BILD kämpft für SIE (oder sich?)

Kai Diekmann ist in ein ausgezeichnet vernetzter Mann. Kaum berichten die Medien über seinen Versuch, einen Nachlass auf seine enorme Telefonrechnung herbeizumauscheln, hat er offenbar zur Gegenoffensive ausgeholt. Heute erschien ein vermeintlicher Spiegel-TV-Beitrag auf YouTube, in dem Diekmann als Roaming-Opfer „Kai D. aus Brandenburg“ posiert:

Wir sehen ihn mit LIDL-Tüten auf dem Weg zu der Springer-Zentrale, die Sprecherin erzählt über die vermeintlichen Ehe-Probleme durch die Rechnung und Kai D. räsonniert: „…und dann hat es auch noch dauernd geregnet“. Gekonnt gemacht.

Gut verdienende PR-Facharbeiter lachen sich eins, wie der mächtige BILD-Chefredakteur sich da als Hinz und Kunz inszeniert. Der Angestellte, dessen Ehefrau dauernd die Telefonrechnung hochtreibt, der Pauschalurlauber, der sich über das Wetter mokiert. Ehen, die durch fünfstellige Beträge ruiniert werden können. Die alberne Anonymisierung, die durch das riesige BILD-Logo im Hintergrund ad absurdum geführt wird.

Doch: ist das Selbstironie? Oder zeigt da nur jemand, was er von den Leuten hält, die er mit Slogans wie „BILD kämpft für Sie!“ einzuwickeln versucht? Die Leute, die nicht den Telekom-Chef persönlich um Nachlässe angehen können. Angestellte, deren Arbeitgeber nicht Mal eben einen fünfstelligen Betrag zahlt, um deren Ego-Eskapaden zu bezahlen.

Diekmann ist sich selbst in die Fall gegangen: Hätte er sein Roaming-Malheur gleich thematisiert, hätte er ja sogar noch als glaubwürdiger Anwalt derer fungieren können, die auf die unverschämt hohen Roaming-Tarife hereingefallen sind. Dass er es erst einmal hinterrücks beim Telekom-Chef versuchte und sich dann keinesfalls hinten anstellen will, zeigt hingegen, dass BILD sich zunächst um sich selbst kümmert und vielleicht dann mal anfängt an die Leser zu denken.

Aber das YouTube-Filmchen ist eh nicht für den BILD-Leser gedacht. Hier zeigt ein Alpha-Tier lediglich, dass die kleinen Pinscher aus den kaputtgesparten oder trivialisierten Medienressorts nicht an seinem enormen Ego kratzen können.

Glaubwürdigkeit

Gestern hatte ich mich ja schon kurz mit dem aus meiner Sicht allzu internet-optimistischen Internet-Manifest beschäftigt. Eine der Behauptungen ist, dass die Ansprüche des Publikums gestiegen sei: „Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig und besonders ist.“ Ich persönlich fände es sehr bedauerlich, wenn nur noch herausragende Menschen vom Publizieren leben könnten – man stelle sich vor nur Madonna verdient mit Musik Geld und alle gehen leer aus. Aber das ist eine Petitesse, das Thesenpapier wurde einfach zu hurtig formuliert um tatsächlich fundierte Analysen zu bieten.

Trotzdem möchte ich hier nochmal drauf eingehen. Eine der Lieblings-Quellen für deutsche Netizens ist das Blog von Fefe, der beim Chaos Communication Congress immer die unterhaltsamen Jahresrückblicke veranstaltet. Ist die Quelle glaubwürdig? Auf den ersten Blick: nein – ganz oben steht: „Wer schöne Verschwörungslinks für mich hat: ab an felix-bloginput (at) fefe.de!“ Das Blog ist demnach eher ein alternate reality game als eine Nachrichtenquelle. Was stimmt, was nicht? Wer erkennt das bekannte Muster? Wo sind die 23 CIA-Agenten versteckt?

Der Inhalt des Blogs stammt zum großen Teil aus Agenturen, Stücke von Spiegel Online, dem Guardian – kurz: die Massenmedien, die Fefe so gern verhöhnt, sind seine wichtigste Informationsquelle. Deren Kurzmeldungen dampft er nochmal auf ein zweizeiliges Zerrbild ein. Aber Fefe hat mehr: zusätzliche Infos, die die vielen Zuträger einsenden: unbekannte Fakten, neuer Kontext, verschrobene Interpretationen. Manchmal ist das sehr unterhaltsam – aber glaubwürdig? Nein.

Das Problem: Trotzdem wird Fefe geglaubt. Ihm selbst ist das furchtbar unangenehm und er hat zur Abschreckung einen Beitrag verfasst, der seine Arbeitsweise als inoffizielles Redaktionsstatut von bild.de entlarvt: von ihm kann man weder Neutralität, noch Korrekturen erwarten. Überhaupt: alles, was er schreibt, sind ja eh nur Meinungsäußerungen. Wer will, kann ja den Links folgen, die oft – aber keineswegs immer – die Quelle der Kurz-Anekdoten zeigen.

Und noch immer kommt es bei dem Publikum nicht an. So ist heute morgen wieder eine Fefe-Meldung in meinen Twitter-Horizont geschwappt.

Die SPD ist so verzweifelt, dass sie schon alte Schröder-Plakate aufhängt. Aufgenommen gestern in Berlin Pankow. Im Hintergrund sieht man ein großes Steinmeier-Plakat, falls jemand zweifelt, dass das eine aktuelle Aufnahme ist.

Wirklich lustig ist das ja nicht, und so blöd sind SPD-Plakatierer auch nicht. Ein Blick auf das Beweisfoto offenbart, was man eh schon vermutet hat: jemand hat das Steinmeier-Plakat abgerissen und darunter kam ein Schröder-Plakat zum Vorschein. Oben hängt sogar noch ein Fetzen Steinmeier herum. Und dennoch: auf Twitter wird die Falschinterpretation ohne jede Kritik weiter verbreitet – von Menschen, die eigentlich selbst denken können, die eine so billige Manipulation mit einem Blick erkennen müssten.

Ich bin mal gespannt, wie viele Leute heute glauben werden, dass der Axel-Springer-Verlag Welt.de und Bild.de noch in diesem Jahr für den freien Zugriff sperren will. Schließlich hat es ja RIA Novosti in einem Fünfzeiler gemeldet. Zwar sind glaubwürdigere Quellen nur einen Klick entfernt, man kann die Rede von Herrn Wiele sogar komplett online ansehen – aber wen interessieren schon Fakten?

Was bleibt zu sagen? Medienkompetenz wird nicht automatisch mit einem Internet-Anschluss erworben, objektive Wahrheiten sind eh nur eine Illusion und daher auch komplett verzichtbar.

Von der Altersangabe bis zur Nekrophilie

Wer Lokaljournalismus lernt, erfährt recht schnell, dass einige Basisinformationen einfach dazu gehören. Zum Beispiel muss man alle möglichen Beteiligten immer nach dem Alter fragen. Das ist ein nettes persönliches Detail und erleichtert das Schreiben ungemein: Man kann zum beispiel „Die 18jährige“ statt „Die Täterin“ oder „Christiane F.“ schreiben – das sorgt für Abwechslung.

Bei wohl keiner anderen Zeitung hat sich die Altersangaben-Manie so weit fortentwickelt wie bei der BILD. Und so sehe ich grade auf der Titelseite von BILD.de diese tolle Meldung:

Neues Buch enthüllt
Jackie Onassis verführte Marlon Brando
Nach 45 Jahren kommt heraus: Jackie Onassis († 64) verführte Schauspieler Marlon Brando († 80)! Das enthüllt ein neues Buch.

Da die Online-Redaktion bei beiden Protagonisten das Todesalter in Klammern schreibt, scheint es sich um eine Liaison im Jenseits zu handeln. Oder einen besonders seltenen Fall beidseitiger Nekrophilie. In beiden Fällen gilt: das will ich nicht wirklich lesen.

Recherche ist immer Verlierer des Tages

Viel wird grade darüber geschimpft, dass die BILD Björn Böhning zum Verlierer des Tages gemacht hat, weil er sich gegen das geplante Netzsperren-Gesetz ausgesprochen hat. Viele sehen dahinter eine skandalöse Agenda – ich glaube hingegen, dass die meisten Gewinner-Verlierer-Meldungen ausgewürfelt werden. Irgendwer schreibt schnell etwas zusammen ohne groß darüber nachzudenken.

Wie gut es um den Faktengehalt der Rubrik steht, zeigt sich wenn man nur einen Zentimeter nach links wandert:

090612-gewinner

Was? Sat1 hat eine Nachrichtensendung? Und die soll die Tagesschau geschlagen haben – wenn auch in einer willkürlich festgelegten Zielgruppe? Das wäre doch eine kurze Nachfrage wert. Und in der Tat – BILD stellt heute richtig:

130612-gewinner

Ist damit alles gut? Nun – nicht wirklich: In der ersten Meldung hat BILD die untersuchte Altersgruppe um fünf Jahre verkürzt, in der Korrektur wurde die Zuschauerdifferenz falsch abgeschrieben. Für 14 Zeilen Text, die als Aushängeschild des Mediums gelten, ist das eine erstaunliche Quote. Oder auch wieder nicht.

Den letzten Trittbrettfahrer beißen die Hunde

Alice Schwarzer hat sich dem Amoklauf in Winnenden angenommen und den entscheidenden Faktor gefunden: Nicht Killerspiele oder Schützenvereine, sondern Frauenhass. Was sie über den Täter weiß, hat sie aus der BILD abgeschrieben – eine zweifelhafte Quelle. Aber Schwarzer hat auch einen wissenschaftlichen Leumundszeugen für ihre schnellstmöglich publizierte These.

Schon im Frühling 2007 schlug der Münchner Neuropsychologe Prof. Henner Ertel Alarm. Sein „Institut für rationelle Psychologie“ macht seit 30 Jahren Langzeitstudien zu den Auswirkungen von Pornografie. Bei der Auswertung der Daten aus den letzten 20 Jahren stellten die WissenschaftlerInnen „eine dramatische Entwicklung in den letzten fünf Jahren“ fest
[…]
Prof. Ertel: „Emotionale Intelligenz und Empathiefähigkeit haben bei den Jugendlichen enorm abgenommen. Sexualität ist heute für die Mehrheit der jungen Männer, aber auch für viele junge Frauen unlösbar mit Gewalt verknüpft.“ Mehr noch: Das allgemeine Einfühlungs- und Mitleidsvermögen sinkt rapide.

Tja – Frau Schwarzer, da hat man Sie leider für dumm verkauft.

Aber es geht noch tiefer: Dem Mainzer Unternehmer Tobias Huch kam Schwarzers Artikel nur recht. Er will mit einer neuen Erotik-Zeitschrift an den Start gehen, für die er gar Kolumnen schreibt. Und in der Erstausgabe beklagt er sich bitter über die Trittbrettfahrerin Schwarzer:

Man könnte vermuten, dass sie auf billige Art und Weise die verschwindend geringe Auflage ihres Pamphlets pushen möchte…

Diesen Schuh kann sich Huch getrost selbst anziehen.

Tote sind sexy

Newsjunkies haben es schwer: in der Medienmetropole Köln ist das Stadtarchiv eingestürzt, Großeinsatz der Polizei und Feuerwehr. Und gerade jetzt brechen die Server des Medienkonzerns Dumont-Schauberg offenbar zusammen. Express.de ist nur noch schwer zu erreichen, die Webseite des Kölner Stadtanzeigers wirft fast nur noch Fehlermeldungen aus.

Doch warum unbedingt bei der Lokalpresse nachlesen? Der WDR ist doch auch in der Stadt? Nun, die Nachrichten dort sind zu langweilig: Keine Nachrichten über Tote, vermutlich sogar nur leicht Verletzte. Ausgeschlossen werden kann natürlich nichts. Aber langweilig. Dagegen ist die Untergangsstimmung auf express.de doch sexy:

express-30tote

30 Tote! Der Express ist am Ball, weiß mehr als alle anderen. Oder doch nicht? Im Artikel ist jedenfalls plötzlich nicht mehr von Toten die Rede. Im Gegenteil:

Über Tote oder Verletzte gibt es noch keine Erkenntnisse. Todesopfer sind zu erwarten, bislang wurde kein Mensch geborgen.

Wer etwas anderes vermutet oder befürchtet haben könnte, verrät uns der Express nicht.

Alles kein Problem. Schließlich ist der Express eine Boulevardzeitung, die mit der BILD zu konkurrieren muss und bei einem Brand in der Brauerei mal eben von „explodierenden Bierfässern“ fabuliert, um die Nachrichten etwas interessanter zu machen.

Nur leider ist die Vermutung von den 30 Toten auch zu dem seriösen Schwesterblatt Kölner Stadtanzeiger rübergewandert – wie beim Express sind die Toten nur in der Überschrift zu finden, wandern im Laufe des Nachmittags aber runter in den Teaser. Quellen für diese spektakuläre Zahl werden nicht genannt.

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Aber das reicht schon aus, um die Kunde von den 30 Toten quer durch die Republik weiterzureichen.

PS: Ursprung des Gerüchts ist offenbar ein Anwohner, der einem n-tv-Reporter aus zweiter Hand erzählt hat, dass er etwas gehört habe. Dass dessen Aussage in der Überschrift und die offiziellen Auskünfte unten im Text landen – eigentlich nur logisch. Oder?

PPS: Die Fehlinformation Latrinenparole wurde inzwischen bei allen Medien gelöscht – bei fast allen.

*KLICK*

Leser: Herzlich willkommen zu unserer Bild.de-Klick-Auktion. Ihr kennt die Regeln: Es handelt sich um eine Reverse-Auktion – das niedrigste Gebot gewinnt. Zu gewinnen: meine Aufmerksamkeit. Ich klicke auf Bilder, ich kaufe Volks-Zahnbürsten und ich verachte jeden Prominenten, den auch ihr verachtet. Aber strengt Euch an. Ich bin heute anspruchsvoll!

Unterhaltungs-Redakteur: Wir werden uns alle Mühe geben. Darf ich sagen, dass Sie heute besonders trendy aussehen? Die größten Stars tragen jetzt Ballonseide. Der neue Trend aus Hollywood!

Leser: War das schon ein Gebot?

Unterhaltungs-Redakteur: Nein, nein.

Leser: Na dann. Wer möchte als erster? Es ist Samstag – Was gibt’s Neues vom Sport?

Sport-Redakteur: Schalke hat gegen Dortmund gespielt!

Leser: Ja, aber das haben sie auch bei der Sportschau, im Radio und auf Kicker.de. Was habt Ihr zu bieten?

Sport-Redakteur: Hmmm – wir sagen die Wahrheit. Schalke sind voll die Versager! Und wir machen Wortspiele. Statt „Königsblau“ schreiben wir „Königsblöd“. Lustig!

Leser: Königsblöd? Das ist klasse! Noch besser als die Prunksitzung gestern! Okay. Zum ersten!

Unterhaltungs-Redakteur: Busenblitzer!

Leser: Was?

Unterhaltungs-Redakteur: Wir haben einen Busenblitzer! Nicole Scherzinger!

Leser: Wer?

Unterhaltungs-Redakteur: Interessiert Dich das wirklich? Wir haben ein Foto! Wahrscheinlich gefälscht, aber Busenblitzer! Busenblitzer!

Leser: Verstehe! Packt ihr noch das Foto von Janet Jackson dazu?

Unterhaltungs-Redakteur: Klar! Und mit einem Sportler ist sie auch verbändelt! Hamilton! Formel Eins! Wruuuuum Wruuuuummmm.

Leser: Das nenne ich ein Gebot. Ich glaube, da geht nichts mehr drunter!

Feuilleton-Redakteur: Ähm…

Leser: Wirklich?

Feuilleton-Redakteur: Ja. Wir haben da ein Buch…

Leser: Also bitte!

Feuilleton-Redakteur: … es ist ganz versaut! Glauben Sie mir! Versaut ist es!

Leser: Versauter als von dieser LaWosch? Die überall hinpinkelt?

Feuilleton-Redakteur: Sicher, sicher… ganze 490 Seiten Ferkeleien!

Leser:: Wow!

Unterhaltungs-Redakteur: Busenblitzer! Busenblitzer!

Feuilleton-Redakteur: Wir packen natürlich auch Titten dazu. Eine der Autorinnen nackt! Das hat die LaRoche nie gemacht. Außerdem nuckelt sie an einem hochhackigen Schuh herum. Wie im Porno. Oder auf Viva!

Leser: Kenn ich die denn?

Feuilleton-Redakteur: Die eine hat bei BigBrother gewonnen!

Leser: Mehr brauch ich nicht zu hören. Zum ersten, zum zweiten und….

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