SUVs sind einfach zu breit

Ich wurde herausgefordert, die Probleme von SUVs zu benennen. Nun – das könnte ein längerer Text werden. Um nicht allzu sehr auszuufern, beschränkte ich mich hier auf die Probleme, die ich aus unmittelbarer Anschauung in meiner Nachbarschaft mit bloßem Auge beobachten kann.

Zum ersten: Ich verstehe die Motivation, sich einen SUV zu kaufen. Es erscheint einfach sicherer. Obwohl man als Autofahrer im Stadtverkehr kaum noch Unfälle mit Verletzungen zu befürchten hat, ist ein Sports Utility Vehicle einfach besser. Selbst für die Leute, die weder Sports, noch Utilities benötigen: Mit der erhöhten Sitzposition schaut man einfach weiter. Und: Es gibt innen wahnsinnig viel Platz. Gleichwohl: Kratzer an der Stoßstange und ähnliches sind keine Risiken mehr, sondern Gewissheit. Zum einen, weil andere Verkehrsteilnehmer die Übergröße nicht gewöhnt sind. Viel wahrscheinlicher: Weil die Fahrer selbst die Übergröße nicht gewöhnt sind.

Wenn man mit einem normalen Auto oder Fahrrad auf den Straßen unterwegs ist, ist ein SUV ein Sichthindernis wie ein Linienbus oder ein LKW. Das ist ein Problem. Wer etwa im Berufsverkehr hinter einem SUV an einer Ampel steht, müsste eigentlich an der Haltelinie warten, bis absolut sicher ist, dass es hinter der Kreuzung weitergeht. Das ist einerseits Gesetz, andererseits unrealistisch. Der Verkehr käme zum Erliegen, wenn sich jeder wirklich daran hielte. Der einzige Weg für den Einzelnen: Man kauft sich ebenfalls ein SUV, um sich mehr Überblick zu verschaffen.

Das Problem: SUVs sind einfach zu groß und vor allem breit für die bestehende Verkehrsinfrastruktur in Köln. Wenn man einparken will, gibt es vorne und hinten zwar hilfreiche Piepstöne. Die Sensoren an der Seite fehlen jedoch meist. Wenn ich etwa auf der Luxemburger Straße in Köln unterwegs bin, begegne ich immer wieder Autos, die auf beiden Fahrbahnen gleichzeitig unterwegs sind. Vor dem SUV-Boom habe ich so etwas vielleicht einmal im Jahr beobachtet. Nun ist es eine alltägliche Erscheinung.

Zu breit

Am einfachsten kann man das Problem zum Beispiel auf dem ALDI-Parkplatz an der Dürener Straße sehen, wo die Autos gerne 20 Zentimeter über dem Trennstreifen parken. Theoretisch passen die Autos auf den eingezeichneten Platz. Dann müssten die Fahrer jedoch aus dem Schiebedach aussteigen. Noch extremer ist es bei den Tiefgaragenplätzen. Die werden von Supermärkten, Fitnesstudios oder medizinischen Einrichtungen immer öfters kostenlos bereitgestellt. Trotzdem werden diese Plätze von SUV-Fahrern immer wieder ignoriert. Drei Minuten von hier sind zwei Bio-Supermärkte. Eine beträchtliche Anzahl der Kunden parkt in zweiter Reihe statt einfach ins Parkhaus zu fahren. Wie gesagt: Es sind kostenlose Parkplätze. Die Fahrer trauen es sich halt nicht zu, hier zu parken. Denn neben jedem dritten Parkplatz ist eine Betonsäule, die teure Schrammen verursachen kann. Oder ein anderer SUV.

Ein Teufelskreislauf. Die SUVs fahren nicht in Tiefgaragen, also bleiben sie die Parkplätze dort leer, also werden sie Straßen noch voller. Volle Straßen bestärken Auto-Käufer, nach einem robusteren PKW zu suchen. Der höchstwahrscheinlich viel zu groß ist für Kölner Straßen.

Legal ist doch legal?

Wenn ich behaupte, dass Autos „zu groß“ sind, hangle ich natürlich an einem fragwürdigen Konzept entlang. Wie groß ist „zu groß“? Die Leute haben von einem amtlich zugelassenen Händler ein Fahrzeug erworben, das vom Kraftfahrbundesamt genehmigt wurde. Dass der Gesetzgeber und die Ämter wegsehen, wenn ein Auto nicht mehr in eine Waschanlage passt, können sie ja nicht verantworten. Außer wenn sie mit offenen Augen durch die Straßen gehen und bemerken, dass Rollator- oder Rollstuhl-Nutzer nicht mehr den Fußweg vor ihrem Haus benutzen können.

Ach, da passt ein Fußgänger doch prima durch!

Wie rapide sich der Verkehr in Köln-Sülz verändert hat, war extrem beeindruckend. Als etwa die neue U-Bahn gebaut wurde, stellte ich zum Beispiel überrascht fest, dass schlichtweg alle Straßen von meiner Wohnung in Richtung der anderen Rheinseite für Radfahrer gesperrt waren. Für Autofahrer wurden Umleitungen eingerichtet, für Radfahrer gab es hingegen nur zusätzliche Verbotsschilder bis schließlich keine einzige Straße übrig war. Die einzige logische Erklärung: Verwaltung und die Straßenarbeiter gingen schlichtweg davon aus, dass Radfahrer die Schilder sowieso ignorieren. Ein inoffizielles Arrangement: Die Polizei und Ordnungsamt sehen weg, wenn Radfahrer verkehrt fahren, da sie selbst bei der Planung der Straße und der Baustellen weggesehen haben.

Mehr Blech gewinnt

Problem: Dieses Arrangement konnte spätestens seit den Nullerjahren nicht mehr aufrecht erhalten werden. Zu viele Leute sind als Radfahrer unterwegs. Zu viele Leute sind mit dem Auto unterwegs. Und die Leute reagieren mittlerweile sehr massiv darauf, wenn vor ihrer Haustür Leute totgefahren werden. Also wurden etwa die Einbahnstraßen von Sülz für Radfahrer zu Zweibahnstraßen.

Problem gelöst? Nein. Denn wann immer ich eine dieser Einbahnstraßen mit dem Fahrrad benutze, kommt mir ein Auto entgegen, das schlichtweg nicht genug Platz für mich lässt, weil es zu breit ist und die am Straßenrand parkenden Autos ebenfalls zu breit sind. Zwanzig Zentimeter hier, zwanzig Zentimeter dort — und schon klappt der kalkulierte Verkehrsweg nicht mehr. Wie zuvor bei den Radlern hat die Stadtverwaltung eine Laissez-faire-Haltung entwickelt. Regelt das doch unter Euch. Wer mehr Blech hat, gewinnt.

Sobald Fahrradwege auf die Fahrbahn gezeichnet werden, werden sie rücksichtlos zugeparkt. Das passiert nicht nur aus purer Not, sondern weil die Fahrer der Auffassung sind, dass sie ein Recht dazu haben. Im fließenden Verkehr schneiden insbesondere SUV-Fahrer Radler regelmäßig — teils unbewusst, teils sogar absichtlich. Neulich hat mich ein BMW-Fahrer in einer Tempo-30-Zone ausgehupt und beschimpft, weil ich auf der Fahrbahn fuhr. Seiner Meinung nach gehörte ich auf den Fußweg nebenan. Selbst wenn nur ein Prozent der Autofahrer dieser Auffassung sind — wenn ich einmal die Luxemburger Straße entlangfahre, werde ich von mehr als 100 Autos überholt. Die Erwartungshaltung im Straßenverkehr genötigt zu werden, ist mittlerweile so hoch, dass ich mir einen extrabreiten Fahrradkorb zugelegt habe, damit ich ein imposanteres Profil aufbiete. Viele Radler haben aber aufgegeben und fahren gleich auf dem Bürgersteig. Was dann die Fußgänger zu verständlichen Protesten antreibt.

Auch die Autofahrer sind zunehmend frustriert. Wenn ich als Kind mit unserem Familienauto unterwegs war, war das eine einfache Sache. Ich öffnete die Autotür und stieg ein. In meiner Kölner Nachbarschaft ist das allzu oft keine Option mehr. Die Kinder dürfen die Türen nicht selbst öffnen, da viel zu wenig Platz zum Nebenauto bleibt und sie Lackschäden verursachen würden, wenn die Tür ungehindert aufschwingt. Also muss Papa oder Mama Chauffeur spielen, und jedem Kind die Tür genau den richtigen Spalt offen halten. Oder sie parken aus, bleiben auf Gehweg oder Straße stehen und beginnen dann eine mehrminütige Verlade-Aktion. Ein neuer Verleihauto-Anbieter parkt neuerdings seine Wagen mit dicken Werbesprüchen in der Nachbarschaft: Man zahlt nicht mehr für den Stau, sondern nur für die gefahrene Strecke. Dass man staufrei zum Einkaufen fahren kann, scheint eine Erinnerung an ferne Zeiten.

Die kritische Masse

Ein Geländewagen alleine ist noch kein Problem. Eine Stadt muss schließlich auch für Lieferwagen, Busse oder LKWs befahrbar sein. Das Problem ist die kritische Masse an übergroßen PKWs, die in meiner Nachbarschaft inzwischen weit überschritten wurde. Was sollen wir also tun? Die Straßen im gleichen Ausmaß verbreitern wie die Autos? Das wäre sicher schön, doch wie soll das gehen? Reißen wir alle Häuser ab und bauen sie dreißig Zentimeter schmaler neu auf? Oder einigen wir uns auf Regeln, die SUVs auf ein verträgliches Maß reduzieren?

Ich habe Volkswirtschaft studiert. Ein Konzept, das wir damals als erstes lernten, war das der „externen Kosten“. Wer ein überbreites, überlanges und überhohes Autos kauft, verursacht wahrscheinlich viele Probleme für andere Verkehrsteilnehmer. Weit mehr Probleme, als durch die zusätzlichen Steuern und Gebühren abgedeckt sind. Um diesen Mißstand zu lösen, müsste man die externen Kosten internalisieren. Das macht jedoch niemand. Ein SUV ist für den Gesetzgeber trotz Klimapaket bis heute nichts prinzipiell anderes als ein Renault Twizy, der weniger als 1,20 Meter breit ist und kein Benzin tanken kann.

In den letzten Tagen sind mit immer wieder Tweets von Kollegen aufgefallen, die sich darüber echauffieren, dass SUV-Fahrern mittlerweile ab und zu die Meinung gesagt wird. Diskriminierung! Ein Auto, auf dem gar ein paar harmlose Sticker geklebt wurden, wird gar zum Schauplatz krimineller Sachbeschädigung.

Diese Dünnhäutigkeit ist wirklich bemerkenswert. Wenn man diese Maßstäbe anlegt, hätte man etwa Fortuna Köln vor Jahrzehnten als kriminelle Organisation verbieten müssen. Aber solche Vergleiche sind natürlich albern. Diese Dünnhäutigkeit ist Ausdruck eines Verteilungskampfes um den öffentlichen Raum. Wer mehr Blech hat, gewinnt. Dieser Grundsatz ist zwar nirgends aufgeschrieben, er gilt dennoch vielen als eine Grundfeste unserer Gesellschaft.

Nun. Wer die Augen ab und zu mal aufmacht, muss einsehen, dass es so nicht mehr geht. Nur wie finden wir einen neuen Kompromiss, wenn man nicht mal das Verhalten Einzelner öffentlich kritisieren und hinterfragen soll?

Falschparker

Gestern sah ich in Köln zufällig dieses Fahrrad. Jemand hatte es auf der Straße abgestellt. Nicht ganz im Rand, nicht am Fahrradständer nebenan, einfach auf der Straße.

Hätte es vier Räder, eine Karosserie und einen Benzintank, würde es in der Nachbarschaft als Falschparker kaum auffallen. Ohne diese Elemente wirkt es jedoch kurios.

Steltermania – Über Karneval und Humor

Wir sind nun am Tag vier des üblichen Pseudo-Skandals zum Kölner Karneval angekommen. Ganz Deutschland diskutiert über die Frage: Darf man Witze über Doppelnamen machen??? Und was denkt Bernd Stelter dazu, der Nicolás Maduro der deutschen Comedy?

Was mich etwas enttäuscht: Es wurde so viel drüber geschrieben, doch irgendwie fällt es niemandem auf: Da war überhaupt kein Witz. Bernd Stelter hat den Namen von Annegret Kramp-Karrenbauer einfach nur höhnisch ausgesprochen — und das war es auch schon. Keine Pointe, nichts. Nur ein paar Prämissen: Er baute darauf, dass das schon ausreicht. Niemand im Festsaal mag die Politiker da oben, niemand mag Emanzen — und niemand will eine sein.

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Das Haupt-Problem an der Kalkulation: Wir schreiben das Jahr 2019. Und tatsächlich stand eine Zuschauerin auf und geigte Stelter für ein paar Sekunden(!) die Meinung. Wir sind wirklich in einem Humor-Entwicklungsland, wenn es uns so bemerkenswert erscheint, dass ein Comedian angeschnauzt wird. Aber nein, es war nicht einfach ein Comedian. Die Frau hat ein ein Heiligtum, den Status Quo, den Karneval beleidigt. Oder in den Worten der Geheiligten Schrift des Express:

Hätte er Witze über Religionen, Minderheiten oder unter der Gürtellinie gemacht, könnte man das Verhalten der Dame noch im Ansatz verstehen. Doch es ging schlicht: um einen Doppelnamen. Unfassbar! Der Kölner Karneval ist weltoffen, das soll auch so bleiben. Aber eines muss klar sein: Egal ob Randalierer oder Sitzungsstörer – solche Typen haben hier im Kölner Karneval nichts zu suchen.

Die katholische Gürtellinie

Um Gottes Willen – Bernd Stelter soll Witze über Religion machen? Wo er doch beabsichtigt niemanden zu beleidigen? Was soll das für ein Witz sein? Kardinal Meisner war über Jahrzehnte ein Witz – und er konnte immer versichert sein, dass der Karneval auf seiner Seite ist. Im Großen und Ganzen. Leute wie Stelter suchen lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner für ein Saalprogramm, das sie wortgleich fünf bis zehn Mal am Tag heraustrompeten können. Eintrittspreis: 40 Euro. Kölsch geht extra. Und ihr braucht eine Menge Kölsch.

Ich fände es wirklich komisch – in beiden Sinnen des Wortes — wenn diese Episode einen positiven Effekt hätte. Die Lehre sollte aber nicht sein: Du darfst keine Witze über Doppelnamen machen. Sondern: Du sollst richtige Witze machen. Und das ist schwere Arbeit, für die es Profis braucht.

Comedy ist vergänglich. Wer meint, dass ein Witz, der vor 50 Jahren gut war, heute noch unverändert gut ist, sollte sich in eine Humorklinik begeben. Wer meint, dass die gleichen Doofwitze der immer gleichen Nasen das sind, was den Kölner Karneval groß macht — die Technik ist inzwischen soweit, dass man ein Hologramm von Dieter Hallervorden auf die Bühne stellen kann. Palimm-Palimm! Haben sie eine Flasche Pommes? Zeitlos! Gegen Aufpreis auch mit Kölschem Akzent. Gesprochen von einem Bläck Fööss. Oder einem Kasalla.

Wer Witze machen will, sollte neugierig sein. Die Lebenswirklichkeit einatmen und ständig reflektieren. Ich erwarte von Comedians keine perfekt ausgewogenen Berichte, die uns Journalisten Konkurrenz machen. (Meta-Pointe!) Aber Comedy sollte zumindest eine emotionale Wahrheit transportieren. Und Comedy sollte ein Dialog sein. Wer mit einer Nummer nicht ab und zu Schiffbruch erleidet, traut sich einfach nichts, sondern sucht lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Heil Alaaf!

Im Zuge der Debatte wird immer wieder ein Karnevals-Redner zitiert. 1973 schaffte es Jonny Burchhardt, dass ihm ein kompletter Saal auf sein „Sieg“ von der Bühne mit einem spontanen „Heil“ antwortete.

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Er wechselte flugs zu einem Frisör-Witz, um sein Publikum nicht zu viel Zeit zu lassen. Die durften um Gottes Willen nicht darüber nachdenken, dass der Redner da vorne sie grade als Nazis vorgeführt hatte. Ich nehme an, das ist das letzte dokumentierte Beispiel von Humor im Kölner Karneval, bei dem das Publikum tatsächlich motiviert wurde, über sich und die eigenen Lebensumstände nachzudenken.

Um Kant zu zitieren: Comedy ist der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Einst stand Karneval für das erste, nun ist er das zweite.

Ich liebe Comedy. Ich gucke viel zu viel Comedy. Ich gehe in Comedy-Clubs. Und ich warte eigentlich darauf, dass mich Leute beleidigen. Das passiert jedoch nie. Denn ich bin die Zielgruppe, die lachen soll, weil sie den Eintritt bezahlt. Neulich versuchte ein junger Comedian, der im Ausland geboren war, eine Ungeheuerlichkeit: Er nannte uns im Publikum — ungeheuerlich! — „Kartoffeln“. Weil: Deutsche. Ich wartete verzweifelt auf die Pointe, aber es kam keine. Doch da kamen allenfalls ein paar Schocklacher: Da auf der Bühne hat jemand ein Pipi-Wort gesagt!

Comedians: Wenn ich lachen soll, strengt euch an. Stellt die Glaubenssätze meiner Existenz in Frage. Verachtet meinen Musikgeschmack. Erzählt mir über meinen Job, aber gebt mir das Gefühl, dass ihr Ahnung habt, wovon ihr sprecht.

Und Publikum: Wenn ihr 40, 60, 150 Euro für eine Eintrittskarte einer Sitzung bezahlt, dürft ihr Profis erwarten. Profis, die auch mal ein Publikum lesen und ihre Nummern anpassen können. Nicht um sie zu verschonen, sondern um den Punkt zu finden, wo es tatsächlich weh tut. Und das heißt nicht, dass das in eine Beleidigungsorgie ausarten soll. Man soll halt etwas spüren. Ein wirklicher Witz pro Stunde — ist das denn zu viel verlangt?

Falls ihr hingegen nur Blondinenwitze hören wollt, zahlt das Kölsch mit einem Aufpreis dafür, dass Ihr Euch für ein, zwei Stunden nicht mit Ehepartnern und Freunden unterhalten musstet. Und dann schwankt stillvergnügt — mit Betonung auf „still“ — nach Hause.

„Ich bin kein Bot, nehmt mich ernst“

Gestern war ich mal wieder bei einer netzpolitischen Demo in Köln. Da ich offenbar der einzige Journalist vor Ort war, der für Medien jenseits von YouTube arbeitet, schreibe ich hier einige Kontexte und Eindrücke auf.

Zunächst mal: Die Demo war ein außergewöhnlicher Erfolg. Innerhalb von nur zwei Tagen hatten es die Organisatoren geschafft, ihre Botschaft zu verbreiten und ihre Follower davon zu überzeugen, dass es nicht reicht, nur eine Online-Petition zu unterschreiben oder im eigenen Kreis per WhatsApp oder TeamSpeak über die Politiker zu lästern. Auf der Straße waren schätzungsweise 1000 bis 1300 Teilnehmer. Ich habe viele Demos gesehen, die mit einem Vielfachen an Aufwand und Vorbereitungszeit lediglich 200 oder gar nur 50 Leute auf die Straße brachten – selbst wenn die Bedingungen ideal waren.

Die YouTube-Szene hat sich in den vergangenen Jahren nie wirklich für netzpolitische Themen mobilisieren lassen – und wenn sie doch aktiv wurde, tat sie das außerhalb der etablierten Strukturen. Das Medium einer Straßendemo ist für alle Beteiligten ziemlich wesensfremd. Diese machte sich schnell bemerkbar: So gab es statt des üblichen Lautsprecherwagens nur einen Lautsprecher, der von zwei Ordnern in die Höhe gehalten wurde, so dass einige Redebeiträge kaum verständlich waren. Solche Lektionen muss jede neue Bewegung lernen.

Es handelt sich augenscheinlich um eine neue Bewegung. Von den Leuten, die sich sonst keine Netzdemo entgehen lassen, waren nur einzelne vor Ort. Im ganzen Demozug habe ich zum Beispiel nur eine Flagge der Piratenpartei gesehen. Es hat wohl schlicht niemand dran gedachte, die Piraten aus dem Kölner Umland frühzeitig zu alarmieren. Die Kanäle, auf denen sich der Demo-Aufruf massenhaft verbreitete, werden von Leuten über 30 Jahren eher selten gelesen.

Das heißt auch: Die Beteiligten haben noch nicht ihre vorgefertigten Talking Points parat. Einige Teilnehmer hatten allenfalls vage Vorstellungen davon, was sie denn konkret demonstrieren. Der erste Jugendliche, den ich drauf ansprach, war tatsächlich der Auffassung, dass seine Lieblings-Youtube-Channel oder gleich die ganze Plattform geschlossen werden würden. Gleich darauf wurde er aber von vier umstehenden Mitdemonstranten korrigiert.

Auch wenn der Artikel 13 auf fast allen Bannern explizit thematisiert wurde, ging es doch um mehr. Für die meist jugendlichen Teilnehmer ist YouTube ist nicht irgendeine Plattform eines Silicon-Valley-Konzerns, sondern eine Heimat. Hier haben sie nicht nur Gleichgesinnte, sondern ihre eigene Identität gefunden. Ein paar davon versuchen damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber für die meisten ist YouTube keine Geldquelle, sondern Ursprung einer Solidarität, die sie sonst nicht im Leben erfahren. Ich lebe nicht nur mein Leben, ich lebe Deines mit, wenn Du mich dran teilhaben lässt.

Genau diesen Nerv hatten Politiker wie Sven Schulze getroffen, die darauf bestehen, dass der Widerstand gegen die Urheberrechtsreform eine externe Kampagne ist, die mit Bots und Fake-Emails agiert. Insbesondere ein Banner brachte es daher auf den Punkt: „Ich bin kein Bot, nehmt mich ernst!“ Ein anderer gern zitierter Spruch: „Warum sollen alte Männer über mein Internet bestimmen?“ Andere Botschaften waren krasser: „Artikel 13 tötet uns“. Viele befürchten, dass die Freiheiten unter denen sie aufgewachsen sind, nun wieder genommen werden sollen. Dass sie in Rollenschemata einer für sie vergangenen Welt gepresst werden sollen.

Für viele war es die erste Demo ihres Lebens. Deshalb steht es in den Sternen, wie es weitergeht. Schaffen die YouTuber — man erlaube mir hier diese Vereinfachung — den Schulterschluss mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen? Brauchen sie den überhaupt, damit die Abgeordneten des Europaparlaments in den protestierenden Jugendlichen eine zu wichtige Gruppe für den Wahltermin im Mai sehen und nicht nur einen Bestandteil des Lobbyings von Google? Ausgeschlossen scheint mir, dass die etablierte Politik die Jugendlichen davon überzeugt, dass die Urheberrechtsreform in ihrem Interesse ist. Dazu wurde zu viel Porzellan zerschlagen.

 

 

Willkommen in der Alkoholmetropole Köln

Das Festkomitee Kölner Karneval hat einen Flyer herausgegeben, der insbesondere Flüchtlinge über den Karneval informieren soll. Ich erinnere mich noch halbwegs gut an meine Anfangszeit in Köln und glaube, dass das Komitee einen bemerkenswert schlechten Job gemacht hat, Karneval für Außenstehende zu erklären.

So erfahren die Leser, dass Karneval seit 1823 gefeiert wird, dass es über 100 Karnevalsvereine gibt und wie viel ungefähr der Eintritt für eine Karnevalssitzung kostet. Das ist für Touristen sicher interessant. Doch wer hier zum ersten Mal hier lebt, und noch nie von Karneval gehört hat, sollte meiner Meinung nach ein paar andere Dinge zuerst erfahren. Zum Beispiel wann Ämter geschlossen sind. Oder was es mit den „Alaaf“-Rufen auf sich hat. Warum die Leute Strohpuppen verbrennen.

Vor allem über ein Thema sollte man jedoch ausführlich sprechen: Alkohol. Den Punkt verschweigt das Festkomitee zwar nicht völlig, die Aufklärung lässt aber zu wünschen übrig.

Muss man Alkohol trinken, um mitfeiern zu können? Viele Kölner trinken zwar an Karneval Bier oder andere alkoholische Getränke, das ist aber natürlich keine Pflicht. Spaß haben, singen und tanzen kann man ohne Alkohol mindestens genauso gut.
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Ich finde es nicht fair, die Leute anzulügen. Wer einmal gänzlich nüchtern in einem Raum voller Betrunkener war, kann eindrücklich bestätigen, dass das Erlebnis nicht „mindestens genauso gut“ ist. Wie wäre es mit einer etwas wahrheitsgetreueren Version, die den Leuten tatsächlich Orientierung bietet? Ein paar Vorschläge:

Der Karneval ist ein riesiges Massenbesäufnis. Leute kommen aus Hunderten Kilometern Entfernung nach Köln, um drei bis fünf Tage sich dem Alkoholrausch hinzugeben, zu singen und zu tanzen. Das ist weitgehend legal. Allerdings darf man alkoholisiert keine Autos oder Motorräder fahren, auch Fahrräder sind ab einem gewissen Alkoholpegel Tabu.
[…]
Passen Sie auf. Menschen unter Alkoholeinfluss werden oft aggressiv oder verlieren die Selbstkontrolle. Wir haben uns bemüht, Kinder vor Alkohol zu schützen, indem wir zum Beispiel Händlern bei Strafe verbieten, alkoholische Getränke an Kinder zu verkaufen. Doch es klappt nicht völlig. Jedes Jahr landen Kinder und Jugendliche wegen Alkoholvergiftung im Krankenhaus. Sollte Ihr Kind zu viel Alkohol getrunken haben und nicht mehr ansprechbar sein, wenden Sie sich an einen Arzt. Es gibt auch Veranstaltungen in denen Jugendliche beaufsichtigt ohne Alkohol feiern können. Karnevalsvereine erteilen gerne Auskunft.
[…]
Alkoholkonsum führt zu anstößigem Benehmen. Obwohl an vielen Stellen öffentliche Toiletten aufgebaut werden, urinieren manche Feiernde auf offener Straße oder übergeben sich. Bitte tun Sie es ihnen nicht gleich. Vor den Toiletten bilden sich lange Schlangen, also gehen Sie lieber zu früh als zu spät. Bedenken Sie immer: Es ist unklug, sich auf einen Streit mit alkoholisierten Menschen einzulassen. Wenn Sie in der Innenstadt wohnen, kann es bis in die Nacht laut sein. Allerdings geht das in einigen Tagen vorbei.
[…]
Ein Wahlspruch der Kölner zum Karneval ist „Trink doch ene mit“ – wenn Sie in Köln Karneval feiern, werden Sie freundlich genötigt werden, Alkohol zu trinken. Sollten Sie Alkoholkonsum nicht gewohnt sein, lehnen Sie höflich ab. Falls Mitfeiernde Sie weiter bedrängen, behaupten Sie, dass sie ein Medikament nehmen und deshalb nichts trinken dürfen. Wollen Sie dennoch mitfeiern halten Sie sich am besten an Kölsch, das relativ wenig Alkohol hat.
[…]
Der Karneval scheint omnipräsent und manchmal bedrohlich zu sein — doch keine Angst: Das normale Leben geht weiter. Busse und Bahnen fahren meist normal oder nach dem Feiertagsfahrplan. Allerdings dürfen Sie nicht damit rechnen, dass Dienstleister und Geschäfte geöffnet haben. Erkundigen Sie sich vorher, wann die Lebensmittelgeschäfte und Ämter geöffnet haben. Meist stehen die Karnevals-Öffnungszeiten auf Aushängen am Eingang.

Kölner geschockt: Matratzen-Geschäft schließt nach Räumungsverkauf

Ein ungewohntes Bild im Kölner Szene-, Arbeiter- und IT-Mekka Ehrenfeld. Ein unscheinbarer Laden an der Ecke Piusstraße steht plötzlich leer.

Was wie eine alltägliche Szene aussieht, ist für viele Anwohner unverständlich: „Das war schließlich ein Matratzenladen“, erklärt Klaus Paschulke, der mit seinem Hund Fritz täglich hier seine Runden zieht. „Matratzenläden schließen nicht“, sagt der Frührentner sichtlich irritiert. Auch Manuela Tröte, die in der Bäckerei nebenan arbeitet zeigt sich schockiert. „Alles hätte ich erwartet, nur das nicht.“ Jeden Morgen ging sie an den großen roten Plakaten vorbei, die einen Räumungsverkauf ankündigten. „Es war eigentlich alles wie normal“, sagt die Bäckereifachverkäuferin.

Was mit dem Laden nun geschehen wird, ist noch vollkommen unklar. Vielleicht zieht ein Thai-Massagen-Salon ein oder ein Bubble-Tea-Salon. Besonders letzter würde gut in die Nachbarschaft passen – der nächste Anbieter des Trendgetränks aus Asien liegt schließlich 60 Meter entfernt. Luftlinie. Rentner Paschulke ist aber optimistisch, dass ein anderer Matratzenladen in das Eck-Geschäft einziehen wird: „Wo soll ich sonst meine Drei-für-Zwei-Matratzen mit bis zu 77 Prozent Inventurrabatt bekommen?“

Kulturelle Teilhabe

Über Ver.Di habe ich vom Kölner Kabarett-Festival kommende Woche in Köln erfahren, bei dem sich Top-Kabarettisten der sozialen Ungerechtigkeit im Land widmen. Zu den Veranstaltungen gehört Die große Hartz-IV-Gala:

Hochkarätige Kabarettisten zünden ein Pointen-Feuerwerk auf dieser „Gala von unten“. Charity, Spenden, Hartz IV – Almosen der Reichen für die Armen? Unter dem Motto „Lacht kaputt, was euch kaputt macht!“ wird heute zurückgewitzt. Gegen Sozialabbau, schlechte Bildungschancen, Zwei-Klassen-Medizin und den sonstigen Klassenkampf von Oben.

Da haben die vielen Hartz-IV-Empfänger im Publikum endlich Mal etwas zu lachen. Oder auch nicht:

Preis: 24,- Euro (ermäßigt 18,- Euro für Schüler, Studierende, Auszubildende, KölnPass-Inhaber)

18 Euro sind für Bedürftige ein stolzer Preis — gerade für Hartz-IV-Empfänger. Es ist fast die Hälfte dessen, was für einen ganzen Monat Freizeitgestaltung und Kultur zur Verfügung steht. Und das obligatorische Kölsch wurde ja auch gestrichen. Die „Gala von unten“ wird daher wohl eine Gala aus der Mitte sein. Und Merkel-Westerwelle-Witze ziehen da immer.

Poetry Slams funktionieren einfach nicht

Poetry Slams boomen seit Jahren. Erst Geheimtipps unter Studenten, dann „Open Mic“-Abende, dann Kulturfestivals mit den supergenialtollsten Slammern. Aber geben wir uns keinen Illusionen hin: Poetry Slams funktionieren einfach nicht.

  • Zum einen ist diese Kunst total unterfinanziert. Was gibt es bei einem Slam schon zu gewinnen? 50 Euro? Eine Fußmassage vom Gastgeber? Wer slammen will, braucht einen anderen Beruf. Wie soll sich eine Kunst so etablieren? Der kleine Call-Center-Chor geht auf Tournee und schläft auf Sofas und durchgelegenen Gästebetten. Nein, das klappt einfach nicht. Nicht auf Dauer.
  • Zum zweiten: Slammer sind die Twitterer unter den Literaten. Fünf Minuten Perfomance sind eigentlich noch weniger als 140 Zeichen Textbotschaft. Was kann man da schon machen? Eine Pointe drei Mal wiederholen? Mit ein und dem selben Wortwitz so lange punkten, bis einen der Gong erlöst? Hurz! Hahaha, der nächste Komiker. Das ganze ist so flüchtig, dass die Zuhörer zu Ende des Applauses nicht mehr wissen, wofür sie eigentlich klatschen! Das ist doch keine Literatur!
  • Zum dritten: Die Schwelle ist viel zu hoch. Ja, es trauen sich noch ab und zu Anfänger auf die Bühne, zittern ungestüm und werden in der Vorrunde vom Platz gefegt. Sie kommen, um sich Selbstbestätigung zu holen und dann fegt ein Sebastian23 oder andere angereiste Slammer-Prominenz sie von der Bühne. Die leisen Töne gewinnen nie!

Und deswegen spielt es – in großem Maßstab betrachtet – auch keine Rolle, dass der Reim in Flammen gestern abend wieder durch und durch gelungen ist, dass eine Newcomerin mit leisen Tönen gewonnen hat und dass die Veranstalter sich schon wieder Gedanken um einen größeren Veranstaltungsraum machen müssen. Wenn alle kapieren, dass Poetry Slams nicht funktionieren können, wird es schon wieder ruhiger werden.

Und ich sitze in der ersten Reihe.

Street! Art?

Da im überdachten Teil Berlins Kunst und Kultur so überaus spärlich gesät sind, haben die Berliner Blogger – also die Zugereisten aus Schwaben und dem Rheinland – die „Street Art“ entdeckt, die sie mit ihren iPhones und Blackberries fotografieren und mit der sie schrecklich angeben.

Nun: in der Internethauptstadt Köln haben wir auch Straßen!

Ob das Kunst ist – keine Ahnung… Aber Straßen haben wir!