Vermissen Sie etwas, Herr Herrmann?

Heute tickert über die dpa:

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung mehren sich die Stimmen, die vor Risiken für die Sicherheit warnen. Bis der Gesetzgeber eine neue Regelung auf den Weg gebracht habe, könne der rechtlose Zustand Menschenleben kosten, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.

Wie viel sicherer hat es sich doch im verfassungslosen Zustand gelebt.

Richtervorbehalt

Udo Vetter hat einen Fall vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen. Kurzfassung: Wegen fadenscheiniger Ausdrucke eines Webforums wird die Wohnung des Foren-Betreibers durchsucht, seine Rechner mitgenommen.

Aus der Urteilsbegründung:

Auch aus der mit „T.“ betitelten Abbildung, auf die das Amtsgericht den Tatverdacht maßgeblich stützte, ließen sich keine über bloße Vermutungen hinausgehenden Hinweise dazu entnehmen, ob unter der angegebenen Internetadresse tatsächlich ein urheberrechtlich geschützter Spielfilm mit dem gleichnamigen Titel gespeichert war; in diesem Zusammenhang ist nicht nachvollziehbar, warum in dem Durchsuchungsbeschluss – von dem Landgericht unbeanstandet – der Abbildung ein Hinweis auf ein „Computerspiel“ entnommen wurde, obwohl es sich deutlich erkennbar um die Ankündigung eines Spielfilms handelt.

Zu meiner Kindheit haben ungezogene Jungs an fremden Türen geklingelt und sind weggelaufen. Heute können sie viel mehr Spaß haben. Einfach irgendwen anzeigen und seine Wohnung wird durchsucht, seine Rechner mitgenommen. Überprüft wird der Vorwurf nicht mal im Instanzenweg. Und dass der Durchsuchte bis zum Bundesverfassungsgericht geht, ist ja nicht wirklich zu erwarten. Und selbst wenn – der Streich ist mehr als gelungen.

Wieder auf die Straße trauen

Das Bundesverfassungsgericht hat das bayerische (Anti-)Versammlungsgesetz in Teilen gekippt. Die Richter führen an, dass Gesetze eben nicht nur Wirkung auf Leute haben, die gezielt dagegen verstoßen:

Das Bundesverfassungsgericht kritisierte besonders die Bußgeldvorschriften: Damit verbinde sich das „Risiko einer persönlichen Sanktion, die bei den Bürgern zu Einschüchterungseffekten führen und die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit beeinträchtigen kann“, heißt es.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sieht sich trotzdem im Recht:

Der Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht gegen das Bayerische Versammlungsgesetz ist weitgehend erfolglos geblieben. Das Gesetz wurde in seinem Kern von Karlsruhe nicht beanstandet. Wichtig ist in meinen Augen auch, dass die gegen rechtsradikale Umtriebe gerichteten Regelungen des Versammlungsgesetzes unangetastet bleiben.

Hat sich das Bundesverfassungsgericht also hinter diese Regelungen gestellt? Dem ist keineswegs so, wie man auf der Webseite des Gerichts nachlesen kann:

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung liegt eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Landesverbände von Gewerkschaften und Parteien sowie anderer nichtstaatlicher Organisationen gegen annähernd das gesamte BayVersG zugrunde. Die Beschwerdeführer rügen einen versammlungsfeindlichen Charakter des Gesetzes als Ganzes sowie seiner Regelungen im Einzelnen. Die Vorschriften führten zu bürokratischer Gängelei und Kontrolle der Bürger, die von der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit abschreckten. Ausdrücklich ausgenommen von den Angriffen sind allerdings die Vorschriften, die spezifischen Gefahren rechtsextremistischer Versammlungen begegnen sollen (Art. 15 Abs. 2 Nr. 1a und 2 BayVersG).

Das Gericht hat sich also – noch – gar nicht um die Teile des Gesetzes gekümmert, die – noch – unangetastet blieben. Aber es kommt noch härter:

Dagegen scheidet eine vorläufige Außerkraftsetzung der den Bußgeldvorschriften zugrunde liegenden versammlungsrechtlichen Ge- und Verbote aus. Eine solche hätte zur Folge, dass es dem Bayerischen Versammlungsrecht bis zur Entscheidung über die Hauptsache an zentralen Vorschriften, wie etwa schon generell an einer Anzeigepflicht, fehlte. Damit wäre eine sichere Wahrnehmung des Versammlungsrechts zumindest erheblich gefährdet. Das Bundesverfassungsgericht müsste wenigstens einige der angegriffenen Vorschriften durch eine gerichtliche Anordnung ersetzen.

Was heißt das konkret? Heribert Prantl formuliert es etwas knackiger:

Aus der Begründung der Eilentscheidung folgt, dass in der Hauptsache-Entscheidung vom Gesetz kaum mehr etwas übrig bleiben wird. Das höchste Gericht hat in seiner Eilentscheidung nur deshalb nicht das ganze Gesetz aufgehoben, weil sonst in Bayen ab sofort überhaupt keine Regeln für Versammlungen vorhanden wären.

Wenn man das weiß, kann man die Dummdreistigkeit dieser Stellungnahme erst richtig einschätzen:

Der Innenminister: „Bei dieser Sachlage kann von einer “kräftigen Watschn“ für den bayerischen Gesetzgeber, wie die SPD behauptet, keine Rede sein. Das belegt schon die Kostenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Antragstellern zwei Drittel der Verfahrenskosten auferlegt hat. Insofern steht es zwei zu eins für die Staatsregierung.

Wenn ein Gesetz nur teilweise verfassungswidrig ist, ist das für Herrmann offenbar ein echter Gewinn. Aber ob dem so ist, wissen wir noch nicht.

Verfassungsklagen kränken die Kinderporno-Schutzengel

Die Nachrichtenagentur AP hat heute einen Jubelartikel über die Kinderpornojäger gebracht:

Bei der Operation «Mikado» baten die Ermittler erstmals die Kreditkartenwirtschaft um Mithilfe. […] Die Kreditkartenanbieter kooperierten, und wieder konnten Hunderte pädophile Kriminelle ermittelt werden. Der Erfolg ist allerdings nicht unumstritten. Noch liegt eine Klage beim Bundesverfassungsgericht vor. «Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, das sei mir egal», sagt Peter Vogt. «Es kränkt einen schon. Aber jeder hat das Recht, juristisch gegen Strafverfolgungsbehörden oder ihre Methoden vorzugehen.«

Gerade nach spektakulären Erfolgen häufen sich Angriffe. «Es ist klar, dass die Kriminellen uns nicht lieben», resümiert Torsten Meyer. «Nach ihrer Auffassung sind wir schließlich schuld, dass sie im Gefängnis landen. Aber damit lernt man zu leben.

Hmmm – die Angriffe gegen Mikado kommen nur von Kriminellen? Das habe ich ganz anders in Erinnerung.

Vorratsdatenspeicherung auf halber Last

Es quillt gerade aus den Tickern:
Das Bundesverfassungsgericht hat Teile des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung teilweise ausgesetzt. Oder kurz zusammengefasst: Es wird weiter gespeichert, die Polizei darf aber die Daten nur bei schweren Straftaten nutzen.

Merkwürdig finde ich diesen Satz der DPA-Meldung:

Sie dürfen allerdings dann nicht an Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden, wenn ihre Herausgabe zur Aufklärung weniger gravierender Delikte beantragt wird.

Sollen also die Provider entscheiden, was eine schwere Straftat ist und was nicht? Wäre der umgekehrte Weg nicht logischer: die Polizei darf die Daten erst gar nicht anfordern, wenn es sich nicht um schwere Straftaten handelt? Mal sehen, wie die Entscheidung im Volltext aussehen wird.