Es wird zurzeit viel über Gorillas und Co geschrieben, aber kaum jemand beachtet einen Dienst, den ich für wegweisend halt: Onlinebestellung mit Selbstabholung.
Seit Beginn der Pandemie erledige ich einen Großteil meiner Einkäufe auf diese Weise. Zwei Supermärkte in meiner Umgebung bieten einen richtigen Abholservice an. Das heißt: Ich muss nicht in den Supermarkt, sondern kann an einem separaten Eingang meine Ware abholen, die dort fachgerecht gekühlt auf mich wartet. Pro Abholung kostet mich das zwei Euro.
Abgesehen von Corona sollte alleine der gesparte Aufwand diesen Preis wert sein. Zum einen spare ich eine Menge Zeit. Zum anderen kann ich über die Onlinebestellung deutlich rationaler Einkaufen: Ich muss keine Sonderangebote suchen und ich stehe weniger in Versuchung, Dinge zu kaufen, die ich eigentlich nicht benötige. Besonders gefällt mir das Bestellportal von Rewe, dass mir die passenden Sonderangebote gemäß meiner Einkaufshistorie hervorhebt.
Die Abholung ist dennoch nicht gleichwertig zum normalen Einkaufen. Zum einen ist das Angebot eingeschränkt. Viele Artikel sind nicht bestellbar. Insbesondere frisches Brot fehlt mir immer wieder, obwohl einer der Supermärkte eine ausgezeichnete Bäckertheke hat. Zum anderen kann ich die Ware vor dem Kauf nicht begutachten. Aber hier gibt es in der Regel keine Probleme: Mir wurden niemals welker Salat oder matschige Tomaten angeboten.
Das System leidet aber unter der geringen Nachfrage. Oft muss ich klingeln, damit jemand kommt, um mir die Ware auszuhändigen. Lediglich in Ausnahmefällen gibt es eine minimale Schlange. Das ist einerseits positiv für mich, zum anderen aber auch hinderlich. Solange die Online-Abholung nur eine Fußnote im Geschäftsmodell ist, wird das Angebot nicht verbessert.
Dabei gibt es hier reichlich Potenzial. Heute funktioniert es so: Die Ware wird erst in die Regale eingeräumt und dann wieder von anderen Mitarbeitern aus den Regalen herausgenommen. Man kann diese Mitarbeiter in den Supermärkten sehen, wie sie mit speziellen Einkaufswagen gleichzeitig sechs oder zehn Einkäufe gleichzeitig erledigen. Gäbe es hingegen eine große und stetige Nachfrage, könnten sich die Supermärkte sparen, die Waren erst einzuräumen. Auch die Abholung könnte rationalisiert werden. Noch muss man eine relativ lange Vorlaufzeit akzeptieren, Spontaneinkäufe sind nicht möglich. Zudem muss ich notgedrungen eine personalisierte Einkaufshistorie hinterlassen.
Ich bemerke aber auch schon Besserungen. So ist den Supermärkten aufgefallen, dass sie die Mengenangaben anpassen müssen: Fleisch lässt sich 100-Gramm-weise kaufen, statt in den üblichen Packungen, die rein zufällig immer deutlich mehr enthalten, als man für eine oder zwei Portionen braucht.
Konsequent umgesetzt könnte man so auch Unverpackt-Läden realisieren. Oftmals sind Waren wie Salatgurken nur in Plastik eingeschweißt, um Bio- von anderen Waren zu unterscheiden. Wenn der Supermarkt selbst sortiert, ist das unnötig. Wäre das nicht super? Man kommt von der Arbeit oder vom Kindergarten und holt seine Einkäufe in dem idealen Behältnis ab – etwa eine Klapp-Kiste, die genau in ein Lastenfahrrad passt.
Diese Lösung hätte zumindest in meinem Umfeld viele Vorteile: Sie kommt mit einem Minimum von Arbeit aus: Der Supermarkt muss keine Fahrer suchen, ich muss nicht in einem stundenlangen Zeitfenster auf die Lieferung warten. Zum zweiten habe ich volle Autonomie, da ich mir selbst aussuchen kann, wann ich Zeit habe. Zudem kann ich die Angebote besser vergleichen.
Kurzum: Zehn-Minuten-Lieferdienste sind zwar ein scheinbar innovatives Modell, lösen aber tatsächlich kein Problem: Niemand kann seinen ganzen Bedarf damit decken, es entsteht auch keine Infrastruktur, die mehr als einem Unternehmen dienen kann. Die engagierten Fahrer müssen sich drauf gefasst machen, gefeuert zu werden, sobald die Investoren ein anderes Spielzeug gefunden haben. Der Abholsupermarkt kann hingegen den Ressourcenverbrauch in der Stadt reduzieren und gleichzeitig ein nachhaltigeres Einkaufen fördern.
Es passiert grade sehr viel in Sachen Werbung. — also packe ich interessante Links und Schnippsel in mein Blog.
1. Das politische Narrativ ist: Wenn man nur etwas gegen die datenverschlingenden Konzerne aus dem Silicon Valley aktiv wird, ist nicht nur dem Datenschutz gedient, sondern automatisch auch dem Wettbewerb. Doch dies ist falsch und irreführend. Denn grade sind es ja die Konzerne aus dem Silicon Valley, die die Datenhaltung zurückfahren wollen. Gilad Edelman dröselt das bei Wired auf: Antitrust and Privacy Are on a Collision Course
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auf Twitter anmerkt:
(Ihr wollt keine Cookie-Banner für Tweets in Euer Blog einbauen? Link und Screenshot!)
3. Das ist auch den Aufsichtsbehörden in Frankreich aufgefallen. Zwar darf Apple die Datensammlung im Interesse seiner Kunden reduzieren, ist dann aber auch rechenschaftspflichtig, wie Dusan Zivadinovic in der c’t schreibt:
Damit ist der Fall aber noch nicht abgeschlossen. Die Behörde will Apples Datenschutzinitiative näher beleuchten und sicherstellen, dass sie keine „Form der Diskriminierung“ oder gar Selbstbevorzugung darstellt. Apple betonte nach der Entscheidung erneut, dass Datenschutz ein „fundamentales Menschenrecht“ sei. Die ATT-Regeln seien auch für Apple selbst bindend.
4. Parallel hat die Datenaufsichtsbehörde CNIL in Frankreich zum April die Übergangsphase für korrekt gesetzte Cookie mit korrekt erhobenen Zustimmung der Kunden für beendet erklärt und will Verstöße nun endlich verfolgen. Dies ist vermutlich ein Grund, warum Google seine eigenen Cookie-Banner bereits etwas aufgepimpt hat.
Wir sind verwirrt. Sind wir nun in einem Lockdown, einem Halb-Lockdown oder einem Zwei-Drittel-Lockdown? Was sind eigentlich Ruhetage. Dürfen wir trotz Tanzverbot nun Life Of Brian schauen? Was ist los? Wir brauchen neue Wörter, neue Begriffe um zu begreifen.
Alarmstufe Beige.
Jeder kennt Alarmstufe Rot. Rot ist sexy, Rot ist laut. Tausende Tonnen Lava stürzen auf das Bergdorf zu, Zerstörer werfen Wasserbomben auf uns ab oder da versuchen U-Boote unseren Konvoi zu versenken. Alarmstufe Rot ist gekennzeichnet von einer klaren Bedrohung, einem klaren Kurs.
Doch während die aktuelle Bedrohung eigentlich recht klar ist, finden wir keine Richtung, aus der sie kommt. Jeder erzählt, dass sein Bereich kein „Treiber“ der Pandemie sei. Nicht die Schulen, nicht der Handel, nicht die Hotels und nicht die Mama.
Also vielleicht Alarmstufe Gelb? Gelb ist nicht so sexy, nicht so laut, aber so ein bisschen ätzend. Wir müssen die Augen offen halten. Die romulanischen Kriegsschiffe sind getarnt, aber sie werden jeden Moment angreifen. Oder in ein paar Stunden. Oder morgen, wenn Botschafter Spock erwartet wird. Bis dahin bleibt jeder auf seinem Posten, die Phaser sind gut geölt und einsatzbereit.
Doch sollen wir wirklich wochenlang auf unserem Posten bleiben? Und wo ist der Posten? Auf dem Sofa, auf der Impfzentrum-Warteliste, in einem Zoom-Meeting mit einer Ziege? Wird uns bis zum Ende des Sommers ein Angebot gemacht, das wir nicht ablehnen können, wenn wir die Sinne beisammen haben? Nein, vielleicht, siebenundachtzig, kann ich den Telefon-Joker gegen eine 50:50-Joker eintauschen?
Deshalb brauchen wir Alarmstufe Beige. Niemand mag wirklich Beige, aber man kann es großflächig verstreichen. Beige legt sich auf unsere Sinne, Beige ist ein Nebel, durch den wir unseren Weg navigieren müssen.
Für Leute wie mich heißt Alarmstufe Beige mehr Homeoffice, mehr Stress, mehr Ungewissheit, mehr Mutanten. Für andere heißt es: Konstanter Stress, lange Tage, kurze Nächte. Beige ist ein konstanter Drang zur Paranoia, zum Meckern, zum Zynismus. In Beige finden Wahlkämpfe statt, Regierungsbildungen. In Beige werden Kinder eingeschult, in Beige lernen wir erste Basis-Lektionen Finnisch, in Beige treten wir eine neue Stelle an. Tofu-Fertigungsstätten und Tesla-Fabriken werden gebaut. Beige ist Tofu: Eigenschaftslos und höchst konsequent.
In Beige sind wir nah am Wasser gebaut und verletzlich — aber wer ist schon da, uns zu verletzen? Nur die alten Bekannten, Gesichter, Geliebten. Wenn wir gemeinsam durch Beige kommen, wird uns nichts mehr trennen.
Alarmstufe Beige heißt: Wir müssen noch warten. Wir müssen schuften. Und hoffen, dass die, die den Alarm verwalten, sich nicht im Nebel verirren.
Seit Tagen machen Tweets die Runde, in denen behauptet wird, dass die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von WhatsApp gebrochen sei, weil ein „Canary“ tot sei. Doch diese Behauptung basiert auf ein paar grundlegenden Missverständnissen.
Worum geht es?
Dieser Tweet kursiert in meiner Tech-Timeline: „Uh-oh. WhatsApp’s canary just died; they removed the statement that they never have access to your private keys. If you were using it because of its privacy, it’s time to find something else.“
Konkreter geht es um diese Grafik, die zeigt, wie sich die technische Dokumentation von WhatsApp geändert hat. Der Satz „At no time does the WhatsApp server have access to any of the client’s private keys“ wurde gestrichen. Die Schlussfolgerung: Weil in der Doku nicht mehr steht, dass die privaten Verschlüsselungscodes niemals übertragen werden, werden sie nun routinemäßig übertragen und damit wird die Verschlüsselung der Chats aufgehoben.
Was hat es mit dem „Canary“ auf sich? Nun: In den USA gibt es die Möglichkeit, einen Anbieter von Kommunikationslösungen zur Zusammenarbeit mit den Behörden zu zwingen, ohne dass dieser davon reden darf. Eine Umgehungsmaßnahme: Die Anbieter besonders sicherer Kommunikationslösungen dokumentieren öffentlich, dass sie nicht unter einer solchen Anordnung stehen. Wenn dies plötzlich nicht mehr der Fall ist, dann wird die entsprechende Versicherung gelöscht. Damit ist klar, dass etwas vorgeht — auch wenn der Betroffene nicht darüber reden darf. Die Analogie ist die eines Kanarienvogels, der von Bergarbeiter mit unter Tage genommen wurde. Die Idee: Wenn der Vogel stirbt, ist die Luft sehr ungesund und die Menschen sollten sich schnell retten.
Das klingt einigermaßen plausibel — bis man anfängt tatsächlich nachzudenken und die Dokumentation von WhatsApp selbst nachliest. Es stellt sich heraus, dass nicht nur ein Satz entfernt wurde, sondern dass es diverse andere Änderungen gibt. Darunter unter anderem diese Versicherung:
Da steht der vermisste Satz wieder:
The WhatsApp server has no access to the client’s private keys…
Danach geht es aber noch weiter. Die Doku beschreibt einen konkreten Fall, wo private Schlüssel an die Facebook/WhatsApp-Server übertragen werden. Facebook würde gerne WhatsApp monetarisieren, indem der Konzern eine Art Call-Center-Service für Geschäftskunden aufbaut.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn ein Kunde — wie zum Beispiel Coca-Cola — eine Kundenhotline per WhatsApp anbieten will, könnten Gespräche einfach über Call-Center weltweit geleitet werden, was bei einer angeschalteten Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht möglich wäre. Vermutlich kippt Facebook über den eigenen Service noch eine gute Portion AI aus, so dass die meisten Anfragen per Automatismus beantwortet werden. Dafür muss aber Facebook diese Nachrichten lesen können und dies ist, was das technische Dokument beschreibt.
Sprich: Dieses Dokument gibt keinerlei Hinweis darauf, dass die Verschlüsselung von Privatnachrichten kompromittiert wäre. Nutzer sollten sich aber bewusst sein, dass nicht alle WhatsApp-Nachrichten verschlüsselt sind, insbesondere nicht Nachrichten zu Firmen-Hotlines. WhatsApp verspricht den Verschlüsselungs-Status einer Nachricht genau anzuzeigen.
Wer WhatsApp wegen der Privatsphäre nutzt, hat übrigens durchaus berechtigte Gründe, nun über einen Wechsel nachzudenken. Denn Facebook sichert sich grade den Zugriff auf die Metadaten — also ziemlich alles außer den verschlüsselten Inhalten. Auch wenn europäische Nutzer davon zunächst nicht betroffen sind, ist WhatsApp derzeit kein Produkt, das Datenschützer-Herzen höher schlagen lässt.
Es sind weniger als 50 Tage bis zur US-Wahl — und es wird verdammt knapp. Niemand sollte seine Hand dafür ins Feuer legen, wie die Wahl denn ausgehen sollte. Was man aber fast mit Sicherheit sagen kann: Es wird verrückt werden.
Tagtäglich erreichen uns neue Nachrichten, worüber und in welcher Weise der Amtsinhaber Donald Trump über etwas gelogen hat. Dies mag uns zwar mit berechtigter Empörung erfüllen — aber wer will schon monatelang empört sein? Es erschöpft. Und es lenkt ab von Dingen, die wichtiger, aber nicht ganz so einfach zu verstehen sind. Es erschöpft. Es führt die Diskussion auf eine Ebene, in der jeder nur verlieren kann. Und: Es erschöpft!
Deshalb ein Ratschlag, der nicht nur bei einer Sonnenfinsternis gilt: Schaut nicht direkt in die Sonne. Wenn der US-Präsident in den Schlagzeilen auftaucht, ignoriert einfach, was genau er gesagt hat und was ihn wohl dazu motivieren mag. Warum redet er nur mit Bob Woodward? Und warum sagt er ihm Dinge aufs Band, die absolut furchtbar beim Wahlvolk ankommen müssen? Wisst ihr was? Das juckt mich nicht. Ich habe meinen Frieden damit gemacht, dass ich die Gedankengänge von Donald Trump weder rational, noch emotional nachvollziehen kann. Wenn etwas spannend ist, dann sind es die Seitenaspekte, die ich verstehen kann. Zum Beispiel: Wie wird solch ein Buch üblicherweise geschrieben? Welche Dinge weiß Woodward sicher und welche lässt er sich erst durch das Interview bestätigen?
Eine ähnliche Vorgehensweise kann ich bei vielen Themen empfehlen. Ein Prominenter wird von einer staatlichen Einrichtung unbotmäßig, gar grausam behandelt? Die Frage wäre natürlich: Was geschieht tagtäglich mit nicht-prominenten Menschen? Kann man da etwas tun? Ein Berufsprovokateur sagt etwas Empörendes bei Markus Lanz? Wer waren denn die anderen Gäste, die Fachkompetenz einbringen sollten und hatten sie auch etwas zu sagen? Ein schrecklicher Unfall kostet Leben. Kann man da vielleicht etwas tun, damit das nicht mehr passiert?
Starrt nicht in die Sonne. Schaut aber auch nicht ganz weg.
Immer wieder muss ich Artikel über Radfahrer lesen, die von LKWs getötet wurden. Wann immer ich solche Meldungen auf Facebook oder anderen sozialen Medien sehe, bemerke ich viele Kommentare, dieser Art. „Kein Wunder! Die Radfahrer fahren auch ständig bei Rot! Die können doch einfach warten!“ Besonders gehässige Zeitgenossen kommentieren die Todesnachrichten sogar mit Smileys.
Augenscheinlich meinen viele Leute, dass die getöteten Radfahrer den LKWs den Weg abschnitten und sich leichtsinnig in Gefahr gebracht haben. Dass die Opfer zumindest zu einem guten Teil mit Schuld sind. Dass mit etwas defensiver Fahrweise und kluger Rücksicht alle diese Unfälle vermeidbar seien.
Leute, die so kommentieren, verkennen das Problem extrem. Denn das Gegenteil ist der Fall: Radler, die gewisse Regeln ignorieren, die bei Rot fahren, die sich mitten auf die Straße stellen, sind vor solchen Unfällen ziemlich geschützt. Die regelgerecht wartenden Radler jedoch nicht. Ich versuche es hier mal zu erklären.
Wie also passieren diese tödlichen Unfälle? (Vorsicht: Diese Schilderung wird etwas drastisch.)
Stellt Euch vor, ihr steht mit Eurem Rad auf dem Radweg an einer Kreuzung. Die Ampel ist rot, neben Euch steht ein LKW. Vielleicht seid ihr auf dem Radweg neben den LKW gefahren. Vielleicht kam er aber auch erst nach Euch und hat sich neben Euch gestellt. Egal. Die Ampel springt auf grün.
Ihr wollt losfahren, bemerkt aber plötzlich, dass der LKW-Fahrer Euch nicht gesehen hat und einfach abbiegt. Ihr seid erst überrascht, verärgert, bleibt stehen — und dann geht es sehr schnell. Denn während das Führerhaus in der Straße nach rechts abbiegt, schwenkt der Auflieger hinter Euch ein. Auf Arm- oder Schulterhöhe berührt Euch der LKW erst und schmeißt Euch dann um.
Grund ist die sogenannte Schleppkurve. Weil LKWs sehr lang sind, haben sie eine deutlich andere Fahrphysik als normale PKW. Während das Führerhaus bei Kreuzungen einen großen Kreis fahren muss, fahren die Hinterräder eine deutlich kleineren Radius. In diesem Video wird dies sehr anschaulich demonstriert. (Ignoriert aber die Kommentierung, dazu später mehr.)
Stellt Euch weiter vor: Ihr liegt nun weitgehend bewegungsunfähig unter dem LKW auf der Straße. Vielleicht habt Ihr euch die Schulter gebrochen, vielleicht habt ihr durch den Aufprall eine schwere Kopfverletzung. Das Rad hindert Euch schnell wegzulaufen. Wenn der LKW-Fahrer immer noch nicht merkt, was da grade passiert, wird es richtig schlimm. Denn die Hinterräder überrollen Euch samt Rad.
Die Überlebenschancen sind an diesem Punkt nur noch gering. Kein Helm kann helfen. Und das neue Verkehrsopfer hat genau das getan, was andauernd als mögliche Lösung präsentiert wird: Einfach neben dem LKW warten, wenn der sich die Vorfahrt nimmt.
Natürlich läuft nicht jeder Unfall genau so ab. Etwas ganz ähnliches ist aber mir schon im Kölner Straßenverkehr passiert. Ein LKW nahm einfach Radfahrern die Vorfahrt — der Radweg war voll, kein Missverständnis wegen eines toten Winkels war möglich. Der wollte einfach nicht warten und fuhr ohne Rücksicht los.
Wir Radfahrer kamen schnell zum Stehen. Und dann plötzlich kam der Aufleger rapide auf uns zu, erst einen, dann zwei Meter. Er hätte die Radfahrerinnen vor mir fast erwischt, die nicht einfach zurückweichen konnten. Ich glaube, ich habe nie in meinem Leben so laut geschrien. Der LKW hielt grade noch rechtzeitig.
Blickkontakt und toter Winkel
Auch Radfahrer kommentieren solche Unfälle immer wieder mit Appellen, dass Radfahrer defensiv fahren sollten, dass sie mehr Rücksicht auf LKWs nehmen sollten, weil diese ja im toten Winkel nichts sehen könnten. Doch solche Vorschläge sind fehlgeleitet und potenziell tödlich. Auch in dem oben erwähnten Video wird das Überwalzen des Radfahrers lapidar kommentiert: „Also auch bei Grün lieber mal vor der Ampel warten“.
Im Stadtverkehr sind solche Ratschläge zum einen unrealistisch. Gerade im Berufsverkehr, gibt es nicht nur den einen LKW und den einen Radfahrer – man muss auf Dutzende Verkehrsteilnehmer gleichzeitig achten. Wer aus Angst einfach auf dem Radweg stehenbleibt und ihn so blockiert, sorgt für neue Probleme und damit für neue Unfallgefahr.
Als etwa vor ein paar Wochen eine Radfahrerin am Friesenplatz überrollt und getötet wurde, war sie sehr defensiv unterwegs. Sie kreuzte erst als klar war, dass der LKW für zwei andere Fahrradfahrer stoppte, den Radweg also gesehen hatte. Dass der LKW plötzlich anfahren würde, konnte sie schlichtweg nicht ahnen.
Zum anderen: Auch das Stoppen hilft nicht unbedingt. Denn Radfahrer kontrollieren nicht ob ein LKW neben ihnen hält. Und je nach Kreuzung kann die Schleppkurve auch einen Radfahrer erwischen, der vor der Ampel steht.
Viele verweisen auf den toten Winkel — doch den darf es laut Gesetz eigentlich schon lange nicht mehr geben. Ganze sechs Rückspiegel sind gesetzlich vorgeschrieben, die den LKWs vollen Blick auf jeden Winkel bieten müssen. Was hingegen durch die gewölbten Rückspiegel nicht möglich ist: Radfahrer können keinen Blickkontakt mit dem Fahrer aufbauen, um zu kommunizieren oder sicherzugehen, dass man selbst gesehen wird. Es ist schlichtweg physisch unmöglich.
Natürlich wäre es töricht, die Beschränkungen nicht realistisch einzuschätzen. Wenn ein LKW-Fahrer sechs Rückspiegel zu kontrollieren hat, benötigt das Zeit. Und wenn der LKW-Fahrer dazu noch den Verkehr von links im Auge haben muss, ist es für ihn nicht möglich alle Wege gleichzeitig im Blick zu halten. Und genau deshalb ist ein wartender Fahrradfahrer ein zusätzliches Risiko.
Stellt euch die Situation an der Kreuzung nochmal vor. Diesmal seid ihr aber der LKW-Fahrer. Und ihr gehört nicht zu der Sorte, die anderen Leuten die mutwillig und gewohnheitsmäßig die Vorfahrt nehmen. Ein Fahrer, der nicht übermüdet ist. Ihr blickt also in die Rückspiegel rechts und seht dort einen Radfahrer, der eindeutig Vorfahrt hat.
Alles klar, ihr müsst also ein paar Sekunden warten. Nun kontrolliert ihr den entgegenkommenden Verkehr. Wenn sich dort eine Lücke auftut, kontrolliert ihr nochmal die Rückspiegel rechts: Da ist ja schon wieder ein Radfahrer. Also könnt ihr immer nicht losfahren. Wieder ein Blick nach links. Bis tatsächlich klar ist, dass der Radfahrer Euch die Vorfahrt überlassen will, ist für beide schon wieder rot. Oder beide entscheiden sich gleichzeitig, die scheinbar angebotene Vorfahrt anzunehmen. Und dann passiert genau das, was wir oben schon durchgespielt haben.
Radfahrer nach vorne!
Was können Radfahrer also tun? Nun, es hängt doch sehr von den Gegebenheiten ab. Hier zum Beispiel eine Kreuzung am Kölner Militärring, wo es keinen Radweg gibt — zumindest nicht in dieser Richtung. Hier stelle ich mich möglichst mittig. Und in diesem Fall bleibe ich hinter dem LKW. Und wenn ein LKW sich neben mich stellen wollte, könnte er das nicht tun. Leider ist dies nicht bei allen Kreuzungen so. Oft werden Radfahrer mit Schutzstreifen oder nutzungspflichtigen Radwegen genau in die Gefahrenzone gezwungen.
Die konsequente Lösung heißt: Radfahrer gehören nach vorne. Denn hier gibt es keinen toten Winkel. Man kann sie schlichtweg nicht übersehen. Das haben mittlerweile auch die Verkehrsplaner in Köln eingesehen und bauen immer mehr von diesen Haltezonen exklusiv für Radfahrer vor Ampeln. Dazu gehört an großen Kreuzungen auch oft eine eigene Ampel, die Radfahrern einen minimalen Vorsprung gibt. Zwar starten Radler in der Regel eh deutlich schneller als Autos — aber der Vorsprung verhindert, dass die Leute mit Gaspedal noch mitten auf der Kreuzung überholen wollen. Statt eines Vorfahrtsrecht, das den Fahrradfahrern faktisch über die Macht der PS wieder ausgetrieben wird, gibt es für Radfahrer einfach eine echte Vor-Fahrt. Es wäre klasse, wenn es auch anders ginge, aber leider ist es nun mal nicht so.
Falls sich einige nun fragen, was diese Aufstellflächen sollen, wenn die Radfahrer eh nicht dort hingelangen können — selbst unser autobegeisterter Gesetzgeber hat eingesehen, dass Radfahrer nach vorne gehören. Und deshalb gibt es den Paragraph 5, Absatz 8 der Straßenverkehrsordnung.
(8) Ist ausreichender Raum vorhanden, dürfen Rad Fahrende und Mofa Fahrende die Fahrzeuge, die auf dem rechten Fahrstreifen warten, mit mäßiger Geschwindigkeit und besonderer Vorsicht rechts überholen.
Ich hoffe, dass dieser Text einigen vielleicht die Augen öffnet. Gute Fahrt.
Willkommen bei Call Of Duty Mobile. Ich bin noch neu in dem Geschäft, also verzeiht, wenn ich meinen Twitch-Channel in Textform abliefere. Und eine Einführung für Germanisten abgebe. Videospiele sind vielleicht nicht Shakespeare, aber… vielleicht doch.
Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen –
spielen.
Wo könnte man das besser ergründen als in einem zünftigen Battle Royale? Tatsächlich ist jede Runde ein kleines Drama, mit Mut und Verrat, mit Schicksalsschlägen und unerwarteten Wenden.
Keine Bange, ich kann spielen. Level 150, ich bin in den Top 5 Prozent der Spieler weltweit. Denn es gibt nur eine Liga für alle. Dabei war ich nie ein Gamer, und ich werde wohl auch nie einer werden. Aber spielt für ein paar Wochen einmal am Tag und ihr könnt die meisten besiegen.
Dazu gehören ein paar Punkte:
1. Besorgt Euch einen guten Kopfhörer
Call Of Duty ist zwar ein First Person Shooter, aber der Blickwinkel auf einem Handydisplay ist naturgemäß minimal. Statt den Gegner von weitem zu sehen, nimmt man ihn meist über sein Schrittgeräusch zuerst wahr. Wenn ihr keinen Kopfhörer oder noch schlimmer laute Musik laufen lasst, seht ihr die Gegner erst, wenn sie Euch die erste Salve in den virtuellen Leib gejagt haben. Und mehr als 20, 30 Schuss überlebt man nicht ohne eine 10 Sekündige Behandlung durch einen Teamkameraden. Wie ihr seht: Realismus wird hier groß geschrieben. Es muss kein 200-Euro-Gamer-Kopfhörer mit 5 Dimensionen sein. Aber es sollte ein Kopfhörer sein, der Euch in die Gamewelt eintauchen lässt, ohne dass ihr den Kühlschrank rattern hört. Schlichte Lautstärke hilft da nicht.
2. Guckt zu
Ein richtiger Gamer braucht nicht lange, um sich mit einem neuen Spiel auseinanderzusetzen. Alle Steuerungskonzepte sind bekannt und da die meisten Games auf wenigen Game-Engines basieren ist sogar die Optik sehr ähnlich. Wer kein Gamer ist, kann etwas Hilfe gebrauchen. Call Of Duty Mobile hat wie eigentlich alle Spiele der Kategorie die Möglichkeit, anderen Spielern beim Spielen zuzusehen — entweder weil man im Teammodus grade gestorben ist oder man sich mit anderen Spielern verknüpft hat. Das kann durchaus lehrreich sein. Welche der Waffen ist für welche Einsätze geeignet? Wo finde ich wohl die besten Extras, wenn ich an einer bestimmten Ecke der Map gelandet bin? Aber auch: Wie gut spielt man mit anderen Spielern zusammen? Wer keine Freunde in CoDM findet, kann sich auch einfach auf Twitch einen entsprechenden Kanal suchen.
3. Sucht Mitspieler
Was bei Call Of Duty Mobile klasse ist: Es gibt einen schier unerschöpflichen Vorrat an Mitspielern. Man kann sich zu jeder Tages- und Nachtzeit einloggen und innerhalb von einer Minute stehen 98 andere Spieler für eine Battle Royale-Runde zur Verfügung. Noch besser: Die meisten der Spieler sind nicht besonders gut, nicht konzentriert oder sogar gönnerhaft, so dass ein Anfänger immer die Gelegenheit hat, Siege zu erringen.
Die Schattenseite daran: Wer über die normale Team-Zuteilung spielt, hat immer auch Mitspieler, die nicht gut, nicht konzentriert sind oder den Gegnern mal eben eine Partie schenken. Es gibt zwar einen Sprachchat — aber es ist unwahrscheinlich, dass man die gleiche Sprache spricht. Die Single Serving Friends — man erinnert sich vielleicht an die Szene in Fight Club — sind bemerkenswert unzuverlässig. Viele steigen plötzlich mitten in der Partie aus oder haben eine so schlechte Internetverbindung, dass ihre Spielfigur plötzlich minutenlang einfriert. Neulich hat ein Mitspieler den Hubschrauber abgeschossen, in dem grade drei Teamkameraden saßen. Die Runde ging nicht gut für uns aus.
Man kann sich Facebook-Freunde einladen (was ich nie tun würde), man kann sich mit der rudimentären Clan-Funktion rumschlagen oder man kann sich Leute aus Zufallsspielen zusammensuchen. Besser ist es auf jeden Fall, wenn man ein paar Mitspieler hat, die einen nicht an jeder Ecke hängen lassen und bei denen man weiß, was die von einem erwarten.
4. Widersteht Free-to-Play
Call Of Duty Mobile ist eigentlich kostenfrei, aber an jeder Ecke versucht man euch etwas zu verkaufen. Wenn ihr damit nicht klarkommt, dann ist das Spiel nichts für Euch. Ihr müsst nicht nichts ausgeben. Aber wenn ihr 80 Euro in Digitalen Mist investiert habt, dann habt ihr sicher überbezahlt.
5. Respektiert den Flow
Call Of Duty ist bemerkenswert gut perfektioniert, um den Spieler zu binden. Eine Spielrunde dauert exakt so lange, wie man mal eben entbehren kann. Die Spülmaschine braucht noch 10 Minuten? Schnell eine Runde spielen. Der bohrende Nachbar hindert Euch am arbeiten? Schnell eine Runde spielen. Und wenn Ihr zu einer zweiten, dritten, vierten Runde eingeladen werdet — wer kann das schon ablehnen? Ihr könnt. Wenn ihr damit nicht klarkommt und ihr nicht abschalten könnt, ist das Spiel nicht für Euch. Und spielt nicht, wenn eine Kochplatte an ist. Denn ein Wohnungsbrand ist das letzte, was derzeit gebraucht wird.
6. Kommuniziert
Selbst wenn der Sprach-Chat nicht funktioniert, weil niemand in Eurem Team eine gleiche Sprache spricht — versucht zu kommunizieren. Etwa, wo man am besten beim Battle Royale abspringen könnte. wo ihr Feinde gesichtet habt. Oder wann es Zeit ist aufzubrechen, bevor Euch die Todeszone aufholt. Wenn ein Dialog in Gang kommt, haben es Eure Mitspieler schwerer, Euch einfach liegen zu lassen, wenn ihr verwundet seid. Und wenn teams zusammenhalten, landen sie fast immer auf den oberen Plätzen. Winner? Winner!
Der Ende der ersten Phase der Pandemie ist in Deutschland erreicht: Die Zahlen stagnieren zumindest für eine Weile, viele Beschränkungen werden wieder aufgehoben. Die schlechte Nachricht: Auch wenn wir das Virus nun halbwegs unter Kontrolle zu haben scheinen, ist es nicht verschwunden und wird sich auf Dauer bei uns halten. Phase 2 beginnt. Sie stellt keineswegs das Ende der Krise dar. Auch wenn nur von Lockerungen die Rede ist: Ein Bündel an Maßnahmen wird durch ein anderes Bündel an Maßnahmen ersetzt. Die zweite Phase wird nicht unbedingt leichter als die erste.
Es besteht kein Zweifel: Die neuen Maßnahmen sind den alten Verboten vorzuziehen. Menschen brauchen einander. Es ist wichtig für unsere physische und psychische Gesundheit, dass wir tatsächlich andere Menschen treffen können. Und damit weiter Gehälter ausgezahlt werden und Nahrung auf den Tisch kommt, brauchen wir wirtschaftliche Betätigung.
Das Virus ist nicht gerecht
Damit das auf lange Frist funktionieren kann, brauchen wir jedoch neue Maßnahmen, die oft genug ungerecht erscheinen mögen. Nicht jedes Restaurant hat eine riesige Terrasse, auf der Gäste mit gebotenem Abstand bedient werden können. Wer auf vollbepackte Clubs als Publikum angewiesen ist, wird dies auf absehbare Zeit nicht können. Die Kinderbetreuung stellt insbesondere die vor große Probleme, die ohnehin schon benachteiligt waren.
Für berechtigte Frustration sorgt, wenn Leute diese Maßnahmen auf keinen gemeinsamen Nenner bringen können, wenn sie wie Willkür erscheinen. Warum darf die Bundesliga Millionen verdienen, wenn ich um meine schiere Existenz bangen muss? Warum soll ein Möbelgeschäft eher eröffnen dürfen als ein dringend benötigter Kindergarten? Warum gab es die 800-Quadratmeter-Grenze für Geschäfte und warum wurde sie wieder abgeschafft? Sprich: Wenn wir unsere Lebensweise opfern, sollten die Maßnahmen konsistent und so gut begründet sein, wie es unter dem Umständen geht.
Die Maßnahmen der ersten Phase waren zweifellos Panikreaktionen des Staates. Niemand wusste genug über die Verbreitungsmethode der neuen Krankheit. Also zogen die staatlichen Behörden die Register, die sie bereits kannten: geschlossene Grenzen, Betriebsstilllegungen, geschlossene Schulen. Und einige neue Maßnahmen: Kontaktverbote, Maskenpflicht, Isolation von Pflegeheimen. Welche Maßnahme wie viel genau zur Verringerung der Fallzahlen beigetragen hat, lässt sich kaum auseinanderdividieren. Eine lebendige Gesellschaft ist kein Laborexperiment. Effekte zeigen sich manchmal mit deutlicher Verzögerung, manchmal gehen sie im Echo anderer Maßnahmen unter.
Noch immer wissen die Experten zu wenig darüber, wo und wie genau sich die aktuell Infizierten angesteckt haben. Statt klarer Anweisungen mit Erfolgsgarantie gibt es daher eher nur Richtlinien: Wo immer es geht, sollte man Abstand von anderen halten. Wenn es nötig ist, in den Ellenbogen husten. Und die Kontakte reduzieren, so weit es geht.
Immanuel Kant formulierte einst den Kategorischen Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Der Satz geht davon aus, dass wir die gesellschaftlichen Folgen unseres Handelns so umfassend beobachten und begreifen können, dass wir eine informierte Entscheidung treffen können, was gut und was schlecht sein mag. In unserer kreuz und quer vernetzten Gesellschaft ist das schwieriger als je zuvor.
Einsicht benötigt Erklärungen
Deshalb sind die Regierungen gefordert, den Sinn der von ihnen verhängten Maßnahmen besser und dauerhafter zu erklären, so dass sie nicht vom nun erlaubten Verhalten ad absurdum geführt werden. Zum Beispiel: Ein zentraler Unterschied zwischen COVID-19 und einer Virusgrippe ist die lange symptomfreie Zeit, in dem Infizierte ansteckend sein können. Für jeden Einzelnen heißt das: Selbst wer sich absolut gesund fühlt, muss davon ausgehen, mit einer gewissen — zur Zeit kleinen – Wahrscheinlichkeit erkrankt zu sein. Und damit andere zu gefährden.
Die überall herumgereichten und analysierten Statistiken liefern hingegen nur eine binäre Sicht der Dinge. Ein einmal positiv getesteter Patient ist nach gewisser Zeit entweder tot oder wird in die Kategorie „Genesene“ einsortiert. Aber auch Menschen die nicht in der Intensivstation an Beamtmungsmaschinen landen, berichten von einer ernsthaften Erkrankung. Wie viele Langzeitschäden davontragen ist noch ungeklärt. Der Coronische Imperativ lautete daher in etwa so: „Handle immer so, als könntest Du durch Unachtsamkeit Deiner ganzen Familie und Deinen Freunden eine schwere Lungenentzündung verpassen.“
Die Strategie des Staates ist es, Infektionen möglichst schnell zu identifizieren und zu isolieren. Selbst wer mit keinem schweren Krankheitsverlauf rechnet, wird in den kommenden Monaten mit zunehmend scharfen Reaktionen der Gesundheitsämtern und anderer Behörden rechnen müssen. Vor wenigen Wochen konnten sie unmöglich jede Kontaktperson der Infizierten ausfindig machen. Tests und Quarantänen waren auf Eigeninitiative der Betroffenen angewiesen.
In Phase 2 werden Behörden hier jedoch die Handlungsmacht übernehmen. Auch wer schließlich nicht erkrankt, wird Folgen spüren: Zunehmend strenge Isolierungen, lästige bis schmerzhafte Tests und damit verbunden auch eine gesellschaftliche Ächtung. Zugleich hat eine enorme Datensammelei begonnen: Wer eine Kirche besuchen will oder in einem Restaurant eine Pizza essen will, soll Namen und Telefonnummern hinterlassen, um im Fall der Fälle erreichbar zu sein. Die viel diskutierte Tracing-App kann solche Maßnahmen nicht ersetzen.
Der Staat als Gemeinschaft
Wer tagtäglich Infektions- und Testzahlen studiert und die Berechnung der Reproduktionszahlen nachvollziehen will, sollte auch einen Blick auf einen ganz anderen Wert werfen: Wie weit ist der Ausbau der Gesundheitsämter, der neuen Infrastruktur zur Verfolgung und Isolierung von COVID 19 gediehen? Denn an diesem Ausbau hängt es, ob eine Handvoll „Superspreader“ die Bemühungen der vergangenen Wochen wieder zunichte machen kann. So hat ein einziger Erkrankter ausgereicht, um eine Infektionswelle in Südkorea in Gang zu setzen, die bis zu 2000 Menschen in Isolation schicken soll und die Lockerungsmaßnahmen wieder in Frage stellt.
Wer auf Einsicht des Einzelnen baut, ist auch gefordert, nachvollziehbare Erklärungen zu liefern. Es reicht nicht mehr aus, die abstrakte Reproduktionszahl R vorzurechnen und Deutschland gleichsam aus der Drohnenperspektive zu betrachten. Je konkreter Menschen staatliche Strukturen als Gemeinschaft begreifen, um so eher kann die Phase 2 gelingen.
Die neue Datenjournalismus-Website „The Markup“ ist nach langem Trommelwirbel und einigen Querelen endlich online. Die mit dem Geld von Craig Newmark finanzierte Website verspricht journalistische Hilfestellung dabei, Wahrheit von Meinung, Anekdote, Spin und richtiggehende Propaganda zu unterscheiden. Es ist Tag 2 und ich muss sagen: Nein, da stimmt etwas ganz gehörig nicht.
Heute bringt das Journalismus-Startup eine Geschichte, wie unterschiedlich Google die Kampagnen-E-Mails der unterschiedlichen Präsidentschaftsbewerber behandelt. Das ist eine legitime Fragestellung und eine systematische Untersuchung zum Thema ist sicher einen Blick wert. Auf Twitter zeigt The Markup, wie sexy die Statistik doch ist. Der Artikel wird mit der maximal tendenziösen Frage eingeleitet: „Google the Giant — Swinging the vote?“ – eine Verschwörungstheorie in Frageform.
Natürlich verbreitet sich die Story gleich enorm schnell. Google bevorzugt Buttigieg! Und Sanders wird fast komplett ausgefiltert!
Das Problem ist: Die Methodik der Untersuchung ist so fehlerbehaftet, dass jeder, der daraus eine Erkenntnis ziehen will, grob fehlgeleitet wird.
Für den Laien mag die Idee nachvollziehbar klingen: Man sammelt vier Monate lang alle Emails aller Kandidaten und gibt Google keinerlei Anlass E-Mails auszusortieren. Damit keine Daten das Experiment verseuchen könnten, loggt man sich per Tor Browser ein. Also müsste Google doch eigentlich alle eingehenden E-Mails gleich behandeln. Richtig?
Nein, das ist falsch. Denn das Grundkonzept von E-Mail-Filtern wie bei Gmail ist ein anderes. Ein Funktionsprinzip: Wenn 50000 User eine bestimmte E-Mail als Spam markieren, dann wird die Email beim Nutzer mit der Nummer 50001 die E-Mail automatisch in den Spam-Ordner vorsortiert. Man kann dies wie ich als Grund nehmen, Google Mail nicht zu benutzen. Es ist jedoch journalistisch nicht in Ordnung so zu tun, als habe man dieses einfache Prinzip nicht verstanden.
Zudem ignoriert der Text eine grundlegende Wahrheit. Tatsächlich ist politische Werbung per E-Mail spätestens seit dem Obama-Wahlkampf zu einem schieren Ärgernis für viele Nutzer geworden. Seien wir realistisch: Wenn Amy Klobuchar in nur vier Monaten 312 E-Mails verschickt — wer soll all das noch lesen? Und hier kommt dann der Google-Filter ins Spiel. Er sortiert nicht nur Spam aus, sondern sortiert auch „Promotions“ in einer Extra-Box um, die nicht so prominent angezeigt wird. Wenn nun Kampagnen-Emails in der Promotions-Sparte landen, kann man sagen: Der Filter funktioniert. Die befragten Vertreter der Sanders-Kampagne sehen deshalb auch kein Faulspiel von Google. So funktioniert E-Mail-Marketing nunmal.
Natürlich hat Google hier ein kritikwürdiges Eigeninteresse. Wenn nicht jeder gleichberechtigte Sichtbarkeit im Google-Postfach bekommt, dann kann Google Werbeanzeigen verkaufen. Wahr ist aber auch: Wenn jeder gleichberechtigt Sichtbarkeit im Google-Postfach bekommt, dann wird das Postfach für viele Nutzer nicht mehr nutzbar. Es werden viele Witze über Milennials gemacht, die ihre Mailbox nicht mehr abhören und damit wichtige Nachrichten verpassen. Das ist sicher eine Wahrheit. Aber eine andere Wahrheit ist: Im vergangenen Jahr wurden 58,5 Milliarden Robocalls in den USA getätigt. Wer da nicht mehr ans Telefon geht, hat sich schlicht an eine Realität angepasst.
Zurück zu Google: Es ist nicht verkehrt, die Google-Algorithmen unter die Lupe zu nehmen. Doch das wurde hier ja explizit nicht getan. Wenn Pete Buttigieg nicht in den Promotion-Filter abgeschoben wird, hängt das sicher auch damit zusammen, dass er weniger E-Mails als fast alle anderen Kampagnen versandt hat. Wenn die Post von Bernie Sanders komplett in dem Promotions-Ordner landet, hat es damit zu tun, dass er schon seit über fünf Jahren Wahlkampf macht und Google-Nutzer sehr viel Zeit hatten, seine Kampagnen-Emails als Promotion einzustufen. Ohne diese Kontexte sind die Daten ziemlich wertlos. Die Präsidentschafts-Kampagnen sind schließlich nicht vor vier Monaten vom Himmel gefallen.
Wenn man wirklich über den Einfluss von Google schreiben will, müsste man schon ein paar Gegentests einbauen: Zum Beispiel: Arbeiten Outlook, Yahoo und andere Webmail-Provider wirklich anders? Und: Warum sagt die Sanders-Kampagne, dass sie keinerlei Problem hat, wo doch alle E-Mails im Promotion-Tab landen? Man könnte sich auch ansehen: Nutzen politische Kampagnen das Angebot, einen ersten Platz in der Promotion-Inbox zu kaufen? Notwendig wäre es auch gewesen, mal in die E-Mails hineinzugucken, die im Spamfilter gelandet sind. Gab es dafür vielleicht offensichtliche Gründe, wie extensive Tracking-Techniken? Bei Kampagnen mit hohen Spam-Anteilen wäre auch zu fragen: Woher beziehen sie die E-Mail-Adressen der Empfänger? Nichts davon ist hier geschehen. Wenn man sich den Input nicht ansieht, kann man nicht entscheiden ob der Output eines Algorithmus korrekt oder inkorrekt ist.
Erst ganz zum Schluss des statistischen Addendums räumt The Markup dann schließlich ein, dass die Mühe, die sie sich gegeben haben, eigentlich zu nichts geführt hat:
Ich würde es sogar etwas härter formulieren: Die Untersuchung hat nicht mal ergeben, ob E-Mails der Kandidaten tatsächlich unterschiedlich behandelt werden. Das wird aber leider viele Fans von Kandidaten und Journalisten-Kollegen aber nicht davon abhalten, das absolute Gegenteil zu verbreiten.