Infrastruktur zählt

Unter der Überschrift Mein armes Amerika hat die Journalistin Jana Simon ihre Erfahrungen in Los Angeles aufgeschrieben — es ist eine schonungslose Abrechnung mit dem „American dream“ und dem scheibar grenzenlosen Narzissmus von L.A. Ich bleib an einer Stelle hängen, die viellen wahrscheinlich als eher unspektakulär erscheint:

Wir haben Kontoauszüge, Arbeitsverträge und Gehaltszahlungen vorgelegt, aber wir haben keine Schulden und sind deshalb aus amerikanischer Sicht nicht vertrauenswürdig. Nur diejenigen, die beweisen können, dass sie ihre Schulden regelmäßig abbezahlen, sind gute Mieter. Wir sind schlimmer als schlechte Schuldner. Wir sind nichts, ohne Kredit, unbeschriebene Blätter. Also müssen wir 100 Dollar mehr Miete im Monat zahlen und die höchstmögliche Kaution hinterlegen. Es ist nicht möglich, die Miete zu überweisen. Bar können wir sie aber auch nicht bezahlen, Andrea darf kein Bargeld annehmen.
[…]
Die Energierechnung muss ich alle zwei Monate leibhaftig im Gas and Power Building in der Hope Street begleichen. Dort warte ich mit vielen Latinos in einer Reihe und zahle bar. Ich komme mir vor wie in einem längst vergangenen Jahrhundert. Das viel beschriebene US-Dienstleistungsparadies kann ich nicht finden, im Gegenteil, alles dauert unheimlich lange und ist erstaunlich kompliziert.

Für mich zeigt diese Beobachtung sehr schön, was in der ganzen Diskussion um Finanzkrise und Globalisierungskritik zu kurz kommt. Die USA haben ein Finanz- und Zahlungssystem, das (fast) alleine vom Markt gebildet wurde. Und es ist furchtbar, kaputt, eigentlich unvorstellbar. In so einem Markt kann PayPal trotz aller Zumutungen und Unverschämtheiten florieren, in so einem Markt ziehen Leute einfach weg, wenn sie ihre Schulden nicht bezahlen können und fangen irgendwo ein neues Leben an. Im Normalbetrieb verschlingt das System und die daraus resultierende Mentalität jedes Jahr viele Milliarden, in der derzeitigen Krise hingegen Billionen Dollar.

Ein wichtiger Punkt, um die Auswüchse zu unterbinden, sind daher funktionierende Infrastrukturen. Ein Zahlungssystem, bei der sich der Empfänger darauf verlassen kann, dass das Geld am nächsten Werktag gutgeschrieben wird, ist aufwändig und teuer. Aber es spart auf die lange Sicht so viel Geld und Unsicherheit, dass man das kaum abschätzen kann. Und ein kastriertes Steuersystem, dass Besserverdienende ausspart, führt direkt in den Abgrund.

Rough Fellows with inquisitive habits

Der ehemalige Polizeireporter und Fantasy-Bestsellerautor Terry Pratchett hat in seinem Buch „Thud“ wie immer einige Weisheiten zu Polizeiarbeit eingearbeitet:

There was, of course, the paperwork. There was always the paperwork. The trays were only the start. Heaps of it were ranged accusingly along one wall, and gently merging.* He knew that he had to do it. Warrants, dockets, Watch Orders, signatures — that was what made the Watch a police force rather than just a bunch of rather rough fellows with inquisitive habits. Paperwork: you had to have lots of it, and it had to be signed by him.

Ich mag ja solche Spitzen, weil sie sich so prima auf die Realität anwenden lassen. Zum Beispiel auf die Situation der Polizei in New York, die sich mit denen solidarisiert, die den lästigen Papierkram beiseite schoben und ihre ganz eigene Form der Justiz bis hin zur Bandenkriminalität ausbauten:

Prosecutors said the bulk of the vanished tickets were arranged by officials of the Patrolmen’s Benevolent Association, the city’s largest police union. All the officers charged with fixing tickets are either current or past union delegates or trustees.

As the investigation unfurled, the union played down its significance and consistently referred to ticket-fixing as “professional courtesy” inscribed in the police culture.

On Friday morning, on the street outside the courthouse, some 350 officers massed behind barricades and brandished signs expressing sentiments like “It’s a Courtesy Not a Crime.”

When the defendants emerged, many in the crowd burst into raucous cheers. Once they had gone and the tide of officers had dispersed, the street was littered with refuse.

Doch ist diese Bekundung der Solidarität mehr als fehlgeleiteter Kameradschaftsgeist? Doch — es gibt Grund für die Polizei, sich zu beklagen. Zwar nicht aus den Gründen, die führende Polizeifunktionäre immer wieder beschwören, wie Rafael Behr in der Zeit beschreibt:

An die Stelle von Gewalt trat in der Außendarstellung die Kommunikation, statt Schlagstock wurde soziale Kompetenz propagiert, statt des Körpers mehr Technik eingesetzt. Doch besonders uniformierte Schutzpolizisten nehmen bei ihrem Dienst auf der Straße seismografisch genau wahr, dass das nicht alles ist. Für sie wird die Arbeit schwerer, weil sich vor allem der Ton und die innere Haltung ihrer »Kunden« gegenüber dem Staat verändert zu haben scheinen. Polizisten werden wenig auf resignierte und aussichtslose Lebensperspektiven vorbereitet, auf die sie in solchen Begegnungen treffen. Resignation und Exklusion aber gehen häufig mit Aggression einher.

Neben gesellschaftlichem Wandel ist es auch immer wieder die falsche Politik, die Polizisten unter Druck setzt, die Erwartungen weckt, die auch von den pflichtschuldigsten Beamten niemals erfüllt werden können. So zum Beispiel beschreibt der Whistlerblower Adrian Schoolcraft von der New Yorker Polizei wie die Fixierung auf die Polizeistatistik und Aufklärungsquote Polizisten zu Kriminellen werden ließ, die Unschuldige verhafteten und Serientäter laufen ließen, um die Vorgaben zu erfüllen:

Occupy und Spaß dabei

Der taz-Redakteur Martin Kaul fordert von der Occupy-Bewegung Kante zu zeigen.

Doch die programmatische Beliebigkeit von Occupy sorgt dafür, dass sich viele Globalisierungskritiker den Protesten nicht anschließen. Sie fühlen: Wer zu allen Seiten offen ist, kann irgendwo nicht ganz dicht sein.

Vielleicht wäre ein erster Anfang, die Protestschilder gegenseitig Korrektur zu lesen:

(gesehen auf der Occupy-Cologne-Demo am Samstag)

Unpertise

In Zeiten fortschreitenden Irrsinns wird Deutschlands führender Experte im Unsinnschreiben immer wieder gerne zitiert.

Diese Kulturtechnik ist in Deinem Land nicht verfügbar

Der Hype um den Amazon Kindle Fire scheint hierzulande spurlos abgeklungen zu sein, doch der US-Handelskonzern beginnt auch in Deutschland eine massive Werbekampagne für die Kindles, die man den Europäern gönnt. Sogar bei Karstadt gibt es nun einen Kindle zu kaufen — deutlich teurer als der Versandpreis von Amazoin selbst. Das muss einiges kosten.

Da könnte man doch glatt schwach werden. Heftig subventionierte Hardware ist kein Nachteil, wenn doch hierzulande eh die Buchpreisbindung gilt. Und Amazon hat ja seine Zügel gelockert. Man will zum Beispiel nicht mehr ungefragt Bücher löschen. Und Ende 2010 hat Amazon –wahrscheinlich im nachweihnachtlichen Zuckerrausch — sogar das Verleihen von Büchern erlaubt. Großzügig!

Doch wie Matthias Spielkamp drüben bei Google+ nachfragt: Wie geht das Verleihen eigentlich? Auf Amazon.de ist kein Wort dazu zu finden. Und irgendwie scheint kaum ein Titel, den die umherstehenden Kindle-Besitzer gekauft haben — zum Verleihen freigegeben zu sein.

Aufklärung verschafft die Hilfefunktion aus Amazon.com:

At this time, Kindle book lending can only be initiated by customers residing in the United States. If a loan is initiated to a customer outside the United States, the borrower may not be able to accept the loan if the title is not available in their country due to publisher geographical rights.

In these cases the borrower will be notified of this during the Loan redemption process, and the book reading and lending rights will return to the lender at the end of seven days from loan initiation. You can always check the status of a loan by viewing the book on the Manage Your Kindle page.

Sprich: In Deutschland darf man nicht Mal Bücher verleihen. Man darf noch nicht Mal eins geliehen bekommen. Und wenn jemand trotzdem versucht diesen kulturell vertriebstechnisch hochverräterischen Akt zu begehen, bekommt er das Buch nicht etwa sofort zurückgebucht, sondern wird mit einer Buchsperre von sieben Tagen bestraft.

DVD-Paradoxon

Die dritte Staffel von Breaking Bad läuft grade auf arte, ist sogar auf deren Website kostenlos ansehbar. Zudem ist die Serie so beliebt, dass man sie ohne Probleme an zahlreichen Stellen im Netz sehen kann. Warum habe ich hab mir heute trotzdem die DVD bestellt?

  • Meine DVR-Festplatte wäre mit der ganzen Staffel sehr ausgelastet.
  • Ich will die DVD-Kommentare haben. Denn die sind wirklich erhellend im Gegensatz zu vielen anderen DVDs. Vince Gilligan und Bryan Cranston sind intelligente Kreative, denen ich gerne zuhöre.
  • 21,99 Euro sind ein akzeptabler Preis.
  • Ich mag die Stimme von Walter White in der deutschen Synchronisation nicht. Ich glaube es ist die gleiche wie die von John Ritter.