Von Libertären — Freiheit ist ein zweischneidiges Schwert

Ich mag Penn Gilette. Wie könnte ich ihn auch nicht mögen? Er war auf einer Clownsschule, er hat die Ignoranz der Impfgegner mit Orangen beworfen. Und er hat im West Wing die Flagge der Vereinigten Staaten verbrannt, um die Freiheit zu feiern, die sie repräsentiert. Aber Penn ist nicht nur ein Clown, er ist auch Aktivist. Gegen Religion. Und für libertäre Ideologie.

Was das bedeutet, kann man in seinem wöchentlichen Podcast nachhören. Es ist eine Ego-Show von Ausmaßen eines Charlie Sheen, aber er ist charmant, unterhaltsam, intelligent und tut niemandem etwas zuleide. Im Podcast erklärt er, warum er Steuern zum größten Teil für Diebstahl hält. Wenn jemand bedürftig sei, könne man ja fragen — Penn hilft und spendet bereitwillig.

Die Freiheit Quatsch zu sagen

Auch wenn er Religionen für Betrug und Massenpsychosen hält, will er diesen Menschen freundlich begegnen. Und Homophobie findet er ganz und gar nicht toll, er ist aber absolut für die Freiheit der Menschen Homosexuelle von Dienstleistungen auszuschließen. Schließlich — so seine Argumentation — werden Homophobe durch die Freiheit Homosexuelle zu diskrimieren, vom Markt gestraft. Denn jeder habe die Freiheit bei solchen Leuten nicht einzukaufen. Wie gesagt, Penn Gilette ist intelligent. Er weiß, dass das Quatsch ist. Vermute ich. Und er wird auch gerne eingestehen, dass er zuweilen ein Arschloch ist, ein Clown. Dass sein Erfolg zwar sehr von Talent und harter Arbeit, aber auch von sehr viel Glück abhing. Und dennoch.

Ich kenne viele Leute, die ähnliche libertäre Gedanken vor sich hertragen. Die in gesellschaftlichen Diskussion immer die Freiheit als erstes betonen. Die Freiheit in Kneipen zu rauchen. Die Freiheit Filme kostenlos im Internet anzusehen. Die Freiheit, die von GEZ-Gebühr und Ideologen jeder Couleur eingeschränkt ist. Vor allem: die eigene Freiheit.

Oft werden Libertäre mit Linken verwechselt. Denn ihnen sind so manche Forderungen gemein: Das Recht auf Rausch ist ein starkes Bindeglied, die Abneigung gegen Lobbyismus der Milliardenkonzerne, die den Markt manipulieren, die Verlogenheit des „Kampfes gegen den Terror“. Die Präsidentschaftskandidatur von Ron Paul war so ein Beispiel. Aber auch die Piratenpartei. Unter der Flagge der vermeintlichen Ideologiefreiheit wurden hier unverträgliche Ideologien so lange vermischt, bis der Laden auseinanderflog.

Nicht-Ideologie gibt es nicht

Konsequent libertär zu sein geht eigentlich nicht, genau so wenig wie ein epikureischer Berufspolitiker zu sein. Denn der Ausdruck der tolerierten Freiheit ist ein Achselzucken. Sobald ich für die Freiheit eines anderen eintrete, bin ich ja schon wieder ideologisch. Trete ich für den Raucher ein oder für den Nichtraucher? Trete ich für die Freiheit des Homophoben ein oder der des Homosexuellen? Ist die Freiheit des einen auf unbegrenzten Reichtum des einen nicht auch das Recht auf Freiheit zu verhungern oder sich die Knochen zu brechen? Freiheit ist fast immer ein zweischneidiges Schwert.

Der kluge Libertäre bleibt an der Oberfläche, widmet sich nur den 90 bis 100-prozentigen Fragen, wo es eindeutig zu sein scheint, auf welcher Seite die Freiheit liegt. Darf man im Namen der Freiheit alle abhören — auch wenn es nichts bringt? Natürlich nicht. Ist der Krieg gegen Drogen eine gewaltige Geldverschwendung? Natürlich! Geht es jedoch tiefer, geht es an die eigene Lebenswirklichkeit, werden auch die Libertären ins Ideologische reingezogen.

Allzu viele Libertäre entscheiden sich dann für das Recht zu kämpfen, ein Arsch zu sein. Mit der Begründung, dass die anderen doch so viel schlimmer sind. Der Kampfruf „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden!“, bekommt eine Fußnote. Die Freiheit der Andersdenkenden, die so aussehen wie ich und auf der gleichen Schule waren. Die wie ich Jahre geschuftet haben, um etwas zu erreichen. Die das gleiche Craft-Bier mögen.

Präventiv verachten

Und wieder eine irritierende Meldung:

Auf dem Internetportal Nazis-auslachen.de können Jugendliche jeden Monat zwischen 750 und 250 Euro gewinnen. Am Freitag startete die Kampagne, teilte der Verein „Schüler gegen Antisemitismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit“ mit. Auf der Plattform rufen die Betreiber Jugendliche dazu auf, ihre Videos zum Thema „Nazis auslachen“ online zu stellen und selbst zu bewerten.

„Prävention statt Therapie“ lautet das Motto. Die Idee: Wenn sich die Mehrheit der Jugendlichen auf dem Schulhof oder in der Freizeit täglich über solche Videos unterhält, werden sich labile, der rechten Szene zugeneigte Jugendliche eher selten den Rechtsextremisten zuwenden, weil sie die Verachtung ihrer Mitschüler fürchten, hieß es.

Ahja. Statt Verstand und Toleranz lehren wir einfach Verachtung. Verachtung ist zwar nicht toll – aber wenn wir die Richtigen verachten, ist es schon OK. Und das Ganze hilft gegen Nazis…

Does not compute.

PS:
Da es missverstanden wurde: Ich plädiere nicht für eine Toleranz gegenüber den Intoleranten. Es geht darum, dass man sich schon mit der menschenverachtenden Ideologie der Nazis beschäftigen muss und eben nicht nur Glatzen-Witze machen sollte. Und genau dieser Aspekt fehlt bei der acht so gut gemeinten Aktion. Er wird sogar ins Gegenteil verkehrt.

Hinzu kommt: Nazis sehen sich sehr gerne als arme unterdrückte Minderheit, denen Meinungsfreiheit und Bürgerrechte versagt werden. Wenn man Jugendliche dafür bezahlen muss, dass sie schlechte Witze über Nazis machen, ist das ein Punktgewinn für die Rechtsradikalen.