„Ich bin kein Bot, nehmt mich ernst“

Gestern war ich mal wieder bei einer netzpolitischen Demo in Köln. Da ich offenbar der einzige Journalist vor Ort war, der für Medien jenseits von YouTube arbeitet, schreibe ich hier einige Kontexte und Eindrücke auf.

Zunächst mal: Die Demo war ein außergewöhnlicher Erfolg. Innerhalb von nur zwei Tagen hatten es die Organisatoren geschafft, ihre Botschaft zu verbreiten und ihre Follower davon zu überzeugen, dass es nicht reicht, nur eine Online-Petition zu unterschreiben oder im eigenen Kreis per WhatsApp oder TeamSpeak über die Politiker zu lästern. Auf der Straße waren schätzungsweise 1000 bis 1300 Teilnehmer. Ich habe viele Demos gesehen, die mit einem Vielfachen an Aufwand und Vorbereitungszeit lediglich 200 oder gar nur 50 Leute auf die Straße brachten – selbst wenn die Bedingungen ideal waren.

Die YouTube-Szene hat sich in den vergangenen Jahren nie wirklich für netzpolitische Themen mobilisieren lassen – und wenn sie doch aktiv wurde, tat sie das außerhalb der etablierten Strukturen. Das Medium einer Straßendemo ist für alle Beteiligten ziemlich wesensfremd. Diese machte sich schnell bemerkbar: So gab es statt des üblichen Lautsprecherwagens nur einen Lautsprecher, der von zwei Ordnern in die Höhe gehalten wurde, so dass einige Redebeiträge kaum verständlich waren. Solche Lektionen muss jede neue Bewegung lernen.

Es handelt sich augenscheinlich um eine neue Bewegung. Von den Leuten, die sich sonst keine Netzdemo entgehen lassen, waren nur einzelne vor Ort. Im ganzen Demozug habe ich zum Beispiel nur eine Flagge der Piratenpartei gesehen. Es hat wohl schlicht niemand dran gedachte, die Piraten aus dem Kölner Umland frühzeitig zu alarmieren. Die Kanäle, auf denen sich der Demo-Aufruf massenhaft verbreitete, werden von Leuten über 30 Jahren eher selten gelesen.

Das heißt auch: Die Beteiligten haben noch nicht ihre vorgefertigten Talking Points parat. Einige Teilnehmer hatten allenfalls vage Vorstellungen davon, was sie denn konkret demonstrieren. Der erste Jugendliche, den ich drauf ansprach, war tatsächlich der Auffassung, dass seine Lieblings-Youtube-Channel oder gleich die ganze Plattform geschlossen werden würden. Gleich darauf wurde er aber von vier umstehenden Mitdemonstranten korrigiert.

Auch wenn der Artikel 13 auf fast allen Bannern explizit thematisiert wurde, ging es doch um mehr. Für die meist jugendlichen Teilnehmer ist YouTube ist nicht irgendeine Plattform eines Silicon-Valley-Konzerns, sondern eine Heimat. Hier haben sie nicht nur Gleichgesinnte, sondern ihre eigene Identität gefunden. Ein paar davon versuchen damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber für die meisten ist YouTube keine Geldquelle, sondern Ursprung einer Solidarität, die sie sonst nicht im Leben erfahren. Ich lebe nicht nur mein Leben, ich lebe Deines mit, wenn Du mich dran teilhaben lässt.

Genau diesen Nerv hatten Politiker wie Sven Schulze getroffen, die darauf bestehen, dass der Widerstand gegen die Urheberrechtsreform eine externe Kampagne ist, die mit Bots und Fake-Emails agiert. Insbesondere ein Banner brachte es daher auf den Punkt: „Ich bin kein Bot, nehmt mich ernst!“ Ein anderer gern zitierter Spruch: „Warum sollen alte Männer über mein Internet bestimmen?“ Andere Botschaften waren krasser: „Artikel 13 tötet uns“. Viele befürchten, dass die Freiheiten unter denen sie aufgewachsen sind, nun wieder genommen werden sollen. Dass sie in Rollenschemata einer für sie vergangenen Welt gepresst werden sollen.

Für viele war es die erste Demo ihres Lebens. Deshalb steht es in den Sternen, wie es weitergeht. Schaffen die YouTuber — man erlaube mir hier diese Vereinfachung — den Schulterschluss mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen? Brauchen sie den überhaupt, damit die Abgeordneten des Europaparlaments in den protestierenden Jugendlichen eine zu wichtige Gruppe für den Wahltermin im Mai sehen und nicht nur einen Bestandteil des Lobbyings von Google? Ausgeschlossen scheint mir, dass die etablierte Politik die Jugendlichen davon überzeugt, dass die Urheberrechtsreform in ihrem Interesse ist. Dazu wurde zu viel Porzellan zerschlagen.

 

 

Bedingungsloses Grundeinkommen: Butter bei die Fische

Jeff Bezos ist der vermutlich reichste Mensch der Welt. Laut Forbes.com betrug sein Vermögen im September 167 Milliarden Dollar, also 146 Milliarden Euro. Natürlich schrumpft das Vermögen, wenn er tatsächlich Amazon verkaufen sollte – sagen wir also der Einfachheit halber: er hat 100 Milliarden Euro in bar. Das hieße, er könnte einer Stadt mit 100.000 Bewohnern auf 100 Jahre ein Bedingungsloses Grundeinkommen von 10000 Euro pro Jahr garantieren. Oder einer Stadt mit einer Million Einwohner fünf Jahre lang ein Einkommen von 20000 Euro pro Jahr. Beides – und die Zwischenstufen — wären lohnende Experimente.

Das Geld der Anderen

In der Schweiz scheitert grade ein Projekt, das 770 Einwohnern eines Dorfes ein altersabhängiges Grundeinkommen zwischen 551 und 2200 Euro auszahlen sollte. Für ein Jahr. Der Grund für das Scheitern: Es gab zu wenig Leute, die Geld verschenken wollten. Ich finde das nur allzu verständlich. Denn ein paar Dorfbewohnern Geld in die Hand zu drücken ist kein Experiment in neuen Lebensformen, es ist schlichtweg eine Werbekulisse. Als ob ein James-Bond-Film im Dorf gedreht wird und plötzlich jeder Bauer seine Scheune teuer vermieten kann und Achtjährige Statistenhonorare kassieren. Alle freuen sich, jedem geht es besser. Ist der Film abgedreht, ist das Experiment wieder vorbei, ist hoffentlich alles wieder wie vorher. Plus ein wenig Geld. Für ein neues Scheunendach oder die Ausbildung des Achtjährigen.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen minus Geld von anderen ergibt: Nichts.

Wenn ich von solchen Pseudo-Experimenten lese, bin ich immer etwas erstaunt: Was wollen die Leute da noch lernen? Es ist eigentlich schon gut genug dokumentiert: Wenn Leute etwas mehr Ressourcen haben, geht es ihnen besser. Sie können Investitionen tätigen, zum Beispiel in einen Karrierewechsel. Leute wissen sich zu beschäftigen. Die wenigsten werden sich für ein Jahr faul hinlegen und Playstation spielen. Selbst die Trump-Kinder haben Jobs. (Man sollte bei den Experimenten natürlich drauf achten, dass keine Heroin-Süchtigen oder Alkoholiker im Endstadium mitmachen – das gäbe mitunter unschöne Bilder. Und natürlich: Keine Trump-Kinder.)

Grundeinkommen brauchen Grundzahler

Rein auf Empfängerseite könnte man allenfalls mit langfristigen Effekten experimentieren, also wenn das Grundeinkommen für zehn Jahre und mehr garantiert ist. Welche Auswirkungen hat ein Grundeinkommen beispielsweise auf die Mieten? Müssen öffentliche Schulen schließen, weil die Kinder nun alle auf eine Privatschule gehen? Können Zugezogene auch partizipieren? Poolen die Leute ihr Geld, um Infrastrukturen wie dringend benötigte Dämme zu bezahlen? Wie sieht es aus mit der Lohnverteilung: Wenn niemand mehr für vier Euro im Schlachthaus schuften will, halbieren die Grundeinkommens-Empfänger dann ihren Fleischkonsum? Was in dem Experiment verhindert werden muss: Dass die Teilnehmer einfach in die Nachbarstadt fahren und dort Waren mitbringen, die unter Nicht-Grundeinkommens-Bedingungen entstehen.

Auch diese Experimente würden nur einen ungefähren Eindruck verschaffen. Jetzt wäre es an der Zeit richtig große Experimente anzuschieben – wenn Silicon-Valley-Milliardäre die Idee so gut finden, sollen sie die Milliarden rausrücken. Oder das kleine Alpendorf führt das Grundeinkommen ohne Geld von außen ein. Denn nur so kann ein BGE-Modell ja funktionieren: Die Gesellschaft der Empfänger muss es selbst finanzieren.

Ein kleiner Schritt von der Utopie zur Dystopie

Dann beginnen nämlich die wirklich spannenden Fragen. Will man das Modell, das die Ärmsten heftigst ausgrenzt oder die obere Einkommenklasse heftigst besteuert? Bisher tun die Fans des BGE so als sei nichts davon nötig. Nur deshalb gibt es noch eine Fangemeinde für das Grundeinkommen. Würden sie sich wirklich mit den Folgen des Modells beschäftigen, wäre diese Gemeinde hoffnungslos zerstritten. Denn ob man ein Grundeinkommen über Mehrwertsteuer, Einkommenssteuer oder eine Kapital/Maschinensteuer finanzieren will, ist keine Petitesse. Soll das Grundeinkommen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, oder nur die schiere Existenz oder nur ein Taschengeld? Jedem Modell liegen komplett andere Annahmen, andere Menschenbilder zugrunde und jedes hätte komplett andere Folgen.

Die meisten Modelle, die sich überhaupt mit der Finanzierung beschäftigen, setzen auf eine Entsolidarisierung und die fiktive Einsparung Einsparung von Bürokratiekosten, die dann schließlich von den Ärmsten getragen werden müssten. Was bedeuten 1000 Euro pro Monat, wenn die Mehrwertsteuer durch die Decke schießt und Wohngeld und Krankenversicherung wegfallen? Enorme Armut. Das vermeintliche Paradies entpuppt sich immer wieder als Dystopie. Man sehe sich nur an, was die Mini-Auszahlung der Ölindustrie an die Bewohner von Alaska mit dem politischen System dort angestellt hat. Wer meint, er habe die Lösung gefunden, sollte mehr tun als sich Filmkulissen zu suchen. Wenn ihr wirklich an ein Grundeinkommen glaubt, dann tut endlich Butter bei die Fische.

Comedy is dead

Seit anderthalb Jahren erzählt man, wie wichtig Comedy in diesen Zeiten doch ist. Wie toll es ist, dass Colbert-Oliver-Trevor-Samantha uns ein wohlverdientes Gegengewicht zur Realität geben. Doch obwohl ich das Handwerk bestaune und genieße, macht es mich vor allem müde. Da treten allabendlich die bestbezahlten Komiker der Welt auf die Bühne… und sie lesen Tweets vor. Und sie wollen es einfach nicht mehr. Sie versuchen sich an Erklärstücken. Und ändern nichts. Stormy-Daniels-Witze steigern sogar die Umfragewerte der US-Regierung. Die Komiker stehen auf der Bühne und machen ihr Ding. Und sie sind sooo müde.

Grade eben habe ich von der desaströsen Verleihung der Shorty Awards gelesen. Ein Branchenpreis für irgendwas mit social media, who gives a damn? Und Adam Pally tritt auf die Bühne. Pally, den ich bisher nur als schwule Äquivalent von Joey in Happy Endings kenne, der aber grade auch an der President Show mitarbeitet. Und er lässt die Verzweiflung einfach raus. Nicht über Trump, nicht über Syrien, einfach darüber, das diese Welt für ihn keinen Sinn mehr ergibt. Dass er der lustige Clown sein soll für die Leute, die ohne Ironie mit einem Selfie-Stick auf die Bühne treten, und sich bei der Community bedanken, die sie bezahlt, gelockt, abkassiert haben. Dass er keine Lust darauf hat, auf dem Vulkan zu tanzen.

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Comedy is dead. Seien wir doch einfach ehrlich.

You are not the product

Solche Sätze werden wir in den nächsten Tagen öfter hören.

Though Facebook has made a few changes to make privacy control better, that basic calculus has not changed, and the old adage still applies: If you’re not paying for something, you are the product.

Wenn Du für einen Dienst nicht zahlst, dann bist Du das Produkt! Das ist ein schöner Sinnspruch, der Menschen zu gesundem Misstrauen auffordert. Und dennoch ist er falsch. Und zwar in Sachen Facebook/Cambridge Analytica ganz entscheidend falsch, da er den Blick dafür verstellt, was hier passiert ist.

Wären die Nutzer das Produkt, wäre Facebook niemals so nachlässig mit den Daten umgegangen. Wäre der Nutzer das Produkt, wäre das Geschäft eigentlich abgeschlossen, sobald ihr einmal die Facebook-App auf Eurem Smartphone installiert habt, wo Euer Adressbuch liegt.

Doch das eigentliche Produkt seid nicht ihr selbst, es ist Eure Aufmerksamkeit. Facebook konnte so nachlässig mit seinen Daten sein, da die Werbetreibenden mutmaßlich keinen Ausspielkanal hatten, mit dem sie die erhobenen Daten verwerten konnten — außer eben Werbung auf Facebook zu schalten, zielgenaue Inhalte auf Facebook zu posten. Kalkuliert war eine Win-Win-Situation. Irgendwelche App-Betreiber bekommen Zugang zu Daten, mit denen sie mehr Aufmerksamkeit generieren können, die sie irgendwie in Geld umwandeln. (Oder auch nicht. Zynga lässt grüßen.)

Wer jedoch mehr Aufmerksamkeit und mehr Geld haben will, muss immer zu Facebook zurückkommen, muss die Leute zu mehr Klicks animieren und damit auch wieder die gewonnenen Daten zurück zu Facebook überführen. Was Facebook nutzen wollte, um mehr Werbeplätze zu verkaufen.

Noch einige Missverständnisse zur Blockchain

Seit ich kürzlich einige Missverständnisse zur Blockchain aufgezählt habe, haben Leute eine perverse Freude daran, mir Artikel mit teils absurden Blockchain-Lobpreisungen zuzuschicken. Jemand designte sogar ein T-Shirt, das mir in den meisten Fällen angemessen angemessen erscheint.

Aber ich habe erkannt: Es gibt eine Menge weiterer Missverständnisse, und sie verbreiten sich massenhaft ohne nennenswerten Widerspruch. Es ist eine Melange aus etwas Mathematik, viel Esoterik und Wall Street-Denken entstanden. Also lege ich hier mal ein paar Erklärungen nach.

Das Dezentralitäts-Paradox

Blockchains sind — im Prinzip — eine dezentrale Technik. Das alleine scheint schon viele Leute von der Technik zu überzeugen. So fantasiert zum Beispiel Philippe Wampfler in seinem Blog über eine Bildungsrevolution — dank Blockchain. Da ich seit über 20 Jahren Dezentralität im Internet verfechte, bin ich nicht ganz so leicht überzeugt.

Zum einen: Sehr dezentral sind Blockchains in der Praxis gar nicht. Die Mining-Kapazitäten der Bitcoin-Blockchain liegen in der Hand von einer Handvoll Miner, die reichlich Kontogebühren für ihre kryptographischen Dienste verlangen. Die ganzen Tokens, die nun im ICO-Verfahren verkauft werden, sind meist furchtbar zentral. Selbst wenn die ausgebende Firma ihre Krypto-Einheit nicht völlig selbst in Eigenregie minen will, obliegt ihr die volle Kontrolle darüber, wie Geld in das System fließt, welche Preise sie setzt und wer zu welchen Bedingungen an eventuellen Umsätzen beteiligt wird. (Da es eigentlich fast nirgends echte Umsätze gibt, ist die Frage erst mal nur von theoretischer Bedeutung.)

Dezentralität bedeutet auch generell nicht, dass die Macht eines Systems automatisch in die Hände der vielen übergeht. Nein. Für den einzelnen ohne Macht hat Dezentralität viele Nachteile. Wer jemals einen Joint mit Bitcoins gekauft hat, kann sich mittlerweile ziemlich sicher sein, dass eine staatliche Stelle darüber Bescheid wissen kann. Dezentralität verhindert schnelle Updates, und die Sicherheitslücken müssen die Nutzer als erstes ausbaden. Dezentralität gibt den Leuten viel Macht, die die Imperfektionen des Ist-Zustands ausnutzen und die große Mehrheit übervorteilen wollen. (Simples Beispiel: E-Mail-Spam.)

Dezentralität alleine bietet auch keine Sicherheit. Wer gerne im dezentralen Internet Relay Chat unterwegs ist, weiß dass die Komplikationen doch um einiges höher sind als bei WhatsApp. Und von einer End-zu-End-Verschlüsselung kann man nur träumen. (Bei XMPP kann sie funktionieren, es ist aber eine Heidenarbeit.)

Dezentralität setzt meist auch eine Zentralität voraus. Jeder muss sich strikt an ein Protokoll halten, damit auch jeder Knoten in dem weiten Netz die selben Daten auf die selbe Weise interpretieren kann. Wenn zum Beispiel Philippe davon fantasiert, dass die Blockchain zentrale Institutionen im Bildungsbereich überflüssig machen kann, ist er auf dem Holzweg. Eine Dezentralität setzt sogar eine im Bildungsbereich bisher unbekannte Zentralität voraus. Wenn Bildungsabschlüsse auf der ganzen Welt in eine gemeinsame Datenbank eingespeist werden sollen, dann muss auch die ganze Welt einig sein, wann eine Prüfung bestanden ist und wann nicht. Und welche Inhalte zu jedem Abschluss gehören. Wenn das nicht gegeben ist, kann auch die Blockchain nichts ändern.

Dezentralität ist wichtig, sie ist die Grundlage des World Wide Web, des Internets. Damit sie funktioniert, darf man sie aber nicht nur als Hype, als selbst erfüllenden Slogan begreifen. Dezentralität ist viel Arbeit. Und wenn niemand wirklich ihre Notwendigkeit versteht, bleibt sie halt unerledigt. Oder man überlässt es Google, Flash abzuschaffen und Verschlüsselung durchzusetzen. Aber ich schweife ab…

Blockchains können lügen

Einer der anderen großen Marketing-Slogans der Blockchain-Gemeinde heißt: Vertrauen. Was in der Blockchain abgespeichert ist, ist mathematisch so gesichert, dass sich auch Leute darauf verlassen können, die nie voneinander gehört haben. Oder noch besser: Leute können einander vertrauen, wenn sie schon eine Menge voneinander gehört haben und dem anderen aus guten Gründen keinen Gebrauchtwagen abkaufen würden. Denn die Mathematik ersetzt das Vertrauen.

Das mag für Bitcoins einigermaßen zutreffen. Aber halt nur deshalb, weil hier schlichtweg abstrakte Zahlen anderen abstrakten Zahlen zugeordnet werden. So lange man nur dies erreichen will, ist die Blockchain wohl ein gutes Prinzip.

Doch man muss sich auch die Grenzen des Konzepts vergegenwärtigen. Zwar ist bisher ziemlich sicher, dass ein Betrag X von Konto A auf Konto B überwiesen wird. Das Konto B kann aber per Hack rückstandslos leergeräumt werden. Oder durch einen Dienstleister, der mal eben pleite macht. Oder durch eine Festplatte, die auf der Müllkippe landet. Sobald man sichergehen will, dass ein Betrag X nicht mehr nur dem abstrakten Konto B, sondern einer bestimmten Person zu Gute kommt, ist die Blockchain bisher nicht sonderlich erfolgreich.

Steve Wozniak beschwerte sich zum Beispiel gerade, dass ihm Bitcoins gestohlen wurden. Jemand kaufte ihm die Bitcoins ab, die genutzte Kreditkarte war jedoch gestohlen. Die Blockchain hat den Kauf final registriert, die Kreditkartenfirma jedoch nicht. Ergebnis: Wozniak ist sein Geld los. Und er hat auch keine Aussicht darauf, das Geld zurückzubekommen, obwohl die Beute für jedermann sichtbar in der Blockchain ausliegt.

Dieses Problem ist nicht unbedingt spezifisch für eine Blockchain: Datenbanken vermerken nur, was man in sie eingibt. Wenn jemand bei der Eingabe lügt oder sich auch nur irrtümlich vertippt, dann kann die Datenbank nichts dafür. Die Blockchain verhindert aber recht effektiv, dass Fehler nachträglich korrigiert werden könnten.

Kurzum: Um die dezentrale Technik Blockchain nutzbar zu machen, muss man in den allermeisten Fällen so viel Zentralität voraussetzen, dass das Abspeichern in der Blockchain eh keinen Unterschied mehr macht. Man kann dann auch jede andere Datenbank einsetzen und das Ergebnis ist billiger, verlässlicher und weniger missbrauchsanfällig.

Mit der Verbreitung von „Smart contracts“ wird das Ganze noch schlimmer. Denn die Leute, die diese neuen Super-Verträge schreiben sollen, scheitern heute wahrscheinlich schon mit PHP. Und hier wie da werden Fehler ignoriert, bis es zu spät ist.

Blockchains sind kein Super-Kopierschutz

Auch diese Idee ist mittlerweile erstaunlich populär: Blockchains retten den Urheber. Dank der neuen Technik kann nun endlich Wissen sicher gehandelt werden. So hat zum Beispiel die Bundesregierung eine Studie ausgeschrieben, die die Blockchain als Grundprinzip eines Wissen-Marktplatzes erkunden soll.

Manche versuchen per Blockchain schon wieder eine art Leistungsschutzrecht zu etablieren. So schreibt die „Welt“.

Das Prinzip Blockchain dürfte das Internet grundlegend verändern. Heute können digitale Wirtschaftsgüter wie etwa Musikstücke beinahe mühelos kopiert und verteilt werden. In der Blockchain-Welt geht das nicht mehr. Alle Transaktionen werden in einem Kassenbuch abgespeichert – und dann Zeile für Zeile verschlüsselt und dabei mit den vorigen Daten verkettet. Dadurch sind einmal geschriebene Daten nicht mehr veränderbar.

Wir könnten Steuergeld sparen, wenn die Bundesregierung einfach diese Antwort akzeptierte.

Nein. Neinneinnein. Nein. Nein! NEIN! Nein. Nein. Neinneinnein. Nein. NEIN! Und: Nein.

Zum einen: Mein Broterwerb besteht daraus, urheberrechtsgeschützte Texte zu produzieren. Es kommt ganz, ganz selten vor, dass ein Urheberrechtsstreit daran scheitert, dass jemand das Entstehungsdatum eines Inhalts nicht hinreichend dokumentieren kann. Die Blockchain ist hier eine Lösung für ein Problem, dass es in der Praxis eigentlich nicht gibt.

Zum zweiten: Blockchains setzen Offenlegungen voraus. Wenn alle Geschäfte mit urheberrechtlich geschützten Material in einer öffentlich zugänglichen Plattform liegen, dann kann auch jeder sehen, welche Zwischenhändler wie viel einsteckt. Ich glaube nicht, dass dies im Sinne der Zwischenhändler ist – und in dem Fall würden sie einfach nicht mitmachen. Und falls doch: Durch die prominente Veröffentlichung numerischer Werte ohne Kontext würde das Apple-Problem verstärkt: Seit Steve Jobs beschlossen hat, im App-Store 30 Prozent Provision zu nehmen, will niemand anders weniger als 30 Prozent nehmen.

Zum dritten: Wenn man Inhalte erst registrieren muss, um Urheberrechtsschutz zu genießen, dann wird eine Menge Material nicht mehr geschützt werden, weil der Aufwand doch immer beträchtlich ist.

Zum vierten: Die Tauglichkeit der Blockchain als Kopierschutz hängt an einer simplen Tatsache: Sie ist kein Kopierschutz. Zwar könnte man zum Beispiel eine DVD-Ausgabe der Titanic auslesen und in der Bitcoin-Blockchain abspeichern. Das Problem daran ist: Jeder kann auf diese Weise den Film auslesen und den Rest der Blockchain ignorieren. Statt Raubkopien zu verhindern, liefert die Blockchain jedem Interessierten die Daten frei Haus. Zudem: Wer soll all den Kram auf Tausenden von Nodes abspeichern wollen?

Theoretisch kann man sicher ein System erdenken, dass auf jedem Blu-Ray-Player und jeder Streaming-Box installiert wird, und das Inhalte erst abspielen will, wenn eine Zahlung auf irgendeiner Blockchain registriert ist. Stattdessen kann man aber auch jeden anderen Kopierschutz nehmen, der viel einfacher zu installieren, zu updaten, zu kontrollieren ist. Hier gilt wie so oft: Wenn man es mal geschafft hat, die Blockchain zum Laufen zu bekommen, ist sie wahrscheinlich allen anderen etablierten Lösungen unterlegen.

Comedy in Zeiten von Trump

Did you hear this? I love this story. Oh my goodness.

Zum Osterfest im Weißen Haus kam ein Gast, der nur einmal pro Jahr kommt. Es war *trommelwirbel* Melania Trump!

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Kein Witz: Diese Pointe habe ich diese Woche in gleich drei verschiedenen Comedy-Shows gehört. Dass Melania ihren Mann anstupsen musste, damit der zur Nationalhymne Haltung annahm — das kam in jeder Show. Und das zeigt uns: Comedy in Zeiten von Trump hat ein Problem.

Ich weiß: Ich schwimme hier gegen den Strom. Alle Welt verehrt grade die heilige Göttin Comedy, die uns die Trumpiaden erträglich macht. Und doch: Was da allabendlich über die Bildschirme flimmert, mag im Einzelnen furchtbar komisch sein – zusammengenommen ist es jedoch sehr deprimierend. Ich genieße zwar, wie Stephen, Seth, Trevor, Jimmy und Conan Tag für Tag, Samantha und John Woche für Woche Donald Trump durch den Kakao ziehen. Doch tolle Comedy ist es nicht. Und die Wahrheit(TM) erst recht nicht.

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Comedians arbeiten sich an Widersprüchen und Stereotypen ab — und die Regierung Trump überschwemmt sie förmlich damit. Es ist wie eine DDOS-Attacke auf Comedy. Zu Beginn seiner aktuellen Staffel erklärte John Oliver noch optimistisch, dass sich nicht vorrangig mit Trump, sondern lieber mit den richtigen und wichtigen Themen beschäftigen wolle. Er hatte keine Chance. In den fast 100 Tagen seit Amtsübernahme haben wir nicht einen Tag erlebt, wo sich das Weiße Haus nicht lächerlicher machte, als es alle Comedians zusammen vermochten. Sean Spicer macht Hitler-Vergleiche, Donald Trump lässt seine Haltung zu China in zehn Minuten von Xi Jinping umdrehen. Und dann das Bild von Sarah Palin, Kid Rock und Ted Nugent im Oval Office. Wer sein Publikum amüsieren will, verbringt große Teile seiner Sendezeit damit, die Geschehnisse des Tages mit einem hämischen Tonfall nachzuerzählen statt sie zu reflektieren.

Der Spalter der Nation

Würde es Trump wirklich stören, dass die New Yorker Comedy-Shows über ihn lachen — er müsste sich komplett neu erfinden. Er tut es nicht, weil er das nicht wirklich kann. Aber dazu kommt: Das Gelächter ist eigentlich ganz in seinem politischen Interesse. Sein Erfolg beruht nämlich nicht darauf, dass er die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen könnte. Sondern darauf, dass eine enorm große Minderheit im Lande die vermeintliche liberale Elite zum Kotzen findet. Und in dieses Narrativ passt es prima, wenn sich auch der letzte drittklassige Komiker einen Trump-Akzent aufsetzt und meint, sich aufs moralisch hohe Ross setzen zu können. Und wenn sich Komiker aufs hohe Ross setzen, sieht das in der Regel nicht wesentlich besser aus als Ted Nugent im Oval Office.

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Zwar haben die Parodien in Sendungen wie Saturday Night Life sicher dazu beigetragen, dass das Gewinner-Image Trumps in breiten Bevölkerungsschichten angegriffen wurde. Doch Trevor Noah sagte kürzlich in einem Interview mit dem Magazin The New Yorker, dass Comedy in solchen Zeiten einen negativen, anti-aufklärerischen Aspekt haben könnte. Denn wenn die Leute ein Phänomen verlachen, dann ist die Motivation gering, dagegen auch etwas zu tun.

Die Nachrichten von vorgestern

Und dennoch arbeitet sich Trevor Noah Abend für Abend an genau den gleichen Lächerlichkeiten ab wie zuvor schon seine Kollegen. Seine Grafik-Abteilung packt dazu einige lustige Film-Plakate und dann kommt ein mehr oder weniger lächerliches Korrespondenten-Stück. Ein paar Minuten pro Woche wird ein ernstes Thema wie die Trinkwasser-Krise präsentiert. Aber wer die Medien auch nur flüchtig verfolgt, kennt die präsentierten Stories längst. Einen Impuls zum Aktivwerden bietet die Sendung allenfalls, wenn sie dem Publikum einen hämischen Hashtag vorschlägt.

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Comedian Aparna Nancherla kritisierte noch vor der Amtsübernahme in der Village Voice:

The most cliché Trump jokes — his orange skin, emphatic hand gestures, and tween-like reflexes on social media — have been hashed and rehashed, hashtagged and retweeted. In fact, many Trump jokes just start with commenting on something he’s already tweeted. It’s an easy way to fulfill our quasi-contractual obligation as comedians to roast the powerful.

Folge dieser Klischeeparade sei eine Normalisierung. Und das ist der Stand der Comedy heute. Einige der Klischees, die immer wieder auftreten:

  • Trumps Haar- und Hautfarbe
  • Putin persönlich hat die Wahl gehackt.
  • Donald Trump will Sex mit seiner Tochter haben.
  • Die Trump-Söhne sind dämlich, seine Tochter Tiffany ein Versager.
  • Grab them by the pussy
  • Melania ist ein Trophy Wife
  • President Steve Bannon
  • Donald Trump liest nicht.
  • Donald Trump hat keine Ahnung.
  • Donald Trump spielt viel, viel Golf.
  • ….

Gerade die Witz über Melania schlagen mir inzwischen übel auf. Die nicht so subtilen Andeutungen, dass die Frau des Präsidenten eigentlich eine Prostituierte ist, haben längst auch die super-sympathischen Comedians wie Seth Meyers und Jimmy Fallon in ihrem Repertoire. Abwechselnd wird sie als geldgeiles Trophy Wive oder als Geisel eines Psychopathen karikiert, dazu als strunzdämliche Frau, die so ziemlich das Gegenteil von Michelle Obama verkörpert. Der letzte Punkt mag stimmen, aber in der Masse sind die Witze bei einem Maß angelangt, das wir bei einer uns sympathischeren Frau als untolerierbar, gar als menschenverachtend empfinden würden.

Comedy als Schlammcatchen

Was hier geschieht, kann man als „mudding the water“ bezeichnen. Dieses Schlagwort wird in Zusammenhang mit Trump immer wieder gebraucht. Es bedeutet, dass Trump weite Teile der Bevölkerung nicht überzeugt, dass er die Wahrheit sagt. Er überzeugt sie aber damit, dass auch alle andere Politiker lügen. Dies macht es Leuten, die tatsächlich die Wahrheit sagen wollen, unheimlich schwer gehört zu werden. Zum einen ist die Wahrheit selten so sexy wie eine gerissene Lüge. Zum anderen: Warum sollte man ihm oder ihr glauben? In einer gesellschaftlichen Debatte, die im Wesentlichen nur noch die Lager „Pro Trump“ und „Anti Trump“ kennt, kann man den vermeintlichen Gegner schnell ablehnen, bevor er auch nur ein Wort von Belang gesagt hat.

Das gleiche geschieht in der Comedy: Autoren und Publikum werden gerade auf die Flachwitze festgelegt. Wer nicht annähernd so lächerlich wie Donald Trump ist, bekommt auch nicht annähernd so viel Sendezeit. Und die Wahl von 2016 hat eins gezeigt: Sendezeit entscheidet Wahlen.

Falls sich das Niveau der Debatte wieder heben sollte, bleiben die Comedy-Shows erst einmal außen vor. Denn sobald sich ein Herausforderer positionieren sollte, werden die ersten Fragen sein: Sieht seine oder ihre Frisur nicht irgendwie lächerlich aus? Hat der Ehepartner etwas Dämliches gesagt? Findet sich im großen Interviewarchiv aus den letzten 20 Jahren nicht der eine Satz, der einen Kandidaten vom Start an lächerlich machen und damit disqualifizieren kann? Comedy kann Leute aus der Schockstarre befreien. Sie kann jedoch auch Veränderung unsagbar schwer machen.

Der heilige Jon

Die Vorstellung, dass Comedy als alternatives, womöglich sogar besseres Mittel zur Nachrichtenvermittlung dienen könnte, verdanken wir wohl John Stewart. Der hatte die „Daily Show“ von einer lächerlichen Newsparodie in der Amtszeit von George W. Bush zu einem Medium gemacht, das an der politischen Agenda mitschrieb. Was Stewart in seiner Sendung durch den Kakao zog, war am Tag darauf Gesprächsthema. Selbst wenn die Show auch zu besten Zeiten nur wenige Millionen Zuschauer hatte, die Meinungsmacher hörten alle zu.

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Doch Stewart hatte komplett andere Rahmenbedingungen. Er war quasi der einzige auf weiter Flur, der noch Witze über Politik machte und dabei sein eigenes Wertesystem auf die Comedy übertrug. Der sich über Politiker mokierte, aber die Politik nicht aufgab. Er lud Autoren und Politiker in seine Sendung, die erzählen konnten, wie es besser geht. Und er lud konservative Autoren in seine Sendung ein, um sie herauszufordern. Diesen Luxus haben heutige Comedians nicht mehr. Statt dicker Bücher zählen erst Mal nur die 140-Zeichen-Rants von Trump. Und es wird viel Arbeit kosten, das wieder zu ändern.

Ich bewundere insbesondere die Bemühungen von Samantha Bee und John Oliver, in ihrer Comedy mehr als nur den schnellen Witz zu ergründen, auch Stephen Colbert und Seth Meyers tun, was sie können. Im derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Klima, sind sie jedoch Getriebene. Aber auch sie stellen sie nicht so sehr den Status in Frage, als dass sie die Welt sehr bestimmt in Gut und Böse aufteilen. Statt eine gesellschaftliche Debatte anzutreiben, wird das Ergebnis gleich als absolut vorausgesetzt.

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tl;dr: Comedy über Trump ist zwar lustig, aber im Endeffekt eher lähmend. Wer das Niveau der Debatte steigern will, muss auch das Niveau der Comedy wieder anheben.

Bad Data

Es ist eine von vielen Stories, die heute zum Thema big data verbreitet werden. Spotify weiß, welche Musik läuft, wenn Du Sex hast. Ach was? Leute speichern Playlists unter Titeln wie „Sex“ oder „Love“ ab und schon hat der mächtige Cloud-Anbieter einen Blick in unser Schafzimmer geworfen. Denn wie einst Kästner fomulierte: „Wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort!“

Sorry, aber das ist kein big data, das ist big bullshit. Als Spotify-User kann ich versichern: Die Cloud hat keinerlei Ahnung, welche Musik ich mag und was ich dabei mache. Ich muss schon mindestens zehn Titel vorgeben, damit Spotify annehmbare Vorschläge auf die Playlist setzt. Das kann auch ein besoffener 20-jähriger, der nicht weiß, auf welcher Party er grade gelandet ist und plötzlich vor dem iTunes-Computer sitzt. Spiel die Titel, die jeder kennt. Wenn sich jemand beschwert, klick weiter. Unterdessen empfiehlt mir Spotify die tolle Schunkel-Karnevals-Playliste. Go figure.

Schubladendenken und Golden Oldies

Ich will nicht leugnen, dass Facebook, Google und Co eine Menge über mich herausfinden können. Simples Beispiel: Ich hab Facebook nie gesagt, dass ich heterosexuell bin. Trotzdem bekam ich lauter Single-Frauen-Dating-Scams angezeigt. Aber das war auch schon die höchste Annäherung, die Facebook an mein persönliches Interessenprofil geschafft hat. Ich musste über ein halbes Jahr jeden einzelnen Anbieter von Dating-Apps mehrfach als unerwünscht wegklicken, damit das endlich aufhörte.

Nach den ersten drei unerwünschten Anbietern hätte die allwissende Facebook-Cloud erkennen können: Der Torsten mag keine Dating-Apps. Doch warum sollte Facebook das machen? Die Dating-Börsen bezahlen gut, dass ihre Werbung angezeigt wird. Und wenn Facebook vermeintliche Interessenten streicht, dann werben die Börsen halt im Fernsehen.

Heute zeigt mir Facebook im wesentlichen Werbung für Produkte an, die ich mir vorher schon auf Amazon angesehen habe. Und für einen Kabel-Anbieter, der meine Wohngegend nicht bedient. Ab und zu eine Werbung für Autos — und ich werde in den kommenden fünf Jahren keinen Neuwagen kaufen — oder für Eigentumswohnungen in Monschau. Damit verdient Facebook ein paar Euro im Jahr. Die Inserenten haben das Geld jedoch rausgeschmissen.

In guten Daten ist kein Geschäft

Google ist nicht wesentlich mehr an mir interessiert. Bei Google+ werden mir die doofsten Verschwörungstheorien und die schmalzigsten HDR-Fotografien in die Timeline gespült. Einer der erste Kategorien der YouTube-Startseite ist „Erneut ansehen“, die mir Videos empfiehlt, die ich schon angesehen habe. Wiederholungen als Erfolgsmodell, Olden Goldies. Der Rest bezieht sich auf eine simple Titelauswertung. Ich habe ein Video mit Jim Fallon gesehen? Hier sind weitere Video im Fallon.

Das Interesse von Google an meiner Person ist weitgehend erschöpft, wenn mein Werbeprofil ausgefüllt ist. Welcher Altersgruppe gehöre ich an? Welche vermarktbare Themengebiete interessieren mich? Welche Sprache spreche ich und in welcher Metropolregion lebe ich? Genauer wird es nicht. Dabei könnte Google dank GPS genau wissen, wo ich tatsächlich einkaufe. Doch wer sollte Google dafür bezahlen?

Es ist ein Paradoxon: Facebook, Google und Co wollen mich mit Daten möglichst genau erfassen. Doch ihr Geld verdienen sie damit, mich möglichst ungenau zu kennen. Sonst könnte man mir ja nichts verkaufen. Über mein Datenprofil wird ein Weichzeichner gelegt, der mich unkenntlich macht. Ob privat-kommerziell oder staatlich: Die Technik mag big data sein, das Geschäftsmodell ist aber bad data.

Big government

Gerade im staatlichen Bereich ist der Umgang mit big data oft noch schlimmer. Denn hier gibt es nicht einmal die Kontrolle durch den Markt der Werbekunden. Bestes Beispiel sind die berühmten No-Fly-Listen und die Einreisekontrollen an Flughäfen. Eine von vielen Anekdoten kam diese Woche an die Öffentlichkeit: Ein Niederländer wird als Verdächtiger eingestuft und gleich zweifach verhört und durchsucht, weil er sein Einreiseformular aus Jordanien bearbeitet habe. Wahrscheinliche Erklärung: die US-Behörden haben die IP-Adresse falsch zugeordnet.

Was diesen Vorfall von Tausenden ähnlicher Vorfälle unterscheidet: Die Behörden ließen sich in die Karten sehen, was denn der Verdachtsmoment gewesen sein mag. Eine formelle Überprüfung, warum die Grenzschützer daneben lagen, wird es wohl nicht geben. Ein Reisender ist als Risiko eingestuft worden, in der Statistik wird ein Niederländer als potenzieller Terrorist auftauchen, sodass der Austausch von Fluggastdaten unbedingt notwendig erscheint. Der Fahndungs-Fehlschlag war aus statistischer Sicht ein Erfolg.

Wer viele Daten hat, so heißt es oft, hat heute die Macht. Doch mächtiger ist, der die Daten auslegen kann, wie es ihm grade in den Kram passt.

Leistungsschutzrecht und elektronische Pressespiegel

Das viel diskutierte Leistungsschutzrecht könnte eingedampft werden. Das legt jedenfalls ein Interview mit der Bundesjustizministerin nahe, die keine Internet-GEZ für Büro-PCs will, sondern von einer Vergütungspflicht für gewerbliches Verlinken spricht.

Durch Twitter und Blogs erschallt der Spott: diese Verleger haben noch nichts von robots.txt gehört. Wenn sie nicht von Google ausgewertet werden wollen, können sie Google doch ganz einfach aussperren. Das Blöde daran ist: zumindest einige der Leute, die so etwas äußern, scheinen das durchaus ernst zu meinen. Dabei sollte der gesunde Menschenverstand und ein halbwegs waches Ohr zur unweigerlichen Erkenntnis führen, dass die Verleger (zumindest die große Mehrheit) absolut nichts gegen Google haben, wenn es denn zu neuen Einnahmen führt. Da Google im Bereich Online-Werbung eine durchaus bestimmende Marktstellung hat, haben die Verleger eigentlich einen legitimes Grund zur Beschwerde, zumindest zur rationalen Kritik des Ist-Zustandes.

Während einige Leute nun die Kommunikationsfreiheit als solche gefährdet sehen, hilft vielleicht einfach Mal ein entspannter Blick auf das jetzt geltende Recht. Denn Pressespiegel und elektronische Pressespiegel sind bereits heute kostenpflichtig, entsprechende Lizenzen werden von der Verwertungsgesellschaft Wort vermarktet. Während das Leistungsschutzrecht nach der Lesart von Keese und Co einer kaum zu begründeten GEZ-Gebühr für Büro-PCs gleich käme, die Online-Distribution gegenüber Offline-Distribution stark reglementiert, haben wir im durch den neuen Vorstoß der Bundesjustizministerin eine Chance über übergreifende Vorschriften nachzudenken, die das Urheberrecht modernisieren.

Ich glaube zwar nicht daran, dass dies passieren wird — aber die Chance will ich dem Justizministerium durchaus zugestehen.

PS: Um es nochmal klarer zu formulieren: Als es keine Links und Internetverwertung gab, entschloss sich der Gesetzgeber eine Möglichkeit zur niedrigschwelligen Nutzung von Inhalten der aktuellen Berichterstattung zu schaffen, die einerseits die Urheber und Verleger entschädigt und gleichzeitig die Weiterverbreitung der Information selbst rationalisiert. Wie würde man diesen Paragraph 49 des Urheberrechts heute formulieren, in einer Zeit, in der Pressespiegel durch Snippets und Links abgelöst wurden und die Verwertungskette nahtlos in den privaten Bereich übergeht?

Nachtrag: Thomas Stadler deutet Leutheusser-Schnarrenbergers Vorschlag in eine allgemeine Zahlpflicht für Links jeder Art um und findet das Ergebnis nicht gut. Verfassungsrechtlich ist er damit auf der sicheren Seite — nur mit der Realität hat diese Uminterpretation nichts zu tun. In dem Interview sagt die Bundesjustizministerin klar, dass es bei dem Vorschlag alleine um die Vermarktung von Inhalten geht, bei denen eine Verlinkung eines von mehreren Elementen sein kann. Wie gesagt: ich glaube derzeit nicht, dass diese Initiative erfolgreich sein wird. Um so wichtiger ist es, keine Worte aus dem Kontext zu reißen. Eine fundierte und ehrliche Debatte tut von beiden Seiten not.

Dumpio Experts

Die Blog-Zähler von Wikio.com haben mir ein tolles Angebot unterbreitet. Sie haben eine Plattform namens „Wikio Experts“ und ich als Experte darf mich daran beteiligen. Yay!

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natürlich werde ich gerne für 5 Euro 400 Wörter liefern. Schließlich texte ich ja gerne! Und dass ihr mir sogar etwas bezahlt, ist dann nur ein unverhoffter Bonus. Dafür bekommt ihr sogar alles exklusiv.

Aber Ihr macht doch auch sicher gerne ganz tolle Sachen. Zum Beispiel Heimwerken. Machen wir es doch so: Bevor ich Euch meinen Experten-Artikel liefere, streicht Ihr meine Wohnung komplett für 5 Euro. Die Farbe bringt ihr natürlich mit. Und Einkaufen macht auch Spaß! Also erlaube ich Euch, meine Wocheneinkäufe zu erledigen. Für einen Einkaufwagen voll hochwertiger Bio-Lebensmittel zahle ich Euch nochmal 5 Euro. Ach, was soll der Geiz: 10 Euro. Aber dann sollten schon ein paar gute Flaschen Wein dabei sein. Sonst macht das Einkaufen keinen Spaß, gell?

Wisst Ihr was noch Spaß macht? Schlecken und Körperhygiene. Wenn ihr beides verbinden wollt, könnt ihr mich gerne am Allerwertesten lecken. Das aber umsonst.