Wieder auf die Straße trauen

Das Bundesverfassungsgericht hat das bayerische (Anti-)Versammlungsgesetz in Teilen gekippt. Die Richter führen an, dass Gesetze eben nicht nur Wirkung auf Leute haben, die gezielt dagegen verstoßen:

Das Bundesverfassungsgericht kritisierte besonders die Bußgeldvorschriften: Damit verbinde sich das „Risiko einer persönlichen Sanktion, die bei den Bürgern zu Einschüchterungseffekten führen und die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit beeinträchtigen kann“, heißt es.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sieht sich trotzdem im Recht:

Der Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht gegen das Bayerische Versammlungsgesetz ist weitgehend erfolglos geblieben. Das Gesetz wurde in seinem Kern von Karlsruhe nicht beanstandet. Wichtig ist in meinen Augen auch, dass die gegen rechtsradikale Umtriebe gerichteten Regelungen des Versammlungsgesetzes unangetastet bleiben.

Hat sich das Bundesverfassungsgericht also hinter diese Regelungen gestellt? Dem ist keineswegs so, wie man auf der Webseite des Gerichts nachlesen kann:

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung liegt eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Landesverbände von Gewerkschaften und Parteien sowie anderer nichtstaatlicher Organisationen gegen annähernd das gesamte BayVersG zugrunde. Die Beschwerdeführer rügen einen versammlungsfeindlichen Charakter des Gesetzes als Ganzes sowie seiner Regelungen im Einzelnen. Die Vorschriften führten zu bürokratischer Gängelei und Kontrolle der Bürger, die von der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit abschreckten. Ausdrücklich ausgenommen von den Angriffen sind allerdings die Vorschriften, die spezifischen Gefahren rechtsextremistischer Versammlungen begegnen sollen (Art. 15 Abs. 2 Nr. 1a und 2 BayVersG).

Das Gericht hat sich also – noch – gar nicht um die Teile des Gesetzes gekümmert, die – noch – unangetastet blieben. Aber es kommt noch härter:

Dagegen scheidet eine vorläufige Außerkraftsetzung der den Bußgeldvorschriften zugrunde liegenden versammlungsrechtlichen Ge- und Verbote aus. Eine solche hätte zur Folge, dass es dem Bayerischen Versammlungsrecht bis zur Entscheidung über die Hauptsache an zentralen Vorschriften, wie etwa schon generell an einer Anzeigepflicht, fehlte. Damit wäre eine sichere Wahrnehmung des Versammlungsrechts zumindest erheblich gefährdet. Das Bundesverfassungsgericht müsste wenigstens einige der angegriffenen Vorschriften durch eine gerichtliche Anordnung ersetzen.

Was heißt das konkret? Heribert Prantl formuliert es etwas knackiger:

Aus der Begründung der Eilentscheidung folgt, dass in der Hauptsache-Entscheidung vom Gesetz kaum mehr etwas übrig bleiben wird. Das höchste Gericht hat in seiner Eilentscheidung nur deshalb nicht das ganze Gesetz aufgehoben, weil sonst in Bayen ab sofort überhaupt keine Regeln für Versammlungen vorhanden wären.

Wenn man das weiß, kann man die Dummdreistigkeit dieser Stellungnahme erst richtig einschätzen:

Der Innenminister: „Bei dieser Sachlage kann von einer “kräftigen Watschn“ für den bayerischen Gesetzgeber, wie die SPD behauptet, keine Rede sein. Das belegt schon die Kostenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Antragstellern zwei Drittel der Verfahrenskosten auferlegt hat. Insofern steht es zwei zu eins für die Staatsregierung.

Wenn ein Gesetz nur teilweise verfassungswidrig ist, ist das für Herrmann offenbar ein echter Gewinn. Aber ob dem so ist, wissen wir noch nicht.

Vorratsdatenspeicherung auf halber Last

Es quillt gerade aus den Tickern:
Das Bundesverfassungsgericht hat Teile des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung teilweise ausgesetzt. Oder kurz zusammengefasst: Es wird weiter gespeichert, die Polizei darf aber die Daten nur bei schweren Straftaten nutzen.

Merkwürdig finde ich diesen Satz der DPA-Meldung:

Sie dürfen allerdings dann nicht an Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden, wenn ihre Herausgabe zur Aufklärung weniger gravierender Delikte beantragt wird.

Sollen also die Provider entscheiden, was eine schwere Straftat ist und was nicht? Wäre der umgekehrte Weg nicht logischer: die Polizei darf die Daten erst gar nicht anfordern, wenn es sich nicht um schwere Straftaten handelt? Mal sehen, wie die Entscheidung im Volltext aussehen wird.

Hey, von der Leyen

Nach dem üblichen Wochenendpolitauflauf hat Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen ihren Vorschlag ad acta gelegt, Kinder als halbamtliche Testkäufer einzusetzen. Ich weiß nicht, ob ich darüber glücklich sein soll. Schließlich wäre es die perfekte Ausbildung der Kinder gewesen, um sie auf den Präventionsstaat vorzubereiten, an dem wir alle so eifrig arbeiten. Misstrauen ist die Devise. Und Wachsamkeit!

Aber sehr verehrte Frau Bundesministerin, ich habe einen Alternativ-Vorschlag. Statt gefährdete Jugendliche in den gefährlichen Einzelhandel zu schicken, soll doch der Einzelhandel zeigen, wie sehr er sich um die Jugendlichen sorgt. Die Mittel sind schon vorhanden: Fast jeder Supermarkt ist inzwischen videoüberwacht: wenn die Kameras nicht gerade auf der Suche nach Ladendieben sind, so schauen sie den eigenen Mitarbeitern auf die Finger. Alles, was nun nötig ist: eine gesetzliche Pflicht, diese Videobänder auf Anforderung den Jugendschutzbehörden zu übergeben. Wenn ein 15jähriger Bier kauft, wird das ja auf den Bändern zu sehen sein.

Wie gesagt: die Kameras sind schon in den Läden vorhanden, sie brauchen nur eine kleine (Grund)Gesetzesnovelle, um den Zugriff in rechtsstaatliche Bahnen zu lenken. Am besten ist es, man fragt die Ladenbesitzer gar nicht vor der Überprüfung – sie könnten belastendes Material beseitigen. Dank Breitbandanschlüssen ist das aber kein Problem: die Kameras bekommen eine Internetschnittstelle und die Behörden das geheime Passwort. Die Experten der Deutschen Bahn AG werden sicher gerne helfen, die kennen sich aus mit Überwachungskameras. Auch die Frage der Identifizierung Minderjähriger auf den Videobändern ist schon in Arbeit. Die Antwort lautet: Schülerregister. In jeder Schülerakte sollte es ein Foto geben, das ihn biometrisch kenntlich macht. Der Nutzen einer solchen Datei wäre ressortübergreifend. Ausreißer könnten schnell gefunden werden. Und nach dem nächsten Bombenanschlag haben wir schnell eine Bilderdatei mit sämtlichen Käufern von Nägeln.

Aber lieber Frau von der Leyen, warten Sie noch etwas ab. So praktisch und folgerichtig mein Vorschlag auch sein mag – er ist nicht politisch durchsetzbar. Noch nicht. Warten Sie ab, so lange es ihre Amtszeit erlaubt. In einem Jahr haben wir uns mit Vorratsdatenspeicherung und Co abgefunden, dann ist der nächste Schritt gar nicht so schwer.

Online-Durchsuchung? Von wegen

In einem CHIP-Exklusiv wird die Sicht des BKA auf die Online-Durchsuchung vorgestellt:

Haben diese Undercover-Ermittler einen „Gefährder“ hinreichend ausgespäht, obliegt es einem BKA-Team, einen Weg zum PC des Verdächtigen zu finden. Das mag in seltenen Fällen tatsächlich ein E-Mail-Trojaner sein; aufgrund der mageren Erfolgsaussichten bevorzugt man in Wiesbaden aber robustes Agenten-Handwerk: heimlich in die Wohnung eindringen und Images von allen PC-Festplatten ziehen. Diese Daten analysiert dann der BKASoftware- Entwickler und bastelt ein Tool, das perfekt auf die Rechner-Umgebung zugeschnitten ist.

Seinen Weg in den Ziel-PC findet das modular aufgebaute Programm namens Remote Forensic Software (RFS) ebenfalls auf eher analoge Weise. Spezialisten machen die Wohnung noch einmal auf und installieren das Tool. Das winzige Programm gleicht also eher einer Wanze als einem Trojaner. Das BKA betont, dass nicht nur das generelle Vorgehen, sondern auch die Technik auf den konkreten Fall abgestimmt wird: Jede RFS ist ein Unikat, dessen Quellcode aus Gründen der Beweissicherung dem zuständigen Richter vorliegt.

Mal abgesehen davon, dass ich das Szenario hier schon beschrieben habe (I said so!!) – bekommt die Online-Durchsuchung eine ganz andere Qualität.

Denn die Polizei will offenbar mehrfach in Wohnungen eindringen, um dort heimlich Dinge zu verändern. Mal abgesehen davon, dass dies mit der grundgesetzlich garantierten Unverletzlichkeit der Wohnung nur schwer zu vereinbaren ist – wer garantiert, dass nicht eben auch die passenden Beweisen untergeschoben werden? Ein manipulierter Computer kann alles mögliche von sich geben. Polizeiliche Durchsuchungen müssen nicht ohne Grund vor Zeugen durchgeführt werden.