Framing-Vorwürfe als Framing

Es ist wie bei so vielen Befähigungen: Ein bisschen Medienkompetenz ist manchmal schlimmer als gar keine. Gestern fiel mir zum Beispiel dieser Tweet auf, der eifrigst verbreitet wurde:

Quelle: https://twitter.com/mikofLohr/status/1071867429205229570

Die Botschaft des Tweets ist klar: Die Medien benutzen jeden Trick, um die legitimen Proteste in Frankreich als gewalttätig erscheinen zu lassen. Ein klassisches Beispiel von Framing: Jemand wählt einen Bildausschnitt so, dass ein gezielt falscher Eindruck erzeugt wird. So scheint es zumindest.

Doch auch nur eine flüchtige Betrachtung des Ganzen sollte zeigen: Beide Bilder zeigen unterschiedliche Szenen. Die Objektive der Fotografen beim Winzfeuer zeigen nach unten – jemand müsste sich schon unmittelbar vor das Feuerchen legen, um Triumphbogen und Flammen gleichzeitig auf das Bild zu bekommen. Aber selbst dann bekäme man kein annähernd scharfes Bild hin.

Das wichtigere Problem ist aber: Niemand in Paris musste in den letzten Tagen solche Tricks verwenden. Es wimmelt von Fotos, auf denen man brennende Autos sieht — und das sind keine Spielzeugautos, die mit Tele-Objektiven fotografiert wurden. Die Rauchschwaden, das Polizeiaufgebot und das Tränengas über den Champs-Élysées bestimmen die Bildberichterstattung. Und zumindest ein Teil der Demonstranten inszeniert dies absichtlich so – denn nur über drastische Bilder kann man Politiker vermeintlich zum Einlenken bewegen.

Zweites Beispiel: Die Facebook-Präsenz Perlen des Lokaljournalismus zeigt diese Ausschnitte einer ungenannten Zeitung:

Quelle: https://www.facebook.com/perlendeslokaljournalismus/photos/a.260690807442526/1099530543558544/

Ganz klar: Zwei Mal die gleiche Person, jedoch unterschiedliche Namen und Altersangaben. Der hervorgehobene Kommentar (124 Likes!) darunter weiß zwei Erklärungen zu identifizieren – beide wenig schmeichelhaft:

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sich dem Tweet gewidmet, der inzwischen auf einem anderen Account 32000 Retweets und eine Reihe irreführender Artikel angesammelt hatte. Ihr Ergebnis: Die Fotos stammen nicht mal vom selben Tag. Das gleiche Ergebnis bei T-Online.

Sieht aus wie

Korrespondent Stefan Schaaf berichtet gestern abend in der Tagesschau über die Folgen des Erdbebens in Haiti:

Wir sind zum ersten Mal aus Port-au-Prince herausgefahren und haben die Schäden in der Provinz gesehen. Sie sind besonders im Südwesten verheerend. Die Kleinstadt Leogane etwa ist fast vollständig zerstört worden: Die Eindrücke dort gleichen Kriegsbildern.

Klaus Ehringfeld in der Frankfurter Rundschau:

Die Bilder gleichen denen der Wochenschau aus deutschen Städten nach dem Zweiten Weltkrieg. Nur die Trümmerfrauen fehlen.

Vor ein paar Tagen hörte ich einen ARD-Korrespondenten auch, der die ersten Bilder der Naturkatastrophe gar mit den Anschlägen vom 11. September verglich. Wie man mit eigenen Augen sehen kann sieht es in Haiti ganz anders aus. Haufenweise Verletzte, traumatisierte Menschen, ausländische Hilfskräfte, die mit ihrer modernen Ausrüstung wie Fremdkörper wirken, die zerstörte Kathedrale und der Präsidentenpalast, Plünderer. Die Farbe braun dominiert: Unbetonierter Boden, eingefallene Mauern, die Menschen selbst. Aber es gibt keine Artillerieeinschläge, keine riesige Staubwolke, die sich über die reichste Stadt der Welt legt, oder gar ausgebrannte Panzer.

Kurzum: Es sieht aus wie nach einem Erdbeben in einem Drittweltland. Die Katastrophe unbedingt mit anderem menschlichen Leid vergleichen zu wollen, hilft uns nicht zu begreifen.

Im Internet sind alle Surfer grau

Die Empörung ist wieder groß:

Unbekannte Internet-Surfer haben die Opfer des Amoklaufs von Winnenden und Wendlingen verhöhnt.

Und ja: es war mal wieder krautchan, die mehr oder weniger gelungene Kopie von 4Chan. Interessanterweise sieht sich keiner der Kollegen in der Lage seinen Lesern zu vermitteln, was krautchan denn nun ist. Würde man die Seite als „Forum für meist geschmacklose Witze“ bezeichnen, wäre die Luft aus der Meldung raus. Der Neuigkeitswert wäre so groß wie die Schlagzeile „Franz-Josef Wagner hat wieder was unglaublich Borniertes geschrieben“. Nach der rudimentären Beschreibung des Bildes gehe ich zudem davon aus, dass nicht die Opfer von Winnenden, als vielmehr bild.de und Angela Merkel Ziele der „Verhöhnung“ waren.

Interessant ist der Kontext. So schließen die Stuttgarter Nachrichten die Meldung mit einem Absatz über die 60 Beschwerden, die beim Presserat eingegangen sind. Wohlgemerkt: nicht über „das Internet“, sondern über die besten Adressen des deutschen Journalismus.

Die Süddeutsche schließt auch mit einem ganz anderen Thema:

Unterdessen hat EU-Kommissarin Viviane Reding den Umgang einiger Medien mit dem Amoklauf in Winnenden scharf kritisiert und mehr Datenschutz im Internet gefordert. „Ich glaube, dass zumindest die Online-Profile von Minderjährigen unbedingt standardmäßig als ‚privat‘ eingestuft und für Internet-Suchmaschinen unzugänglich sein müssen“ […]

Auch hier wird der Eindruck vermittelt, dass „das Internet“ irgendwie Schuld wäre. Das Gegenteil ist hier der Fall: StudiVZ-Bilder sind zum Beispiel schon immer für Internet-Suchmaschinen unzugänglich, einige Medien dringen aber gezielt in diesen privaten Bereich ein.

Der Fluch des Direktlinks

ImageShack, ein Bilderhosting-Dienst, hatte vor ein paar Monaten den „Direktlink“ entfernt. Wer die Bilder weitergeben wollte, sollte seine Freunde zu einer Seite mit Werbung schicken. Vor ein paar Wochen tauchte der Direktlink zur Bild-Datei wieder auf – unten versteckt, aber immerhin.

Nun ist der Direktlink plötzlich wieder an erster Stelle:

shack1

Merkwürdig, aber gut.

You saw it first on Twitter

Ein Flugzeug ist in Amsterdam abgestürzt und ich als Newsjunkie habe mal CNN eingeschaltet. Die ersten Wörter die ich höre:

…you see pictures from Twitter, the website…

cnn-twitter

Hat also Twitter mal wieder die Massenmedien geschlagen? Bürger mit Handies sind Journalisten überlegen?

Ganz einfach: Nein.

In meinem eigenen Twitter-Horizont kann ich sehen, dass der Flugzeugabsturz im Nachbarland als erstes durch die Massenmedien wahrgenommen wird. Wenn jemand tatsächlich Bilder vom Unglücksort getwittert hat, dann wurden die von einigen Followern gesehen, die sie weitergetwittert haben mögen und vielleicht auch in ein paar Stunden bei mir ankommen. Oder auch nicht.

Es scheint wohl mehr eine Schwäche von CNN zu handeln. Denn grade berichten die Reporter, dass die „local media“ Berichte vom Unglücksort bringen. Der Twitter-Twist ist für CNN lediglich eine Möglichkeit, schnell an Bilder zu kommen, die sie wohl nicht bezahlen.

Bild.de: Suck this, Welt Online

Wer heutzutage noch aus der schieren Masse der Bildergalerien herausragen will, muss sich schon etwas einfallen lassen. Das kann man auf der einen Seite mit beeindruckenden Bildern erreichen, wie sie The Big Picture zu bieten hat. Das andere Ende der Qualitäts-Skala scheint aber lukrativer zu sein – zumindest scheinen sich mehr Teilnehmer für einen Wettbewerb zu finden, die absurdeste und klickintensivste Bildergalerie in einem redaktionellen Medium zu platzieren.

Für Furore sorgt immer mal wieder PI-Akrobaten von Welt Online, die die Bilderstrecke ohne Bilder wenn auch nicht erfunden, so doch perfektioniert haben. Paradebeispiel für den Klickhunger sind zum Beispiel die einfallslosen bis kurios missplatzierten 333 Fakten über Sex, die selbst als Satire jeden Niveau-Limbo-Wettbewerb gewinnen. Wie will man das noch über- oder unterbieten?

Doch halt! Wir haben die Rechnung ohne die ambitionierten Klickmeister von Bild Online gemacht. Die konnten die Schmach nicht verwinden und setzten dem Ganzen noch eins auf. Statt 333 haben die Bildianer pünktlich zu Weihnachten 666 Fakten über Sex zu bieten. Und das unter der Google-freundlichen URL http://www.bild.de/BILD/ratgeber/gesund-fit/2008/09/08/fakten-ueber-sex/kurioses-ueber-orgasmus-penis-mann-und-frau.html.

bild-sex-ueber-orgasmus-penis-mann-frau

Ein Geniestreich – zweifellos. Und sprachbildend: „Jeden Tag wird auf der Welt etwa 120 Millionen Mal gesext“ – da wird jeder Dadaist vor Neid kubistisch. Und die Symbolik erst. Mir fehlen die Worte.

Bleibt die Frage: Wer macht die 999 voll?

Wie bebildert man eine Finanzkrise?

Ganz klar: DAX-Kurven, Dollarscheine und immer die selben Nasen. Die von mir sehr geschätzten Infografiker von Tagesschau.de hatten diese Idee:

Tolle Idee, toll gemacht. In der Bildidee kommt alles rüber: die Geldspritze, der provisorische Charakter – und sogar Humor. Leider gibt es hier eine Text-Bild-Schere – der Texter wirft lieber mit Mataphern wie „Sprint“ und „Großkampftag“ herum, als die geniale Vorlage der Grafiker aufzugreifen. Trotzdem: Klasse.

Ganz anders ist es bei n-tv.de. Sie versuchen Humor – heraus kommt aber aber nur Zynismus und Klickstrecken:

Besonders peinlich: bei den Mini-Witzchen in den Bildbeschreibungen müssen die Wortspiele GROSS HERVORGEHOBEN werden.

Ha. Ha. Ha.

Unspektakulär

Ich war gestern etwas mit Offline-Dingen beschäftigt – daher bekam ich nicht unbedingt viel von den aufregenden Tagesnachrichten mit. So verpasste ich die spektakuläre Meldung, dass ein Sondereinsatzkommando ein Flugzeug auf dem Köln-Bonner Flughafen gestürmt und dort zwei Terrorverdächtige festgenommen habe. Nicht schlimm – denn das war eine Falschmeldung: die Festnahmen hat es gegeben, die Stürmung nicht. Im Radio hörte ich sogar, dass es nicht mal ein Sondereinsatzkommando gegeben habe.

Schon um 12:55 meldete dpa:

Die mit rund 40 Passagieren besetzte KLM-Maschine sollte von Köln-Bonn nach Amsterdam fliegen, als die Ermittler um 6.55 Uhr zuschlugen. Die Festnahme sei völlig unspektakulär abgelaufen, hieß es beim LKA. Ein Flughafen-Sprecher sagte, die Maschine sei dann um 8.24 Uhr nach Amsterdam geflogen. Die Bundesanwaltschaft sieht bislang keinen Ansatzpunkt für die Übernahme der Ermittlungen.

Wie bebildert man eine unspektakuläre Festnahme? Die Heimatzeitung meines Geburtsortes macht es so:

Wir sehen ein Sondereinsatzkommando in voller Montur, offenbar durch ein großkalibriges Einschussloch fotografiert. In der kurzen Bildunterschrift heißt es:

Unser Foto zeigt eine entsprechende Einheit bei einer Übung in voller Kampfmontur. Der Ernstfall in Köln lief nicht ganz so spektakulär ab. Die Polizisten, die den Zugriff ausführten, näherten sich den ahnungslosen Islamisten eher unauffällig.

Update: Ich hab beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen nachgefragt: Bei der Festnahme war kein Sondereinsatzkommando beteiligt. Nicht mal ein unauffälliges.