beiträge an die Künster erreicht wird und keine Transaktionsgebühren erhoben werden müssen. Eine privatwirtschaftliche Lösung ist nicht erstrebenswert, Interessenskonflikte wären hier vorprogramiert, die Auszahlungsquote sänke.

Eine zinsfinanzierte Stiftung in demokratischer Hand. Vor 20 Jahren hätte ich das vielleicht toll gefunden, als ich noch keine Ahnung hatte, wo die Zinsen denn her kamen. Als die zwei Prozent auf dem Sparbuch sicher und die Inflation kaum vorhanden waren. Doch gerade die letzten Jahre haben uns gezeigt: Zinsen kommen nicht aus dem Nichts. Wer sich vom Geldmarkt abhängig macht, kann darin umkommen. Und: Woher kommt das Stiftungsvermögen, dass die Zinsen abwerfen soll? Vom reinen Umlaufvermögen kann das nicht abgezweigt werden, schließlich soll ja eine hundertprozentige Auszahlung garantiert werden. (Und eine staatliche Anschubfinanzierung kommt letztlich auch nur aus den Taschen des Kulturvolks.)

Der institutionelle Rahmen ist von der Illusion geprägt, dass wir das Erfolgsmodell parlamentarischer Demokratie (O-Ton Bundespräsident Christian Wulff) verlustfrei ausdehnen können. Der CCC schlägt eine neue GEMA vor, eine bessere GEMA, in der die Interessen von Künstlern und Nutzern unbestechlich und ohne Reibungsverluste vertreten werden. Die dann entscheidet, wie die Leistung eines kompletten Orchesters gegen das eines lispelnden 16jährigen Superstar-Gewinners abzuwägen ist. Doch wer heute durch die Straßen deutscher Städte geht, sieht die Plakatwände vollgepflastert mit dem Aufruf zur Sozialwahl. Kennt ihr irgendjemanden, der sich dort informiert hat, um eine kompetente Wahlentscheidung zu treffen?

Doch auch an anderer Stelle ist der Vorschlag durchdrungen von einer Rückwärtsgewandtheit, einer Sehnsucht nach der guten alten Zeit, als die Welt noch in Ordnung war:

Wir wollen an dieser Stelle voraussetzen, daß ein zukünftiges System kein Recht auf Reichtum impliziert. Es geht nicht darum, den Britney Spears dieser Welt ihre zukünftigen Millionengagen zu sichern. Es geht um den Erhalt einer breiten, bunten, schöpferischen Kulturlandschaft mit möglichst großer Vielfalt. Und es geht um den möglichst niederschwelligen, für alle erschwinglichen Zugang zu den Werken, die in dieser Landschaft erblühen.

Es ist fast deprimierend zu sehen, dass es nicht Mal zur Nennung von Lady Gaga gereicht hat – der aufreizende Kostüme und Vermarktungs-Maschinerie sind doch der viel größere Schrecken für die Spießbürger. Wann war Britney Spears ein Skandal? Vor 10 Jahren? Als man „dass“ noch mit ß schrieb?

Aber im Ernst: die Kulturwertmark ist ein nationalstaatliches Konzept, dass das Ausscheren Deutschlands aus dem internationalen Kreativmarkt vorschlägt. Wir wollen uns nicht von US-Mayors die Preise diktieren lassen. Wir wollen, dass unsere Bürger nicht verfolgt werden können, wenn sie Britney Spears herunter- und hochladen. Und wir wollen ein gesondertes, inkompatibles Urheberrecht. Denn wenn Britney und Gaga ihre Tantiemen aus Deutschland abholen wollen, sagen die demokratischen Kulturräte: wie steht es denn mit der Allmende? Entweder ihr gebt Eure Musik kostenfrei heraus oder wir bezahlen Euch nichts. Wohin solche Regelungen führen, wissen wir leider zur Genüge: „Dieses Video ist in Deinem Land nicht verfügbar“.

Aber vielleicht ist genau das das Ziel des CCC-Modells. Drehen wir Globalisierung und Kulturimperialismus zurück. Sie haben versagt. Lasst uns etwas neues aufbauen — ohne Rücksicht auf Verluste. Oder einfacher: gehen wir 20 Jahre zurück. Nach dem Ende des Kalten Krieges hätten wir die Systemfrage stellen müssen um das Beste aus Kapitalismus und Sozialismus zu vereinen. Für ein besseres, gerechteres Heute.

Wer baut die Zeitmaschine?

Energiewende

Ich lese überall: über Ostern wird das Benzin knapp. Ich glaube, dann werde ich mein Fahrrad wohl schieben müssen.