Laufende Ermittlungsverfahren kommentiere ich nicht

Die Hannoveraner Neuen Presse hat heute ein Interview mit Bundesfamilienministerin von der Leyen veröffentlicht.

Neue Presse: Der Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss steht unter Verdacht, Kinderpornos besessen und getauscht zu haben. Ein Beleg, dass diese Verbrechen in allen Kreisen der Gesellschaft vorkommen?

Ursula von der Leyen: Laufende Ermittlungsverfahren kommentiere ich nicht. Wenn es um die Verbreitung geht, kann ich aber grundsätzlich sagen: Wir wissen, dass wir es mit einem großen Markt für Voyeure zu tun haben. Im Internet werden nicht nur Bilder angesehen, es wird auch das Bedürfnis gestärkt, Fantasien in der Wirklichkeit ausleben zu wollen.

Schnell, schnell, eine Forderung

Seelsorger müssen Trost spenden, Lehrer müssen Vorbild sein, Politiker müssen fordern:

Nach dem Amoklauf von Baden-Württemberg ist in der Politik die Forderung nach einem Einsatz von Metalldetektoren an Schulen laut geworden.

Tolle Idee. Ein nervendes Piepen hilft absolut zuverlässig gegen eine durchgeladene und entsicherte Baretta. Nicht nur das: in der langen Schlange vor dem Detektor können die Schüler morgens noch ihre Hausaufgaben erledigen – also gibt es weniger Frust-Potenzial. Und die Taschenkontrolle ist endlich mal eine vernünftigen Beschäftigung für die vielen Lehrer, die aufgrund der Lehrerschwemme sonst nichts zu tun haben.

Noch eine viel bessere Idee:

Man sollte über automatische Zugangssicherungssysteme nachdenken, gestützt auf Chipkarten oder Schülerausweise, sagte Freiberg weiter.

Man braucht lediglich eine fünf Meter hohe Mauer um jede Schule, Sicherheitsschleusen und eine digitale Vollerfassung jedes einzelnen Kindes. Kein Problem.

Reflex Killerspiele

Wieder mal eine Tragödie: ein Amoklauf.

Der SWR meldet:

Zudem beschlagnahmten die Beamten einen Computer, um zu prüfen, ob sich der 17-Jährigen mit Gewaltspielen beschäftigt hat.

Also ich halte die Beamten für so intelligent, dass sie auf dem Computer zunächst nach anderen Dingen suchen: Ein Abschiedsbrief, Droh-Emails, Rückschlüsse auf sein Motiv.

Bild.de füllt den Begriff „Gewaltspiele“ mit Leben und beklagt zugleich den Zustand unserer Gesellschaft.

Und noch immer stehen gewaltdominierte Computerspiele wie „Empire: Total War“ oder „World of Warcraft“ ganz oben in den Hitlisten.

Vielleicht ist auch Zeit für eine Neue Wortschöpfung: Gewalttwittern.

Wiederkehr des Großmauls?

In den letzten Tagen hat ein angeblicher Freund von Kim Schmitz den englischen Wikipedia-Artikel über Schmitz überarbeitet. Das Ganze liest sich wie die Arbeit einer (schlechten) PR-Agentur: Schmitz gesteht Fehler ein, Verurteilungen werden an wenig prominente Stellen verschoben, die Legende vom hyperintelligenten und etwas übermütigen Hacker auf zahlreichen Ebenen platziert.

Netter Versuch, aber – wie in Sachen Kim Schmitz üblich – viel zu dick aufgetragen.

Schmitz has always had a flamboyant lifestyle, which has been reflected in his business promotion activities that saw him appear on talk shows to explain his philosophy and run big television advertising campaigns. “I came from a hard working, middle class family, which did things in moderation and I always dreamed of a more luxurious and glamorous lifestyle,” he explained.

Wow. Die hohe Kunst des bullshits. Auch die großspurigen Ankündigungen erinnern an alte Zeiten:

Schmitz, who has also long been a fan of Formula I and organised several big parties for the races in Monaco, now plans to develop a racetrack and is currently scouting potential sites around the world.

Die Zeit schreit nach Satire

Grade lese ich bei der Netzeitung, dass Dieter Hildebrandt der Sendung Scheibenwischer die Namensrechte entzogen hat.

Der Sprecher des Bayerischen Rundfunks, Rudi Küffner, sagte: «Wir akzeptieren das, wenn Herr Hildebrandt das nicht mehr möchte.» Dies geschehe «schon alleine aus Respekt vor diesem großen Mann». Es gebe keinerlei Verstimmung, wenn Hildebrandt diesen Wunsch habe, sei er ihm zugestanden, betonte Küffner. Man sei derzeit ohnehin dabei, die Sendung neu zu konzipieren. Deswegen tue es nicht so weh, auch einen neuen Namen zu suchen.

Hildebrandt entzieht den Namen, aber es gibt keine Verstimmung. Soll das Satire sein?

Wenigstens sehen sie es jetzt ein. Bruno Jonas war ohne Hildebrandt nicht erträglich. Richling war es noch nie. Wer seine Nummern hauptsächlich mit lächerlichen Kostümen und vermeintlichen Sprachfehlern von Politikern bestreitet, macht noch lange kein politisches Kabarett.

Comedy bestätigt Vorurteile und Klischees, gutes Kabarett hingegen spielt mit ihnen und sollte den Zuschauer dazu bringen, ab und an mal nachzudenken – sich selbst in Frage zu stellen. Das wird beim Satire-Gipfel so wenig passieren wie auf einem Kölner Rosenmontags-Zug.

PS: Aprospos „keine Verstimmung“ – Richling schießt per Interviews in Focus und Spiegel zurück:

Auch ein einzelner Papst kann nicht dogmatisch festlegen, was Kabarett zu sein hat, und abweichende Vorstellungen der Exkommunikation unterwerfen.

Wenn man allerdings Richlings Kollegen-Verschleiß betrachtet, ist aus dem einzelnen Papst inzwischen ein ganzes Konzil geworden.

Typisch Tellerwäscher

Die Tagesschau berichtet über den vorbildlichen Banker Leonard Abess, der nach dem Verkauf seiner Bank 60 Millionen Dollar an die Bankangestellten zahlte.

Die Karriere von Abess ist nicht die typische eines Tellerwäschers; denn er stammt aus einem wohlhabenden Haus. Sein Vater hat die Citi National Bank 1946 gegründet.

Und ich vermute, er ist auch keiner dieser typischen Außerirdischen im Banksektor.

Tote sind sexy

Newsjunkies haben es schwer: in der Medienmetropole Köln ist das Stadtarchiv eingestürzt, Großeinsatz der Polizei und Feuerwehr. Und gerade jetzt brechen die Server des Medienkonzerns Dumont-Schauberg offenbar zusammen. Express.de ist nur noch schwer zu erreichen, die Webseite des Kölner Stadtanzeigers wirft fast nur noch Fehlermeldungen aus.

Doch warum unbedingt bei der Lokalpresse nachlesen? Der WDR ist doch auch in der Stadt? Nun, die Nachrichten dort sind zu langweilig: Keine Nachrichten über Tote, vermutlich sogar nur leicht Verletzte. Ausgeschlossen werden kann natürlich nichts. Aber langweilig. Dagegen ist die Untergangsstimmung auf express.de doch sexy:

express-30tote

30 Tote! Der Express ist am Ball, weiß mehr als alle anderen. Oder doch nicht? Im Artikel ist jedenfalls plötzlich nicht mehr von Toten die Rede. Im Gegenteil:

Über Tote oder Verletzte gibt es noch keine Erkenntnisse. Todesopfer sind zu erwarten, bislang wurde kein Mensch geborgen.

Wer etwas anderes vermutet oder befürchtet haben könnte, verrät uns der Express nicht.

Alles kein Problem. Schließlich ist der Express eine Boulevardzeitung, die mit der BILD zu konkurrieren muss und bei einem Brand in der Brauerei mal eben von „explodierenden Bierfässern“ fabuliert, um die Nachrichten etwas interessanter zu machen.

Nur leider ist die Vermutung von den 30 Toten auch zu dem seriösen Schwesterblatt Kölner Stadtanzeiger rübergewandert – wie beim Express sind die Toten nur in der Überschrift zu finden, wandern im Laufe des Nachmittags aber runter in den Teaser. Quellen für diese spektakuläre Zahl werden nicht genannt.

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Aber das reicht schon aus, um die Kunde von den 30 Toten quer durch die Republik weiterzureichen.

PS: Ursprung des Gerüchts ist offenbar ein Anwohner, der einem n-tv-Reporter aus zweiter Hand erzählt hat, dass er etwas gehört habe. Dass dessen Aussage in der Überschrift und die offiziellen Auskünfte unten im Text landen – eigentlich nur logisch. Oder?

PPS: Die Fehlinformation Latrinenparole wurde inzwischen bei allen Medien gelöscht – bei fast allen.