Autovergleiche haben immer Vorfahrt

Wie beschreibt man kurz und knackig eine hochkomplexe juristische Auseinandersetzung um Staatssouveränität, Demokratie und Wirtschaftspolitik? Tagesschau.de macht es so:

Ich warte unterdessen darauf, dass aus dem „Euro-Rettungsschirm“ eine „Schulden-Handbremse“ wird.

IFA-Fazit

Wenn der Fernseher „smart“ ist, muss es der Zuschauer nicht sein. Vom Programm reden wir lieber erst gar nicht.

No-tel

Wie macht man aus einem Hotel ein No-Tel?

14,50 Euro? Pro Stunde? Nur im öffentlichen Bereich?

Ich bin ihr Kandidat

Hallo,

Sie kennen mich vielleicht nicht. Aber ich bin ihr Kandidat. Während ganz Deutschland Über die Merkels, Westerwelles und Künasts spricht, können Sie in Wahrheit nur mich wählen. Wissen Sie überhaupt, wer in Ihrem Wahlkreis kandidiert? Die Straßen hängen voll mit unseren Gesichtern.

Wir haben uns sogar schon Mal getroffen. Sie erinnern sich vielleicht nicht, aber einer meiner Mitarbeiter hat Ihnen einen Kugelschreiber geschenkt. Und ihr Kind hat einen Luftballon bekommen. Ja, Sie meinen, ich hab sie nicht gesehen. Jetzt wo sie sich erinnern, glauben Sie, dass ich nur heiße Luft von mir gegeben habe. Aber Grußworte sind halt so. Während meiner Ansprache haben sich für einen Moment unsere Blicke getroffen. Mein Blick sagte: Sie sind mir wichtig. Sie wandten sich jedoch ab.

Ich weiß – Beruf: Politiker. Was soll man da erwarten? Geltungssüchtige. Versager. Abzocker. Mir wird tagtäglich alles an den Kopf geworfen. Und manchmal verstehe ich es auch. Doch wollte ich nur Geld machen — es gäbe Berufe mit weitaus sympathischeren Arbeitszeiten. Assistenzarzt in Uniklinken beispielsweise. Und denen schaut keiner ins Schlafzimmer.

Warum ich in meiner Partei bin? Nun, ich glaube an die Freiheit, an Demokratie. Und unsere Partei hat die besten Konzepte. Hier — nehmen Sie eine unserer Broschüren mit dem Parteiprogramm. Da: auf Seite 13, den Abschnitt über Generationengerechtigkeit im Lokalen — der stammt von mir. Während andere durch Mehrgenerationenhäuser getingelt sind, hab ich mich da richtig reingehängt.

Ja, Sie haben recht. Ich bin nicht in die Partei eingetreten, um auf Seite 13 zu erscheinen. Die Welt ein wenig besser machen? Nun — ich bin mit 15 in unsere Jugendorganisation eingetreten. Es hat viel Spaß gemacht damals. Und im Kleinen konnte ich da schon sehr früh Verantwortung übernehmen. Wir haben dem Gemeinderat die Finanzierung für einen Jugendraum abgeschwatzt. Die Plakatierung organisiert. Das war mit die schönste Zeit. Damals wurde man noch nicht per Leserbrief verleumdet. Damals beschimpfte mich noch niemals als „Statthalter“ und „Kriegstreiber“. Dabei habe ich mit der Verteidigungspolitik nun gar nichts zu tun.

Ohne die Unterstützung meines Vaters hätte ich es wohl nie gewagt, in die Politik zu gehen. Er bestand aber darauf, dass ich erst einen ordentlichen Beruf ergreife. Und wissen Sie was: wenn man sich engagiert, dann hilft es auch in anderen Bereichen. Es heißt: es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind zu erziehen. Das gleiche gilt für Politiker. Mein erster Klient war ein Parteifreund. Und auch mein zweiter. Scheuklappen habe ich aber nicht. Ich habe auch mit der Stadtrat Knöber zusammengearbeitet, obwohl wir politisch nun gar nicht zueinander passen. Was meinen Sie, wie oft ich mich gestritten habe mit meinem Kreisvorsitzenden, dem Bürgermeister, sogar dem Bundestagsabgeordneten gestritten habe? Ich hab auch Mal einen offenen Brief an die Parteiführung unterschrieben. Ich bin kein blinder Parteisoldat.

Aprospos. Was halten sie da von unserem Großprojekt? Meine Parteiführung hat sich schon entschieden, ja. Aber daran können wir noch was drehen. Ohne die Unterstützung der Basis würden wir so ein Milliardenprojekt nicht umsetzen. Sicher nicht. Sie müssen uns nur frühzeitig Bescheid geben. Wir können keinen Erfolg garantieren, aber wir haben große Hoffnungen. Wenn Sie wollen, können wir in der Bürgersprechstunde darüber reden. Es sind noch viele Termine frei.

Ach, Sie haben etwas anderes vor? Das kann ich natürlich verstehen. Vielleicht sehen wir uns am Wahltag? Nein?

Post-Privacy auf AIDS in Afrika

Wenn wir über „post privacy“ sprechen, ist die Debatte oft etwas blutleer. Denn was aus unserer Privatsphäre ist tatsächlich noch skandalisierungsfähig? Wer sonntags zu Tatort twittert, kann kein so aufregendes Leben führen. Und Facebook weiß wirklich nicht wer wir sind — ein Blick auf die Anzeigen reicht dazu aus.

Viel spannender ist die Debatte in Afrika, wo die Interaktionen noch weitgehend analog ablaufen und eine tödliche Seuche grassiert: AIDS. In Malawi werden Klatsch und Gerüchte als Mittel der Gesundheitsvorsorge genutzt. Hat die Frau an Gewicht verloren? Sicher ist sie infiziert! Sieht sie etwas zu gut aus? Nun, wahrscheinlich schläft sie mit vielen Männern und nimmt AIDS-Medikamente. Wenn Du Medikamente nimmst, ist das zwar gut für Dich. Aber Du bist eine Gefahr für die Allgemeinheit. Du warnst deine Schwester nicht vor dem Hallodri, von dem die Schwester Deines Tankwartes Deiner Friseuse was Böses gesagt hat? Wie unverantwortlich!

Wirklich spannendes Gedankenfutter von „This American Life“:

„Wir haben verallgemeinert und überzeichnet“

Vor ein paar Wochen war ich auf dem Medienforum Köln. Auf einem Panel — es ging um Rundfunkregulierung und die Konzentrationsbeschränkungen — saß jemand von RTL und jemand von ProSiebenSat1. Der Moderator sagte etwas in der Art, dass RTL ja zum Glück nicht mehr von dem Problem betroffen sei und der Angesprochene konnte nur säuerlich nicken.

Ich gucke RTL nicht. Ich kann mich nicht einmal erinnern auf welchem Programmplatz ich den Kanal auf meinem Fernseher abgelegt habe. Wenn jemand etwas vor mir verbergen will, soll er es über die RTL-Frequenzen in 40 Millionen Haushalte schicken – ich werde es nie erfahren. Trotzdem habe in der letzten Woche einen Einblick bekommen, warum der einstige Fernseh-Pionier, das Schreckgespenst der Eltern in meinem Kinderalter, nicht mehr unbedingt den besten Stand hat.

Da ist zum einen dieser dämliche Bericht über einen der „vielleicht klügsten Kopf NRWs“. Der hat ein Betriebssystem programmiert, das Windows- und Mac-Programme gleichermaßen ausführt. „Eine Weltneuheit“, resümiert der Reporter von „Guten Abend RTL“. Natürlich war es keine Weltneuheit, natürlich haben ein paar Schüler kein neues Betriebssystem entwickelt, das mal eben nativ Windows- und OS X-Programme ausführen kann. Aber das hat RTL auch nicht interessiert. Man sehe sich nur die Bauchbinde von einem Interview mit den hoch begabten Teenagern an.

„Ist erst 16 Jahre alt“. An solchen Bildunterschriften sind keine Budgeteinsparungen schuld, keine Koketterie, keine geheime Markenstrategie. Es ist pures Desinteresse. Das Thema hat mit Computern zu tun? Schnell, schmier ein paar Klischees drüber, denn UNSERE ZIELGRUPPE INTERESSIERT DAS NICHT“ (An dieser Stelle stelle man sich den Zurück-in-die-Zukunft-Bösewicht Biff Tannen vor, wie er den zuständigen Redakteur am Kragen packt und ihm auf die Stirn klopft „Hallo??? Ist irgendjemand ZU HAUSE???“)

Und dann noch diese Unsäglichkeit zur Gamescom, über die anderswo nun wirklich genug geschrieben wurde. Meine Frage ist da: Merkt ihr noch was? RTL2 kriecht der Internet-Zielgruppe zu jeder Gelegenheit — also wenn eine Veranstaltung im Umkreis von Köln stattfindet und die Anreise nichts kostet — mit Anlauf in den Allerwertesten. Dann werden relativ unspektakuläre ESL-Ausscheidungen zum Top-Thema in den Haupt-„Nachrichten“ des Konservensenders. RTL hingegen will seriös sein und packt quasi jeden Erwachsenen unter 35 in die Freak-Schublade.

Ich weiß: ich überhöhe hier zwei dämliche Beiträge zweier dämlicher Sendungen. Bemerkenswert finde ich aber die Stellungnahme in eigener Sache, die RTL zur Besänftigung der Gamer nachgeschoben hat: „Wir haben verallgemeinert und überzeichnet“ heißt es da. Als ob „RTL explosiv“ das nicht nach jedem Beitrag zu jedem Thema sagen könnte. Dass sie es diesmal ausgesprochen haben, liegt an einem kleinen Shitstorm, den die Gamer inszeniert haben. Und nach 10 Jahren Netzpolitik kann ich sagen: Die Gamer sind nicht besonders gut im politisch-medialen Spiel. Dass sie sich über RTL-Sendungen aufregen, liegt vermutlich daran, dass sie das Programm gar nicht mehr kennen.

Wenn man nach Klischees geht, sind Öffentlich-Rechtliche verstaubt, in der Vergangenheit verhaftet, Loriot ist einer ihrer frischesten Comedians. Doch sie haben mittlerweile die dritte Generation an Computermagazinen am Start, die wahrscheinlich 17jährige nicht übermäßig ansprechen, aber sie doch nicht verspotten. Was läuft auf RTL und ProSieben, was den Normal-Nerd (ja, Nerd-Tendenzen sind heutzutage ziemlich Mainstream) interessieren würde? Wo bekommt man Gedankenfutter her, das nicht in den USA hergestellt und in deutschen Synchronstudios hemmungslos kastriert wurde? Wo ist die Computersendung von RTL? Oder eine Sendung die sich für Facebook-Nutzer interessiert, die nicht nur lustige Videos sammeln oder von finsteren Typen vergewaltigt werden? Wo?

Von Libyen lernen

Ich lese grade in der taz ein interessantes Interview mit Thomas Hüsken zum politischen System der Stämme, zur Tribalität in Libyen. Autonome Stämme regeln was sie können ohne den Bürgern eine Haltung aufzuzwängen. Sie sind nicht gegen den Zentralstaat, denn er ist eine Einrichtung, die Leistungen erbringen kann, die im kommunalen Bereich nicht umsetzbar sind.

Es ist eine differenzierte Gesellschaft, in der Urbanität und Tribalität herrschen. Sie steht fraglos vor großen Herausforerungen, und das tribale Element kann eine ganz wichtige soziale und kulturelle Rolle in diesem Wandlungsprozess spielen. Demokratie und Tribalität widersprechen sich nicht. Das tribale System hat sich historisch als flexibel erwiesen, es ist nicht starr, sondern ständig in Bewegung.

Teil der westlichen Aufbauhilfe wird es wohl sein, in Libyen Strukturen nach dem Vorbild westlicher Staaten einzurichten — als Ersatz für den Diktator. Vielleicht sollten wir keine hochtrabenden Demokratie-Lehrer nach Libyen schicken, sondern Nachwuchspolitiker, damit sie dort lernen, gesellschaftliche Zusammenhänge neu zu verstehen und Leute zu überzeugen statt sie nur zu verwalten, zu benebeln und zu unterschätzen.

Wikipedia ist keine Demokratie

Wikipedia ist keine Demokratie. Wikipedia ist kein Staat mit stimmberechtigten Bürger. Bei Wikipedia kann jeder mitmachen. Und da jeder Dutzende Accounts anlegen kann, hat jeder keine Stimme. Außer er reißt sie an sich.

Der Entscheidungsprozess der Online-Enzyklopädie ist der eines gewaltigen Hive-Minds mit Persönlichkeitsstörungen, Selbsthass und einem chronischen Bauchgrimmen. Und jedes Mal wenn sich das Hivemind ärgert, verpuppt es sich. Doch statt sich Flügel wachsen zu lassen, taucht das Hive-Mind jeweils mit einem Kopf mehr auf: Bürokraten. Arbitration Committees. Community-Ausschüsse. Die an sich flache Hierarchie der Jeder-Kann-mitmachen-Enzyklopädie ist über zehn Jahre metastasiert und kann jeden Flowchart-Autoren in den Wahnsinn treiben.

Die Quintessenz ist: wer macht, entscheidet. Oder gibt auf. Wikipedia ist nicht nur eine Enzyklopädie, sondern eine politische Operation. Es gibt da nur ein Problem: die spontane bürokratisch-technokratische Unverbindlichkeit funktioniert nicht mehr, neue Autoren bleiben aus und wohin der Mega-Tanker Wikimedia steuert, weiß niemand mehr so recht — trotz strategischer Visionen und Fünfjahresplänen. Oder gerade deswegen?

Wikimedia will nun diesen gordischen Knoten durchschlagen. Da aber selbst Jimbo Wales im vergangenen Jahr seinen Schwert-Arm chronisch verstaucht hat, versuchen die verschiedenen Wikimedia-Instanzen stattdessen ein bisschen an dem Knäuel herumzunibbeln. So will Wikimedia Deutschland e.V. die Community mehr einbinden, um mehr Legitimität für ihr ansehliches Spendenbudget zu gewinnen. Sie haben die Community gefragt, in welche Projekte sie investieren wollen. Das war gleich eine zweifache Pleite. Die gewählten Community-Vertreter konnten – trotz Mehrfachstimmen – nicht Mal die Unterstützung von 70 Wikipedianern gewinnen. Die Wikipedia-Gemeinde ist zwar klein, aber nicht wirklich so klein. Und dann zerstritten sich Vereinsvorstand und Communitybudgetausschuss in so eindrucksvoller Weise, dass sämtliche Bundestagsfraktionen vor Neid erblassen müssten. Zumindest wenn sie davon erfahren hätten. Wikipedia-Politik findet weitgehend ohne Öffentlichkeit statt. Obwohl sich quasi jeder für die gewaltige publizistische Macht der Wikipedia interessiert, wenden sich die meisten nach kurzer Zeit angewidert ab. Wer übrigbleibt, ist Bestandteil des Systems.

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Die Wikimedia Foundation hat nun eine Abstimmung über ein neues Filter-Tool angesetzt – nein: gar ein Referendum. Das Problem daran: die Wikipedianer dürfen nicht wirklich abstimmen. Das Referendum ist als unverbindliche Umfrage konzipiert, bei dem die Teilnehmer auf einer Skala von eins bis zehn markieren dürfen, wie wichtig sie verschiedene unscharf formulierte Aspekte des Filters finden. Die Wahlbeteiligung liegt schon jetzt bei weitem höher als bei den Wahlen für das Board der Wikimedia Foundation. Und wenn ich die Diskussionsseiten richtig interpretiere, liegt das daran, dass ein guter Teil der Wikipedianer die Einrichtung eines Filters für Wikipedia-Inhalte strikt ablehnen. Doch wirklich dagegen stimmen können sie nicht.

Dies zeigt wieder einmal: es ist relativ einfach Leute gegen etwas zu organisieren. Doch wenn es darum geht, Alternativen und gemeinsame Konzepte zu entwickeln, sind wir allzu oft ratlos. Wozu einen Kompromiss eingehen, wenn man mit einem Klick auf einer anderen Plattform ist. Oder wenn man über Jahre polemisieren kann, wie dumm die Entscheidung war, die man nicht unterstützt hat. Ob es besser wird, ist zweitrangig. Ich hatte recht.

Für September hat Wikimedia Deutschland einen neuen Versuch angesetzt. Der Verein wird einen Entwurf seines Ausgabenplans online stellen und dann in einer Deutschland-Tour in Hamburg, München, Frankfurt, Köln und Berlin den Erntwurf vorstellen und Rückmeldungen annehmen. Das Problem: daran: die Teilnehmer brauchen keinerlei Legitimation und deshalb haben sie auch keine. Vereinsmitglied oder nicht, Wikipedia-Autor oder nicht — egal. Und deshalb ist auch egal, was die sagen. Es werden sich hinterher immer zehn Mal so viele Menschen finden, die die Ideen blöd, falsch und geradezu gefährlich finden.

Die Suche nach dem Rückkanal, zu dem Entscheidungsprozess mit dem man möglichst viele Menschen einbinden und zu konkreten Schritten bewegen kann, ist frustrierend. Aber auch spannend. Und nochmal frustrierend.