Es gibt keine Gesetzeslücke im Fall Edathy

Die Politik funktioniert in der Affäre um Sebastian Edathy grade wie ein Überdruckventil. Wenn kein Spitzenmann der SPD zurücktritt, dann soll eben ein neues Gesetz her!

Der Vorschlag, der derzeit verbreitet wird: Alle kommerziellen Nacktaufnahmen von Kindern sollen verboten werden. Dazu kann ich nur sagen: Nein!

Es ist ein typischer Vorschlag in solchen Situation: Er hätte weder den in diesem Fall betroffenen Kindern geholfen, gleichzeitig würde er viele kriminalisieren, die keinerlei kriminelle Absichten haben.

Wie Gerhard Baum heute morgen im Deutschlandradio ausführte, sind die Kinder, deren Fotos Edathy gekauft hatte, tatsächlich auch missbraucht worden. Und deshalb wurden sie auch identifiziert und sind von ihrem Umfeld getrennt worden. Die jetzige Rechtslage reichte dafür aus. Denn nach jahrelangem Kampf haben es die Kinderschutzverbände tatsächlich geschafft, international weit reichende Gesetze gegen Kindesmissbrauch und die Verbreitung von Bildern zu schaffen.

Nackte Kinder hingegen gehören zu unserem Alltag, deshalb finden sich in unseren Familienalben Bilder von nackten Babies, Kleinkindern, etc. Und jede Zeitung, jeder Fernsehsender hat solche Bilder im Archiv. Ein Familienalbum landet auf dem Flohmarkt? Eine Straftat! Schließt man die vermeintliche „Gesetzeslücke“ müssten die Strafverfolger Tausende von Verfahren gegen Leute einleiten, die niemals zu Kindesmissbrauch beigetragen haben. Denn Gesetze haben keine Fußnote: „Diesen Paragraphen bitte nur auf böse Menschen anwenden“.

Dass Edathy „davonkommt“, sollte niemanden beunruhigen. Seine politische Karriere war schon vor der Durchsuchung faktisch beendet. Eine Geldstrafe, wie sie von dem von der Staatsanwaltschaft bisher vergeblich beschworenen „Graubereich“ vielleicht hätte fällig sein können, hätte keinen erkennbaren Effekt.

Es ist Politikern so vieles verboten, was nicht verboten ist. Er hätte sich auch völlig legal Prostituierte in sein Büro bestellen, in der Bundestags-Raucherzone einen Eigenbedarfs-Joint anzünden, er hätte mit einem Jagdgewehr durch Berlin ziehen können. Alles legal, aber politisch wäre er erledigt gewesen. 

Begriffsproblem Kinderpornografie

Immer Mal wieder gibt es die Forderung, dass man in der öffentlichen Diskussion nicht „Kinderpornografie“ schreiben solle, sondern eben „Dokumentation von sexueller Gewalt“. Beide Begriffe sind in zentralen Aspekten richtig und falsch.

Die Kritiker des Begriffs „Kinderpornografie“ kritisieren, dass das Wort die unterschiedlichen Phänomene „Pornografie“ und „Kinderpornografie“ gleichstellt. Da ist sicher etwas dran, wenn man andere Ausdrücke wie „Kinderportion“, „Kinderschokolade“, „Kinderstreitigkeiten“ vor Augen hält. Demnach wäre „Kinderpornografie“ sozusagen eine kleinere, weniger ernst zu nehmende Variante von Pornografie. Ich habe auch schon die Variante „Kiddie Porn“ gehört, die ich als eindeutige Verharmlosung empfinde.

Wenn ich auch zustimme, dass der Begriff „Kinderpornografie“ alleine nicht beinhaltet, dass es sich hier um eins der schlimmsten Verbrechen in unserer Gesellschaft dreht, ist dies alleine jedoch nicht Grund den Begriff abzulehnen. So werden Begriffe wie „Kindesmissbrauch“ oder „Kindeswohl“ eben nicht als Verkleinerung des allgemeinen Begriffs benutzt, das angehängte Wort wird sogar verstärkt.

Weg von der Wortklauberei: Ein weiteres Argument ist, dass Pornografie an sich legal und vielleicht sogar positiv belegt sei. Dem würde ich mich auch nicht ganz anschließen. Zwar hat die Playboyisierung der Medienwelt, die Hugh Hefners Villa als Disneyland für Erwachsene feiert, sicher zu einem schiefen Bild des Gewerbes geführt, das solche Dinge wie Zwangsprostitution überdeckt. Auch Ausdrücke wie „voll porno“ negieren ein Problem.

Dennoch ist der zentrale Aspekt von Pornografie nicht selbstbestimmte Sexualität, sondern eben die Darstellung von Sex mit dem Ziel den Betrachter sexuell zu erregen. Wer Amateurporno auf YouPorn ansieht, woher weiß er, dass es sich dabei tatsächlich um einvernehmliche Akte handelt?

Der Ausdruck „Dokumentation sexueller Gewalt“ hat sicher den Vorteil, dass unmissverständlich klar wird, dass es hier um Gewalt, um ein Verbrechen geht. Doch das Wort „Dokumentation“ ist extrem irreführend. Es impliziert, der dokumentierte Vorgang werde ohnehin stattfinden, was im Fall der organisierten Kinderpornografie-Beschaffung und -Verteilung oft nicht so ist. Auch wenn nicht immer monetäre Faktoren entscheidend sind — der viel zitierte Milliardenmarkt existiert wohl nicht — Kinderpornografie ist auch Währung innerhalb einer Szene, die sich auch über das Internet zusammenfindet.

Gleichzeitig negiert der Begriff „Dokumentation“ den psychischen Effekt beim Betrachter. Die meisten Konsumenten von Kinderpornografie betrachten die Filme und Fotos nicht, um dem Verbrechen auf die Spur zu kommen — diejenigen, die es tun, leiden oft unter enormen psychischem Stress. Es geht um sexuelle Triebe, um Befriedigung und leider auch um Triebverstärkung. Kriminologen haben gezeigt, dass sich zumindest ein Täterkreis an den Filmen und Fotos vor tatsächlichen Übergriffen auf Kindern geradezu psychisch aufgerieben haben. Kinderpornografie macht etwas mit uns und die Veränderung liegt unter den Ebenen unseres Wesens, über die wir rationale Kontrolle ausüben. „Dokumentation“? Eher nicht.

Was bleibt also zu tun? Wir haben zwei unperfekte Begriffe. In meinen Augen sollte man daher beide in den entsprechenden Kontexten verwenden und ihre Defizite dabei nicht außer acht lassen.

JMStV auf britische Art: Netzsperren für Pornos

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident hat es schon klar gemacht – wenn die schöne Illusion des staatlichen Jugendmedienschutzes nicht durchsetzbar ist, muss man zu härteren Mitteln greifen: Sperrverfügungen – auch bekannt als Netzsperren.

Die britische Regierung — nicht gehindert durch ein föderales System — ist offenbar schon weiter, wie ein Artikel der Sunday Times beschreibt:

THE UK Government is to combat the early sexualization of children by blocking internet pornography unless parents request it, it was revealed today.

[…]

Instead of using parental controls to stop access to pornography – so-called „opting out“ – the tap will be turned off at source. Adults will then have to „opt in.“

Sprich: die Provider sollen sämtliche Internetseiten weltweit nach Porno-Gehalt qualifizieren und für ihre Kunden sperren. Zugang erhält nur, wer sich einem — wie auch immer gearteten — Alterscheck unterzieht. Die Erfahrung lehrt, dass solche Klassifikationen sehr verschieden ausfallen können. Selbst beim relativ gut abgegrenzten Begriff Kinderpornografie gibt es zum Teil große Schwierigkeiten.

Kurios ist die Begründung:

It follows the success of an operation by most British internet service providers (ISPs) to prevent people inadvertently viewing child porn websites. Ministers want companies to use similar technology to shut out adult pornography from children.

Sprich: die Kinderporno-Sperren sind das Vorbild. Was bei Kinderpornos funktioniert, muss ja auch für Pornos klappen.

Dazu gibt es zweierlei zu sagen. Erstens: Ob die Kinderporno-Sperre in Großbritannien ein Erfolg ist, hat bisher niemand wirklich untersucht. Einige Provider sperren, andere sperren nicht. Die Zahl der Sperren wird registriert – und das war es auch schon. Ob die Maßnahme irgendeine Wirkung hatte, ist auch fast ein Jahrzehnt nach Einführung unbekannt. Dass sich Leute unabsichtlich Kinderpornos ansehen, ist nach meiner Erfahrung lediglich eine oft verwendete Schutzbehauptung — ob im Gegenzug die Bemühungen der britischen Polizei zur Löschung von Kinderporno nicht so ausgeprägt sind, wie sie sein könnten, wurde sicherheitshalber auch nicht untersucht.

Das Argument ist: das Mittel ist erfolgreich, weil das Mittel existiert. Mit der gleichen Begründung könnte man sagen, dass der Wintereinbruch in Deutschland keinerlei Verkehrsprobleme verursacht hat. Schließlich fahren ja regelmäßig Streufahrzeuge und die Enteisungs-Teams an den Flughäfen sind dauernd im Einsatz.

Zweitens: Aufgrund der enormen Menge an Pornografie im Netz sind die Maßnahmen sehr schwer umzusetzen. Die Kinderpornografie-Sperren betreffen im Höchstfall ein paar Tausend Seiten – legale Porno-Seiten gibt es hingegen im Millionenbereich. Hier zu filtern führt entweder zu dramatischen Über- oder Unterreaktionen. Entweder werden nur ein paar Seiten gesperrt oder die Ausmaße sind so dramatisch, dass selbst die Wikipedia riskiert, blockiert zu werden. Kinderpornografie und Pornografie sind nicht vergleichbar – im einen fall wird oft realer Kindesmissbrauch gezeigt, im zweiten Fall haben Erwachsene Sex, eins der fundamentalsten Rechte der Menschen. Ob freiwillig, unfreiwillig, ob aufklärend oder schädlich ist für Zugangsprovider schlicht nicht zu unterscheiden. Sexuell aufgeladene Nacktheit, Aufklärung, der obere Reihe im Zeitschriftenregal, der Graubereich ist enorm.

Doch was spielen Fakten für eine Rolle, wenn man öffentliche Empörung zur Entscheidungsgrundlage macht?

„In the past, internet porn was regarded as a moral issue or a matter of taste. Now it has become a mental health issue because we now know the damage it is causing. We are seeing perverse sexual behavior among children. Legislation is both justifiable and feasible.“

She quoted the example of two underage brothers sentenced to at least five years‘ detention this year for a sadistic sex attack on two other boys in South Yorkshire. The brothers were said to have had a „toxic“ home life where they were exposed to pornography.

Die Diagnose gesellschaftlicher Probleme anhand des Extremfalls ist ein üblicher politischer Schachzug — ob und welche Auswirkungen Internet-Pornografie auf die Jugend im Allgemeinen haben, ist bisher keinesfalls erwiesen.

Was werden diese Politiker wohl vorschlagen, wenn sie erkennen, dass Pornografie trotz ihrer Netzsperren weiterhin über P2P-Tauschbörsen oder gar Handies ausgetauscht werden? Wann kommt die Forderung, dass man doch auch Wikileaks sperren sollte? Wenn man Millionen Porno-Seiten sperren kann, sind 2000 Wikileaks-Mirror ja auch kein Problem.

Deutsche Netzsperren-Gegner können sich erst Mal freuen. Ihr Argument, dass Netzsperren einer Art recht schnell zu Sperren anderer Art und damit zu einer umfassenden Internet-Zensur führen werden, wurde einmal mehr bestätigt. Nicht in Saudi-Arabien, China oder der Türkei, sondern in MittelEuropa, in der Geburtsstätte der parlamentarischen Demokratie.

Meinungsfreiheit, Kinderpornographie und Konsequenz

In höchstem Maße ärgerlich sind Politiker, die jeden Widerstand gegen untaugliche Gesetze gegen Kindesmissbrauch als Versuch abzuqualifizieren, Kinderpornografie als Meinungsäußerung zu legalisieren. Wie absurd diese Argumente werden, fasst die österreichischen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner im Gespräch mit „Die Presse“ sehr schön zusammen:

„die Worte Meinungsfreiheit und Kinderpornografie in einem Satz zu verwenden, das ist für mich einfach unmöglich“.

Offenbar war es ihr doch möglich.

6,3 Stellen

Bei Kinderpornografie wird viel mit Zahlen herumgeworfen. Einige sind pure Erfindungen, andere veraltet oder auf grob geschätzt, wieder andere werden schlichtweg aus dem Zusammenhang gerissen.

Grade mokieren sich viele Sperr-Gegner, dass das Bundeskriminalamt nur 6,3 Stellen zur Bekämpfung von Kinderpornografie hat – je nach dem, wem man zuhört sind diese Planstellen für die Bekämpfung des Kindesmissbrauchs in Deutschland zuständig. Eine kleine Erinnerung: Polizei ist in Deutschland Ländersache. Das BKA kann allenfalls technische Unterstützung leisten und Koordinierungsaufgaben erfüllen – der Großteil der Ermittler sitzt in den Landespolizeibehörden.

BILD meint: „Tatort Internet“ gucken!

„BILD“ hat mal wieder die Bundesjustizministerin zum Verlierer des Tages gemacht:

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (59, FDP) sieht weiterhin keinen Grund, Daten von Online­Kriminellen wie Kinderschändern zu speichern. In einem Papier für die FDP-Fraktion bestreitet sie Sicherheitslücken, widerspricht insoweit auch dem Bundeskriminalamt (BKA).

BILD meint: „Tatort Internet“ gucken!

Was BILD und wohl auch „Tatort Internet“ nicht erwähnt: Mit der Vorratsdatenspeicherung werden keineswegs nur Daten von „OnlineKriminellen“ gespeichert, sondern auch die von „OnlineOpfern“, von „OnlineZuschauern“ und auch von „OnlineIrgendwem“. Kurz gesagt: von jedem.

An anderer Stelle titelt BILD: Kinderschänder beschimpfen Stephanie zu Guttenberg und blendet dabei jede legitime Kritik an der Sendung aus. Alleine ein Satz-Zipfel der „Südeutschen Zeitung“ hat es in den Artikel geschafft:

Auf einschlägigen Seiten warnen sich Pädophile gegenseitig: „Gebt Obacht, wenn ihr euch in der nächsten Zeit verabredet!“ Andere jammern: „Sind wir wirklich solche Monster?“ Oder fühlen sich wie Juden diskriminiert: „Irgendwann bekommen wir ’nen Stern auf die Brust.“

Das sieht die „Süddeutsche Zeitung“ offenbar ähnlich. Das Blatt attackiert besonders Stephanie zu Guttenberg. Deren Einsatz gegen Kinderschänder habe „die Lynchmobs des Ku-Klux-Klan“ zum Vorbild, heißt es dort. Die Ministergattin wecke einen „gefährlichen Volkszorn“ gegen erwachsene Männer, die mit 13-jährigen Kindern Sex haben wollen.

Was der SZ-Autor Adrian Kreye schrieb, findet man hier:

Das Bedenkliche an der Sendung ist, dass unter der Schirmherrschaft einer Ministergattin ein gefährlicher Volkszorn geweckt wird. Demokratie und Rechtsstaat stellt Tatort Internet prinzipiell in Frage. Sie wolle die laschen Gesetze verschärfen, betonte Frau zu Guttenberg in der Sendung immer wieder. Man solle endlich unsere Kinder schützen, fordern die Einspieler im Alarmton. Das sind berechtigte Anliegen. Doch vielleicht sollte sich Stephanie zu Guttenberg bei ihrem Einsatz für unsere Kinder lieber ein Vorbild bei der Präsidentengattin Eleanor Roosevelt nehmen, die sich für Mütter und Kinder in Parlament und Regierung stark machte, als bei den Lynchmobs des Ku Klux Klan. Demokratie und Bürgerwehr bleiben ein Widerspruch.

„Erfreulich unvoyeuristisch“

Eigentlich wollte ich mir den ganzen Quatsch um den „Tatort Internet“ sparen. Die einen empören sich über das Gezeigte, die anderen empören sich darüber, wie das Gezeigte instrumentalisiert wird – für rationale Argumente ist hier wenig zu gewinnen. Zudem: das Format ist seit Jahren immer Mal wieder über deutsche Bildschirme gelaufen – mit etwas weniger Trash und weniger Ministergattinen-Glamour, aber das Prinzip war bekannt. Also keine Überraschungen.

Dass der „stern“ die Sendung gut findet, war zu erwarten – schließlich ist diese Woche der „Tatort Internet“ auch Titelthema der Zeitschrift. Die Fernseh-Kritik von stern.de hat mir aber dann doch kurz den Atem verschlagen. Nicht weil sie den übrigen Kritiken diametral widerspricht, sondern auf welche Weise der Autor Gernot Kramper eine positive Rezension hinbiegt.

Die erste Strategie: Erwartungen dämpfen. Das hört sich dann so an:

Hohn und Spott hagelte es zunächst für den Trash-Sender RTL2. Der Exotenkanal gilt als „One-Hit-Wonder“ der TV-Landschaft und ist einer breiteren Öffentlichkeit vor allem durch seinen Dauerbrenner „Big Brother“ bekannt. Das ist die Containershow, die mit einer explosiven Mischung von bräsigen Dumpfbacken und traurigen Pornosternchen den Begriff Prekariatsfernsehen in immer neue Niederungen führt.

Kurzum: Wenn sich Frau zu Guttenberg nicht nackig macht und einem Frauentausch im Container zustimmt, ist das Niveau der Sendung höher als es bei RTL2 zu erwarten war. Vielleicht hat der Sender sein Programm erst so spät geändert, damit Leute, die eigentlich eine Reportage über Sexsüchtige voyeuristische Fleischbeschau sehen wollten, von dem Format angesprochen werden. Diese Menschen muss man halt da abholen, wo sie intellektuell anzusiedeln sind.

Das Urteil fällt demgemäß positiv aus:

Mit der eigentlichen Sendung hat das Lamento nichts zu tun und die erste Folge von „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“ war weit besser als gedacht. „Tatort Internet“ ist Infotainment und versammelt in seiner Bildsprache die grellen Hilfsmittel, mit denen heutzutage Informationssendungen aufgebrezelt werden.

Diese RTL2-Sendung war wohltuend unvoyeuristisch aufgebaut. Und das ist eine Leistung, denn viele andere Dokumentationen, die die schockierende Wahrheit über Themen wie den längsten Straßenstrich in Europa versprechen, locken ihre Zuschauer vor allem mit knisternden Rotlichtaufnahmen. In „Tatort Internet“ gab es nur die dumpfe Geilheit der Täter, die mit akribischen Vorsicht eines professionellen Kriminellen vorgingen und während der Konfrontation vor der Kamera dann ihre ganze Jämmerlichkeit zeigten. Übrigens vollständig verpixelt, so dass man kaum von einem Pranger sprechen kann.

Und richtig, bevor man sich über den Trash-Sender beschwert, sollte man fragen, wieso so ein relevantes Thema überhaupt bei dem obskuren Kleinsender landen konnte? Das konnte nur geschehen, weil Sender, die berufener gewesen wären, ihren Zuschauern das unangenehme Thema nicht nach dem Abendessen vorsetzen wollten.

Kurzum: Gernot Kramper baut seine positive Kritik darauf auf, dass die Sendung das übliche Niveau von RTL2 überschreitet. Allerdings muss man sich ernsthaft die Frage stellen, wo auf der Niveau-Skala Kramper seinen eigenen Text ansiedelt. Denn die Überschrift des Textes appelliert nun wirklich auch nicht an eine hochstehende Debattenkultur:

Und unter dem Artikel prangt – Medienpartnerschaft sei Dank – ein kurzes Best-Of der Sendung. Natürlich unvoyeuristisch wird hier das Opfer „Mandy“ interviewt – unterbrochen von möglichst vielen Einstellungen aus dem Kinderzimmer:

Welt.de schreibt dazu:

Mandy ist 12 Jahre alt und im Netz von einem älteren Mann, der sich als 16-Jähriger ausgegeben hat, missbraucht worden, genötigt worden sich auszuziehen. Es fällt ihr offensichtlich schwer darüber zu reden, anders als ihrer Mutter, die davon monatelang nichts mitbekam. Jeder Richter hätte bei einer Verhandlung die Öffentlichkeit ausgeschlossen, als Mandy sprach. Nicht so RTL2.

Und offensichtlich auch nicht Stern.de.

PS: Stern.de hat die Überschrift nun in „Die Freifrau und die bösen Männer“ geändert.

PPS: Wie überaus wenig informativ die Sendung war demonstriert Christian Geyer in der FAZ:

Hinter der fadenscheinigen Warnung vor „Zensur“ im Internet verschanzen sich Männer, die es auf Sex mit Minderjährigen anlegen. Stephanie zu Guttenberg dokumentiert in der neuen Sendereihe „Tatort Internet“, wie Kinder und Jugendliche leichte Beute für Chat-Täter werden.

Geyer setzt kurzerhand jede Kritik an vermeintlicher Zensur mit Vorbereitung zum aktiven Missbrauch gleich. Eine üble Nachrede, die sicher von anderen noch ausgiebig angeprangert werden wird.

Was Geyer übersieht: keine der als „Zensur“ angeprangerten Maßnahmen kann die in „Tatort Internet“ gezeigten Strategien mutmaßlicher Missbrauchs-Täter bekämpfen. In der aktuellen Kampagne geht es weder um Produktion von Kinderpornografie, noch um den Konsum derselben, es geht um Vorbereitungshandlungen für einen Missbrauch. Und weder Web-Blockaden noch der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verhindern oder erschweren, dass Erwachsene mit Kindern über das Internet Kontakt aufnehmen können.

Die Propaganda der anderen

Große Aufregung um den Artikel Schnell gelöscht? Von wegen!. Für Andre Meister ist es klare Propaganda für Netz-Sperren, für Thomas Stadler ist der Autor nur ein gewisser Stefan Tomik. Beleuchtet wird der Artikel alleine unter der Vorgabe: Nutzt er dem Ziel, Netzsperren zu verhindern?

Dabei hat Tomik in seinem Artikel – neben einigen Mängeln – sehr valide Punkte gemacht. Wenn die INHOPE-Statistiken wenig wert sind, gehört das zur öffentlichen Diskussion. Man kann sich nicht über Statistik-Tricks bei Ursula von der Leyen echauffieren und das Hinterfragen der Statistiken verweigern, die einem selbst in den Kram passen.

Dass der etwas plumpe Slogan „Löschen statt Sperren“ unter den alten Prämissen, ohne konkrete Maßnahmen und Zielvorgaben einfach so funktionieren würde, war einfach nicht zu erwarten. Wieso eine simple Parole als Alternativvorschlag nicht funktionieren konnte, habe ich hier schon im Februar begründet.

Tomik hat aber nicht schlicht die INHOPE-Angben zerpflückt, er hat auch weiter nach Gründen gefragt:

Die Provider direkt informieren, im Netz-Slang heißt das „Notice and Takedown“, das dürfen manche Hotlines gar nicht. Nationale Regeln verbieten es ihnen. Andere schieben juristische Gründe vor. Sie gäben in ihrer E-Mail ja Hinweise auf illegale Websites weiter. Also Verbreitung von Kinderpornographie. Dabei unterhält jeder anständige Provider einen speziellen Abuse-Kontakt. Was soll man denn dort sonst melden, wenn nicht Hinweise auf illegale Inhalte?

Das ist ein ernstes Problem. Durch die hysterische Gesetzgebung ohne Blick auf die Folgen wurde schon viel Porzellan zerschlagen. So mach zum Beispiel Udo Vetter darauf aufmerksam, dass ein besorgter Bürger keinesfalls den gut gemeinten Vorschlägen der Polizei folgen sollte, wenn man nicht selbst angezeigt werden will. Wenn nicht einmal mehr Beschwerdestellen sich trauen, Links weiterzusenden, hat der Kampf gegen Kinderpornografie sich selbst ins Knie geschossen. Die gut gemeinten Gesetze sind eine Fassade, hinter der sich Verbrecher verstecken können.

In Deutschland ist der Gesetzgeber bereits vor zwei Jahren viel zu weit gegangen, als er die Jugendanscheinspornografie unter Strafe stellte. Wollte die Polizei dieses Gesetz wirklich durchsetzen, könnte das Bundeskriminalamt nichts anderes mehr tun – denn für den juristischen Laien ist ja schon das Fernsehprogramm von VIVA im jugendpornografischen Graubereich.

Lange Rede, kurzer Sinn: die Fakten zeigen wieder einmal, dass man – wenn man denn das Problem Kinderpornografie angehen will – nur mit Koordination und einem Funken Menschenverstand Erfolg haben kann. Simple Parolen sind nicht zielführend – egal von welcher Seite sie kommen.

P.S.: Andere wachsame Geister haben sich die Fakten genauer angesehen und ernste Fehler entdeckt.