hackplus ist minus

Niemand liebt spoiler. Aber wenn dieses Produkt nicht den Goldenen Windbeutel 2013 erhält, würde ich mich doch sehr wundern. Es liegt neuerdings im Fleischregal bei Rewe und wird mit einer gesonderten Pappwerbung hervorgehoben.

Die 30 Prozent weniger Fett und 30 Prozent weniger Cholesterin erreichen die findigen Hersteller von der Düsseldorfer Vion Food Group mit einem genialen Trick: In „hackplus“ ist 30 Prozent weniger Hackfleisch drin als in anderen Hackprodukten gleich nebendran. Auf der Werbe-Webseite findet man nichts zur Produktion des Hackminus-Produkts. Immerhin — eine Zusammenstellung der Inhalte: 70 Prozent Fleisch, dazu dann Wasser, Weizenprotein, Weizenmehl, Rote-Beete-Saft, Paprikaextrakt, Gewürzextrakt. Lecker!

Was Weizenprotein und Paprikaextrakt zu einer ausgewogenen Ernährung beitragen sollen, wird mir nicht ganz klar. Ich habe aber mit enormen mentalen Fähigkeiten und meiner nicht vorhandenen Expertise in Lebensmittelvermarktung einen Weg gefunden, die 30-Prozent-Ersparnis sogar noch etwas effektiver zu erreichen. Statt der 350-Gramm-Packung hackplus kann man gleich nebendran 250-Gramm-Packung Hackfleisch erwerben, die hat nämlich ziemlich genau 30 Prozent weniger Inhalt. Das ist nicht nur billiger, sondern passt auch zu gängigen Hackfleischrezepten. Wer will, kann zu Hause Rote-Beete-Saft und Weizenproteine untermischen. Wer richtig appetitliches Fleisch will, kann sich jedoch gleich außerhalb der Supermarktkühlabteilungen umsehen.

Warum Hackplus in 350-Gramm-Packungen verkauft wird, ist übrigens auch ein Rätsel: Laut Packungsaufdruck besteht eine „Portion“ aus 150 Gramm Hackplus. Eine Packung enthält demnach also zwei und eine Drittel Portion. Die vom Meisterkoch stolz präsentierten Hackplus-Rezepte gehen hingegen konsequent von 400-Gramm hackplus für jeweils vier Personen aus.

PS: In einem Bericht des Bayerischen Rundfunks findet sich diese Information:

100 Gramm enthalten laut Herstellerangaben 13 Gramm Fett. Das ist tatsächlich um einiges weniger als der gesetzliche Höchstwert. Tatsache ist aber, dass frisches Hackfleisch vom Metzger in etwa die gleiche Fettmenge erreicht. Hackfleisch wird in der Regel weit unter den gesetzlich vorgeschriebenen Höchstmengen für Fett angeboten. Wer also zum vermeintlich kalorienarmen Hackplus greift, spart in der Tat nur sehr wenig Fett ein – im Vergleich zu frischem Hackfleisch aus der Metzgerei. Das Industrie-Hackfleisch „hackplus“ ist kein natürliches Lebensmittel mehr. Wer auf Kalorien achten will, ist damit schlecht beraten.

PPS: Das war mir ganz entgangen: Das gleiche — oder ein sehr ähnliches Produkt — ist unter dem Namen „viva vital“ schon von Foodwatch kritisiert worden. Beschwerden an Rewe nimmt die Organisation aber noch nicht entgegen.

Wirtschaft. Wachstum. Selbstironie?

Gestern sah ich erstmals ein neues Werbeplakat der Bundesregierung, das ich unbedingt fotografieren musste.

Die Bildidee ist angestrengt witzig. Die Bundesregierung –und insbesondere das vom FDP-Chef geführte Bundeswirtschaftsministerium — tut alles, damit wir nicht mit der angejahrten Technik fuhrwerken müssen, während die modernen Laptop-Besitzer im Hintergrund längst nach Hause gegangen sind. Aha. Haha.

Doch was soll das Ganze? Hier wird kein spezielles Programm beworben, der Bürger kann sich nicht beteiligen oder informieren. Sicher: Da ist eine Webadresse. Aber dort erfährt man so gut wie nichts. Förderporgramme für innovative Unternehmen? Ja, solche Leute erreicht man nur durch Plakate, auf denen nichts von diesen Förderprogrammen steht. Ist es vielleicht ein Förderprogramm für die Plakatkleberindustrie?

Das Bundeswirtschaftsministerium wollte mit dem Altcomputer im Vordergrund eine Vision zeigen, die das moderne Deutschland mit seinen wackeren Ministerialen verhindern werden. Doch in Wahrheit ist es eine Karikatur dessen geworden, was man von der IT-Kompetenz der Bundesregierung erwartet. Dass mit dem Leistungsschutzrecht nun ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, der viel Unklarheit bringt und bei dem sich aber kein Volksvertreter bisher traut die erhofften Konsequenzen plastisch zu erläutern, ist nur ein Bruchstück der öffentlich sichtbaren Innovationsverhinderungspolitik.

Das Internet wird heute nicht umgestellt

In vielen Beiträgen wurde der World IPv6 Launch Day in den letzten Tagen thematisiert — und meist falsch. Eine typische Formulierung:

An diesem Mittwoch ändert sich die Architektur des Internets: Provider, Betreiber von Webseiten und Hersteller von Internetgeräten aktivieren weltweit den neuen Adressstandard IPv6.

Das ist jedoch nicht nur eine unzulässige Verkürzung, es ist falsch. Wer gestern mit IPv4 surfte, surft höchstwahrscheinlich auch morgen noch mit IPv4. Und wer morgen mit IPv6 surft, tat es höchstwahrscheinlich auch letzte Woche. Das legt schon die Wortwahl nahe: Eine Architektur ändert sich nicht über Nacht. Und in den Artikeln tun sich die Autoren schwer zu erklären, was sich denn heute konkret ändert. Das hat einen einfachen Grund: Es ändert sich nicht wirklich viel. Der Launch Day ist in erster Linie eine PR-Aktion. Eine legitime PR-Aktion, aber eben doch PR.

Die — angesichts der Größe des Internets und der Dringlichkeit des Themas — erschreckend wenigen Teilnehmer des Aktionstages haben ihren Beitrag oft schon vor Monaten geleistet. Und diejenigen, die tatsächlich den 6. Juni nutzen, stellen nicht wirklich auf IPv6 um. In den meisten Fällen sorgen die Admins lediglich dafür, dass ihre Webseiten auch direkt über IPv6 erreichbar sind. Der Unterschied zu vorher ist gering: Die Webseiten bleiben per alter IPv4-Technik erreichbar und wer heute schon auf IPv6 surft, konnte auch bisher Google und Facebook nutzen. Wichtigster Mangel der vermeintlichen Revolution ist die fehlende Auswirkung auf das Publikum. Kein deutscher Privatkunde surft plötzlich mit IPv6.

Der Gedanke, dass das Internet an einem Tag „umgestellt“ würde, ist widersinnig. Denn das Netz hat keine zentrale Entscheidungsinstanz, die ähnlich der Deutschen Bundespost Mal zentral neue Postleitzahlen einführen könnte. Sicher: Es gibt Organisationen wie die Internet Assigned Numbers Authority (IANA), die IP-Adressen zuteilt. Doch diese Zuteilung ist eher technischer Natur, die IANA ist machtlos, den Nutzen der zugeteilten Nummern vorzuschreiben. Die Standardisierungsgremien können die Nutzer lediglich drängen, doch bitte auf eine neue Technik zu wechseln. Und das Beharrungsvermögen vieler Player im Markt kann man sehen, wenn man sieht, wie viele Rechner noch mit Windows 98 betrieben werden. Wieso Geld ausgeben, es läuft doch?

Das Internet ist hauptsächlich ein Netz, gesponnen aus Millionen von Vereinbarungen. Bis sich alle auf etwas Neues einigen, dauert es Jahre. Bis sie es tatsächlich tun, dauert noch länger. Denn wer den ersten Schritt macht, hat im Zweifel die meiste Arbeit, die meisten Kosten. Wenn die Telekom komplett auf IPv6 wechseln würde, hätten andere Provider wieder die Möglichkeit deren veraltete IP-Nummern zu nutzen, um ihre eigene Umstellung auf die lange Bank zu schieben.

10 Punkte für Erfolg auf Twitter, Facebook und Orkut2

    • War mal ein Punk-Musiker. Damit hast Du Rhythmus, Timing und Deine Leber trainiert. Und: Wer sich schon einmal den Weg von der Bühne herunter freiprügeln musste, ist durch einen Shitstorm nicht zu erschüttern.
    • Sei ein Egomane. Diese Einerseits-Andererseits-Typen nerven.
    • Sei authentisch. Lass Dir ein halbnacktes Model auf den Rücken schnallen, wenn man Dich fotografiert.
    • Schwimm nicht mit dem Strom. Schwimm vor dem Strom. Wenn er anders strömt, wende graziös.
    • Sei streitbar. Aber streite mit den richtigen Leuten.
    • Streite nur um Dinge, die das Publikum nicht überfordern. Das von Mario Barth.
    • Sei nett zu den richtigen Leuten. Die meiste Zeit.
    • Gestehe Fehler ein. Aber nicht zu oft.
    • Alle sechs Monate muss eine Fleißarbeit kommen. Häng Dich rein. Und dann verlinke immer wieder darauf, so dass es niemand vergisst.
    • Oft genug ignoriert: Sei Britney Spears.

    Wir brauchen ein Faktenschutzrecht!

    Alarmierende Entwicklung — wieder einmal. Google hat semantische Techniken in seine Suche integriert. Das heißt: Der ohnehin schon parasitäre Suchkonzern begnügt sich nicht mehr nur mit Links und Snippets. Google presst den Seiten auch ihr Wichtigstes ab — ihr Wissen. Unser Wissen.

    So bekommen Google-Besucher bei der Suche nach Marie Curie direkt angezeigt, wann sie geboren wurde, wen sie geheiratet hat und welche Elemente sie so erfunden hat. Früher mussten die Google-Besucher für solche Infos auf Links klicken. Und mit 10-prozentiger Wahrscheinlichkeit landeten sie nicht bei Wikipedia, sondern bei uns, den Seitenbetreibern mit humanistischer Grundbildung, den Besserwissern, die das Web von einer Pornowüste in einen Platz der Aufklärung verwandelt haben.

    Das kostet uns nicht nur Werbeeinnahmen. Sondern auch die Genugtuung, dass jemand auf unser Wissen angewiesen war. Tagtäglich prüfen wir unsere Zugriffsstatistiken, um zu sehen, wem wir weiterhelfen konnten, wer sich an der Brust unserer Weisheit gesäugt hat. Das ist einer der wesentlichen Faktoren im Publikationgewerbe. Hätte Axel Springer, hätte Marion von Dönhoff nur das Geld im Sinn gehabt — sie hätten Atomstrom produziert oder ein verdauungsregulierendes Nutella. Publizisten sind Besserwisser! Was wir fordern, ist das totale Fehlen feststehender Fakten! Zumindest auf Google! Und für den Rest wollen wir Geld sehen!

    Ihr lacht über uns Berufsdenker? Da lacht ihr aber zu früh. Denn glaubt ihr, Eure offensichtlichen Pointen seien vor Google auf ewig gefeit. Eure Röttgenwitze hätte Google in 0,001 Sekunden gemacht. Und Eure Tatort-Tweets. 30000 davon. Und alle besser als Eure. Also schließt Euch uns an im Kampf gegen den elektronischen Moloch, gegen das Google des Verderbens. Und — so ganz nebenbei — habt Ihr ein paar Euro für uns?

    Torsten
    Vrumfondel
    Magikweis

    Begriffsklärung

    Bloggen heißt nicht, lustige Katzenbilder/Videos/Infografiken, die grade durch das Netz geistern, ins eigene Blog zu schaufeln und dann in allen sozialen Netzwerken auf den ach so mühsam geschriebenen eigenen Post zu verweisen, womöglich sogar mit der eigenen Kurz-URL.

    Das Wort dafür ist SEO.

    Werkzeuge der Kostenlos-Kultur

    Ich hab einen Videorekorder. Und ich habe Geduld. Heute muss ich lange nicht so viel Geduld haben wie früher, und die wenigsten Filme muss man auf einer riesigen Leinwand sehen, US-Serien laufen manchmal nur mit ein paar Monaten Verzögerung zu der Erstausstrahlung. Zur Not kaufe ich Mal eben ein DVD-Set mit konkurrenzlos niedrigem Preis pro Stunde Unterhaltung.

    Was ich vermisse: O-Ton. „Community“ auf deutsch synchronisiert geht gar nicht. Castle geht, verliert aber an Genuss. Statt in Sky investiere ich lieber in einen VPN-Zugang nach Übersee, wo Inhalte auf der Straße liegen. Ich höre Podcasts. Und überspule allzu penetrante Werbung.

    Ach ja: Statt Sonntagszeitungen zu kaufen, setze ich mich in Cafes, wo diese ausliegen.

    Auch ich bin ein Urheber

    Ich bin ein Urheber. Ich schreibe Texte über das Internet, meist sogar in das Internet. Damit unterscheidet sich meine Lebens- und Arbeitsrealität deutlich von der derer, die sich unter dem Slogan „Wir sind die Urheber!“ zu Wort melden.

    Wie sieht das aus? Ich bekomme kein Geld von der GEMA und meine Werke sind nicht bei thepiratebay.org aufgelistet. Private Kopien schrecken nicht wirklich, denn für die bekomme ich Pauschalentschädigungen von der VG Wort. Eine willkommene Ergänzung des Einkommens, aber nicht mehr.

    Zwischen meinen Verwertern und mir gibt es auch keine großen Differenzen. Total-Buy-Out ist heute kein riesiges Problem mehr, da ich meine Arbeiten eh nicht mehr zwei Mal verkaufen kann. Und meine Auftraggeber auch nicht. Wer bitteschön zahlt 650 Euro, um einen FAZ-Text ein halbes Jahr zu publizieren? Vor Jahren waren Zweitverwertungen für freie Journalisten noch eine substantielle Einnahmequelle, der Markt ist aber tot. Wer früher zum Beispiel Hörfunkbeiträge an fünf ARD-Veranstalten verkaufte, muss nun mit einem Honorar auskommen. Nicht das Netz ist schuld, aber die Vernetzung hat gewaltige Umwälzungen zur Folge. Wer glaubt, dass solche Umwälzungen ohne Verlierer stattfinden können, lügt sich selbst an.

    Probleme bereiten mir die vielen, die meine Recherchen einfach umformulieren und abschreiben, vielleicht noch eine skandalisierende Überschrift darüber setzen. Gleichzeitig kann ich ohne die Offenheit der Fakten nicht arbeiten. Recherche baut fast immer auf den Recherchen anderer auf. Und eine „Edelfeder“ bin ich weiß Gott nicht.

    Sorgen habe ich, dass jeder zwar den neutralen Journalismus beschwört, aber dann doch lieber tendenziöse Stücke liest, die der eigenen Meinung entsprechen. Oder dem Gegenteil. Was denkt der Schmierfink sich eigentlich!! Das ist weiß Gott nicht neu, Medien sind vor dem deutschen Recht „Tendenzbetriebe“, bei denen die Unternehmensspitze die Leitlinien vorgibt. Bisher war ich aber in der privilegierten Situation, dass meine Auftraggeber vor allem sauberen Journalismus von mir verlangten.

    Dankbar bin ich, dass ich davon leben kann, darüber zu schreiben, was mich interessiert — ohne PR-Aufträge nebenher. Das erlaubt mir auch, meine eigenen Blogs ohne Gewinnabsicht zu führen oder für Redaktionen zu arbeiten, die nicht viel zahlen können. Dankbar bin ich auch für die gute Zusammenarbeit mit vielen Redaktionen. Zwei standen mir kürzlich auch bei einem Rechtsstreit beiseite und hielten den Rücken frei. Ohne solche Deckung ist das Publizieren heute ein russisches Roulette. Ob berechtigt oder unberechtigt: motivierte und finanzstarke Kläger können immer Ärger machen. Dagegen hilft nur Rückgrat, eine Haltung. In den letzten 10 Jahren musste ich es aber schon mehrfach erleben, dass solche Redaktionen geschlossen wurden, weil sich ihr Journalismus nach Auffassung der Verleger nicht lohnte.

    Sorgen macht mir auch, wenn unreflektiert die Verschärfung oder die Reduzierung von Urheberrechtsdurchsetzungen gefordert werden. Was 70 Jahre nach meinem Tod mit meinen Texten passiert, die oft schon nach einem Tag nicht mehr vermarktbar sind, weil sie aktuell geschrieben wurden, ist jenseits jeder rationellen Überlegung. Dass man heute immer noch nicht Kästners Augenzeugenbericht der Bücherverbrennung zum Jahrestag wiedergeben kann, ist nicht erst durch das Internet widersinnig geworden. Gleichzeitig sehe ich auch auf der Gegenseite wenig valide Konzepte. Eine reine Pauschalfinanzierung ist gerade in Zeiten des Internets nicht durchsetzbar, da die Urheberrechtsmärkte nicht mehr fein säuberlich getrennt sind. Und Konstrukte, die auf die Unterscheidung zwischen „kommerziell“ und „privat“ aufbauen, sind im Zeitalter der Aggregation weitgehend sinnlos. Dieser Punkt betrifft genau so die Vorstellungen der Piratenpartei wie die der Leistungsschutzrechtslobby.

    Ach ja: Das Leistungsschutzrecht hilft mir nicht und selbst wenn es das ein bisschen täte, würde ich es immer noch ablehnen. Aber da ich nicht für Springer arbeite, ist auch das kein wirklicher Gegensatz zu meinen „Verwertern“.