Pseudonyme sind nicht Anonyme

Anfang Juli hab ich an dieser Stelle geschrieben, dass Anonymität per se keine Voraussetzung für eine Kontrolle von unten ist. Ich schrieb, dass es zwar immer wieder gute Gründe dafür gibt, seine Identität zu verbergen, aber dass dies auch eindeutig Nachteile hat.

Nun hat sich der Gründer von Vroniplag per Spiegel online geoutet:

Heidingsfelder: In der vergangenen Woche hat es in verschiedenen Internetforen Einträge gegeben, in denen mein richtiger Name stand. Ich weiß nicht, wer das veröffentlicht hat oder wieso, aber ich habe mich sehr erschrocken. Dann habe ich am Mittwoch einen Anruf von einem Reporter bekommen.

SPIEGEL ONLINE: Von welcher Zeitung?

Heidingsfelder: Von einer deutschen Boulevardzeitung. Der Reporter hat mich gefragt, ob ich Goalgetter bin, ich habe auf die Frage nicht geantwortet, aber ich habe Sorge, dass die Zeitung mich outet. Ich will das selbst in die Hand nehmen.

Es mag eine Binsenweisheit sein, aber hier deshalb nochmal ausdrücklich: Pseudonyme funktionieren nicht. Genauer: es mag einige wenige Leute Leute geben, die unter schwierigen Bedingungen per Pseudonym über Jahre verborgen bleiben. Und es gibt sicher Millionen von Pseudonym-Nutzern, für deren Identität sich niemand wirklich interessiert.

Wenn es jedoch hart auf hart kommt, können die wenigsten Menschen ihre Spuren restlos tilgen. Sei es aus mangelnder technischer Kompetenz, Ego-Gründen, Zufall oder wegen politischer Manöver der Gegner. Und wenn der Damm einmal gebrochen ist, kann man ihn nicht mehr aufbauen.

Warum hat sich Martin Heidingsfelder verborgen?

Heidingsfelder: Bei VroniPlag geht es nicht um den Einzelnen, sondern um die Leistung des Schwarms. Es spielt keine Rolle, was ich im richtigen Leben bin, Professor, Doktor, Student oder Kaufmann.

Nun: wenn es keine Rolle spielt, dann kann man seine Identität auch zeigen. Ich selbst gebe auch nicht überall im Netz meinen vollen Namen an, allerdings unternehme ich keine Anstrengungen meine Identität künstlich zu verschleiern. Ich sehe einfach zu oft, wie das gründlich schief geht. Das Internet vergisst zwar viel, aber die peinlichsten Aktionen landen ganz oben auf der Liste von Dingen, die bei Google auch nach Jahren ganz oben zu finden sind.

Einen möglichen Grund neben der Keine-Rolle-wer-Platitüde liefert Google schon auf der ersten Seite: Martin Heidingsfelder zusammen mit Andrea Nahles, während er ihr „Angela, nein danke“-Aufkleber überreicht. Natürlich wird jetzt die Frage nach der politischen Motivation von Heidingsfelder aufkommen. Und natürlich werden ihm viele nicht glauben, dass die Parteizugehörigkeit der enthüllten Plagiat-Doktoren keine Rolle spielte.

SEO: fake, steal and borrow

Ich hab mich mal in einem Porno-Webmaster-Forum umgesehen, um zu sehen wie die Leute ticken, die mit ewig gleichen schmierigen Filmchen ihren Lebensunterhalt verdienen, mit 0190-Dialern und Spam-Werbung viele User verarschten. Ich habe Expeditionen in Haustierforen unternommen und in einem Kochforum gelernt, dass „MGG“ für „Mein Götter-Gatte“ steht. Das Ergebnis: Irgendwie ticken alle Menschen gleich. Wenn sich auch die Terminologie ändert, die wesentlichen Zusammenhänge, der Umgang miteinander ist ähnlich.

Doch in manchen Milieus kann ich nicht heimisch werden. Ich verstehe die Leute nicht, ihre Denkweise, selbst mein Ironiedetektor versagt hoffnungslos. Eins dieser Milleus sind die SEO, die Search engine optimizer. So ehrenvoll das Ziel ist, den vielen Internetnutzern möglichst viele relevante Informationen an die Hand zu geben — nur wenige SEO-Werktätige scheinen das tatsächlich im Blick zu haben. So fiel mir heute ein Beitrag auf der Website WebmasterFormat auf, der sich mit der Wikipedia beschäftigt. Beziehungsweise mit der Bekämpfung der Wikipedia.

Es ist wahr: Google liebt Wikipedia-Artikel und manchmal werden Wikipedia-Seiten ganz an den Anfang der Google-Suche gespült, die nun wirklich keinen Mehrwert für den Nutzer bringen. Aber das ist nicht das, was den Autor Jason Capshaw aufregt. Was an der Wikipedia nicht stimmt: sie steht bei Google vor den Seiten, die er gegen Geld nach oben bringen will. Und das ist etwas, was unbedingt verhindert werden muss.

Dass sich Jason Capshaw einen Dreck um den Nutzer schert, offenbart er in seiner Anleitung. Zunächst will er den Wikipedia-Artikel etwas weniger beliebt erscheinen lassen:

Began removing the internal Wikipedia links pointing to the wiki page you want to jump. Do this slowly over time. It is best to point the link to another Wikipedia page so that the editorial staff doesn’t simply replace the link.

Mit einem verbogenen moralischen Kompass mag das noch angehen. Wikipedia profitiert unfair von ihrer Struktur, die so passgenau auf die Google-Algorithmen passt. Also stellen wir wieder fairen Wettbewerb her. Das wäre zumindest ein Gedanke, den man nachvollziehen könnte. Doch weit gefehlt: an fairem Wettbewerb ist Capshaw So wenig interessiert wie am Internet-Nutzer.

10. Go to the Wikipedia page and create some random content that is clearly not factual on the Wikipedia page
11. Take a screenshot of the content change and remove the bogus information from Wikipedia
12. Visit open site explorer again and look at all of the external links pointing to the Wikipedia page and export them to a spreadsheet
13. Go to each link pointing at the Wikipedia page and send them an email detailing the error of the Wikipedia page with the attached screenshot as proof. Describe how important it is that their readers get reliable information and offer your authoritative page as an alternative. Instruct them they should change their link immediately to point to your page. It is best to grab the email address from WhoIs of the Webmasters who own the site in order to get the best results.

Auf Deutsch: Capshaw empfiehlt Fehlinformationen in Wikipedia einzustellen, davon Screenshots zu machen und diese dann an Leute zu schicken, die den störenden Wikipedia-Artikel verlinken. Er verfälscht nicht nur aus purem Profitdenken eine gemeinnützige Wissenssammlung, er betrügt auch ohne jedes schlechte Gewissen Menschen, die ihren Nutzern ein paar gute Informationen zukommen lassen wollen. Dass Spam und Fake-Seiten zu seinem üblichen Repertoire gehören, wundert nicht.

Mit dem Blackhat und der Sonnenbrille im Artikel will Herr SEO Capshaw wohl sagen, er sei gewitzter und geschäftstüchtiger als all die Suchmaschinen-Lemminge da draußen. Das stimmt nicht. Er ist nur ein größeres Arschloch als die meisten.

Ein Streiter für das Netz ist von uns gegangen

Eine sehr schlechte Nachricht hat mich soeben erreicht: Jörg-Olaf Schäfers ist tot.

Es fällt mir schwer die richtigen Worte zu finden. Sein Tod ist ein persönlicher Verlust und ein kaum zu schätzender Verlust für die deutsche Netzszene. Mit seinem unermüdlichen Engagement hat er den Weg für viele Entwicklungen bereitet, die in Artikeln immer wieder als Errungenschaften des Netzes gefeiert werden, als unvermeidliche Folgen des Medienwandels.

Doch die Wahrheit ist immer eine andere. Hinter den Kämpfen um Netzzensur, um vernünftige Sicherheitsmaßnahmen, um ein Stückchen Vernunft im alltäglichen Wahnsinn stecken Leute wie Jörg-Olaf. Wenn er ein Ziel auserkoren hatte, war er durch fast nichts zu stoppen. Er sammelte Informationen, dokumentierte und rief zur Aktivität auf. Doch so aktiv wie er konnte kaum jemand anderes sein. Er beließ es nicht dabei, sich lauthals zu beschweren und Verschwörung zu rufen, sondern arbeitete sich in komplizierte Materie ein, sichtete Sitzungsprotokolle, telefonierte mit Verantwortlichen und warb für seine Ziele. Für unsere Ziele. Mit unbändiger Energie hat er sich in den Kampf geworfen, gestritten und blieb doch immer wieder seine Idealen treu. Wer kann das noch von sich behaupten?

Wie lange wir uns kannten – ich weiß nicht mehr. In meiner Ecke des Netzes war er schon vor 10 Jahren nicht zu übersehen – damals noch oft unter seinem Kürzel „ix“. Ich sah ihn auf Mailinglisten, in Foren, im IRC. Wir sprachen über den WDR-Computerclub, über Politik, lästerten über Usenet-Zeiten und die gleichen dummen Sprechblasen, die wir von alten und neuen Politikern hörten. Irgendwann trafen wir uns auf der Verleihung des Big Brother-Awards in Bielefeld. Und trafen uns danach so einmal alle ein bis zwei Jahre. Aber immer war ein Chat-Fenster auf, in dem wir uns austauschen konnten. Ihn konnte ich immer um Rat fragen und wurde ernst genommen.

Es bleibt an dieser Stelle nur eins zu sagen: Jörg-Olaf, danke Dir für alles.

Abendgebet norwegischer Kinder

Lieber Gott,

wenn mich ein verrückter Extremist erschießt, lass es bitte nicht umsonst gewesen sein. Ich will, dass mir wenigstens auf der Titelseite eines Schmutzblatts 1000 Kilometer von meiner Heimat, meinem Grab entfernt gedacht wird. Schließlich können die tapferen Journalisten nicht unbegrenzt den blonden Teufel, den Teufels-Killer auf die Seite 1 drucken. Und bitte belästige meine Eltern nicht. Ich hab ja die passenden Fotos auf Facebook hochgeladen.

Amen.

Presseinformation des Presserats vom 22. Mai 2009:

Den hier festgehaltenen besonderen Begleitumständen der Tat von Winnenden hat der Presserat in einigen Fällen jedoch Rechnung getragen. So zeigten mehrere Zeitungen und Zeitschriften Bildergalerien der Opfer, vorwiegend als Porträtbilder. Der dezente Umgang in diesen Bildergalerien ohne sensationelle Aufmachung und unangemessene Formulierungen, sondern lediglich mit dem Hinweis, dass es sich im Folgenden um die Opfer des Amoklaufs handelt, hält der Presserat für mit dem Pressekodex vereinbar.

Andererseits hat der Presserat Fälle sanktioniert, bei denen Fotos und Namen der Opfer lediglich zur Illustration einer Geschichte benutzt wurden. Hier haben Redaktionen Opferfotos als sensationelles Element zweckentfremdet, um auf die Story aufmerksam zu machen. Der jeweilige Kontext der Verwendung war für den Ausschuss hier ausschlaggebend. Als Symbolfoto können Opferfotos nicht benutzt werden.
[…]
Generell stellt der Presserat fest, dass das Mediennutzungsverhalten der Gesellschaft sich durch das Internet sehr gewandelt hat. Visualisierung ist wichtiger geworden, der Umgang der Menschen mit eigenen Daten wie Fotos etc. hat sich stark verändert. Dies hat auch Folgen für die Art der Berichterstattung und die Spruchpraxis des Presserats.

Warum der Internet-Alarmknopf dämlich ist

Es gibt Momente, da rollen sich die Zehennägel. Heute hatte ich zwei davon. Über den einen habe ich schon geschrieben, der zweite ereignete sich zur Tagesschau. Denn tatsächlich hat es der Bund der Kriminalbeamten geschafft, seinen uralten Vorschlag eines Internetalarmknopfes mit Oslo zu verbinden und damit ist die Hauptnachrichtensendung zu kommen.

Sehen wir uns den Vorschlag kurz an:

Wer im Internet rechtsradikale Inhalte, islamistisches Gedankengut oder Hinweise auf einen Amoklauf entdecke, müsse die Seite einfrieren und an eine Alarmzentrale weiterleiten können, sagte der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Klaus Jansen, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Ein in Echtzeit übermittelter Notruf im Netz sei schneller und effektiver als ein Anruf bei der örtlichen Dienststelle, die damit unter Umständen wenig anzufangen wisse.

Der kurze Draht zur Notrufzentrale lasse sich ohne viel Aufwand mit einer datenschutzrechtlich geprüften Software auf dem eigenen Rechner installieren, erklärte Jansen. Eingehen solle der Netzalarm „bei einer nationalen Zentrale, die rund um die Uhr mit speziell geschulten Polizisten, Soziologen oder Psychologen besetzt ist“.

Warum finde ich das so dämlich? Beweissicherung und schnelle Weiterleitung an Fachleute ist doch sicher richtig, nicht?

NEIN!

Einige der Gründe:

  • Eine datenschutzrechtlich geprüfte Software? Das soll wohl bedeuten, dass die Menschen, die auf den Alarmbutton klicken nichts zu befürchten haben. Das ist jedoch reiner Blödsinn. Denn natürlich fallen bei einer solchen Software Daten an, mit denen der Absender ermittelt werden kann. Das ist schlichtweg nicht zu vermeiden — erst recht nicht, wenn man die Bilanz staatlicher IT-Projekte der letzten Jahre ansieht. Und zweitens macht man sich mit der Erstellung von Kopien bestimmter Inhalte — wie die immer wieder zitierte Kinderpornografie — strafbar. Der Polizei bleibt nichts andere übrig als in ernsten Fällen den Tippgeber zu ermitteln. Die vermeintliche Anonymität gilt also nur, solange sich niemand für die Identität interessiert.
  • Der vermeintliche Datenschutz hat auch einen anderen Hintergrund. Es sollen natürlich nicht nur Straftaten gemeldet werden, sondern abweichendes Verhalten, Anzeichen, Verdachtsmomente. Polizisten, die Informationen über per se nicht-strafbares Verhalten sammeln — das ist keine gute Idee.
  • Was soll man denn da klicken? Der Attentäter von Oslo hat ganz kurz vor der Tat ein Manifest verschickt, das zum großen Teil aus den Beiträgen von Rechtspopulisten bestand. Was hätte ein Psychologe daraus machen sollen? Hätte er auf Seite 647 angelangt die Schlussfolgerung gezogen: das ist ernst, wir müssen handeln! — es wäre zu spät gewesen. Vor allem: was soll er in der Cyber-Zentrale irgendwo im Bundesgebiet tun? Im Erfolgsfall kann die Polizei später aus einer Million Hinweisen den heraussuchen, der dann doch ernst genommen werden musste.
  • Eine Zentrale kann keine Kompetenz in der Fläche ersetzen. Wenn die örtliche Polizei nicht mit URLs umgehen kann, ist das ein Fehler, der dort angegangen werden muss. Wenn Beamten kein Internetanschluss zur Verfügung steht, ist die Lösung nicht, dass man sie umgeht. Man muss ihnen Rechner und Kompetenzen geben. Man stelle sich vor, das Wirtschaftsdezernat könnte noch nicht mit Euro umgehen oder würde Ermittlungen einstellen, weil ein Beamter nicht weiß, wie ein Schweizer Franken aussieht. Es spricht nichts dagegen, einen Bürger an ein Fachkommissariat weiterzuleiten. Aber ihn auf eine obskure Internet-Zentrale umzuleiten, ist nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich — es ist dumm. Denn natürlich fehlt der Berliner Zentrale das lokale Wissen, um die Hinweise wirkungsvoll zu bearbeiten.
  • Es gibt sooooo viel Bullshit, Verrückte, Verzweifelte, Arschlöcher. Wenn ich jedem hinterher recherchieren würde, der sich bei mir oder den Redaktionen, für die ich arbeite, meldet — ich könnte nichts anderes mehr tun. Ein Browser-Button, den jeder bedienen kann — was da ankommt, dürfte ein Sittengemälde der düstersten Art sein. Viele Menschen können einen andere Meinung nicht von einer Straftat unterscheiden. Und Hass alleine ist keine Straftat.
  • Ein Screenshot hat keinerlei Beweiskraft. Ein Browserfenster zu erzeugen, in dem Klaus Jansen einen Selbstmordanschlag mit Erdhörchen-Bomben ankündigt, kostet mich keine zwei Minuten. Zudem: Es mag sich noch nicht überall herumgesprochen haben: Aber das Internet ist nicht durchweg identisch mit einem Browser-Fenster. Ich hab auch Mal eine Selbstmorddrohung im IRC erhalten.
  • Zum 100. Geburtstag von McLuhan schallt zwar der Satz „The medium is the message“ von allen Häuserwänden — aber wieso sollte ich eine Bedrohung anders behandeln, je nachdem ob ich sie in der Kneipe, im Schützenverein, per Telefon oder auf Facebook gelesen habe. Wenn nicht Mal die Mülltrennung vernünftig funktioniert — woher nehmen die Kriminalbeamten die Hoffnung, dass Anzeigen per Medium sortiert werden können und schließlich im Staatsapparat wieder korrekt zusammengeführt werden?

Von Hitlerjungen und Untermenschen

Grammatikalisch gesehen mag es den Superlativ „dämlichst“ geben – in der Realität kann man ihn jedoch nicht anwenden. Denn egal wie dämlich jemand sein mag, er wird immer jemanden anziehen, der sich noch etwas dämlicher äußert.

Ein Beispiel: Glenn Beck, der abgefeimte und selbstverliebte Demagoge — oder morderner: media personality — hat seiner Enttäuschung über den nicht-islamistischen Hintergrund des Attentäters von Oslo mit einem dämlichen, menschenverachtenden, zehennägelaufrollenden Kommentar Luft gemacht. Er verglich die Opfer kurzerhand mit der Hitlerjugend.

There was a shooting at a political camp, which sounds a little like, you know, the Hitler Youth or whatever. I mean, who does a camp for kids that’s all about politics? Disturbing.

Wie absurd und himmelschreiend dämlich das ist, kann man erst goutieren, wenn man weiß, dass Beck selbst mit seinen Freunden von der Tea Party Sommercamps für Achtjährige veranstaltet, in dem die politischen Standpunkte dieser Gruppe vermittelt werden.

Aber dennoch ist es nicht der größte Auswuchs an Dämlichkeit. Denn unter einem Artikel zum Thema äußerte ein vermeintlicher Beck-Kritiker dieses:

Beck is sub-human… the fact that anyone listens to this man is beyond me… I am disgusted by my neighbours to the south right now…

(Ich muss hoffentlich nicht betonen, wie dämlich es ist, Glenn Beck gerade im Hinblick auf einen Nazi-Vergleich als „Untermensch“ zu bezeichnen…)

Islamophobe bomben alleine

Der „Standard“ schildert, wie die Ungewissheit nach den Anschlägen von Oslo in ein islamophobes Spekulieren ausartete:

Im Journalistenalltag entzieht man sich nicht leicht solchen Mechanismen: alle melden, dass es so ist, also muss nachgezogen werden. Die internationalpolitische Redaktion von derStandard.at entschließt sich, zu warten: die norwegischen Behörden und niemand anderer soll sagen, was Sache ist.

Dass es viel Material zu Spekulieren gab, war unter anderem der Nachrichtenagentur Reuters zu verdanken. Die sandte kurz nach dem Bekanntwerden der Anschläge diese Meldung heraus:

Norway attack: Likely suspected groups

(Reuters) – A massive bomb shattered Norway’s main government building in Oslo Friday, killing two people, police were quoted as saying by local news agency NTB.

There was no claim of responsibility, though NATO member Norway has been the target of threats, if not bombs, before, notably over its involvement in conflicts in Afghanistan and Libya. Prime Minister Jens Stoltenberg was safe, NTB said.

Here are details of some of the Islamist militant groups with a record of links to plots in Europe.

Insgesamt sechs islamistische Gruppen wurden aufgezählt – ohne jeden Bezug zu Norwegen. Die Meldung ist inzwischen gelöscht.

Diese Haltung zeigte sich dann auch in der Berichterstattung vieler deutscher Medien. So erfuhr ich in der 20-Uhr-Tagesschau, dass „vieles“ für einen islamistischen Hintergrund spreche, nur eine Bestätigung fehle noch. Dabei hatten die norwegische Polizei und Regierung solche Mutmaßungen zurückgewiesen, die überall zitierten Terrordrohungen waren alles andere als konkret, der Tatablauf untypisch. Aber Terror und Islamismus — das passt prima zusammen. Oder sollten wir es eine traurige Routine nennen, die sich bei vergangenen Bomben-Anschlägen mit vielen Opfern eingebürgert hat?

Zum Beispiel brachte Welt.de die vermeintliche Verknüpfung gestern am späten Abend so auf die Titelseite:

„Die Gefahr geht vom politischen Islam aus“ – dahinter steckt dieser Kommentar vom 4. März, in dem unter anderem der Begriff „Islamophobie“ als Kampfbegriff des politischen Islames ausgemacht wird:

Liberale „Islamkritiker“ werden in deutschen Feuilletons als „Panikmacher“ denunziert und pauschal mit populistischen rechtsextremen Fremdenfeinden in Verbindung gebracht. Dies erinnert an die Art, wie Linke und Linksliberale in den 70er- und 80er-Jahren den Begriff „Antikommunismus“ in eine Stigmatisierungsvokabel umgemünzt haben.

Dass sich der Wind gedreht hat, hat Welt.de auch mitbekommen. Ein aktueller Artikel beginnt so:

Dass es ein Einzeltäter war, ist bisher keineswegs erwiesen. Die zuständigen Polizeibehörden haben auf den Pressekonferenzen, die eben auf BBC World live übertragen wurden, nichts dergleichen gesagt. Stattdessen wurde ein Polizeichef gefragt, ob er denn nicht überrascht sei, dass hinter den Anschlägen offenkundig keine Islamisten steckten.

Fazit: Die Islamisten bomben für den politischen Islam, die Anti-Islamisten bomben alleine.

Oslo-Spammer

Das besondere Arschloch des Tages ist für mich der Spammer, der hinter den Twitter-Accounts @Tiaraaic, @Leilaknd, @Kyokowym und @Myrlrq steckt. Kaum war die Nachricht von der Explosion in Oslo verbreitet, fing die Spam-Maschinerie an, das für sich auszunutzen:

Die URL führt auf eine Fake-Seite mit der Domain shockingvideos.tv, die angeblich ein Überwachungsvideo abspielen, sobald man auf den „Share“-Knopf geklickt hat. Das ist natürlich ein Trick um sich Facebook-Daten anzueignen.

Wie viel verdient man mit so einer Aktion? 20 Dollar? Ist es das wirklich wert?

Update: Ich hatte die Spammer auch an den Twitter-Support gemeldet. Nach zwei Tagen bekam ich folgende Antwort.

Friendly reminder: your request ‚Oslo spammers‘ is pending and we are waiting for a response from you in order to proceed. Once you reply with the information we need, we can continue assisting you.

If your issue is resolved, just ignore this email, and your request will be closed automatically. If your issue is NOT resolved, please respond to this email within the next 4 days and let us know. If you do not respond in 4 days, the ticket will be automatically closed in our system (we get a lot of tickets and need to keep things tidy).

Einen Tag später wurden die Accounts gelöscht.