Bundespräsidiale Medienkompetenz

Prüfen, abwägen, auch mal etwas weglassen, weil sich die gute Story am Ende doch als lahme Ente erwiesen hat – das sollte selbstverständlich sein, nicht nur für Nachrichtenagenturen. Früher hatte man noch Zeit bis in den Abend, heute hat man nicht mal mehr Sekunden. Das stellt besondere Anforderungen an den bezahlten Journalismus, der eine Zukunft braucht, weil wir uns auf ihn besonders verlassen müssen.

Denn gerade in Zeiten der Nachrichtenflut brauchen wir Profis, die das Wichtige vom Unwichtigen trennen und das Richtige vom Falschen. Wer überprüft, verliert Zeit, aber die Häufung von Fehlern und Dementis untergräbt Vertrauen und macht den Profijournalismus dem Laienjournalismus dann doch zu ähnlich. Damit gefährdet man die eigene Existenz.

Wir brauchen Orientierung im immer dichteren Gestrüpp von Meldungen, Mutmaßungen und Meinungen. Wir brauchen Journalisten, die Verantwortungsbewusstsein zeigen, denen wir vertrauen können, die verlässlich und glaubwürdig sind. Wir brauchen Kontroversen, Konflikte und Kritik. Aber keine Verletzungen, Verspottung, Verachtung. Wir brauchen Medien, die zuspitzen. Aber nicht, um damit jemanden zu erstechen.

Adam Soboczynski hat scharfsinnig zur Entgegensetzung von Moral und Politik formuliert unter der Überschrift "Die Medien unterstellen der Politik notorisch Verlogenheit. Damit werden sie mitschuldig an deren Niedergang". Wir brauchen Medien, die Vorgänge und Zusammenhänge deutlich machen, die aufklären, welche Einflüsse und Kräfte in der Gesellschaft wirken, damit alle auf der Basis verlässlicher Informationen diese Gesellschaft mitgestalten können.

Diese Verantwortung ist heute, gerade mit Blick auf die Komplexität von politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und mit dem Druck, unter dem viele Entscheider heute stehen, größer als jemals zuvor. Deswegen brauchen wir Medien, die neue Formen der Qualitätssicherung – quasi eine ISO-Norm – entwickeln, um auch für sich die Zukunft zu sichern und wir brauchen eine intensive Debatte darüber, wie man es schafft unter dem Druck, dem Sie ausgesetzt sind, den nach wie vor gültigen Qualitätskriterien Rechnung zu tragen.

Bundespräsident Christian Wulff bei der Eröffnung der neuen dpa-Zentralredaktion.

Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire

Mathias Döpfner, Axel Springer AG:

Ökonomische und publizistische Unabhängigkeit bedingen einander. Nur wenn das wirtschaftliche Fundament der Medienhäuser langfristig in Takt bleibt, nur dann wird es langfristig wirkliche Freiheit der Information, also: Meinungsfreiheit und Gedankenfreiheit, geben. Und nur dann werden die Suchmaschinen langfristig etwas zum Suchen haben und das Netz langfristig etwas zum Vernetzen haben.

Mehr dazu bei Heise.

Fundiertes zu Wikileaks

Schon vor einigen Tagen veröffentlichten Geert Lovink und Patrice Riemens zehn Thesen zu Wikileaks. Sie sind viel zu lang und komplex, um sie in 140 Zeichen zusammenzufassen – deshalb hat sie wohl kaum einer gelesen. Das sollten alle Wikileaks-Interessierten schleunigst nachholen: Lovink und Riemens schieben den Hype beiseite und klopfen Konzept und Umsetzung von Wikileaks ab.

Kurze Zusammenfassung:

  1. Das Veröffentlichen von Geheimdokumenten ist nicht neu, aber mit dem Publizieren der „Afghan War Logs“ hat Wikileaks zweifellos einen neuen Höhepunkt gesetzt. Dieses gewaltige wurde durch die dramatisch gesunkenen Kosten von Informationshaltung und Weitergabe möglich: auf der einen Seite horten Regierungen und Unternehmen riesige Aktenberge, auf der anderen Seite kann jedes kleine Leck diese Informationen offenbaren.
  2. Wikileaks ist quasi aus dem Nichts aufgetaucht und steht auf dem internationalen Parkett neben Akteuren wie dem viel größeren Pentagon. Dies sorgt bei den Aktivisten verständlicherweise für viel Selbstbewusstsein – fraglich ist jedoch, ob sich das Projekt auf Dauer hier etablieren kann.
  3. Mit seinen Angriffen auf die US-Regierung und die Kriege in Irak und Afghanistan hat Wikileaks ein dankbares Ziel ins Auge gefasst. Bereits seit Jahren wird vom Abstieg der Weltmacht USA geschrieben. Die Wikileaks-Publikationen passen prima ins Bild und werden daher von Journalisten und Öffentlichkeit begierig aufgenommen. Andere Ziele wie Russland, China oder auch Taiwan Singapur sind eine größere Herausforderung.
  4. Wikileaks zu analysieren fällt schwer, da sich auch die Aktivisten selbst noch nicht auf eine Rolle für Wikileaks geeinigt haben: publiziert man nur Informationen oder will man sie selbst analysieren?
  5. Der investigative Journalismus leidet sehr an dem im Vergleich zu früher sehr viel höheren Schritt-Tempo der Nachrichtenverarbeitung – komplizierte oder komplexe Geschichten können in kommerziellen Medien kaum noch erzählt werden. Wikileaks bietet sich hier als externe Plattform für diese Geschichten an – hat aber noch nicht wirklich einen Weg gefunden die gewaltige Aufmerksamkeit in Aufklärung umzusetzen. Tausende Dokumente stehen online, aber nur wenige werden wirklich gelesen und verstanden.
  6. Die Organisation Wikileaks ist absolut auf ihren Gründer Julian Assange zugeschnitten. Das kann ihr zum Vorteil gereichen, da Assange autonom und schnell agieren kann, als charismatischer Anführer kann er Leute begeistern. Allerdings ist dies zugleich auch eine Schwäche, da die ganze Organisation leidet, wenn ihr Gründer Fehler macht.
  7. Wikileaks ist eine Verkörperung der Hacker-Ethik der Achtziger Jahre. Die Geeks sind technisch sehr fit und idealistisch, haben aber auch den Hang zu Arroganz und Verschwörungstheorien.
  8. Das Publikum von Wikileaks ist zwar sehr enthusiastisch, wird aber bisher nicht wirklich in die Arbeit eingebunden und ist nur durch ständig neue spektakuläre Enthüllungen bei der Stange zu halten.
  9. Wikileaks ist intransparent. Das mag es einfacher machen, andere zur Transparenz zu zwingen, aber gleichzeitig wird Wikileaks selbst zum Ebenbild der Geheimniskrämer von Pentagon und Co. So bleibt die Frage offen, für welches organisatorische Modell sich die Plattform entscheiden wird – oder gar eine neue findet.
  10. Trotz aller Abwägungen und Mängel: Wikileaks hat der Transparenz, Offenheit und Demokratie einen guten Dienst geleistet.

Wie gesagt: das ist eine kurze Zusammenfassung – das Original ist hier.

P.S.Zugegeben: die Thesen sind weder spektakulär, noch gehen sie sehr weit in die Tiefe – sie sind aber immerhin ein Beginn. Sie gewinnen viel an Wert, wenn man sie mit dem vergleicht, was derzeit sonst zu Wikileaks publiziert wird.

So schreibt der NBC „National investigative correspondent“ Michael Isikoff:

Nearly 40 years before the Obama White House denounced the WikiLeaks website for publishing classified documents, another president, Richard Nixon, was even more obsessed with the same phenomenon.

Hier sehen wir sehr schön These 5 am Zug. Einer sehr gut bezahlter Journalist verweist auf Wikileaks, weil er sich nicht mehr an Journalisten erinnert, die ihre Arbeit machen. Oder glaubt er lediglich, dass sich sein Publikum nicht erinnert? Aber nein, er treibt den Vergleich weiter:

The White House obsession with Anderson — whose „Washington Merry Go-Round“ column was the WikiLeaks of its day

Ja, eine Zeitungskolumne war genau das gleiche wie Wikileaks – bis auf die Tatsache, dass sich Wikileaks in so ziemlich allen relevanten Kriterien (wie zum Beispiel Arbeitsweise, Erscheinungsform, Struktur, Anspruch und Wirkung) fundamental von einer Zeitungskolumne unterscheidet. Aber wenn man davon absieht, sind beide Dinge so gut wie identisch. Geheimnisse und so.

Aber wie sehr der Aktualitätsdruck das Hirn dieses Investigaten vernebelt hat, offenbart sich aber zwei Absätze später:

As Feldstein writes, the plot was the culmination of a 40-year feud that dated back to the early 1950s, when Anderson uncovered a secret slush fund that wealthy backers had set up to financially support Nixon. That discovery led to Nixon’s nationally televised “Checkers” speech, in which he vowed to keep the new cocker spaniel he had bought for his daughters.

Man muss kein allzu großer Kenner amerikanischer Geschichte sein, um zu wissen, dass Nixon den Hund eben nicht gekauft hatte, sondern das Geschenk eines Nixon-Fans war. Der Politiker benutzte den niedlichen Hund, um Berichte über illegale Vorteilnahmen zu zerstreuen. Eine Sternstunde der manipulativen Wirkung des Fernsehens: die Zuschauer saßen den niedlichen jungen Hund mit Nixons Töchtern – und alles war vergessen. Tricky Dick trug seinen Namen zu recht. Und auch 40 Jahre später zeigt die Methode noch Wirkung – bedauerlicherweise bei Leuten, die das Wort „investigative“ im Jobtitel führen.

Ganz unrecht hat er nicht!

Ein Satz, den wir in den letzten Wochen besonders häufig hören: „Ganz unrecht hat er ja nicht“. Doch eins wird dabei übersehen: um ganz und gar unrecht zu haben, muss man sich schon sehr anstrengen.

Nehmen wir zum Beispiel das Lied von Pipi Langstrumpf in deutscher Übersetzung:

Zwei Mal Drei macht Vier
Widdewiddewitt und Drei macht Neune

Die Rechenschritte (2*3 und 4+3) sind falsch, aber das Endergebnis stimmt. 2*3 + 3 = 9. Ganz unrecht hat Pipi also nicht. Möchte man sie dennoch seine Steuererklärung machen lassen? Ich glaube nicht.

Ganz unrecht zu haben ist ein Kunststück. Und so unnötig. Meist reicht es aus, wenn nur einer von 100 Fakten falsch ist, um die 99 übrigen zu entwerten

Letzte Behauptung hab ich zwar erfunden, aber ganz unrecht hab ich damit ja nicht, oder?

Instant Off

Das ist also Google Instant: man drückt eine Taste und bekommt schon eine Suchergebnisseite angezeigt. Mit Verlaub: FUCK OFF, Google!

Ich bin vielleicht altmodisch, aber ich benutze Google tatsächlich noch als Suchmaschine. Ich rufe Google nicht auf, um Ebay oder Facebook aufzurufen, wie ich es manchmal bei Mitfahrern im ICE mit wachsenden Depressionen sehe. Für diese Zielgruppe mag das neue Feature gut und knuffig sein. Für mich nicht. Denn ich gehöre zu einer aussterbenden Art: Ich weiß in der Regel, was ich suche.

Google scheint mir das nicht mehr zuzutrauen. Gestern suchte ich zum Beispiel unter anderem mit dem Suchbegriff „Tochter“. Was macht Google? Natürlich meint der allmächtige Algorithmus, dass ich ja vielleicht den Plural „Töchter“ meine und pflastert die erste Ergebnisseite mit Treffern zu, die nicht das sind, was ich suche. Erst wenn ich das Wort in Anführungsstriche setze oder den Suchparameter „+“ verwende, gibt Google endlich das aus, was ich will. Aber nur solange kein Sonderzeichen drin vorkommt – denn dann schaltet Google auf stur und präsentiert mir alles, was irgendwie ähnlich aussehen könnte. Diese Philosophie der wohlmeinenden Bevormundung zieht sich durch viele Angebote von Google.

Ich bin eben mal meine Suchanfragen durchgegangen (in meiner lokalen Browser-Historie, nicht in der Google-Cloud) und habe festgestellt, dass meine Suchanfragen meist aus drei oder mehr Suchbegriffen bestehen. Google kann Glück haben und den dritten erraten, hat es aber in der Regel nicht. Und so bekomme ich halt acht bis fünfzehn Mal Ergebnisseiten angezeigt, die nichts mit dem zu tun haben, was ich finden will. Außer vielleicht, ich suche einen epileptischen Anfall.

PS: Björn Sievers findet das Angebot im Gegensatz zu mir komfortabel und nicht nur das:

Google Instant ist die Pest: für Suchmaschinenoptimierer. Steve Rubel wird da sehr deutlich: “Google Instant Makes SEO Irrelevant”. Mit Instant sieht jeder Google-Nutzer (endgültig) ein anderes Internet. Denn Google sucht nicht nur während der Nutzer tippt, sondern versucht auch zu erraten, was er tatsächlich finden will.

Das halte ich für eine naive Sichtweise. Manche SEO-Techniken werden bei Google vielleicht nicht mehr so gut funktionieren wie vorher – vorausgesetzt die Kundschaft schaltet das tolle Feature nicht gleich ab – aber der SEO-Wettkampf wird ja nur verschlimmert. Derzeit bekommt jeder Google-Nutzer mit „Instant“ ganz oben einen Amazon-Link angezeigt, wenn er nur ein „A“ eingibt – egal was er sucht oder ob er in München oder Seattle sitzt. Und jeder SEO sagt: da will ich hin. Noch schlimmer: sie sagen ihren Kunden: Da wollt ihr hin. Die erste Seite von Google ist wertvoller als je zuvor.

Wenn eine neue „Lady Gaga“-Single rauskommt, werden diese Störenfriede Millionen Seiten zum Begriff „La“ oder „Lad“ ins Netz stellen, vielleicht geht es soweit, dass der nächste Opel Obamo getauft wird und Palm nennt sein nächstes Smartphone „Ip“. Instant on.

Die Debatte ist richtig! Die Fakten nicht so.

Es gibt ja einige, die sagen: egal ob die Thesen von Thilo Sarrazin nicht mehr als ein Aufguss von missverstandenem Infoabfall sind – Hauptsache, die Debatte wird angestoßen. Denn die Debatte ist wichtig und deswegen ist sie auch richtig!

Und natürlich findet sie ihren Wiederhall in der politischen Arena. So sagt Unionsfraktionsvize Michael Fuchs der Rheinischen Post:

Wenn etwa die Kinder nicht in die Kita oder die Schule geschickt werden, dann muss das mit Hartz-IV-Kürzungen sanktioniert werden.

Wenn Kinder nicht in die Kita geschickt werden, ist das die freie Entscheidung der Eltern. Werden die Kinder hingegen nicht in die Schule geschickt, dann ist dies Verstoß gegen die Schulpflicht, was in Deutschland zu Geldbußen oder sogar – ob Hartz IV, Migrant oder Mutter Beimer – zu einem Gefängnisaufenthalt der Eltern führen kann. Die Forderung von Herrn Fuchs ist purer Blödsinn und das weiß er auch. Aber er wird Applaus bekommen, von denen, die immer gerne Sanktionen gegen andere fordern.

Herr Sarrazin hat keine Integrationsdebatte angestoßen, sondern einen Wettbewerb: wer kann am besten Stimmung machen? Wer ist am wenigsten auf Fakten angewiesen? Wir argumentieren nicht, wir verbalisieren Bauchgefühle. Und darauf kann man getrost verzichten.

PS: Oswald Metzger skizziert die Lage bei FOCUS Online so:

Denn die Causa Sarrazin belegt doch auch, dass ohne die Skandalisierung von Missständen, ohne Übertreibung und Polemik kaum eine öffentliche Resonanz in unserer Mediendemokratie zu erzielen ist.

Aber was nutzt alle Resonanz, wenn nur Polemik auf Polemik gestapelt wird? Eine Debatte mag vorhanden sein, aber statt einen kleinen Schritt näher an die Lösung der Probleme zu gehen, sind wir nun drei riesige Schritte zurückgefallen.

Ermäßigter Privatsphärensatz

Immer wenn uns Journalisten nicht wirklich etwas einfällt, um die Absurditäten des Staatswesens zu beschreiben, zücken wir die Mehrwertsteuer-Karte: 19 Prozent auf Windeln, 7 Prozent auf Trüffel. Wie absurd! Dass das Problem unterschiedlicher Steuersätze nicht konsistent zu lösen ist, ignorieren wir. Wenn das Prinzip durchgesetzt wird, beklagen wir den Einzelfall. Werden für den Einzelfall Ausnahmen gemacht, beklagen wir das Prinzip.

Eine ähnliche Situation existiert grade bei der Privatsphäre. Ist Streetview der Untergang des Abendlandes? Ja: unser Fassaden, unsere Adressen! Die Einbrecher, die SCHUFA! Nein: der Falk-Stadtplan mit Patentfaltung hat uns auch nicht die Privatsphäre geraubt. Soll Facebook wissen, wo ich bin? Klar: so können mich meine Freunde finden. No way: Facebook vermarktet die Daten und Dritte melden unseren Standort ohne zu fragen.

Okay: diese digitalen Medien sind so neu, im Analogen war es so viel einfacher. Da wusste man noch, was öffentlich und was sehr, sehr privat ist. Den Chef oder die eigene Oma nackt sehen? Nicht mal im Traum! Doch wenn ich arte glauben darf, ist das in finnischen Saunen Alltag. Polizeiberichte einsehen? Doch nur mit Presseausweis oder Anwaltsmandat, sagt der Deutsche! Ich bin Steuerzahler und ich muss kontrollieren ob King George nicht wieder die Regierung an sich reißt, sagt der Amerikaner! Selbst auf die Frage ob wir mit offenem oder geschlossenen Mund kauen, ob wir uns dezent räuspern oder herzlich rülpsen sollen, scheint keine universelle Antwort zu existieren.

Kurz gesagt: Was privat ist und was nicht, ist nicht gottgegeben. Wir alle haben zwar irgendwie dringenden Bedarf nach Feigenblättern – aber wir sind uns nicht sicher, ob wir damit lieber unserer Scham oder über unseren Kontoauszug verdecken sollten. Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Antworten gefunden. Und da diese Antworten sehr, sehr verschieden sind, lassen sie sich nicht einfach auf eine globale Plattform übertragen.

Eine einigermaßen konsistente Antwort auch nur für unsere bundesdeutsche Gesellschaft zu finden, wird uns noch fünf, zehn Jahre beschäftigen. Mindestens. Und definitive Lösungen wird es auch nicht geben – im besten Fall angreifbare Gesetze und schon bald überkommene Konventionen.

Wer ist eigentlich Thilo?

Einer der Gründe, warum mich die unsäglichen Thesen des unsäglichen Thilo Sarrazin nicht wirklich interessierten: das abstruse Gehabe um ein Juden-Gen hatte ich schon vor anderthalb Jahren entdeckt und vor knapp zwei Jahren habe ich auch dieses schöne Stück Journalismus über die Harlem Children Zone gehört:

Zwei Erkenntnisse:

  • Vergesst den Müll über angeborene Intelligenz. Mit Liebe und positiver Ansprache kann man Kinder wirklich weiter bringen
  • Der Ausweg aus dem Teufelskreis Sozialhilfe dauert wohl leider mindestens eine Generation. Staatliche Programme, die alleine die Hilfsbedürftigen von heute im Blick haben, werden von der Zukunft überrannt.

P.S.: Jörg Albrecht und Volker Stollorz haben in der FAZ den aktuellen Stand der Intelligenzforschung zusammengetragen und zeigen, worauf sich der Bestseller-Autor Sarrazin stützt: Missverständnisse und eine Forschungsrichtung, die es nur langsam schafft mehr als die gesellschaftlichen Vorurteile abzubilden. Schön herausgearbeitet sind auch die Implikationen der Intelligenz-Debatte.

Wenn Intelligenz zum Teil erblich ist, Forscher aber keine Gene finden – wie passt das zusammen? Vielleicht liegt es daran, dass die Instrumente der Genetik nur solche Erbanlagen aufspüren, die sich negativ auf die Intelligenz auswirken. Dann wären wir alle von Natur aus Genies, sofern wir nicht eine oder mehrere seltene Mutationen tragen, die uns zu Durchschnittsdenkern machen.

Unter dem Artikel sind übrigens Bit.ly-Links zu zwei weitergehenden Quellen zu finden. Die ClickThrough-Rate ist jedoch gering.

Swift Slammer Justice

Gestern war ich wieder beim fabulösen Kölner Poetry Slam Reim in Flammen. Obwohl der Veranstaltungsraum jetzt bedeutend größer ist als zuvor, war es proppenvoll.

Etwas fand ich sehr bemerkenswert: die Art, wie die Slammer mit einem vermeintlichen Textklau umgingen. Einer der Teilnehmer – ein arbeitsloser Lehrer – hatte einen Text vorgelesen, im dem er schilderte wie toll doch die Welt sein könnte, wobei er sich in immer fantastischere Visionen hineinsteigerte, bei denen es doch meist wieder um Sex ging.

Nach dem Vortrag jedoch kam es zum Eklat. Jemand aus dem Publikum rief „Das ist geklaut“, „Das ist von Sebastian 23“, das Wort „YouTube“ war zu hören. Kurze Konfusion, der Moderator erinnerte sich an einen ähnlichen Text und rief ohne langes Federlesen zur Abstimmung auf. Von den fast 300 Zuhörern hob niemand seine Hand. Es war das erste Mal, dass ich einen Slammer mit Null Punkten von der Bühne gehen sah. Keine Diskussion, keine Textanalyse, keine Abmahnung – die Strafe der öffentlichen Demütigung wurde sofort vollstreckt. (Das klingt jetzt vilelleicht dramatischer als es ist: wer nicht Gefahr laufen will ohne Applaus von einer Bühne hinunterzusteigen, darf sie nie betreten.)

Erst in der Finalrunde wurde der Vorfall nochmal thematisiert. Michael Goehre schickte seinem Auftritt voraus, dass er einzelne Worte verwendet, die auch schon Mal Sebastian 23 in den Mund genommen habe. „Und dennoch ist das mein Text. Genau so wie das eben sein Text war.“ Kurzer Zwischenapplaus, dann weiter nach Schema F. In der Abschlussrunde stand der vermeintliche Textdieb wieder auf der Bühne und wurde mit den anderen Slammern mit Applaus verabschiedet.