Das ist kein Radweg

Neulich hatte ich einen geschrieenen Dialog auf offener Straße. „Fahr auf dem Radweg!“, brüllte ein Autofahrer hinter mir. Ich – natürlich auf dem Rad – brüllte zurück. „Das ist ein Fußweg!“

Der erboste Fahrer hinter mir muss mich für einen Idioten gehalten haben. Denn der Weg an der Straße An der Piwipp sieht zumindest ganz so aus, wie ein Radweg: breit, flach, leicht rote Pflasterung.

Aber da das hier mein Blog ist, wird Euch nicht überraschen: Es ist ein Fußweg. Er sieht aber so aus, als ob es irgendwann ein nutzungspflichtiger Radweg gewesen sein könnte. Aber irgendwann hat sich die Stadt offenbar umentschieden und hat den Weg zum Fußweg mit Fahrradfreigabe umdeklariert.

Gründe gibt es dafür viele: Zum einen die vielen Unebenheiten, die den Radweg heute fast unbefahrbar machen – schon bei durchschnittlichem Tempo können Gegenstände aus dem Fahrradkorb geschleudert werden. Zum anderen gibt es eine Bushaltestelle, die nicht nur Radfahrer und Fußgänger direkt auf Kollisionskurs bringt, sondern auch beiden die Sicht nimmt. Weil: Bushaltestellen ohne Werbeplakate gibt es hier nicht. Der Grund für die Herunterstufung könnte auch in den vielen Ausfahrten von Geschäften zu finden sein, die Autofahrer dazu verleiten, so lange quer auf dem Weg zu parken, bis sie eine Lücke im Autoverkehr sichten.

Am Anfang der Straße sieht es noch so aus, als würde Fußgängern als auch Radfahrern jeweils ein eigener Weg zugestanden, doch die Beschilderung macht schnell klar, dass es sich nur um eine Fiktion handeln. Sie mögen zwar zwei Wege sehen, lieber Bürger, aber es ist amtlich: Es gibt nur einen Weg. Und den müssen sich Fußgänger mit Radfahrern teilen. Die Radfahrer können jedoch darauf verzichten.

Und Radfahrer sollten auch verzichten, denn der Weg ist dank hoher Bordsteine eine Falle. Sobald man merkt, dass es eine schlechte Wahl war, rechts neben der Fahrbahn zu fahren, kann man so schnell nicht wieder zurückwechseln.

Also muss ich damit leben, dass immer mal wieder ein Autofahrer hinter mir einen Wutanfall bekommt, obwohl ich den Verkehr nicht ausbremsen kann. Ein paar Meter weiter ist eh eine 30er-Zone, die erwähnten Ausfahrten und Busse tun ein übriges, dass hier faktisch nicht viel schneller gefahren werden kann, als ich es mit meinem City-Bike mache.

Liebe Stadt Düsseldorf: Wenn hier irgendwas an der Straße renovieren müsst, sorgt bitte dafür, dass der Fußweg auch wirklich unmissverständlich wie ein Fußweg aussieht.

SUVs sind einfach zu breit

Ich wurde herausgefordert, die Probleme von SUVs zu benennen. Nun – das könnte ein längerer Text werden. Um nicht allzu sehr auszuufern, beschränkte ich mich hier auf die Probleme, die ich aus unmittelbarer Anschauung in meiner Nachbarschaft mit bloßem Auge beobachten kann.

Zum ersten: Ich verstehe die Motivation, sich einen SUV zu kaufen. Es erscheint einfach sicherer. Obwohl man als Autofahrer im Stadtverkehr kaum noch Unfälle mit Verletzungen zu befürchten hat, ist ein Sports Utility Vehicle einfach besser. Selbst für die Leute, die weder Sports, noch Utilities benötigen: Mit der erhöhten Sitzposition schaut man einfach weiter. Und: Es gibt innen wahnsinnig viel Platz. Gleichwohl: Kratzer an der Stoßstange und ähnliches sind keine Risiken mehr, sondern Gewissheit. Zum einen, weil andere Verkehrsteilnehmer die Übergröße nicht gewöhnt sind. Viel wahrscheinlicher: Weil die Fahrer selbst die Übergröße nicht gewöhnt sind.

Wenn man mit einem normalen Auto oder Fahrrad auf den Straßen unterwegs ist, ist ein SUV ein Sichthindernis wie ein Linienbus oder ein LKW. Das ist ein Problem. Wer etwa im Berufsverkehr hinter einem SUV an einer Ampel steht, müsste eigentlich an der Haltelinie warten, bis absolut sicher ist, dass es hinter der Kreuzung weitergeht. Das ist einerseits Gesetz, andererseits unrealistisch. Der Verkehr käme zum Erliegen, wenn sich jeder wirklich daran hielte. Der einzige Weg für den Einzelnen: Man kauft sich ebenfalls ein SUV, um sich mehr Überblick zu verschaffen.

Das Problem: SUVs sind einfach zu groß und vor allem breit für die bestehende Verkehrsinfrastruktur in Köln. Wenn man einparken will, gibt es vorne und hinten zwar hilfreiche Piepstöne. Die Sensoren an der Seite fehlen jedoch meist. Wenn ich etwa auf der Luxemburger Straße in Köln unterwegs bin, begegne ich immer wieder Autos, die auf beiden Fahrbahnen gleichzeitig unterwegs sind. Vor dem SUV-Boom habe ich so etwas vielleicht einmal im Jahr beobachtet. Nun ist es eine alltägliche Erscheinung.

Zu breit

Am einfachsten kann man das Problem zum Beispiel auf dem ALDI-Parkplatz an der Dürener Straße sehen, wo die Autos gerne 20 Zentimeter über dem Trennstreifen parken. Theoretisch passen die Autos auf den eingezeichneten Platz. Dann müssten die Fahrer jedoch aus dem Schiebedach aussteigen. Noch extremer ist es bei den Tiefgaragenplätzen. Die werden von Supermärkten, Fitnesstudios oder medizinischen Einrichtungen immer öfters kostenlos bereitgestellt. Trotzdem werden diese Plätze von SUV-Fahrern immer wieder ignoriert. Drei Minuten von hier sind zwei Bio-Supermärkte. Eine beträchtliche Anzahl der Kunden parkt in zweiter Reihe statt einfach ins Parkhaus zu fahren. Wie gesagt: Es sind kostenlose Parkplätze. Die Fahrer trauen es sich halt nicht zu, hier zu parken. Denn neben jedem dritten Parkplatz ist eine Betonsäule, die teure Schrammen verursachen kann. Oder ein anderer SUV.

Ein Teufelskreislauf. Die SUVs fahren nicht in Tiefgaragen, also bleiben sie die Parkplätze dort leer, also werden sie Straßen noch voller. Volle Straßen bestärken Auto-Käufer, nach einem robusteren PKW zu suchen. Der höchstwahrscheinlich viel zu groß ist für Kölner Straßen.

Legal ist doch legal?

Wenn ich behaupte, dass Autos „zu groß“ sind, hangle ich natürlich an einem fragwürdigen Konzept entlang. Wie groß ist „zu groß“? Die Leute haben von einem amtlich zugelassenen Händler ein Fahrzeug erworben, das vom Kraftfahrbundesamt genehmigt wurde. Dass der Gesetzgeber und die Ämter wegsehen, wenn ein Auto nicht mehr in eine Waschanlage passt, können sie ja nicht verantworten. Außer wenn sie mit offenen Augen durch die Straßen gehen und bemerken, dass Rollator- oder Rollstuhl-Nutzer nicht mehr den Fußweg vor ihrem Haus benutzen können.

Ach, da passt ein Fußgänger doch prima durch!

Wie rapide sich der Verkehr in Köln-Sülz verändert hat, war extrem beeindruckend. Als etwa die neue U-Bahn gebaut wurde, stellte ich zum Beispiel überrascht fest, dass schlichtweg alle Straßen von meiner Wohnung in Richtung der anderen Rheinseite für Radfahrer gesperrt waren. Für Autofahrer wurden Umleitungen eingerichtet, für Radfahrer gab es hingegen nur zusätzliche Verbotsschilder bis schließlich keine einzige Straße übrig war. Die einzige logische Erklärung: Verwaltung und die Straßenarbeiter gingen schlichtweg davon aus, dass Radfahrer die Schilder sowieso ignorieren. Ein inoffizielles Arrangement: Die Polizei und Ordnungsamt sehen weg, wenn Radfahrer verkehrt fahren, da sie selbst bei der Planung der Straße und der Baustellen weggesehen haben.

Mehr Blech gewinnt

Problem: Dieses Arrangement konnte spätestens seit den Nullerjahren nicht mehr aufrecht erhalten werden. Zu viele Leute sind als Radfahrer unterwegs. Zu viele Leute sind mit dem Auto unterwegs. Und die Leute reagieren mittlerweile sehr massiv darauf, wenn vor ihrer Haustür Leute totgefahren werden. Also wurden etwa die Einbahnstraßen von Sülz für Radfahrer zu Zweibahnstraßen.

Problem gelöst? Nein. Denn wann immer ich eine dieser Einbahnstraßen mit dem Fahrrad benutze, kommt mir ein Auto entgegen, das schlichtweg nicht genug Platz für mich lässt, weil es zu breit ist und die am Straßenrand parkenden Autos ebenfalls zu breit sind. Zwanzig Zentimeter hier, zwanzig Zentimeter dort — und schon klappt der kalkulierte Verkehrsweg nicht mehr. Wie zuvor bei den Radlern hat die Stadtverwaltung eine Laissez-faire-Haltung entwickelt. Regelt das doch unter Euch. Wer mehr Blech hat, gewinnt.

Sobald Fahrradwege auf die Fahrbahn gezeichnet werden, werden sie rücksichtlos zugeparkt. Das passiert nicht nur aus purer Not, sondern weil die Fahrer der Auffassung sind, dass sie ein Recht dazu haben. Im fließenden Verkehr schneiden insbesondere SUV-Fahrer Radler regelmäßig — teils unbewusst, teils sogar absichtlich. Neulich hat mich ein BMW-Fahrer in einer Tempo-30-Zone ausgehupt und beschimpft, weil ich auf der Fahrbahn fuhr. Seiner Meinung nach gehörte ich auf den Fußweg nebenan. Selbst wenn nur ein Prozent der Autofahrer dieser Auffassung sind — wenn ich einmal die Luxemburger Straße entlangfahre, werde ich von mehr als 100 Autos überholt. Die Erwartungshaltung im Straßenverkehr genötigt zu werden, ist mittlerweile so hoch, dass ich mir einen extrabreiten Fahrradkorb zugelegt habe, damit ich ein imposanteres Profil aufbiete. Viele Radler haben aber aufgegeben und fahren gleich auf dem Bürgersteig. Was dann die Fußgänger zu verständlichen Protesten antreibt.

Auch die Autofahrer sind zunehmend frustriert. Wenn ich als Kind mit unserem Familienauto unterwegs war, war das eine einfache Sache. Ich öffnete die Autotür und stieg ein. In meiner Kölner Nachbarschaft ist das allzu oft keine Option mehr. Die Kinder dürfen die Türen nicht selbst öffnen, da viel zu wenig Platz zum Nebenauto bleibt und sie Lackschäden verursachen würden, wenn die Tür ungehindert aufschwingt. Also muss Papa oder Mama Chauffeur spielen, und jedem Kind die Tür genau den richtigen Spalt offen halten. Oder sie parken aus, bleiben auf Gehweg oder Straße stehen und beginnen dann eine mehrminütige Verlade-Aktion. Ein neuer Verleihauto-Anbieter parkt neuerdings seine Wagen mit dicken Werbesprüchen in der Nachbarschaft: Man zahlt nicht mehr für den Stau, sondern nur für die gefahrene Strecke. Dass man staufrei zum Einkaufen fahren kann, scheint eine Erinnerung an ferne Zeiten.

Die kritische Masse

Ein Geländewagen alleine ist noch kein Problem. Eine Stadt muss schließlich auch für Lieferwagen, Busse oder LKWs befahrbar sein. Das Problem ist die kritische Masse an übergroßen PKWs, die in meiner Nachbarschaft inzwischen weit überschritten wurde. Was sollen wir also tun? Die Straßen im gleichen Ausmaß verbreitern wie die Autos? Das wäre sicher schön, doch wie soll das gehen? Reißen wir alle Häuser ab und bauen sie dreißig Zentimeter schmaler neu auf? Oder einigen wir uns auf Regeln, die SUVs auf ein verträgliches Maß reduzieren?

Ich habe Volkswirtschaft studiert. Ein Konzept, das wir damals als erstes lernten, war das der „externen Kosten“. Wer ein überbreites, überlanges und überhohes Autos kauft, verursacht wahrscheinlich viele Probleme für andere Verkehrsteilnehmer. Weit mehr Probleme, als durch die zusätzlichen Steuern und Gebühren abgedeckt sind. Um diesen Mißstand zu lösen, müsste man die externen Kosten internalisieren. Das macht jedoch niemand. Ein SUV ist für den Gesetzgeber trotz Klimapaket bis heute nichts prinzipiell anderes als ein Renault Twizy, der weniger als 1,20 Meter breit ist und kein Benzin tanken kann.

In den letzten Tagen sind mit immer wieder Tweets von Kollegen aufgefallen, die sich darüber echauffieren, dass SUV-Fahrern mittlerweile ab und zu die Meinung gesagt wird. Diskriminierung! Ein Auto, auf dem gar ein paar harmlose Sticker geklebt wurden, wird gar zum Schauplatz krimineller Sachbeschädigung.

Diese Dünnhäutigkeit ist wirklich bemerkenswert. Wenn man diese Maßstäbe anlegt, hätte man etwa Fortuna Köln vor Jahrzehnten als kriminelle Organisation verbieten müssen. Aber solche Vergleiche sind natürlich albern. Diese Dünnhäutigkeit ist Ausdruck eines Verteilungskampfes um den öffentlichen Raum. Wer mehr Blech hat, gewinnt. Dieser Grundsatz ist zwar nirgends aufgeschrieben, er gilt dennoch vielen als eine Grundfeste unserer Gesellschaft.

Nun. Wer die Augen ab und zu mal aufmacht, muss einsehen, dass es so nicht mehr geht. Nur wie finden wir einen neuen Kompromiss, wenn man nicht mal das Verhalten Einzelner öffentlich kritisieren und hinterfragen soll?

Die Legende von der linken Spur

Wir haben alle so unsere kleinen Defizite und Missverständnisse. Der eine glaubt bis zur fünften Klasse, dass Seepferdchen Fabelwesen sind, der andere begreift bis 30 nicht, dass lautes Rülpsen kein überall gewürdigtes Kompliment für gutes Essen ist. In letzter Zeit stoße ich vermehrt auf ein spezielles Missverständnis, das offenbar von vielen Leuten geteilt wird. Lasst es mich mal klarstellen.

ES GIBT KEIN UNBEDINGTES RECHT AUF ÜBERHOLEN!

Ich fahre nicht viel Auto, ich gehöre zum Glück nicht zu den Leuten, die Tag für Tag 100 Kilometer pendeln müssen. Dennoch begegne ich auf Autobahnen immer wieder Leuten, die dem gleichen Missverständnis unterliegen. Fast jeder deutsche Autofahrer wird den Moment kennen: Man überholt eine lange Kolonne von LKWs, Wohnmobilen und Pferdetransportern. Sagen wir mit der Richtgeschwindigkeit 130 km/h. Plötzlich sieht man im Rückspiegel: Von hinten kommt jemand mit 170, 180 oder gar 200 km/h angerast.

Eigentlich kein Problem: Freie Sicht, für jeden muss klar sein, dass die linke Spur besetzt ist. Der eilige Autofahrer müsste nicht mal bremsen — es reicht vielleicht schon, den Fuß vom Gas zu nehmen — und die linke Spur ist wieder frei, bevor man sich auch nur ins Gehege kommen könnte. Doch nach 20, 30 Sekunden kommt die Erkenntnis: Der Nachfahrende geht nicht vom Gas. Bleifuß, Bleifuß, Bleifuß. Als ob die linke Spur frei wäre. Erst wenn eine Kollision fast unausweichlich scheint, macht der Nachfolgende eine rapide Bremsung und bleibt auf minimalem Abstand — vielleicht 10 Meter, vielleicht auch nur 5 Meter — bis denn die linke Spur wieder frei ist.

DAS IST NÖTIGUNG! UND LEBENSGEFÄHRLICH!

Eigentlich sollte jedem klar sein: Das Verhalten, das ich hier schildere ist nicht nur illegal, sondern lebensgefährlich. Wenn auch nur eine kleine Unachtsamkeit passiert oder schlicht ein unerwartetes Schlagloch auftaucht, wenn ein Spatz genau zur falschen Zeit über die Autobahn fliegt, stoßen die beiden Autos auf der Überholspur zusammen. Ab in die Leitplanke und dann nach rechts in die Kolonne aus Urlaubern und LKW-Fahrern. Ein Glück, dass Autos, die 200 km/h fahren die besten Airbags und Fahrgastzellen der Welt haben. Alle anderen: Who cares?

Wenn ich die Situation in sozialen Medien schildere, kommt immer, aber auch immer Widerspruch. „Aber wenn man sieht, dass jemand von hinten kommt, muss man doch die linke Spur frei machen!“ Oder gar: „Sobald ich genötigt werde, mein Bremspedal zu berühren, werde ich behindert und damit genötigt.“ Ich paraphrasiere hier, aber übertreibe nicht. Eine erstaunliche Menge an Leuten mit Führerschein und dicken Autos sind tatsächlich der Auffassung, dass es eine Art Vorfahrt für Leute gibt die 180 km/h oder schneller fahren. Das ist falsch. Deshalb nochmal explizit:

ES GIBT KEINE VORFAHRT FÜR LEUTE, DIE 180 FAHREN!

Mit dieser Realität konfrontiert, kommt die Partei der Überholfreunde ins Schwimmen. Aber es gibt doch das Rechtsfahrgebot! Und: Man darf nicht einfach ausscheren, wenn man sieht, dass man überholt wird. Das stimmt beides. Beides steht sogar explizit im Gesetz. Insbesondere StVO Paragraph 5 sollte man mal lesen. Hier steht sogar eine Menge anderes. Zum Beispiel darf man, wenn überholt wird, nicht einfach aufs Gas drücken, um ein kleines Rennen zu veranstalten. Und man darf nicht mit 105 km/h auf Dauer die linke Spur blockieren, wenn auf der rechten Spur 100 km/h gefahren wird. Man darf aber mit 105 km/h überholen, wenn rechts 70 km/h gefahren wird.

Denn was in der StVO nicht steht: Das schnellere Auto hat Vorfahrt. Es gibt kein unbedingtes Recht aufs Überholen. Wer zu Recht auf der Überholspur ist, ist zu Recht auf der Überholspur. Wer dabei 120 km/h fährt, hat genau so viel Rechte wie jemand, der gerne 60, 80 oder gar 100 km/h schneller fahren würde. Man schaut in den Rückspiegel, man blinkt, man überholt zügig und dann ist man im wesentlichen mit der Verkehrsordnung im Reinen.

WER RASEN WILL, MUSS BREMSEN KÖNNEN!

Tatsächlich gibt es in anderen Ländern andere Regeln. In der Schweiz etwa gibt es die explizite Verpflichtung die linke Spur freizumachen, wenn denn jemand überholen will. Natürlich nur im Rahmen der realistischen Möglichkeiten — aber immerhin. Warum kann es die Regel dort geben und nicht auf deutschen Autobahnen? Die Antwort ist eigentlich offensichtlich: Die Höchstgeschwindigkeit in der Schweiz ist 120 km/h. Meinen oben geschilderten Fall kann es dort laut Gesetz gar nicht geben. Weder darf Fahrer A die LKWs mit 130 km/h überholen, noch kann plötzlich von hinten ein enorm schnelleres Auto auftauchen. Wenn alle Leute maximal 120 statt maximal 220 km/h fahren, hat jeder einzelne Fahrer Welten mehr Zeit auf den umliegenden Verkehr zu achten, muss weniger Abstand halten, kann einfacher zurück auf die rechte Spur einscheren. Und wer links 120 km/h fährt, muss im normalen Verkehr eh keinen Platz machen, da er sowieso nicht überholt werden darf.

Sprich: Weil wir in Deutschland kein allgemeines Tempolimit haben, ist es eine logische Notwendigkeit, dass insbesondere die schnellen Fahrer auf der Autobahn vorausschauender fahren müssen. Und vorausschauenderes Fahren heißt übersetzt: Man muss bremsen. Denn je größer er Tempounterschied zwischen den Autos ist, um so geringer die Vorwarnzeit bei einem Überholmanöver. Wer also ganz alltäglich einen Lastzug überholt, kann keine Ahnung haben, ob hinter ihm jemand kommt, der gerne — BRUMM BRUMM — viel schneller überholen würde. Den Überholvorgang abzubrechen würde nur wieder neue Gefahren bringen und zu Stockungen auf der rechten Spur führen. Denn die linke Spur ist für alle da.

Das war jetzt viel Text. Deshalb nochmal das TL;DR:

ES GIBT KEINE VORFAHRT FÜR LEUTE, DIE 180 FAHREN!

Und: Gute Fahrt!

Audi: Wir können nur Apps

Gestern abend habe ich ein relativ neues Plakat an vielen Stellen in Köln bemerkt — gut beleuchtet an Bushaltestellen platziert. Audi hat da was ganz Tolles. Kein neues Auto, sondern eine neue App.

Soso — mit der App kann man suchen, finden, merken und orten. Und direkt fahren! (Den Part glaube ich übrigens nicht.) Meine Frage ist: Warum keine Webseite, die sich mit jedem Smartphone ansehen lässt? Warum soll ich mich als Interessent ein Programm herunterladen, das meine ohnehin schon viel zu unübersichtliche App-Liste weiter verstopft, um eine Funktiuonalität zu bekommen, die im Gegensatz zum Browser auf eine einzige Automarke beschränkt ist?

Liebe Werber,

wenn Euer Kunde ganz aufgeregt zu Euch kommt, weil die Kunden verloren gehen, besonders die jungen, zahlungskräftigen und dass sie deshalb ganz, ganz dringen eine App brauchen — dann nehmt sie beiseite. „Ja Herr Audi, Apps sind toll. Aber wir haben da noch etwas besseres im Angebot. Eine Webseite. Gucken Sie Mal: Die kann man sogar auf der Internationalen Raumstation anzeigen. Und im internetfähigen Bordcomputer ihres Konkurrenten. Und Herr Audi — das ist sogar viel billiger…“

Ja…. gut. Der letzte Part wird Euch nicht über die Lippen kommen. Und ihr werdet auch nicht sagen, dass die junge, gutverdienende Zielgruppe schrumpft, weil die Jungen halt nicht mehr so viel Geld verdienen. Und dass man ihnen keine Konsumkredite mehr verkaufen kann. Das weiß Herr Audi schon, deshalb hat er eine Gebrauchtwagenbörse. Ihr werdet auch nicht erzählen, dass die tolle Idee von einem Praktikanten stammt, der im Monat so viel bezahlt bekommt, wie ihr für eine Stunde in Rechnung stellt.

Das werdet ihr nicht tun. Dann macht wenigstens das eine: Baut keine sinnlosen Apps.

E10

E10 ist der neue Guttenberg: Jeden Tag neue Schlagzeilen, obwohl es eigentlich so wenig Neues gibt. Die Schlagzeile von Montag ruft aufgeregt „Boykott“ und die Schlagzeile vom Dienstag wundert sich, dass die Autofahrer trotzdem nicht massenhaft E10 tanken und erklärt das Ganze zum „Aufstand“. Aufstände sind gerade sehr angesagt.

Interessantes Detail: Während alle anderen von „Biosprit“ reden, schreibt die taz vom Agrosprit. Bio ist Natur, frisch, gut. Agrar, das ist Überdüngung, Gentechnik und Lebensmittelkonzerne.

Die Hoffnung, dass die Deutschen E10 aus enttäuschtem Umweltbewusstsein massenhaft verweigern, halte ich für haltlos. Wer so denkt, fährt tendentiell eh schon Fahrrad und Bahn. Was ich mich frage: Warum wirbt die Bundesregierung für E10 nicht viel lauter mit dem Argument: „Wir wollen den Gaddafis dieser Welt nicht so viel Geld überweisen“?

Wer sich mit Biosprit auseinandersetzen will und sich dabei unterhalten lassen will, sei an dieser Stelle nochmal die Serie The West Wing empfohlen. In Staffel 6, Folge 13 mit dem Titel „King Corn“ wird die Ethanol-Politik der USA aufs Korn genommen. Die Vorzeichen sind etwas andere, die Politik dahinter jedoch die gleiche wie hier:

Russell: It takes more oil to transport it and fertilize it than we save using it.
Will: Sir, you’re not considering changing the speech?
Russell: Don’t worry, I’m not suicidal.