Meinungsbildung

„Soll ich den Nacken ausrasieren?“
„Ja, aber vorne nicht zu kurz.“
„Kein Problem.“
„Können Sie das Radio bitte leiser machen. Wenn ich noch einen Bericht über den Papstbesuch hören muss, flippe ich aus.“
„Klar. Würden Sie bitte inzwischen ihren Ausweis einführen?“
„Was?“
„Ihren E-Ausweis. In den Schlitz da vorne.“
„Wieso?“
„Na, Sie wollen doch über Politik reden. Vom Papst kommen wir auf CDU, Linke, Säkularismus. Bis der Haarschnitt fertig ist, könnte sich jemand etwas dabei denken.“
„Na und?“
„Das ist politische Meinungsbildung. Und wenn wir das anonym machen würden — wo würde das nur hinführen?“
„Ach so, natürlich haben Sie da recht. Wie herum führe ich den Ausweis ein?“
„Den Chip nach oben bitte.“
„Alles klar. Also der Papst… was wollte ich noch gleich sagen?“

Immer noch kein Google Analytics

Es heißt, Google Analytics sei nun datenschutzkonform. Amtlich.

Ich werde es dennoch auf absehbare Zeit nicht hier einbauen. Traffic-Daten an Google zu schicken, damit ich haarklein vorgerechnet bekomme, wer denn meine Leser sind, wofür sie sich interessieren und wie ich noch mehr Klicks bekommen könnte, tut weder mir noch Euch gut.

Ich schreibe nicht für Klicks, und wenn ihr einen Beitrag pluseinsen wollt, müsst ihr schon die URL kopieren. Klingt das nach einem Deal?

„Wir haben verallgemeinert und überzeichnet“

Vor ein paar Wochen war ich auf dem Medienforum Köln. Auf einem Panel — es ging um Rundfunkregulierung und die Konzentrationsbeschränkungen — saß jemand von RTL und jemand von ProSiebenSat1. Der Moderator sagte etwas in der Art, dass RTL ja zum Glück nicht mehr von dem Problem betroffen sei und der Angesprochene konnte nur säuerlich nicken.

Ich gucke RTL nicht. Ich kann mich nicht einmal erinnern auf welchem Programmplatz ich den Kanal auf meinem Fernseher abgelegt habe. Wenn jemand etwas vor mir verbergen will, soll er es über die RTL-Frequenzen in 40 Millionen Haushalte schicken – ich werde es nie erfahren. Trotzdem habe in der letzten Woche einen Einblick bekommen, warum der einstige Fernseh-Pionier, das Schreckgespenst der Eltern in meinem Kinderalter, nicht mehr unbedingt den besten Stand hat.

Da ist zum einen dieser dämliche Bericht über einen der „vielleicht klügsten Kopf NRWs“. Der hat ein Betriebssystem programmiert, das Windows- und Mac-Programme gleichermaßen ausführt. „Eine Weltneuheit“, resümiert der Reporter von „Guten Abend RTL“. Natürlich war es keine Weltneuheit, natürlich haben ein paar Schüler kein neues Betriebssystem entwickelt, das mal eben nativ Windows- und OS X-Programme ausführen kann. Aber das hat RTL auch nicht interessiert. Man sehe sich nur die Bauchbinde von einem Interview mit den hoch begabten Teenagern an.

„Ist erst 16 Jahre alt“. An solchen Bildunterschriften sind keine Budgeteinsparungen schuld, keine Koketterie, keine geheime Markenstrategie. Es ist pures Desinteresse. Das Thema hat mit Computern zu tun? Schnell, schmier ein paar Klischees drüber, denn UNSERE ZIELGRUPPE INTERESSIERT DAS NICHT“ (An dieser Stelle stelle man sich den Zurück-in-die-Zukunft-Bösewicht Biff Tannen vor, wie er den zuständigen Redakteur am Kragen packt und ihm auf die Stirn klopft „Hallo??? Ist irgendjemand ZU HAUSE???“)

Und dann noch diese Unsäglichkeit zur Gamescom, über die anderswo nun wirklich genug geschrieben wurde. Meine Frage ist da: Merkt ihr noch was? RTL2 kriecht der Internet-Zielgruppe zu jeder Gelegenheit — also wenn eine Veranstaltung im Umkreis von Köln stattfindet und die Anreise nichts kostet — mit Anlauf in den Allerwertesten. Dann werden relativ unspektakuläre ESL-Ausscheidungen zum Top-Thema in den Haupt-„Nachrichten“ des Konservensenders. RTL hingegen will seriös sein und packt quasi jeden Erwachsenen unter 35 in die Freak-Schublade.

Ich weiß: ich überhöhe hier zwei dämliche Beiträge zweier dämlicher Sendungen. Bemerkenswert finde ich aber die Stellungnahme in eigener Sache, die RTL zur Besänftigung der Gamer nachgeschoben hat: „Wir haben verallgemeinert und überzeichnet“ heißt es da. Als ob „RTL explosiv“ das nicht nach jedem Beitrag zu jedem Thema sagen könnte. Dass sie es diesmal ausgesprochen haben, liegt an einem kleinen Shitstorm, den die Gamer inszeniert haben. Und nach 10 Jahren Netzpolitik kann ich sagen: Die Gamer sind nicht besonders gut im politisch-medialen Spiel. Dass sie sich über RTL-Sendungen aufregen, liegt vermutlich daran, dass sie das Programm gar nicht mehr kennen.

Wenn man nach Klischees geht, sind Öffentlich-Rechtliche verstaubt, in der Vergangenheit verhaftet, Loriot ist einer ihrer frischesten Comedians. Doch sie haben mittlerweile die dritte Generation an Computermagazinen am Start, die wahrscheinlich 17jährige nicht übermäßig ansprechen, aber sie doch nicht verspotten. Was läuft auf RTL und ProSieben, was den Normal-Nerd (ja, Nerd-Tendenzen sind heutzutage ziemlich Mainstream) interessieren würde? Wo bekommt man Gedankenfutter her, das nicht in den USA hergestellt und in deutschen Synchronstudios hemmungslos kastriert wurde? Wo ist die Computersendung von RTL? Oder eine Sendung die sich für Facebook-Nutzer interessiert, die nicht nur lustige Videos sammeln oder von finsteren Typen vergewaltigt werden? Wo?

Wikipedia ist keine Demokratie

Wikipedia ist keine Demokratie. Wikipedia ist kein Staat mit stimmberechtigten Bürger. Bei Wikipedia kann jeder mitmachen. Und da jeder Dutzende Accounts anlegen kann, hat jeder keine Stimme. Außer er reißt sie an sich.

Der Entscheidungsprozess der Online-Enzyklopädie ist der eines gewaltigen Hive-Minds mit Persönlichkeitsstörungen, Selbsthass und einem chronischen Bauchgrimmen. Und jedes Mal wenn sich das Hivemind ärgert, verpuppt es sich. Doch statt sich Flügel wachsen zu lassen, taucht das Hive-Mind jeweils mit einem Kopf mehr auf: Bürokraten. Arbitration Committees. Community-Ausschüsse. Die an sich flache Hierarchie der Jeder-Kann-mitmachen-Enzyklopädie ist über zehn Jahre metastasiert und kann jeden Flowchart-Autoren in den Wahnsinn treiben.

Die Quintessenz ist: wer macht, entscheidet. Oder gibt auf. Wikipedia ist nicht nur eine Enzyklopädie, sondern eine politische Operation. Es gibt da nur ein Problem: die spontane bürokratisch-technokratische Unverbindlichkeit funktioniert nicht mehr, neue Autoren bleiben aus und wohin der Mega-Tanker Wikimedia steuert, weiß niemand mehr so recht — trotz strategischer Visionen und Fünfjahresplänen. Oder gerade deswegen?

Wikimedia will nun diesen gordischen Knoten durchschlagen. Da aber selbst Jimbo Wales im vergangenen Jahr seinen Schwert-Arm chronisch verstaucht hat, versuchen die verschiedenen Wikimedia-Instanzen stattdessen ein bisschen an dem Knäuel herumzunibbeln. So will Wikimedia Deutschland e.V. die Community mehr einbinden, um mehr Legitimität für ihr ansehliches Spendenbudget zu gewinnen. Sie haben die Community gefragt, in welche Projekte sie investieren wollen. Das war gleich eine zweifache Pleite. Die gewählten Community-Vertreter konnten – trotz Mehrfachstimmen – nicht Mal die Unterstützung von 70 Wikipedianern gewinnen. Die Wikipedia-Gemeinde ist zwar klein, aber nicht wirklich so klein. Und dann zerstritten sich Vereinsvorstand und Communitybudgetausschuss in so eindrucksvoller Weise, dass sämtliche Bundestagsfraktionen vor Neid erblassen müssten. Zumindest wenn sie davon erfahren hätten. Wikipedia-Politik findet weitgehend ohne Öffentlichkeit statt. Obwohl sich quasi jeder für die gewaltige publizistische Macht der Wikipedia interessiert, wenden sich die meisten nach kurzer Zeit angewidert ab. Wer übrigbleibt, ist Bestandteil des Systems.

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Die Wikimedia Foundation hat nun eine Abstimmung über ein neues Filter-Tool angesetzt – nein: gar ein Referendum. Das Problem daran: die Wikipedianer dürfen nicht wirklich abstimmen. Das Referendum ist als unverbindliche Umfrage konzipiert, bei dem die Teilnehmer auf einer Skala von eins bis zehn markieren dürfen, wie wichtig sie verschiedene unscharf formulierte Aspekte des Filters finden. Die Wahlbeteiligung liegt schon jetzt bei weitem höher als bei den Wahlen für das Board der Wikimedia Foundation. Und wenn ich die Diskussionsseiten richtig interpretiere, liegt das daran, dass ein guter Teil der Wikipedianer die Einrichtung eines Filters für Wikipedia-Inhalte strikt ablehnen. Doch wirklich dagegen stimmen können sie nicht.

Dies zeigt wieder einmal: es ist relativ einfach Leute gegen etwas zu organisieren. Doch wenn es darum geht, Alternativen und gemeinsame Konzepte zu entwickeln, sind wir allzu oft ratlos. Wozu einen Kompromiss eingehen, wenn man mit einem Klick auf einer anderen Plattform ist. Oder wenn man über Jahre polemisieren kann, wie dumm die Entscheidung war, die man nicht unterstützt hat. Ob es besser wird, ist zweitrangig. Ich hatte recht.

Für September hat Wikimedia Deutschland einen neuen Versuch angesetzt. Der Verein wird einen Entwurf seines Ausgabenplans online stellen und dann in einer Deutschland-Tour in Hamburg, München, Frankfurt, Köln und Berlin den Erntwurf vorstellen und Rückmeldungen annehmen. Das Problem: daran: die Teilnehmer brauchen keinerlei Legitimation und deshalb haben sie auch keine. Vereinsmitglied oder nicht, Wikipedia-Autor oder nicht — egal. Und deshalb ist auch egal, was die sagen. Es werden sich hinterher immer zehn Mal so viele Menschen finden, die die Ideen blöd, falsch und geradezu gefährlich finden.

Die Suche nach dem Rückkanal, zu dem Entscheidungsprozess mit dem man möglichst viele Menschen einbinden und zu konkreten Schritten bewegen kann, ist frustrierend. Aber auch spannend. Und nochmal frustrierend.

Anti-Gerücht.

Es hält sich das Gerücht — oder ist es mehr eine Haltung? — dass wenn ein Bösewicht, ein Unsympath oder ein Merkbefreiter etwas sagt, nur das genaue Gegenteil richtig sein kann. Sagt er Weiß, ist es Schwarz. Sagt er Terror, ist es Freiheitkampf. Sagt er poTAtoe, schmeckt die POtatoe besonders gut.

Das stimmt nicht. Nur übelmeinende oder beschränkte Menschen können so etwas ernsthaft annehmen. Das genaue Gegenteil ist richtig.

Von Hitlerjungen und Untermenschen

Grammatikalisch gesehen mag es den Superlativ „dämlichst“ geben – in der Realität kann man ihn jedoch nicht anwenden. Denn egal wie dämlich jemand sein mag, er wird immer jemanden anziehen, der sich noch etwas dämlicher äußert.

Ein Beispiel: Glenn Beck, der abgefeimte und selbstverliebte Demagoge — oder morderner: media personality — hat seiner Enttäuschung über den nicht-islamistischen Hintergrund des Attentäters von Oslo mit einem dämlichen, menschenverachtenden, zehennägelaufrollenden Kommentar Luft gemacht. Er verglich die Opfer kurzerhand mit der Hitlerjugend.

There was a shooting at a political camp, which sounds a little like, you know, the Hitler Youth or whatever. I mean, who does a camp for kids that’s all about politics? Disturbing.

Wie absurd und himmelschreiend dämlich das ist, kann man erst goutieren, wenn man weiß, dass Beck selbst mit seinen Freunden von der Tea Party Sommercamps für Achtjährige veranstaltet, in dem die politischen Standpunkte dieser Gruppe vermittelt werden.

Aber dennoch ist es nicht der größte Auswuchs an Dämlichkeit. Denn unter einem Artikel zum Thema äußerte ein vermeintlicher Beck-Kritiker dieses:

Beck is sub-human… the fact that anyone listens to this man is beyond me… I am disgusted by my neighbours to the south right now…

(Ich muss hoffentlich nicht betonen, wie dämlich es ist, Glenn Beck gerade im Hinblick auf einen Nazi-Vergleich als „Untermensch“ zu bezeichnen…)

Non-reality

Erst wenn die der letzte Mietpreller entmietet, das letzte Wut-Kind befriedet, der letzte Event-Manager gekocht ist, werdet Ihr merken, dass Reality-TV auch ohne Realität auskommt.

Die vielen Seiten von Netzneutralität

Zur Zeit ist ja viel Geschrei „für“ oder „gegen“ Netzneutralität. Doch die spannende Frage ist: was ist Netzneutralität überhaupt?

Gerade versuchen die Provider Vodafone und Deutsche Telekom ihre Diensteklassen als ultimative Lösung zur Netzneutralität zu verkaufen — was eindeutig nicht meinem Verständnis des Wortes Netzneutralität entspricht, sondern so ziemlich genau das Gegenteil davon darstellt. Die Idee entspricht mehr dem System „BTX“ und nicht dem weltumspannenden Internet, wie wir es heute kennen. Das konnte sich nur durchsetzen, weil niemand mit Rechenschiebern Bytes und Sendeminuten zählte und nach altbekannten Tarifen abrechnete.

Doch die spannende Frage ist weiter unbeantwortet: Was ist Netzneutralität überhaupt? Es hat was mit „gleichberechtigtem Zugang“ zu tun, aber wie geht es weiter?

Ein drei Meldungen vom Tage:

  • Google verbannt Freehoster co.cc aus seinem Index: Google ist als marktführender Suchdienstleister einer der zentralen Dienstleister der heutigen Internetwelt. Nach welchen Regeln kann sich dieses Unternehmen einfach Teile des Netzes aus seinem Index entfernen, wenn nicht Mal alle davon Malware verteilen?
  • Der neue Bitkom-Chef überlegt virenversuchte Rechner unter Quarantäne zu stellen. Wer eine Virenschleuder betreibt wird vom Netz getrennt. Sinnvoll, oder? Mein Provider Netcologne macht das heute schon. Aber haben wir in den letzten Jahren nicht gehört, dass es für Privatpersonen quasi unmöglich ist, zu Hause die Internetsicherheit einzuhalten? Wie soll es Tante Paschulke gelingen, was nicht Mal Sony schafft? Und wenn Tante Paschulke ihren Rechner nicht anschaltet, erfährt sie nicht Mal, dass ihr IP-gestütztes Telefon nicht mehr funktioniert oder die AAL-Dienste, die das Leben per Internet lebenswerter machen sollen. Soll man Tante Paschulke diskrimieren oder die User, die mit Spam-Mails und Viren zugeschüttet werden?
  • Verizon beendet die unbegrenzten Datentarife. Na und? Es sind ohnehin nur ein Prozent der Kunden, die über 5 Gigabyte verbrauchen. Warum sollen die das Netz verstopfen dürfen? Andererseits: Gerade Mobilfunkanbieter entdecken gerade den Videovertrieb als neuen Einnahmezweig. Wenn die Videostreams im eigenen Mobilfunknetz nicht ins Datenvolumen einfließen, ist das doch nur Kundendienst, oder? Wer wollte Verizon zu anderem zwingen?

Eine konsistente Definition von Netzneutralität würde all diese Punkte betreffen – und Tausende anderer Fälle. Und wie auch immer diese Definition aussehen würde — ein Teil der Antworten, die durch die Netzneutralitäts-Direktive vorgegeben würden, würden uns gar nicht gefallen. Egal, welches „uns“ dabei grade gemeint ist.

Zwei Missverständnisse zur Anonymität

Ich habe grade Mal „Anne Will“ eingeschaltet und erinnere mich lebhaft, warum ich das sonst nicht tue. Gerade beim Thema Anonymität verschanzen sich beide Seiten hinter Scheinargumenten.

Die eine Seite argumentiert, dass im Internet alle Hemmungen fallen und dass durch die Anonymität des Internets der Schmutz nach oben gespült wird, dass der Mob die Unschuldsvermutung ignoriert und sich selbst zum Ankläger und Richter erhebt. Verletzende Zitate finden sich zu Hauf.

Das sind Scheinargumente. Denn die Unschuldsvermutung bindet natürlich in erster Linie Institutionen. Der Bürger selbst kann jeden schuldig halten, den er will und darf dies — in Grenzen — natürlich auch ausdrücken. Das ist Meinungsfreiheit. Dass im Internet so einfach die übelsten Beschimpfungen zu finden sind, liegt zu einem großen Teil an einem einfachen Umstand: Außerhalb des Internets wird nicht immer jede Äußerung mitgeschrieben und ist nicht googlebar. Wenn in Kneipen, im Sportverein auf Kinderspielplätzen diskutiert wird, trägt niemand ein Gesetzbuch unterm Arm. Und wenn Missstände beobachtet werden, darf natürlich nicht alleine der Staatsanwalt Akten lautlos hin- und herschieben, bis der Richter sein Urteil gesprochen hat. Wenn mir jemand die Vorfahrt nimmt, wenn vor meinem Fenster ein Auto ein anderes rammt, gibt es kein Verbot darüber zu sprechen, was ich gesehen habe.

Die andere Seite erhebt die Anonymität zur wesentlichen Voraussetzung der Kontrolle von unten. Das ist bei Whistlerblowern, die Skandale im eigenen Haus aufdecken, selbstverständlich so. Für einen engagierten Plagiatsjäger, der in keiner direkten Beziehung zu dem vermeintlichen Plagiatoren steht, jedoch eher nicht. Eine Berichterstattung über die Plagiate wäre durch nicht-anonyme Plagiatsjäger nicht eingeschränkt oder verhindert worden. Journalisten lieben es, wenn sie jemanden anrufen können, wenn sie Nachfragen stellen können und etwas erklärt bekommen. Natürlich sind wir Journalisten gerade in solch gehypten Themen lästig, wir rufen an, wir stellen haufenweise Fragen, verstehen etwas falsch, zerren Personen an die Öffentlichkeit, die lieber für sich geblieben wären. (In meinem Eckchen des Journalismus bleibt mir das zum Glück weitgehend erspart.) Aber die Berichterstattung wäre nicht verhindert worden. So hätte ein kundiger Vroniplagger die Behauptungen des Herrn Chatzimarkakis on the fly korrigieren und in Kontext stellen können. Ich persönlich hätte aber auch keine Lust auf die Live-Konfrontation vor Millionenpublikum.

Viel realer sind jedoch andere Probleme, die dafür sprechen, anonym zu bleiben. Wer Geld hat, hat Anwälte — Abmahnungen sind schnell geschrieben und schwer wieder abgewehrt. Chefs und Kollegen haben politische Meinungen und Wikis können offenbaren, wer in der Kernarbeitszeit etwas machte, was mit seinem Haupt-Job nichts zu tun hatte (auch wenn derjenige die Zeit selbstverständlich durch Überstunden mehr als aufholt).

Nachtrag: Der britische „Guardian“ hat soeben auch einen interessanten Artikel bezüglich des Aspekts der medialen Vorverurteilung, oder im Polittalk-Jargon: des Scherbengerichts, des Prangers veröffentlicht. Leserredakteur Chris Elliott beleuchtet die Reaktionen auf die Crowdsourcing-Bemühungen aus den im Juni freigegebenen 13000 E-Mails aus der Gouverneurs-Zeit von Sarah Palin Berichtenswertes zu generieren. Um die Freigabe der E-Mails war ein gewaltiger Hype entstanden, der allerdings nichts zu Tage förderte.

Elliot schreibt:

There is plenty of journalistic digging that goes on that doesn’t reap a reward. […] The journalists involved still believe it was a worthwhile exercise. One said: „The aim of the original FoI [requests] was to get information to provide a portrait of a politician who at the time might have been vice-president or even president, and may yet be one of the contenders for the Republican nomination to take on Barack Obama next year. „

Ganz klar: natürlich müssen Medien solche Quellen durchforsten, wenn sie ihrer Wächterfunktion nachkommen wollen. Aber müssen sie so einen Bohei darum machen? Für Elliot ist das ein Teil des Medienwandels:

Fair enough, but the „ball-by-ball“ nature of our coverage, a growing and often successful method of real-time coverage on the web, meant we sounded way more excited about the emails than their substance warranted. Aspects of Sarah Palin’s life such as her religious zeal – especially when related to discussion of her son who has Down’s syndrome – and her language misfired for many readers.

Web techniques such as live blogging and crowdsourcing expose the process of a story in a way that has hitherto been largely hidden to readers, which is a good thing. But in future we should be much warier of the glee quota until we know what we have got.

Fassen wir die Lektion in seinem Satz zusammen: Wenn Recherche in der Öffentlichkeit stattfindet, dann verändert sie die öffentliche Wahrnehmung.