Mehr Spoiler wagen

Am Wochenende wurde der dritte Trailer zur StarTrek-Serie auf Amazon Prime veröffentlicht. Wieder überraschen uns die Macher damit, dass sie Figuren aus der TNG-Serie zumindest für ein paar Szenen reaktiviert haben. Einige sind begeistert. Für mich läuft diese PR-Strategie jedoch in der verkehrten Reihenfolge.

Wenn mich eine Serie tatsächlich gewinnen will, möchte ich nicht nur Zuschauer sein. Und ich verkleide mich garantiert nicht als Klingone. Um aber tatsächlich über eine Serie als handwerkliches Produkt zu sprechen, gibt es kaum noch öffentliche Räume. Das große Spoiler-Tabu hat Plattformen wie Twitter und Facebook übernommen. Bei der Star Trek-Serie von Netflix gab es wenigstens im Anschluss an die Folgen noch eine Aftershow. Hier wurde den Leuten die die Folge supergeil fanden ein wenig erzählt, wie die Story denn zustande kam wurde. Leider war die Sendung aufgrund des aufgesetzten Zwangs-Enthusiasmus unerträglich. Wenn ich die Ankündigungen von Netflix richtig verstehe, wird in Zukunft auch das wegfallen. Man überlässt das Feld einfach YouTube-Amateuren, die keine Ahnung haben und keinen Zugang zu den richtigen Informationen.

Das ist ein merkwürdiger Umgang mit kreativer Arbeit. Ich als Kunde mag es sehr, wenn ich in einem Podcast oder in einem Interview von den Machern höre, wie sie dann an einer Vision gearbeitet haben und was sie sich bei der Umsetzung gedacht haben. Dann kaufe ich gerne ein Buch oder eine Serie oder gehe ins Kino.

Das wird jedoch zunehmend selten. Man sah es zum Beispiel bei den ganzen Avenger-Filmen. Es gab Interviews über Interviews, bei denen alle Beteiligten im wesentlichen nur sagen durften, wie viel Spaß sie hatten. Alle Autoren, Schauspieler, sogar die Konstümbildner stehen unter strenger NDA. Stattdessen wird der absolut kleinste gemeinsame Nenner als Trailer abgegeben. Selbst auf stundenlangen Comicon-Panels wird quasi gar nichts mehr erzählt. So hat ein Stoff keine Chance mich reinzuziehen.

Von einer Serie wie Breaking Bad habe ich durch Interviews erfahren, die keine künstlichen Informationssperren enthielten. Während der ersten zwei Staffeln war Vince Gilligan quasi in jedem Podcast, den ich abonniert hatte. Vom neuen Breaking Bad-Film durften wir jedoch erst erfahren, als er schon abgedreht war.

Oder High Maintenance. Die Macher haben ihre Vision klar erklärt und wie sie daran arbeiteten, das Ganze auf ein HBO-Fundament zu setzen. Das fand ich spannend, die Umsetzung war gelungen. Und so habe ich mir die Serien gekauft. Mehr noch: Weil in der Serie dann die Dokumentation „One of Us“ thematisiert wurde, habe ich mir diese auch auf die Liste gesetzt.

Mein Wunsch: Wir müssen von der Spoiler/NDA-Hysterie wieder etwas abrüsten. Kreative sollten über ihren kreativen Prozess erzählen, dass wir teilnehmen können, wenn wir mehr sein wollen als dumpfe Zuschauer, denen das schmeckt was man ihnen vorsetzt oder eben nicht. Wenn das im Milliardengeschäft der Blockbuster nicht klappt, wenn der Konkurrenzkampf der Streaming-Plattformen nur noch auf Masse um jeden Preis setzt, dann sehe ich darin einen kulturellen Rückschritt.

Gerade im Comedy-Bereich scheint es hier eine Gegenbewegung zu geben. Comedians berichten in eigenen oder fremden Podcasts sehr ausgiebig über die Entstehungsgeschichte ihre Comedy-Specials. Und obwohl die Leute dadurch einen guten Teil der Witze schon kennen, bleiben sie nicht weg. Sondern sie wissen das Gesamtprodukt um so mehr zu schätzen.

Wenn man auf Kunden wie mich wert legt: Wagt etwas. Schließt die Zuschauer in euren kreativen Prozess wieder ein. Und tut nicht so als seien wir Siebenjährige, denen man nicht verraten soll, dass es keinen Osterhasen gibt.

Antiheld

Es wird wieder viel diskutiert zum Thema Antihelden, weil „The Joker“ ins Kino kommt. Kann man einen Menschen abfeiern, der amoralisch handelt, der mordet, der eine Stadt in Flammen steckt, weil er sein Ego über alles stellt? Ich habe den Film noch nicht gesehen — deshalb hier ein paar Gedanken zu „Breaking Bad“ und Antihelden. Auch hier ist ja ein neuer Film im Kommen.

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Mörder und Verbrecher in Filmen gibt es viele. Wie kann man aber dafür sorgen, dass das Publikum ehrlichen Anteil an ihrem Schicksal nimmt? Dass sie zu Helden, zu Anti-Helden werden? Eine Methode ist: Man sorgt dafür, dass sich der Betreffende gegen eine größere Ungerechtigkeit zur Wehr setzt. Wenn ich an Antihelden in Breaking Bad denke, kommt mir als erstes nicht Walter White in den Sinn, sondern sein Schwager Hank Schrader.

Hank, Hank, Hank!

Hank ist ein Widerling von der ersten Folge an. Hank macht andere nieder, weil er selbst einen Minderwertigkeitskomplex hat. Er ist eine Litfasssäulenwerbung für toxische Männlichkeit. Seinen Partner und besten Freund deckt er konstant mit rassistischen Beleidigungen ein. Hank nimmt zwar kein Geld von Drogenbossen, aber er ist dennoch vor unser aller Augen korrupt. Seine Familie holt er aus dem Knast, den kleinen Junkie sperrt er ohne zu zögern und ohne Grund ein. Und wenn er sich prügeln will, geht er eine Bar und provoziert, um sich dann hinter dem Schutz seiner Behörde zu verstecken. Ich bin die DEA, ich bin Gott.

Und dennoch schafft es Vince Gilligan, dass ich plötzlich zum Hank-Fan wurde. Nunja – für eine Minute. Die Szene ist klar: Hank musste seine Marke und Waffe abgeben und sitzt in seinem Auto, als er eine Warnung erhält. Ein Mordanschlag auf ihn steht unmittelbar bevor. Nun sitzt er da. Unbewaffnet. Verängstigt. Und er schafft es dennoch, die beiden Cousins zu besiegen, die sein Leben auslöschen wollten. Hank klammert sich ans Leben. Und wir klammern uns an Hank.

Damit das klappt, wurden wir vorher auf Hank neu eingepegelt. Denn in der Folge vorher haben wir gesehen, dass da ein guter Kern in dem Ekelpaket steckt. Als etwa Walter Hank ausrichten ließ, dass seine Frau Marie im Sterben liegt, war all sein Testosteron-Gehabe plötzlich weg. Er liebt seine Frau über alles. Und sie liebt ihn, weil sie all seinen Bullshit durchschaut. Als er im Fahrstuhl zusammenbricht, hält sie ihn wie ein kleines Kind. Und als die Tür aufsteht, stehen beide da und halten die Fassade wieder hoch. Hank ist nicht mehr nur der eindimensionale Unsympath, das wir in der ersten Folge kennengelernt haben. Er ist plötzlich ein Mensch. Nur so konnte er zum Helden/Antihelden werden.

Schlau mit Defiziten

Eine weitere Methode, einen Antihelden aufzubauen: Die Zuschauer müssen sich mit ihm identifizieren können. Also siedelt man sie in der Ebene an, wo der Charakter schlauer ist als seine Umstehenden — denn wer ist davon in seinem eigenen Kopf nicht überzeugt? — aber doch nicht zu schlau. Hier sind Walter und Jessie das perfekte Gespann. Ein anschauliches Beispiel ist, als sie das Fass aus dem Chemielager stehlen. Einerseits bringt Walter sein überlegenes Chemie-Wissen aus dem Lehrplan der neunten Klasse mit: Thermit-Gemisch, das jede Tür aufschweißen kann. Zum anderen sind die beiden so unbedarfte Verbrecher, dass sie nur mit Glück einen Wachmann in einem Klohäuschen einsperren können und dann das Fass unter enormen Anstrengungen durch die Gegend tragen, wo sie es einfach hätten rollen können.

Vince Gilligan spielt dieses Spiel sehr intensiv am Anfang. Walter ist kein Verbrecher, er rutscht einfach nur in eine Situation hinein, aus er dann einen Ausweg gemäß seinen Möglichkeiten sucht. Und dann gerät er in die nächste Situation. Er musste Crazy Eight ermorden. Denn Crazy Eight hätte sonst ihn ermordet. Und er hat es ja per Münzwurf mit Jesse ausgemacht. Coin flip is sacred!

Als diese Erzählstruktur, diese Lawine an Rechtfertigungen nicht mehr aufrechtzuerhalten sind, greift Gilligan zu einem Trick — oder besser gesagt: zu einem Hut. Der böse Walter White, der Morde plant und ausführt, ist nicht mehr Walter White, der liebende Familienvater, der intelligente Tollpatsch. Er ist sein Alter Ego, Heisenberg. Kühl, berechnend, bedrohlich. Wir sehen zwar immer wieder, dass der Hut nur ein Hut ist. Dass es nur eine Rolle ist, die Walter spielt, um andere einzuschüchtern. Wenn er sich zum Beispiel mit Tuco auf dem Schrottplatz trifft, ist er eigentlich nur ein zitterndes Etwas. Aber dennoch. Wir können die vermeintlich guten Aspekte von Walter von dem Monster trennen, während es ihn immer weiter in Besitz nimmt.

Say my name

Doch auch das Monster Heisenberg gewinnt die Begeisterung des Publikums. Hier verwenden die Autoren zwei Mechanismen. Zum einen: Das Publikum respektiert Heisenberg, weil immer wieder wiederholt wird, wie respektabel er doch ist. Tuco erkennt den Newbie im Drogengeschäft als gleichberechtigten Partner an, weil der sein Hauptquartier in die Luft jagt. Gustavo Fring erkennt Heisenberg an, weil er ein Genie ist und die richtigen Familienwerte vertritt. Und der profillose Vollbart-Drogenhändler erkennt Walter an, weil er Fring ermordet hat. „Say my name!“

„Say my name“ – Klick zum Video

Gleichzeitig wird Walter als eine Art Ehrenmann präsentiert. Anstatt noch auf einer moralischen Ebene zu spielen, die der durchschnittlicher Zuschauer auf irgendeine Weise nachvollziehen könnte, spielt der Antiheld auf dieser Ebene „nach seinen eigenen Regeln“, er hat seinen „eigenen moralischen Code“. Natürlich wollen wir die Morde nicht beklatschen, aber er hatte ja keine andere Wahl. Denn ihm wurde so viel Unrecht getan. Und seht alle her, was für ein toller Vater er immer noch ist. Für Walter Junior und für Jesse.

Das Problem daran: Natürlich ist das Bullshit. In Staffel vier und fünf sehen wir die Fassade zusammenbrechen. Etwa als er Skyler anfährt: „I am the danger…. I am the one who knocks“. Oder als er Jesse aufklärt, dass es schon lange nicht mehr darum geht, seine Familie zu versorgen, sondern dass er seine frühe Liebe Gretchen ausstechen will. „You asked me if I was in the meth business or the money business. Neither. I’m in the empire business.“

Eigentlich hätte Walter White an der Stelle alle Sympathien verlieren müssen. Es war aber zu spät und zu wenig. Anstatt Walter White als skrupellosen Verbrecher zu verachten, postet das Publikum begeistert Share-Pics mit den schlimmsten Zitaten. Heisenberg ist kein Monster. Heisenberg ist cool. Er zeigt dieser ungerechten Gesellschaft, dass er doch überlegen ist. Dass man so nicht mit uns… ähm… dass man so nicht mit ihm umspringen kann, ohne dafür zu büßen. Fuck, yeah!

Wo sind die Antihelden?

Letztlich ist Breaking Bad daran gescheitert, Walter White wirklich zum Antihelden werden zu lassen. Er hinterlässt zwar ein Schlachtfeld. Leichen ohne Ende. Und er hat das Leben seiner Familie und aller in seinem Umfeld ruiniert. Aber er ist kein wirklicher Antiheld, sondern ein Gescheiterter. Um dieses Kunststück zu schaffen, wurden in der letzten Iteration der Serie neue Bösewichter eingeführt, die keine zweite Ebene mehr haben. Todd — oder „Ricky Hitler“, der ohne sichtbare Gefühlsregung Leute und sogar Kinder abknallt. Oder sein White-Supremacy-Onkel, der 80 Millionen Dollar abkassiert und dann einfach mit dem Morden weitermacht wie bisher. Beide verkörpern das absolut Böse, gegen das es sich zu kämpfen lohnt. Und Walter stellt sich nun dem absolut Bösen entgegen, um Absolution, um unsere Sympathie wiederzugewinnen. Er gewinnt. Und stirbt in Frieden.

Wenn ich überlege, fällt mir kein richtig gutes Beispiel ein, wo ein Antiheld wirklich in letzter Konsequenz vorgeführt wurde, so dass sich das Publikum kurz selbst anekeln muss. In Goodfellas muss Henry Hill für seine jahrelangen Verbrechen dadurch büßen, dass er als Niemand in der Provinz schlechte Pasta serviert bekommt. Aber schließlich war er mal jemand! American Psycho Patrick Bateman schlachtet eine Protstituierte ab, indem er eine Kettensäge durchs Treppenhaus wirft. Wie krass ist denn das!?! Sogar Brad Pitts Charakter in Fight Club, der sich als Wahnfigur eines Geisteskranken entpuppt, wird geliebt. Es gibt kein erfolgreiches Multiplayer-Game, kein neues Social Network gibt, ohne dass sich Hunderte Nutzer Tyler Durden nennen.

Antiheld oder Held. Wo ist der Unterschied?

CAPTCHA

„Guten Tag Herr Schniekenpoop. Mein Name ist Wassner, ich bin der Redaktionsleiter von ‚Hart, aber Willberger'“

„Schönen guten Tag. Ich freue mich schon auf meinen Auftritt. Ein paar Kleinigkeiten müssten wir noch regeln. Wann etwa muss ich in der Maske sein?“

„Nun – das klären wir vielleicht besser später. Sie wissen, worum es bei diesem Treffen geht?“

„Mein Büro sagte mir, es wäre ein Vorgespräch.“

„In gewisser Weise. Sie kennen CAPTCHAs?“

„Was bitte?“

„Nun, sie kennen doch die kleinen Bildchen, die auf vielen Webseiten erscheinen, wenn man irgendetwas posten will. Man schreibt den verschwommenen Text ab und beweist damit, dass man kein Spam-Roboter ist.“

„Aha?“

„Nun, wir haben uns nach der herben Zuschauerkritik dazu entschieden, eine Art CAPTCHA einzuführen. Schließlich sollen nur Leute auftreten, die tatsächlich wissen, wovon sie reden.“

„Ich weiß zwar nicht, wovon Sie hier reden, aber nur zu…“

„Sie wissen wahrscheinlich, warum wir Sie eingeladen haben?“

„Nun, das ist ja nicht schwer zu erraten. Entweder war es mein Gastbeitrag in der ‚Zeitigen Allgemeinheit‘ oder mein Interview bei ‚Ablage Rundfunk‘.“

„Genau. Es geht um in unserer kommenden Ausgabe um Verkehrspolitik.“

„Das dachte ich mir schon. Wann muss ich nun in der Maske sein?“

„Gemach. Lassen Sie mich ihre Beiträge rekapitulieren.“

„Nur zu.“

„Sie haben sich für ein Totalverbot von E-Scootern in deutschen Städten und vergleichen die Anbieter mit einer Heuschreckenplage.“

„Ja, können Sie das aus dem Intro rauslassen? Die Zeile bringt mir live immer am meisten Gelächter.“

„Desweiteren fordern sie, die KFZ-Steuer auf Radfahrer auszudehnen.“

„Richtig. Schließlich zahlen wir Autofahrer auch für die Radwege!“

„Und Greta Thunberg nannten sie…“

„Neidlich, Neidisch, Neuroleptisch!“

„Wissen Sie überhaupt, was ’neuroleptisch‘ heißt?“

„Nun, Sie ist doch ein Psycho, oder?“

„Eine Autistin.“

„Eben. Niedlich. Neidisch. Ne Autistin.“

„Eigentlich sind meine Fragen schon beantwortet, Herr Schniekenpoop. Aber lassen Sie mich noch ein paar anfügen. Der Vollständigkeit halber.“

„Ja?“

„Wissen Sie, wie viel Deutschland für den Bau von Straßen Jahr für Jahr ausgibt?“

„Nun, mein Büro kann sicher etwas zusammenstellen…“

„Wir sind hier nicht bei Jauch — hier gibt es keine Telefon-Joker. Lassen Sie mich eine andere Frage probieren: Wir wissen alle, dass E-Scooter auf dem Fahrradweg fahren müssen, wenn einer vorhanden sind. Wo müssen sie fahren, wenn kein Radweg vorhanden ist?“

„Auf dem Fußweg natürlich. Sonste käme ich mit dem Auto ja gar nicht mehr vorwärts.“

„Sind Sie jemals im Berufsverkehr Rad gefahren?“

„Nein, ich hole mein Rad nur am Sonntag mal raus, wenn die Sonne scheint. Wie normale Menschen.“

„Danke, das wäre es dann.“

„In Ordnung. Wann muss ich dann zur Maske?“

„Gar nicht. Sie haben keine Ahnung von Verkehrspolitik, sie kennen die Verkehrsregeln nicht, sie haben nicht mal Verkehrserfahrung aus erster Hand, wie es ist, wenn man nicht in einer Limousine sitzt. Alls was sie mitbringen, sind schlechte Wortspiele und Ressentiments. Warum sollen wir Sie auf Sendung lassen?“

„Aber…aber… sie brauchen mich. Ich bringe mindesten eine halbe Million neuer Zuschauer, die mich lieben. Und eine Million, die sich grün- und schwarz-ärgern. Nach meinem Auftritt bei Ablage Rundfunk gab es sogar einen eigenen Twitter-Hashtag.“

„Einschaltqupoten sind nicht alles. Guten Tag.“

SUVs sind einfach zu breit

Ich wurde herausgefordert, die Probleme von SUVs zu benennen. Nun – das könnte ein längerer Text werden. Um nicht allzu sehr auszuufern, beschränkte ich mich hier auf die Probleme, die ich aus unmittelbarer Anschauung in meiner Nachbarschaft mit bloßem Auge beobachten kann.

Zum ersten: Ich verstehe die Motivation, sich einen SUV zu kaufen. Es erscheint einfach sicherer. Obwohl man als Autofahrer im Stadtverkehr kaum noch Unfälle mit Verletzungen zu befürchten hat, ist ein Sports Utility Vehicle einfach besser. Selbst für die Leute, die weder Sports, noch Utilities benötigen: Mit der erhöhten Sitzposition schaut man einfach weiter. Und: Es gibt innen wahnsinnig viel Platz. Gleichwohl: Kratzer an der Stoßstange und ähnliches sind keine Risiken mehr, sondern Gewissheit. Zum einen, weil andere Verkehrsteilnehmer die Übergröße nicht gewöhnt sind. Viel wahrscheinlicher: Weil die Fahrer selbst die Übergröße nicht gewöhnt sind.

Wenn man mit einem normalen Auto oder Fahrrad auf den Straßen unterwegs ist, ist ein SUV ein Sichthindernis wie ein Linienbus oder ein LKW. Das ist ein Problem. Wer etwa im Berufsverkehr hinter einem SUV an einer Ampel steht, müsste eigentlich an der Haltelinie warten, bis absolut sicher ist, dass es hinter der Kreuzung weitergeht. Das ist einerseits Gesetz, andererseits unrealistisch. Der Verkehr käme zum Erliegen, wenn sich jeder wirklich daran hielte. Der einzige Weg für den Einzelnen: Man kauft sich ebenfalls ein SUV, um sich mehr Überblick zu verschaffen.

Das Problem: SUVs sind einfach zu groß und vor allem breit für die bestehende Verkehrsinfrastruktur in Köln. Wenn man einparken will, gibt es vorne und hinten zwar hilfreiche Piepstöne. Die Sensoren an der Seite fehlen jedoch meist. Wenn ich etwa auf der Luxemburger Straße in Köln unterwegs bin, begegne ich immer wieder Autos, die auf beiden Fahrbahnen gleichzeitig unterwegs sind. Vor dem SUV-Boom habe ich so etwas vielleicht einmal im Jahr beobachtet. Nun ist es eine alltägliche Erscheinung.

Zu breit

Am einfachsten kann man das Problem zum Beispiel auf dem ALDI-Parkplatz an der Dürener Straße sehen, wo die Autos gerne 20 Zentimeter über dem Trennstreifen parken. Theoretisch passen die Autos auf den eingezeichneten Platz. Dann müssten die Fahrer jedoch aus dem Schiebedach aussteigen. Noch extremer ist es bei den Tiefgaragenplätzen. Die werden von Supermärkten, Fitnesstudios oder medizinischen Einrichtungen immer öfters kostenlos bereitgestellt. Trotzdem werden diese Plätze von SUV-Fahrern immer wieder ignoriert. Drei Minuten von hier sind zwei Bio-Supermärkte. Eine beträchtliche Anzahl der Kunden parkt in zweiter Reihe statt einfach ins Parkhaus zu fahren. Wie gesagt: Es sind kostenlose Parkplätze. Die Fahrer trauen es sich halt nicht zu, hier zu parken. Denn neben jedem dritten Parkplatz ist eine Betonsäule, die teure Schrammen verursachen kann. Oder ein anderer SUV.

Ein Teufelskreislauf. Die SUVs fahren nicht in Tiefgaragen, also bleiben sie die Parkplätze dort leer, also werden sie Straßen noch voller. Volle Straßen bestärken Auto-Käufer, nach einem robusteren PKW zu suchen. Der höchstwahrscheinlich viel zu groß ist für Kölner Straßen.

Legal ist doch legal?

Wenn ich behaupte, dass Autos „zu groß“ sind, hangle ich natürlich an einem fragwürdigen Konzept entlang. Wie groß ist „zu groß“? Die Leute haben von einem amtlich zugelassenen Händler ein Fahrzeug erworben, das vom Kraftfahrbundesamt genehmigt wurde. Dass der Gesetzgeber und die Ämter wegsehen, wenn ein Auto nicht mehr in eine Waschanlage passt, können sie ja nicht verantworten. Außer wenn sie mit offenen Augen durch die Straßen gehen und bemerken, dass Rollator- oder Rollstuhl-Nutzer nicht mehr den Fußweg vor ihrem Haus benutzen können.

Ach, da passt ein Fußgänger doch prima durch!

Wie rapide sich der Verkehr in Köln-Sülz verändert hat, war extrem beeindruckend. Als etwa die neue U-Bahn gebaut wurde, stellte ich zum Beispiel überrascht fest, dass schlichtweg alle Straßen von meiner Wohnung in Richtung der anderen Rheinseite für Radfahrer gesperrt waren. Für Autofahrer wurden Umleitungen eingerichtet, für Radfahrer gab es hingegen nur zusätzliche Verbotsschilder bis schließlich keine einzige Straße übrig war. Die einzige logische Erklärung: Verwaltung und die Straßenarbeiter gingen schlichtweg davon aus, dass Radfahrer die Schilder sowieso ignorieren. Ein inoffizielles Arrangement: Die Polizei und Ordnungsamt sehen weg, wenn Radfahrer verkehrt fahren, da sie selbst bei der Planung der Straße und der Baustellen weggesehen haben.

Mehr Blech gewinnt

Problem: Dieses Arrangement konnte spätestens seit den Nullerjahren nicht mehr aufrecht erhalten werden. Zu viele Leute sind als Radfahrer unterwegs. Zu viele Leute sind mit dem Auto unterwegs. Und die Leute reagieren mittlerweile sehr massiv darauf, wenn vor ihrer Haustür Leute totgefahren werden. Also wurden etwa die Einbahnstraßen von Sülz für Radfahrer zu Zweibahnstraßen.

Problem gelöst? Nein. Denn wann immer ich eine dieser Einbahnstraßen mit dem Fahrrad benutze, kommt mir ein Auto entgegen, das schlichtweg nicht genug Platz für mich lässt, weil es zu breit ist und die am Straßenrand parkenden Autos ebenfalls zu breit sind. Zwanzig Zentimeter hier, zwanzig Zentimeter dort — und schon klappt der kalkulierte Verkehrsweg nicht mehr. Wie zuvor bei den Radlern hat die Stadtverwaltung eine Laissez-faire-Haltung entwickelt. Regelt das doch unter Euch. Wer mehr Blech hat, gewinnt.

Sobald Fahrradwege auf die Fahrbahn gezeichnet werden, werden sie rücksichtlos zugeparkt. Das passiert nicht nur aus purer Not, sondern weil die Fahrer der Auffassung sind, dass sie ein Recht dazu haben. Im fließenden Verkehr schneiden insbesondere SUV-Fahrer Radler regelmäßig — teils unbewusst, teils sogar absichtlich. Neulich hat mich ein BMW-Fahrer in einer Tempo-30-Zone ausgehupt und beschimpft, weil ich auf der Fahrbahn fuhr. Seiner Meinung nach gehörte ich auf den Fußweg nebenan. Selbst wenn nur ein Prozent der Autofahrer dieser Auffassung sind — wenn ich einmal die Luxemburger Straße entlangfahre, werde ich von mehr als 100 Autos überholt. Die Erwartungshaltung im Straßenverkehr genötigt zu werden, ist mittlerweile so hoch, dass ich mir einen extrabreiten Fahrradkorb zugelegt habe, damit ich ein imposanteres Profil aufbiete. Viele Radler haben aber aufgegeben und fahren gleich auf dem Bürgersteig. Was dann die Fußgänger zu verständlichen Protesten antreibt.

Auch die Autofahrer sind zunehmend frustriert. Wenn ich als Kind mit unserem Familienauto unterwegs war, war das eine einfache Sache. Ich öffnete die Autotür und stieg ein. In meiner Kölner Nachbarschaft ist das allzu oft keine Option mehr. Die Kinder dürfen die Türen nicht selbst öffnen, da viel zu wenig Platz zum Nebenauto bleibt und sie Lackschäden verursachen würden, wenn die Tür ungehindert aufschwingt. Also muss Papa oder Mama Chauffeur spielen, und jedem Kind die Tür genau den richtigen Spalt offen halten. Oder sie parken aus, bleiben auf Gehweg oder Straße stehen und beginnen dann eine mehrminütige Verlade-Aktion. Ein neuer Verleihauto-Anbieter parkt neuerdings seine Wagen mit dicken Werbesprüchen in der Nachbarschaft: Man zahlt nicht mehr für den Stau, sondern nur für die gefahrene Strecke. Dass man staufrei zum Einkaufen fahren kann, scheint eine Erinnerung an ferne Zeiten.

Die kritische Masse

Ein Geländewagen alleine ist noch kein Problem. Eine Stadt muss schließlich auch für Lieferwagen, Busse oder LKWs befahrbar sein. Das Problem ist die kritische Masse an übergroßen PKWs, die in meiner Nachbarschaft inzwischen weit überschritten wurde. Was sollen wir also tun? Die Straßen im gleichen Ausmaß verbreitern wie die Autos? Das wäre sicher schön, doch wie soll das gehen? Reißen wir alle Häuser ab und bauen sie dreißig Zentimeter schmaler neu auf? Oder einigen wir uns auf Regeln, die SUVs auf ein verträgliches Maß reduzieren?

Ich habe Volkswirtschaft studiert. Ein Konzept, das wir damals als erstes lernten, war das der „externen Kosten“. Wer ein überbreites, überlanges und überhohes Autos kauft, verursacht wahrscheinlich viele Probleme für andere Verkehrsteilnehmer. Weit mehr Probleme, als durch die zusätzlichen Steuern und Gebühren abgedeckt sind. Um diesen Mißstand zu lösen, müsste man die externen Kosten internalisieren. Das macht jedoch niemand. Ein SUV ist für den Gesetzgeber trotz Klimapaket bis heute nichts prinzipiell anderes als ein Renault Twizy, der weniger als 1,20 Meter breit ist und kein Benzin tanken kann.

In den letzten Tagen sind mit immer wieder Tweets von Kollegen aufgefallen, die sich darüber echauffieren, dass SUV-Fahrern mittlerweile ab und zu die Meinung gesagt wird. Diskriminierung! Ein Auto, auf dem gar ein paar harmlose Sticker geklebt wurden, wird gar zum Schauplatz krimineller Sachbeschädigung.

Diese Dünnhäutigkeit ist wirklich bemerkenswert. Wenn man diese Maßstäbe anlegt, hätte man etwa Fortuna Köln vor Jahrzehnten als kriminelle Organisation verbieten müssen. Aber solche Vergleiche sind natürlich albern. Diese Dünnhäutigkeit ist Ausdruck eines Verteilungskampfes um den öffentlichen Raum. Wer mehr Blech hat, gewinnt. Dieser Grundsatz ist zwar nirgends aufgeschrieben, er gilt dennoch vielen als eine Grundfeste unserer Gesellschaft.

Nun. Wer die Augen ab und zu mal aufmacht, muss einsehen, dass es so nicht mehr geht. Nur wie finden wir einen neuen Kompromiss, wenn man nicht mal das Verhalten Einzelner öffentlich kritisieren und hinterfragen soll?

Fitz

Ihr kennt doch diese eine Krimi-Serie? Der Ermittler ist brillant, doch privat ist er ein Desaster. Er löst einen Mord nach dem anderen. Doch auf volle Anerkennung hat er keine Chance. Denn er hat Probleme mit Autorität, streitet sich mit dem Chef. Alleine schon seine Kleidung ist ein Affront. Aber gleichzeitig hat er eine Jobgarantie. Denn Mörder reiht sich an Mörder reiht sich an Mörder. Alle warten darauf, nur von ihm überführt zu werden.

„Cracker“ — oder „Für alle Fälle Fitz“ — vereint alle diese Klischees. Und dennoch: Sie ist genial. Versucht gar nicht erst, sie auf Netflix oder Amazon Prime zu finden. Denn es handelt sich um eine BBC-Serie, die im wesentlichen von 1993 bis 1995 ausgestrahlt wurde. 11 Folgen — mehr nicht. Die dauern dafür mehr als anderthalb Stunden. Jede Minute lohnt sich.

Fitz

Die Serie erzählt die Geschichte von Doktor Edward „Fitz“ Fitzgerald. Mitte 40, Trinker, Kettenraucher, Spielsüchtiger. Einst hatte er mal ein solides Mittelstandsleben beabsichtigt. Intellektuell bis zum Anschlag, eine wunderbare, starke Ehefrau und Partnerin. Zwei Kinder, ein Haus, ein Klavier. Und dennoch ist er gescheitert. In ewig zerknitterten Anzügen schleppt er sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob. Er ist fett geworden. Für seine Frau Judith ist die Ehe ein Martyrium.

DVD-Box Cracker

Als eine seiner Studentinnen ermordet wird, entdeckt Fitz eine neue Berufung. Er kann Mordfälle lösen, weil er sich wie niemand anders in andere Menschen hineinversetzen kann. Er erkundet ihre Lebensgeschichten, ihre Defekte, ihre intimesten Impulse. „Your are sick, Fitz“ – „Sick as the next man“. Die Ermittler einer Einheit der Polizei von Manchester entdecken sein Talent und engagieren ihn als Berater in schwierigen Fällen. Und davon gibt es plötzlich eine Menge.

Fitz

Gespielt wird Fitz von Rubeus Hagrid. Entschuldigung: Robbie Coltrane. Er verleiht der Rolle eine enorme Verve. Auf der einen Seite das Sherlock-Holmes-hafte und die Überzeugung, über den Dingen zu stehen. Gleichzeitig ist er jedoch zu hundert Prozent ‚in the flesh‘. Er liebt seine Frau, er liebt seine Kinder. Er braucht Geld, um seine Rechnungen zu bezahlen. Er verliebt sich in den neuen Job. Und in Detective Sergeant Penhaligon.

Fitz behandelt eine Menge Themen. Von Religion über Homosexualität bis hin zu Fußball-Fankultur. Rassismus. Die Rolle einer Frau in der Männerwelt. Depression und Liebe. Die britische Presse. Wichtiger finde ich jedoch, dass die Serie eine Wendezeit beschreibt. Der späte Thatcherismus unter John Major. Eine Gesellschaft, die mit Gewalt von einem ungerechten, aber bequemen System in dem sich lords über die peasants erheben, zu einem ungerechten, unbequemen System umgewandelt wird, in dem sich die Millionäre über die Habenichtse erheben. Da das Ganze in Manchester spielt, haben wir es nicht mit den Londoner Milliardären oder Politikern zu tun, sondern nur mit Arbeitern, Angestellten, Polizisten. Fitz dringt nicht mal auf die Ebene eines Stadtrats eines Provinzhauptstadt auf. Und dennoch rüttelt er an den Grundfesten der Gesellschaft.

Fitz

Frustration ist ein Haupt-Thema der Serie. In der Episode „To be a somebody“ spielt Robert Carlyle eine ganz andere Rolle als in „The Full Monty“. Die Szenerie ist nicht so verschieden: Eine sterbende Arbeiterklasse, die von der Globalisierung vergessen wurde. Doch statt einen Striptease zu organisieren, ermordet Carlyle als Albie Menschen. Mit dem Bajonett, das sein Vater als Kriegsandenken mitgebracht hat – als Erinnerung an das Empire, für das sich das Kämpfen lohnte. Albie mordet, weil der Frust einfach zu viel wurde. Weil er zwar das Hirn hatte, um etwas anderes zu machen, als in einer Fabrik Metall zu schweißen. Aber nicht die Gelegenheit.

Cracker schafft dabei, was viele andere Serien nicht schaffen. Der Antiheld darf durch die Gegend stapfen und kann die Welt nach seinem Bild verformen. Seine Schuld ist die Schuld der Welt. Und deshalb kann er den Mördern auf Augenhöhe begegnen. Doch trotz all der Bravado bleiben die Fanboys und Fangirls nicht von der Realität verschont. Fitz zerstört nicht nur sich, sondern auch sein Umfeld. Er ist toxisch. Aber er steht in einer toxischen Gesellschaft. Wer will entscheiden, ob er das Gift oder das Gegengift ist?

Fitz

Vermutlich wird sich niemand finden, der diese alte Serie von dem Makel befreit, von der FSK als „über 18“ eingestuft zu werden. Dabei ist sie wohl weniger schädlich für die Psyche ist als zwei Folgen von Two and a Half Men oder der Menschenverachtung eines Münster-Tatorts, der so tut, als sei Mord furchtbar lustig. Das DVD-Set gibt es als Sonderangebot mit den Anti-Piracy-Spots aus den 90ern. Wenn ihr die Gelegenheit habt, guckt Euch die Serie an.

Friends

Ich habe Friends spät entdeckt, aber es hat mich dann doch heftig erwischt. Ich gehöre zwar nicht zu denen, die eine persönliche Beziehung zu Monica oder Rachel aufgebaut haben. Aber ich habe mir viel zu viele Gedanken um die Serie gemacht. Ich habe sogar mal vor zehn Jahren auf diesem Blog eine Übersicht veröffentlicht, welcher der sechs Friends denn welche andere Friends geküsst hat.

Es war sozusagen meine Einsteiger-Sitcom. Ich hatte vorher zwar auch US-Serien gesehen — aber nur in furchtbarer deutscher Synchronisation. Mit Friends bot sich mir die Gelegenheit, das Genre kennenzulernen, ohne dass ich vor allzu schwere Aufgaben gestellt wurde. Babysteps. Sechs unglaublich attraktive Leute spielen ungefähr zwölf Archetypen. Der Schnitt ist sauber, der Wortschatz eingeschränkt, der Rhythmus perfekt. Die Serie war für mich eine Blaupause, wie ein Witz aufgebaut wird, wie Dialoge funktionieren, wie man Konflikte thematisiert. Kurzum: Das Handwerk der TV-Comedy.

Ich habe zwar alle Staffeln auf DVD, doch ich könnte sie heute kaum noch mit Genuss anschauen. Der Grund: Die Serie hat die Fähigkeit verloren, mich zu überraschen.

Irgendwann war ich auf YouTube zum Beispiel auf die Serie „Taxi“ gestoßen — eine Sitcom über einen Taxi-Betrieb in New York mit Judd Hirsch und einem damals noch unbekannten Danny DeVito in den Hauptrollen. Nach zwei oder drei Folgen stutzte ich. Unter den Taxifahrern war zum einen ein Amateur-Boxer – gespielt von Tony Danza — und ein erfolgloser Schauspieler. Beide Charaktere zusammen waren Joey. Ein Italiener mit dem Traum, das triste Arbeiterleben hinter sich zu lassen, aber ohne die Fähigkeit, im Showgeschäft tatsächlich zu navigieren. Und damit war Joey plötzlich kein originärer Charakter mehr, sondern nur noch eine Adaption eines bestehenden Themas. So hat fast jede Sitcom ihren eigenen Joey-Charakter.

Es gab viele solcher Momente. Mit der Zeit erfuhr ich immer mehr über New York City in den Neunzigern. Und Friends fühlte sich so an, als sei es nicht wirklich im West Village auf Manhattan gedreht worden, sondern etwa 4000 Kilometer entfernt. Was denn auch stimmt: Denn die Serie wurde wie viele populäre New York-Shows damals in L.A. gedreht. (Vor einem Live-Publikum.) Die Darsteller und Autoren mögen am Anfang noch einen gewissen Flair von der Ostküste mitgebracht haben. Aber wenn man die Subway einmal gegen ein Auto eingetauscht hat und in einer Wohnung ohne Mitbewohner lebt, verblasst die Erinnerung doch recht schnell. Heraus kommt ein Produkt, das für ein weltweites Publikum so attraktiv ist wie Aufback-Croissants, McDonald’s Cheeseburger oder California Rolls. Wenn man das Original nicht kennt, sind diese Dinge sicher super. Kennt man das Original, will man sie nicht mehr haben.

Es hat mich auch einige Zeit gekostet, wirklich jeden Witz in der Serie zu verstehen. Zum Beispiel die Folge, in der Alec Baldwin den Freund von Phoebe spielt, der alles zwanghaft toll findet. Dass Baldwin für seine Wutausbrüche bekannt ist, erfuhr ich erst später.

Wenn man dann auch noch fünf Folgen in zwei Stunden guckt anstatt nur eine neue Episode pro Woche, verschlimmern sich die Effekte einer Network-Sitcom deutlich. So kann man richtig zusehen, wie Joey immer dümmer geschrieben wird. Am Anfang war er ungebildet, aber nicht doof. So sieht er mit einem Blick, was zwischen Ross und Rachel vorgeht. Zum Abschluss der Serie ist er quasi nicht mehr fähig, als menschliches Wesen in der heutigen Gesellschaft zu funktionieren.

Zu Friends-Jubiläen haben viele Leute eine Obsession : Ist die Serie noch lustig? Und: könnte man sie heute immer noch so drehen, obwohl sie doch so wenig divers gewesen sei und so unsensibel mit LGTBX-Themen umgegangen ist? Die Antwort auf beide Fragen ist: Ja. Friends hat sich erstaunlich gut gehalten, da es nie hohe Gipfel des Humors erklommen hat. Man muss weder Shakespeare gelesen haben, noch ist ein enzyklopädisches Wissen von Taylor-Swift-Songtexten notwendig. Es sind einfache Storylines, die heute noch Alltag sind: Ich kann die Freundin meines besten Freundes nicht leiden — was nun? Meine Freunde haben viel mehr Geld als ich und ich fühle mich ausgeschlossen. Soll ich meinen Job lieblos machen oder riskiere ich alles für meine wahre Berufung?

Das Fehlen von nicht-weißen Charakteren ist sicherlich ein Mangel. Aber doch erheblich besser als einen schwulen, schwarzen Bruder zu erfinden, der vielleicht einmal pro Staffel hereinschneit, nur damit die Lücke nicht so auffällt. Wenn man es als Qualitätskriterium einer Sitcom ansieht, dass sie niemandem auf die Füße tritt und dann noch ins Gesicht lacht, dann war Friends auf alle Fälle besser als Two and a Half Men, besser als Two Broke Girls, besser als The Big Bang Theory.

Wenn ihr Friends kennt — guckt Euch etwas besseres an. Falls ihr Friends nicht kennt: Schaut mal rein. Es lohnt sich wirklich.

De-Platforming

Derzeit kursieren Screenshots, auf denen sich der bekannte Troll Milo bitterlich darüber beklagt, dass seine Followerschaft stark gesunken ist, nachdem er nach jahrelangen Provokationen von Plattformen wie Twitter gesperrt wurde.

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Lektion 1: De-Platforming wirkt. Obwohl die Hardcore-Fans wohl immer neue Apps herunterladen, um ihren Cheftrollen zu folgen, macht dies die Masse wohl nicht.

Lektion 2: Diese Leute verdienen es gelöscht zu werden. Auf dem dritten Screenshot ist zu sehen, wie sie die Errichtung einer „Underground railroad“ zu ihrem Vorteil errichten wollen. Für Leute, die sich kein bisschen mit US-Geschichte auskennen: Die Underground Railroad war ein System geheimer Stützpunkte, mit dem Sklaven befreit und vor ihren Ex-Eigentümern versteckt wurden. Diese Leute brauchen keine Follower, sie brauchen eine Therapie.

Lektion 3: Wollen wir wirklich die Firmen entscheiden lassen, wer von der Plattform zu fliegen hat, die Leute wie Milo erst groß gemacht haben und bis heute den Fehler nicht erkennen können?

Lektion 4: Sind wir wirklich so einfach zu beeinflussen, dass wir Leute, denen wir ein ganzes Weltbild aufgeben, wenn es denn mit zwei, drei Extra-Klicks und einen neuen Account voraussetzt? Oder: Ist der Troll der kleinste gemeinsame Nenner, den wir füttern, solange es uns bequem ist, dem aber so gut wie niemand wirklich nachtrauert?

Lektion 5: Was sind heute alles Plattformen? So gab es in den USA ja eine erbitterte Diskussion, ob man Milo von Auftritten an Universitäten abhalten kann. An meiner Universität hätte sich die Frage nie gestellt. Die wenigen Vorträge, die wir freiwillig aufsuchen konnten wurden von Leuten mit Professoren- oder zumindest Doktor-Titeln gehalten. Und selbst zu diesen Anlässen musste die Veranstalter enorm nervös sein, dass ihnen ein Haustechniker den Strom abstellt oder ein Hausmeister die Veranstaltung beendet, weil irgendwer in der Verwaltung vergessen hatte, einen Sonderdienst einzuteilen.

Lektion 6: Was ist nur mit Trollen passiert? Als ich einst auf der ersten oder zweiten re:publica einen Vortrag über das Trollen gehalten habe, war die Dynamik noch eine vollkommen andere: Hobbybesserwisser machten Späße für eine enge Zielgruppe. Die toxische Wirkung für Communities wurde uns später erst bewusst. Wenn Trollen jedoch zum Broterwerb und zum Millionengeschäft wird, an dem sich auch Buchverlage beteiligen, dann versagen die sozialen Mechanismen von damals.

Das Geheimnis meines Apartments

New York City. Ein junger, fitter und ehrgeiziger Angestellter tritt seine Stelle in der Firmenzentrale eines gesichtslosen Konzerns an. Seine Träume werden schnell von der Realität zermalmt: Fleiß und Intelligenz alleine reichen nicht aus für den unaufhaltsamen Aufstieg, das Penthaus, den Respekt der Gesellschaft. Bei näherer Betrachtung sind die Oberen ohnehin alle nicht so brilliant oder gar fleißig.

Plötzlich drängt sich die Erkenntnis auf: Viel erfolgversprechender ist es, wenn man sich durch die Bettgeschichten der Großkopferten einen Vorteil verschafft und damit zumindest bescheidenen Luxus erkämpft. Also steigt unser junger Mann ein in das Spiel der Verlogenheit, und schon bald führt er ein Doppelleben. Bis er sich verliebt und plötzlich scheint sich alles zu lohnen. Es geht aufwärts. Doch irgendwann muss er erkennen: Auch seine Angebetete ist Teil des Spiels um Sex, Macht und Geld. Und in ihm zerbricht eine Welt.

Ich habe nun endlich mal „Das Geheimnis meines Erfolges“ mit dem noch jungen Michael J. Fox gesehen. Und diese RomCom von 1987 ist in gewisser Weise ein Remake der Billy Wilder-Komödie „The Apartment“ von 1960 mit Jack Lemon. Der oben beschriebene Plot oben ist identisch — nur alles andere ist anders.

Wie die gleichen Themen mit einem Abstand von einer Generation behandelt werden, ist aus meiner Sicht immer wieder spannend. Offensichtlich ist es in diesem Fall etwa in der Behandlung des Thema Sex, das 1987 nur noch als „Boom Boom“-Witz existiert. Bei „Das Geheimnis meines Erfolgs“ ist der Höhepunkt Slapstick-Nummer der Marke Benny Hill, wo jeder in die Betten eines anderen kriechen will. Aus heutiger Sicht ist das allenfalls entfernt lustig. Ein Mann, der mit verstellter Stimmer unter der Bettdecke herausruft, dass er grade keinen Sex will und der liebestolle andere Mann kommt trotzdem ins Bett – ist das Humor, Satire oder schlicht eine Grotske?

Billy Wilder war alles andere als subtil — aber in „Das Apartment“ konnte Shirley MacLaine noch die Geschichte aus der Sicht ihres Charakters erklären. Helen Slater als Partnerin in Michael J. Fox bekommt nur eine Fahrstuhlfahrt und ein dämliches Happy End.

Interessant ist auch das Gesellschaftsbild: Während 1960 noch ein Konzern-Kapitalismus als krankes System beschrieben wird, das man hinter sich lassen muss um intakt zu bleiben, ist das gleiche System eine Generation später noch viel kranker: Die Chefs sind dämlicher, die Angestellten unterwürfiger, die Fassaden gläserner. Aber der Film sagt: Fuck it — wenn die richtigen Leute gewinnen, macht es richtig Spaß: Limousinen, Champagner und Abende in der Oper.

Ich kann ehrlich nicht sagen, welcher Film seiner Zeit ein schlechteres Zeugnis ausstellt. Nur: Schaut „Das Apartment“.

Gesellige Ideen

Eins meiner ersten Lieblings-Podcasts war NPR Planet Money — ein ambitionierter Versuch, unser Wirtschaftssystem im Anbetracht der Weltfinanzkrise von 2008 neu zu erklären. Mir gefiel, wie die Sendung in der Regel unhinterfragte Annahmen des Wirtschaftslebens doch hinterfragte und so einerseits die Mängel des amerikanischen Finanzwesens aufdeckte, aber dabei auch Dinge erklärte, die tatsächlich Sinn machen.

Ich habe schon länger nicht mehr reingehört, bin vor kurzem aber auf dieses Stück gestoßen: The ‚Strange, Unduly Neglected Prophet‘. es geht um Silvio Gesell, dem Gründungsvater der Freiwirtschaftslehre, der ich mich 2008 schon mal an dieser Stelle gewidmet hatte.

Der Anlass ist klar: Da derzeit Negativzinsen nicht mehr nur ein theoretisches Konstrukt, sondern mittlerweile eine Realität für Sparer sind, kann man sich fragen: A) Wer kam schon mal auf eine solche Idee und B) was können wir von ihnen lernen. Die Antwort auf Frage A) ist: Silvio Gesell kam tatsächlich mit der Idee eines Schwundgeldes auf, das stetig an Wert verlieren und somit den wachstumsbringenden Geldwirtschaftskreislauf beschleunigen sollte. Die Antwort auf Frage B: Wir können absolut nichts von Silvio Gesell lernen.

Planet Money hat das nicht erkannt und hat eine lobhudelnde und lückenhafte Schaffensgeschichte zusammengetragen:

Gesell wanted to create a new kind of money — a money that would „rot like potatoes“ and „rust like iron“ so no one would want to hoard it, a money that was „an instrument of exchange and nothing else.“ And the crazy part is that he did create it. Through a series of pamphlets, articles and books, Gesell inspired a worldwide movement that introduced a completely new form of money. It’s one of the most fascinating, and largely forgotten, stories in economic history.

[…]

In 1919, anarchist revolutionaries in Munich, Germany, took the helm of the short-lived Bavarian Republic, and they persuaded Gesell to become their finance minister. Led by pacifist poets and playwrights, it has been called „one of the strangest governments in the history of any country.“ Gesell began pursuing a program that included land reform, a basic income for women with children and, of course, stamped money. But the job lasted less than a week — ending after another group of revolutionaries, this time led by hard-line communists, overthrew the anarchist poets and playwrights. A year later, after the German government reasserted control, Gesell was tried for treason. But, successfully arguing that his only role and purpose was to rescue the Bavarian economy, he was acquitted after a one-day trial and went back to writing.

Was nicht erwähnt wird. Gesells Ideen, die zum Beispiel eine Unterscheidung vom „raffenden“ und „schaffenden Kapital“ vorsahen, fanden Anhänger in vielen Lagern. Unter anderem Adolf Hitler. Das ist auch der Grund, warum sich einige Punkte des 25-Punkte-Programms der jungen NSDAP so lesen, als seien sie direkt aus Gesells Schriften abgeschrieben worden.

Ich hatte mir mal vor über zehn Jahren die Arbeit gemacht in der Universitätsbibliothek die wenigen vorhandenen Schriften von Silvio Gesell im Volltext anzusehen. Und ich kam zum Ergebnis: Nicht nur ist es kein Zufall, dass die Nazis Silvio Gesells Ideen so mochten. Er lag auch mit so ziemlich allem falsch.

Kein Wunder in Wörgl

Zu seiner Ehrenrettung: Eine systematische Volkswirtschaftslehre gab es damals nicht. Leute wie John Maynard Keynes mussten ihre Ideen anhand einer unüberschaubaren Realität entwickeln und riskierten dabei nicht nur falsch zu liegen, sondern auch alles zu verlieren. Silvio Gesell lag mit einem richtig: Das damals existierende Geldsystem klappte nicht. Er konnte aber nie ergründen, woran dieses Nicht-Funktionieren genau gelegen hat. Und auch in der Weltwirtschaftkrise konnte er nicht mehr tun, als das festzustellen, was nun jedem offenbar wurde: Es gab eine Weltwirtschaftskrise.

Das berühmte „Wunder von Wörgl“, bei dem angeblich Gesells Ideen vermeintlich getestet wurden, war keines. Weder war das Ergebnis ein Wunder, noch gab es tatsächlich belastbare Ergebnisse. Eher die Ausprägung eines Cargo-Kultes. In einer akuten Krisenlage wurde etwas Verzweifeltes versucht. Es klappte kurzzeitig, bevor es dann plötzlich nicht mehr klappte. Und seit 90 Jahren hat nie wieder jemand wirklich versucht, ein solches Experiment nachzubauen. Es gab zwar Regiogelder – die erreichten jedoch nicht mal den Umfang von Payback-Punkten und konnten daher keinerlei Währungseffekte entwickeln.

Einer der Punkte, an dem Silvio Gesell so falsch lag: Er betrachtete den Grund und Boden als einzige relevante Ressource. Der einen Seite mag es sympathisch sein, dass er deswegen zu einer Grundreform aufrief. Der anderen Seite war etwas anderes sympathisch: Wenn Grund die einzige relevante Ressource ist, ist ein Eroberungsfeldzug im Osten ja nur Ausdruck des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts. Was heute jeder Seite klar sein müsste: Eine Wirtschaftstheorie, die sich darauf stützt, dass Grund die einzige relevante Ressource ist, kann weder die Realität von heute oder gestern erklären, noch einen Blick nach vorne erlauben.

So war es Gesells ultimative Idee, den Geldumlauf zu erhöhen. Heute jedoch kursieren jedoch bereits Billionen Dollar in unglaublichem Tempo um den Globus, was dann auch zur Weltfinanzkrise führte. Und teils wahnsinnigen Immobilienpreisen. Und dem scheinbar grenzenlosen Kapitalnachschub für Uber. Vielleicht würde Gesell bei der Analyse der heutigen Situation das Gegenteil vorschlagen. Wir können ihn nicht mehr fragen.

Ein Exot, kein Prophet

Insofern: Silvio Gesell war ein Exot. In einer unübersichtlichen Zeit hat er sich daran gemacht, Zusammenhänge zu verstehen und die Welt zum Besseren zu verändern. Der Versuch mag verdienstvoll gewesen sein — er ist jedoch gescheitert.

Und selbst wenn man nochmal ein Währungssystem konstruieren will, das auf Negativ-Zinsen oder Schwund basieren sollte, wäre es an der Zeit, die Schriften von Silvio Gesell zu vergessen. Denn er lebte in einer Zeit, an der die Währungen noch an den Goldwert der Reserven königlicher und kaiserlicher Banken gebunden war. Er kann kein Wegweiser mehr sein in einer Zeit, in der Geld bereits mehrfach neu erfunden wurde und die Probleme, die es damals gab, tatsächlich gelöst wurden. Mn könnte auch sagen: Die alten Probleme wurden durch neue Probleme ersetzt. Diese neuen Probleme jedoch benötigen neue Propheten, neue Ideen und neue handfeste Experimente.