Internetregulierung – der dritte Weg

Christian Stöcker fegt die Scherben der Print-Kollegen auf und postuliert 10 Thesen zum Internet. Die Nummer 7 lautet:

Die Staaten dieser Welt werden sich nicht darüber einigen, wie das Netz sein sollte

Ein Konsens über akzeptable Inhalte für das Internet ist nicht in Sicht – und er wird sich auch niemals herstellen lassen. Das Moral- und Geschmacksempfinden von Sittenwächtern aus Dubai, Deutschland, China, Schweden und den USA unter einen Hut zu bringen, ist ein utopisches Unterfangen. Wenn man sich auf eine internationale Zensur-Infrastruktur einigen sollte, um das Netz sauber zu halten, an wessen Empfinden sollte sich das Sauberkeitsregime orientieren? An den USA, was Gewaltdarstellungen angeht und an Schweden, was den Sex betrifft? Oder umgekehrt?

Stöcker lässt China, Iran und Nordkorea außen vor und hat trotzdem einen Punkt. Wie sollen die trägen internationalen Vereinbarungen und Regime mit der enormen Geschwindigkeit des Internets mithalten? Selbst wenn die Antigonen Schweden und USA einen Sex-Gewalt-Mindeststandard haben – wie lange wird es dauern, ihn durchzufechten und wer soll ihn durchsetzen? In These 8 wird These 7 wieder eingesammelt, aber ignorieren wir das kurz.

Denn es gibt ihn: den dritten Weg der Netzregulierung. Was ist, wenn sich nicht Schweden und die USA, sondern stattdessen AT&T, Etisalat, Telekom, Freenet und Level 3 ein Bündnis, einen Konsens schließen und die überholten Regeln von TCP/IP und WeWeWeh ein wenig weiter entwickeln?

Die transnationalen Regime des Internet ruhen auf privaten Schultern. Und hier geht es um mehr als reine Moralvorstellungen: Geld. Jeder Triple-Play-Anbieter hat Porno-Kanäle im Angebot. Die Überlegung könnte so laufen: Legen wir YouPorn ein paar Steine in den Weg – kein Verlust. Unsere Kunden schauen eh viel lieber unser lizensiertes und züchtig-unzüchtiges Rammel-Programm zum Pauschalpreis an.

Nachteil: wenn die Mauern hochgefahren werden, wenn Strafzölle in Bandbreite und Hops gezahlt werden müssen, kostet das kurz- und mittelfristig viel Geld. Etwas staatliche Ermunterung fördert neue Geschäftsmodelle ungemein.

Über Linkkürzer

Gerade dank Twitter & Co sind Linkverkürzer grade sehr in Mode. Ein paar Fakten.

Solche Dienste sind ein Sicherheitsrisiko. Dank der Verkürzung erkennt der Internet-Surfer vorher meist nicht, wo er denn landet, und er weiß nicht ob die Daten nicht an anderer Stelle verändert wurden wie vor kurzem geschehen.

Welche Linkverkürzer in fünf Jahren noch online sind, ist höchst fraglich – gute und nachhaltige Geschäftsmodelle habe ich bisher nicht gesehen. Im besten Fall gehen die Links irgendwann ins Leere. Die Sage, dass das Internet nichts vergisst, ist bekanntlich Blödsinn – wie wir Menschen behält das Internet nur das, was ihm grade besonders interessant vorkommt – und auch davon nur die Hälfte. Wenn das große Tiny-Sterben einsetzt, helfen aber nicht einmal Google-Cache oder Archive.org, das Ergebnis wird eine rapide Internet-Demenz sein.

Auch Kurz-URLs brauchen Platz. Die Links, die TinyURL grade ausspuckt sind 25 Zeichen lang, das sind 17,8 Prozent eines Tweets. Bit.Ly kommt derzeit mit vergleichsweise schlanken 19 Zeichen aus.

Dabei lassen sich ellenlange URLs oft sehr einfach verkürzen. Zum hat zum Beispiel der oben erwähnte Link

http://www.heise.de/security/2-2-Millionen-URLs-bei-URL-Verkuerzerdienst-manipuliert–/news/meldung/140557

ganze 106 Zeichen. Ohne Zauberei wird aus der langen, sprechenden URL eine relativ kurze:

http://www.heise.de/security/news/meldung/140557

hat nur noch 48 Zeichen, führt zum gleichen Ziel und zeigt dem Nutzer auf den ersten Blick, wohin er denn klickt. Bei vielen langen URLs geht das ganz ähnlich. Session-IDs sollte man eh vor der Weitergabe an Dritte streichen.

Deshalb: Wer sinnlos Linkverkürzer einsetzt, denkt auch kürzer.

Politische Partner-Vermittlung

Piraten-Pauli: Gabrile Pauli will mit einer neuen Partei das System verändern, während die Piratenpartei trotz unerwartetem Wahlerfolg bei der Europawahl immer noch händeringend Unterschriften sammeln um überhaupt zugelassen zu werden. Eine politische Ehe auf Zeit scheint sinnvoll – im Parteiprogramm der Piraten ist jedenfalls noch viel Platz.

Unabhängigstenste Aufsichtsfunktionsträger: Nachdem der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar die Internet-Sperrliste nicht beaufsichtigen will, muss sich die Große Koalition eiligst um ein anderes Aufsichtsorgan bemühen, bevor das überaus sorgfältig durchdachte Sperrgesetz in knapp 30 Stunden die letzten Hürden im Bundestag übernimmt. Ich nominiere den ZDF-Fernsehrat, der mit bewährtem Proporz und einem Gespür für die Komplexität der sich schnelllebigen Medienwelt sicherlich auch nicht vor dieser Verantwortung zurückschreckt.

Willkommen im Paralleluniversum

Jens Jessen empört sich über die Auswüchse des ach so anonymen Internets und spricht von einem „Paralleluniversum mit weitem Raum für kriminelle und halbkriminelle Aktivitäten“.

Man kann dem viel entgegnen, hier nur ein Gedanke: Es ist kein Paralleluniversum, es ist dieses, unser Universum. Zwar fühlen sich im Internet viele unerkannt und anonym, in Wahrheit ist es damit aber nicht weit her. Man stelle sich vor, man müsste auf der Straße immer ein zwölfstelliges Nummernschild vor sich hertragen und Kameras würden die Nummer an jeder zweiten Ecke registrieren. Aber im Wesentlichen gelten die gleichen Regeln, die gleichen Mechanismen des Zusammenlebens.

Der Eindruck, dass es im Internet vor Verleumdung und Diebstahl nur so wimmelt, ist auch ein Wahrnehmungsproblem – ein Problem der Sichtbarkeit: Hätte man in den 80ern früher jede getauschte Musik-Kassette auf dem Schulhof per IP erfasst würde – die Jugendkriminalität wäre durch die Decke gegangen. Und wenn man alle Gespräche in einer Kneipe niederschreiben würde, würde man einen Moloch aus Unwissen, Betrug und Verleumdung entdecken. Der Presserat würde geschlossen zurücktreten und Marienhof wäre ein heißer Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis.

Vorbild Türkei

Wer sich fragt, wo denn der Unterschied zwischen den willkürlichen Internet-Sperren in der Türkei und den hiesigen geplanten Access-Blockaden liegt: die Türken lassen die Sperren zumindest ab und an von Richtern absegnen.

Reporter ohne Grenzen meint nun, die türkische Regierung müsse ihre Gesetzgebung zur Regulierung der Internet-Nutzung überarbeiten, statt willkürlich Inhalte zu zensieren. Laut Gesetz kann die Staatsanwaltschaft Webseiten innerhalb von 24 Stunden blockieren lassen, falls sie befindet, der Inhalt befördere Selbstmorde, Pädophilie, Drogenmissbrauch, enthalte obszöne bzw. pornografische Szenen oder verletze das Gesetz, das Angriffe auf die Erinnerung an Atatürk verbietet.

tuerkei-sperren

In der vom Bundesfamilienministerium verbreiteten Weltkarte zur Kinderpornographie-Gesetzgebung erreicht die Türkei damit immerhin ein blasses Rosa – das steht für „inadeguate laws“(sic!). Bemängelt wird nicht das Übermaß an Zensur, sondern der Mangel an noch weiter gehenden Gesetzen.

Passenderweise fehlt bei den Hintergrund-Materialien der Bundesregierung Angaben darüber, welche Mängel das sein mögen. Aufklärung bringt die ICMEC, die sich in einer vergleichenden Studie auf Interpol-Angaben stützt. Und siehe da: die Türkei landet in der unteren Kategorie, weil das Land keine spezifische Definition von Kinderpornografie habe, keine Meldepflicht der Provider existiere und weil in der Gesetzgebung „computer facilitated offenses“ nicht genug gewürdigt werden – das bedeutet: es gab keine Sondergesetze für Vergehen, die irgendwie mit Computern zusammenhängen.

In order to qualify as a computer‐facilitated offense, we were looking for specific mention of a computer, computer system, Internet, or similar language (even if such mention is of a “computer image” or something similar in the definition of “child pornography”).

tuerkei-sperren2
Die Studie stammt aus dem Jahr 2006, das Datenmaterial ist schon älter – es sieht so aus, als ob die Türkei mindestens in zwei entscheidenden Punkten nachgebessert hat. Damit verdient das Land das etwas sattere Violett, das auch den westeuropäischen Ländern Ehre macht.

PS: In der Studie wurde auch Deutschland als Land identifiziert, das nicht alle gesetzlichen Kriterien erfüllt. Allerdings wurden nicht etwa fehlende Access-Sperren bemängelt, es hakte einzig am Punkt „ISP reporting“:

While some countries may have general reporting laws (i.e., anyone with knowledge of any crime must report the crime to the appropriate authorities), only those countries that specifically require ISPs to report suspected child pornography to law enforcement (or another mandated agency) are included as having ISP reporting laws. Note that there are also provisions in some national laws (mostly within the European Union) that limit ISP liability as long as an ISP removes illegal content once it learns of its presence; however, such legislation is not included in this section.

Eine solche Vorschrift ist nicht Gegenstand der aktuellen Gesetzgebungsvorhaben.

Stimme aus 1996

John Perry Barlow: A Declaration of the Independence of Cyberspace:

You claim there are problems among us that you need to solve. You use this claim as an excuse to invade our precincts. Many of these problems don’t exist. Where there are real conflicts, where there are wrongs, we will identify them and address them by our means. We are forming our own Social Contract . This governance will arise according to the conditions of our world, not yours. Our world is different.

PS: Hier findet sich noch ein sehr persönliches Gespräch mit Barlow über eine NeXT-Convention und eine Liebesgeschichte, die tragisch endete.

Basisvokabular Filesharing: One-Click-Hoster

Zum bevorstehenden Urteil über PirateBay hat die Welt mit dem Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Alexander Skipis gesprochen. Natürlich wird das Interview mit einem meiner absoluten Lieblingssätze überschrieben. Und gleich in den ersten Fragen wird die Kompetenz des Gesprächspartners deutlich:

WELT ONLINE: Bei der Torrent-Technik handelt es sich nur um eine Entwicklungsstufe des Filesharings. Ihre Sorge gilt mittlerweile auch den One-Click-Hostern. Worum handelt es sich dabei?

Skipis: Während Tauschbörsen wie Pirate Bay auf dem Prinzip der gegenseitigen Vervielfältigung von Dateien zwischen Internetnutzern basieren, bieten One-Click-Hoster wie Rapidshare oder Megaupload Links zu Webseiten, von denen man illegal Millionen geschützter Werke herunter laden kann. Mit so genannten Premium-Zugängen und Werbung wird dabei – auf der Basis einer Rechtsverletzung – sehr viel Geld verdient. Unseres Erachtens handelt es sich hier um Erscheinungsformen organisierter Kriminalität, also letztlich eine Internetmafia.

Es ist ja schön, dass Skipis das Wort „One-Click-Hoster“ kennt – würde ihm nun jemand die Bedeutung erklären? One-Click-Hoster verlinken nicht zu anderen Seiten – das Gegenteil ist der Fall. Sie speichern die Inhalte auf den eigenen Servern. Wie wohl die Schweizer Rapidshare AG darüber denkt, dass sie als „Internetmafia“ bezeichnet wird?

RTL und ich

Die Überschrift ist irreführend – denn eigentlich wohnen RTL und ich in unterschiedlichen Sphären. So lese ich bei heise:

Mit einem ähnlich hohen Beliebtheitsgrad können die Multimedia-Plattformen YouTube und Clipfish aufwarten 87 % respektive 78 %. YouTube konnte seit der letzten Untersuchung um fast 30 Prozent zulegen.

78 Prozent kennen Clipfish? Ich wohne quasi im Internet und mir ist die Seite bis auf ihre Existenz fast unbekannt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich da mal einen Clip angesehen habe oder auch dass mir irgendjemand mal einen Link darauf gezeigt hätte.

Gleiches Phänomen bei Wer-kennt-wen – fünf Millionen Nutzer und ich kenne keinen einzigen davon. Ich habe schon oft von StudiVZ und Facebook reden gehört, aber nie von Wer-kennt-wen. Keine Einladung, kein zufällig mitgehörtes Gespräch im Fitnessstudio – nichts.

Der gemeinsame Faktor: Beide Portale gehören RTL. Ich besitze zwar noch einen Fernseher – wann bei mir das letzte Mal RTL lief, ist mir aber unbekannt. Auf welchem Programmplatz ich den Sender abgespeichert habe – keine Ahnung. Und so bekomme ich die zahlreichen Werbespots nicht mit, die RTL in eigener Sache so schaltet.

Aber reicht das schon? Kann das ach so tot gesagte Fernsehen ohne Probleme durch repetetive Werbespots die Web 2.0-Erfolge aus dem Boden stampfen? Oder sind viele Menschen von Natur aus RTL-Zuschauer und leben glücklich in einer Welt, die mir fremd ist? Verpasse ich da vielleicht etwas?

clipfish

Ähm, ja. Offenbar nicht.

RTL2 muss nicht sein, Arroganz aber auch nicht

Spannende Idee: Ein Fernseh-Programm ohne RTL2, dafür mit einem Radio-Programm. Bei den Verlagen sind die Macher abgeblitzt, nun suchen sie im Internet Abonennten.

Prinzipiell würde ich zum sehr interessierten Kreis gehören. Aber warum kann man die wenigen Muster-Seiten nicht lesen? Gerade die Programmauswahl ist angesichts immer neuer Digitalkanäle die Quadratur des Kreises. Wenn die Programm-Macher nicht mal verraten, welche dieser Kanäle sie denn bemerkenswert finden oder dem künftigen Leser die redaktionelle Aufarbeitung des Programms eines beliebigen Tages zeigen können, sollen wir wohl die Katze im Sack kaufen. Oder erwarten sie, dass wir uns ins Layout verlieben?

Zudem scheint mir das Konzept überladen und ein wenig etepetete. Autoren-Texte von Charlotte Roche über Simone de Beauvoi interessieren mich nicht. Die sonstigen Themen: Dschungelcamp und Radio-Tatort. Nicht vielversprechend.

Und ist es nicht arrogant, wenn die Jungverleger zwar im Internet um Abonnenten werben, im Heft-Konzept die „neuen Medien“ aber komplett ignorieren? Stattdessen wird ein bundesweiter Theater-Kalender auf zwei Seiten gedruckt. Wohl für Leute, die auf dem Weg nach Bayreuth mal eben die Medienentwicklung verschlafen.

PS: Ich hab mir jetzt einen digitalen Videorekorder bestellt. Wozu brauche ich überhaupt noch Tageslistings?

Die neue politische Arena?

Auf Netzpolitik findet sich die dritte Kurzstudie zur Politik im Web 2.0. Was mir fehlt: eine erste Erfolgsbilanz. Was kann ein deutscher Politiker in welchem Forum gewinnen? Nicht nur ich frage mich: Braucht ein Bundestagsabgeordneter einen Facebook-Account?

Was haben die Bürger davon, wenn der Spitzenkandidat herumtwittert? Und was hat der Politiker davon? Betrachten wir die ach so sympathischen Experiment einiger Spitzenpolitiker mit Twitter. So sorgt zuletzt Thorsten Schäfer-Gümbels Microblog für Mini-Aufsehen. Inhalte werden nicht wirklich transportiert, im Kurz-Wahlkampf kann der hessische Spitzenkandidat den Rückkanal der Wähler kaum nutzen. Er war nicht mal für einen Hack wichtig genug. Die Follower passen in ein Bierzelt und müssen wohl kaum noch von ihm überzeugt werden. Und falls sie es müssten: Mit den Micro-Frotzeleien macht er keinen Stich. Eine lustiger PR-Stunt – mehr nicht.

tsgtwitter

Warum also überhaupt auf jeder Hochzeit mittanzen? Politiker sind Berufskommunikatoren – sie müssen auf allen Ebenen mit Dutzenden von Kanälen umgehen. Sicher gehören neue Medien dazu – aber muss man unbedingt auf Facebook sein? Denn Inhalte können dort kaum kommuniziert werden, zur Mobilisierung der Anhänger funktioniert auf eigenen Plattformen besser. Überhaupt sind die sozialen Plattformen in Deutschland bemerkenswert unbemerkenswert. Und die gesammelten Twitteraner konnten nicht mal Twitter dazu bringen, die IM-Anbindung wiederherzustellen oder OAuth zu implementieren.