Es wird ja viel Mist zu Wikileaks geschrieben. Es ist deprimierend mit anzusehen, wie eine so komplexe Story in Banalitäten und Info-Schnippsel zerteilt und über 24-Stunden-Infotainment-Kanäle in die Bevölkerung gepumpt wird. Man kann die größten Skandale offenbaren – und trotzdem ändert sich nichts an dieser korrupten Welt.
Das hat auch Arno Frank mitbekommen und schildert uns die vielen Unzulänglichkeiten der Berichterstattung – angefangen von dem peinlichen Interview bei CNN bis hin einem bitter-bitter-bösen Artikel der New York Times, über den sich Julian Assange medienwirksam mokiert hat.
Er lebt, wenn er nicht in wechselnden Wohnungen auf einem Sofa übernachtet, in einer einsamen Hütte in Nordschweden. Er war Hacker. Er ist ein egomanischer Tyrann. Er wechselt seine Mobiltelefone wie andere Männer ihre Hemden. Er bezahlt nie mit Kreditkarte, sondern immer nur bar, und das Geld leiht er sich von Freunden.
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Genau so las man’s in der New York Times, die ihrer Berichterstattung zu den Enthüllungen von Wikileaks ein Fernpsychogramm von Julian Assange beistellte. Um zu ihrem Fazit zu kommen, dass der Typ ein gefährlicher Irrer ist, mussten Journalisten nicht einmal bei einem Psychiater einbrechen. Wikileaks tut, was eigentlich Aufgabe des Journalismus wäre. Darauf reagiert der Journalismus gereizt und gekränkt.
Irgendwie habe ich den Eindruck, dass Frank den New York Times-Artikel ebenfalls nur ganz aus der Ferne gelesen hat. Denn von einer Ferndiagnose kann absolut keine Rede sein: Reporter der Zeitung haben Assange – zumindest kurz – in London begleitet, sie haben viele Menschen aus dem Umfeld von Wikileaks interviewt, sie haben ihre Büros in Kabul und in Washington zu Rate gezogen. Das ist es, was Journalismus, was Recherche ausmacht. Welche Arbeit hat sich Frank gemacht? Nun, er hat den New York-Times-Artikel angesehen und möglichst irreführend wiedergegeben.
Zum Beispiel: was schreibt die New York Times über die Ermittlungen in Schweden gegen Julian Assange? Bei Frank liest sich das so.
Er hat zwei Frauen vergewaltigt. Okay, sexuell belästigt. Na gut, dann eben nur belästigt. Oder auch nicht.
Die New York Times hat Assange also unbelegte Vorwürfe gemacht und sich dabei aber in Widersprüche verstrickt. Wirklich?
He is also being investigated in connection with accusations of rape and molestation involving two Swedish women. Mr. Assange has denied the allegations, saying the relations were consensual. But prosecutors in Sweden have yet to formally approve charges or dismiss the case eight weeks after the complaints against Mr. Assange were filed, damaging his quest for a secure base for himself and WikiLeaks. Though he characterizes the claims as “a smear campaign,” the scandal has compounded the pressures of his cloaked life.
[…]
Within days, his liaisons with two Swedish women led to an arrest warrant on charges of rape and molestation. Karin Rosander, a spokesperson for the prosecutor, said last week that the police were continuing to investigate.
Man kann dies als nüchterne Zusammenfassung der Ereignisse lesen. Man kann aber auch nach Reizwörtern suchen und daraus einen Angriff auf Assange stricken. Ich weiß schon, welche Alternative ich als „tabloid“-Journalismus bezeichnen würde.
PS: Wer den kritischen Journalisten in sich entdecken will und die Rolle der Medien analysieren will, kann zum Beispiel den Schwerpunkt der Berichterstattung in verschiedenen Medien vergleichen. Als am Freitagabend die Sperrfrist von Wikileaks zu den Irak-Akten endete, kamen zum Beispiel Al Jazeera und CNN zeitgleich mit Sonderberichten heraus. Während sich der arabische Sender in seinem englischsprachigen Programm vor allem Einzelschicksalen widmete, die durch die US-Militärakten enthüllt wurden, brachte CNN eigentlich nur Berichte über die Berichterstattung. Was sagt das Pentagon? Was sagt der Mann auf der Straße – und das zu einem Zeitpunkt, wo niemand Gelegenheit hatte in das Material zu schauen. CNN selbst hätte die Gelegenheit gehabt – und hat die Inhalte zu Gunsten einer Sprechblasen-Berichterstattung ignoriert.
Weitere spannende Frage: Führt die Publikation zu einer Stärkung der Anti-Irakkriegs-Bewegung oder sind sie eher Antrieb für diejenigen, die einen Krieg gegen den Iran fordern. Denn sobald die Rechtsausleger an der Wikileaks-Bedrohung abgearbeitet haben, dann werden sie in den 400000 Akten viel Material finden, was sie in ihrer Überzeugung bestärken wird, dass der Iran eine unmittelbare Bedrohung sei.
PS 2: Den Cameo-Auftritt von Assange bei dem Comedy-Format Rap News finde ich lustig – er ist aber absolut unvereinbar mit seinen Beschwerden über die Personalisierung der Wikileaks-Berichterstattung und dem „tabloid journalismus“. Natürlich wird der Kampf um Wikileaks in den Medien geführt und natürlich bedient sich die US-Regierung der US-Medien, um die Glaubwürdigkeit von Wikileaks anzugreifen. Journalisten, die sich so instrumentalisieren lassen, betreiben schlechten Journalismus. Für Assange aber gibt es wohl nur ein Kriterium für guten Journalismus: er muss schreiben, was Assange will. Und alleine das.