„Brutal“ war gestern

Der Tagesspiegel berichtet:

„Diese Behandlung war zu ruppig, selbst wenn die Person gestört haben mag“, sagte der grüne Innenpolitiker Benedikt Lux. Insgesamt habe die Polizei die Lage aber gut im Griff gehabt.
Wie berichtet, hatte vor vier Wochen bei einer linken Demonstration die ruppige Festnahme eines Mannes bundesweit Schlagzeilen gemacht. Auch diese Szene war ins Internet gestellt worden – für die Polizei ein schwerer Imageschaden. Dass sich der Mann zuvor renitent mehreren Platzverweisen der Beamten widersetzt habe, sei auf dem Film dagegen nicht zu sehen, hieß es bei der Polizei. Deshalb sollte der Mann festgenommen werden – mit den bekannten Folgen.

Ruppig??? Diese uniformierten Schlingel! Statt Disziplinarverfahren einzuleiten, sollte man sie fünf Minuten in die Ecke stellen.

Ach ja: Dass die Videoaufnahmen von dem Vorfall vor einigen Wochen zeigen, wie der Mann einem Platzverweis nachkommen will und dann hinterrücks überfallen und brutal verprügelt wird, ist in diesem Tagesspiegel-Artikel nicht zu sehen.

Demo-Mathe

Die taz tickert von der Freiheit-statt-Angst-Demo:

Der Veranstalter spricht in einer ersten Presseerklärung von mehr als 20.000 Teilnehmern. Eigenen Zählungen ergeben jetzt, dass ungefähr 15.000 Demonstranten dabei sind.Die Polizei spricht von 10.000 Teilnehmern.

Eigentlich ist es immer so: Die Veranstalter sagen, es sind doppelt so viele Teilnehmer wie die Polizei meldet. Die Realität befindet sich irgendwo in der Mitte.

Demonstrantenlob

Bernd Rürups Abschiedsvorlesung wurde gestört:

Welchen Zweck die Protestaktion hatte, wisse er nicht, sagte Rürup. Er vermute allerdings, dass ein Großteil der Demonstranten dem Deutschen Gewerkschaftsbund DGB angehöre. Das wiederholte Angebot einer Diskussion sei abgelehnt worden.

So weit, so normal.

Ein Demonstrant habe ihm später gesagt, er sei „argumentativ so gut“, dass man sich auf eine Diskussion nicht habe einlassen wollen, sagte Rürup.

Entweder waren die Demonstranten in Wahrheit vom INSM oder Rürup hat da was falsch verstanden.

Wieder auf die Straße trauen

Das Bundesverfassungsgericht hat das bayerische (Anti-)Versammlungsgesetz in Teilen gekippt. Die Richter führen an, dass Gesetze eben nicht nur Wirkung auf Leute haben, die gezielt dagegen verstoßen:

Das Bundesverfassungsgericht kritisierte besonders die Bußgeldvorschriften: Damit verbinde sich das „Risiko einer persönlichen Sanktion, die bei den Bürgern zu Einschüchterungseffekten führen und die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit beeinträchtigen kann“, heißt es.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sieht sich trotzdem im Recht:

Der Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht gegen das Bayerische Versammlungsgesetz ist weitgehend erfolglos geblieben. Das Gesetz wurde in seinem Kern von Karlsruhe nicht beanstandet. Wichtig ist in meinen Augen auch, dass die gegen rechtsradikale Umtriebe gerichteten Regelungen des Versammlungsgesetzes unangetastet bleiben.

Hat sich das Bundesverfassungsgericht also hinter diese Regelungen gestellt? Dem ist keineswegs so, wie man auf der Webseite des Gerichts nachlesen kann:

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung liegt eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Landesverbände von Gewerkschaften und Parteien sowie anderer nichtstaatlicher Organisationen gegen annähernd das gesamte BayVersG zugrunde. Die Beschwerdeführer rügen einen versammlungsfeindlichen Charakter des Gesetzes als Ganzes sowie seiner Regelungen im Einzelnen. Die Vorschriften führten zu bürokratischer Gängelei und Kontrolle der Bürger, die von der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit abschreckten. Ausdrücklich ausgenommen von den Angriffen sind allerdings die Vorschriften, die spezifischen Gefahren rechtsextremistischer Versammlungen begegnen sollen (Art. 15 Abs. 2 Nr. 1a und 2 BayVersG).

Das Gericht hat sich also – noch – gar nicht um die Teile des Gesetzes gekümmert, die – noch – unangetastet blieben. Aber es kommt noch härter:

Dagegen scheidet eine vorläufige Außerkraftsetzung der den Bußgeldvorschriften zugrunde liegenden versammlungsrechtlichen Ge- und Verbote aus. Eine solche hätte zur Folge, dass es dem Bayerischen Versammlungsrecht bis zur Entscheidung über die Hauptsache an zentralen Vorschriften, wie etwa schon generell an einer Anzeigepflicht, fehlte. Damit wäre eine sichere Wahrnehmung des Versammlungsrechts zumindest erheblich gefährdet. Das Bundesverfassungsgericht müsste wenigstens einige der angegriffenen Vorschriften durch eine gerichtliche Anordnung ersetzen.

Was heißt das konkret? Heribert Prantl formuliert es etwas knackiger:

Aus der Begründung der Eilentscheidung folgt, dass in der Hauptsache-Entscheidung vom Gesetz kaum mehr etwas übrig bleiben wird. Das höchste Gericht hat in seiner Eilentscheidung nur deshalb nicht das ganze Gesetz aufgehoben, weil sonst in Bayen ab sofort überhaupt keine Regeln für Versammlungen vorhanden wären.

Wenn man das weiß, kann man die Dummdreistigkeit dieser Stellungnahme erst richtig einschätzen:

Der Innenminister: „Bei dieser Sachlage kann von einer “kräftigen Watschn“ für den bayerischen Gesetzgeber, wie die SPD behauptet, keine Rede sein. Das belegt schon die Kostenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Antragstellern zwei Drittel der Verfahrenskosten auferlegt hat. Insofern steht es zwei zu eins für die Staatsregierung.

Wenn ein Gesetz nur teilweise verfassungswidrig ist, ist das für Herrmann offenbar ein echter Gewinn. Aber ob dem so ist, wissen wir noch nicht.

autonome Sympathisantenverwechslung

Autsch:

Mehrere Personen offenbar aus dem Umfeld der so genannten „autonomen Rechten“ randalierten nach der Auflösung ihrer Kundgebung in einer Kölner Einkaufsstraße. Eine Gruppe habe extremistische Parolen gerufen, erklärte ein Polizeisprecher. Weitere Teilnehmer errichteten anschließend auf dem Weg zum Kölner Hauptbahnhof Straßenbarrikaden und randalierten mit Stühlen und Fahrrädern. „Wir haben insgesamt mehr als 70 Personen in Gewahrsam genommen“, erklärte Polizeisprecherin Maren Leißner.

Dabei wurde nach Angaben der Stadt auch ein Ratsherr der Fraktion Die Linke mitgenommen. Auslöser sei ein Missverständnis gewesen. Der Ratsherr Claus Ludwig habe die von der Polizei festgehaltenen Rechtspopulisten mit autonomen Linken verwechselt, die ebenfalls demonstriert hätten. Er habe sich irrtümlich für die rechte Gruppe eingesetzt, sagte die Pressesprecherin der Stadt, Inge Schürmann. Die Polizei habe ihn wegen des Vorwurfs der versuchten Gefangenen-Befreiung vorübergehend mitgenommen

„Der Putin macht es richtig.“

Bernhardt Honningfort hat sich nach dem G8-Gipfel bei den Anwohnern umgehört:

Reimers Schnitzel wird kalt. Wirt und Rentner dreschen mit Worten aufeinander ein wie einst Don Camillo und Peppone, der katholische Dorfpfarrer und der kommunistische Bürgermeister. „Willi, du hast doch keine Ahnung.“ Sie sind beim Thema Fremdenverkehr angekommen, bei der Hoffnung von Harald Ringstorff, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, nach dem Gipfel kämen bestimmt mehr Urlauber, vor allem Polizisten aus Baden-Württemberg und Bayern, die die liebliche Ostseelandschaft kennen gelernt hätten. „Tourismus? Wenn ich die Bilder im Fernsehen gesehen hätte, würde ich woanders hinfahren“, sagt der Wirt.

Am vergangenen Dienstag hatten die G8-Gegner einen kleinen Infostand auf dem Marktplatz. Dafür, erzählt der Wirt, war ihnen von der Gemeinde ein Wasseranschluss gelegt worden. „Das ist doch die Höhe“, ruft er. „Die Markthändler warten seit zwanzig Jahren auf einen Wasseranschluss und kriegen ihn nicht. Dann kommen die und es klappt sofort.“ Eine Frau vor dem Lokal sagt: „Der Putin macht es richtig.“ Sie meint den Umgang des russischen Präsidenten mit Demonstranten.

Unschöne Parallelen

Bei Google Video findet sich eine erschütternde WDR-Reportage, die der These nachgeht, dass sich bei den Krawallen zum G8-Gipfel in Genua 2001 Politik und Polizei gezielt den Schwarzen Block schützten und koordinierten, während friedliche Demonstranten und Journalisten grundlos zusammengeknüppelt, Beweise gefälscht und Menschen schließlich sogar gefoltert wurden.

(via)

Was ich heute sage, ist heute zutreffend

Nachdem es nicht mehr zu dementieren war, hat jemand dem Polizei-Pressesprecher gesteckt, dass doch einer seiner Polizisten in Autonomen-Verkleidung enttarnt wurde. Obwohl er gestern noch das Gegenteil behauptet hat.

SpOn zitiert ihn:

Nachdem die Polizei heute bestätigte, dass ein getarnter Mitarbeiter vor Ort ermittelte, sagte Claasen zu SPIEGEL ONLINE: „Das ist ein neuer Sachstand. Was ich gestern gesagt habe, war gestern zutreffend. Was ich heute sage, ist heute zutreffend.“

Und was wird wohl morgen zutreffend sein? Steinewerfen als verfassungsgemäße Informationssammlung?

Ich hab ja gestern noch für möglich gehalten, dass es sich bei der ganzen Meldung um eine Ente handelt. Aber wenn der zuständige Sprecher erst falsch informiert und ganze zwei Tage nach dem Ereignis nur das Notwendigste zugibt, dann sind weitere Zweifel angebracht. Wenn man dazu dann noch die versammelten offiziellen Falschmeldungen der letzten Tage dazuzählt, ergibt das ein wirklich trauriges Bild von der Glaubwürdigkeit der Polizei.