So’n Shard

Das Ingress-Leben kann ziemlich eintönig sein. Man baut ein Portal auf, jemand anders reißt es ein. Man baut ein Feld auf, jemand anders reißt es ein. Man deckt eine ganze Stadt mit Feldern ab, obwohl man in der Minderheit ist. In your face, Schlümpfe!

Um das Ganze aufzufrischen schickt Google Leute wie Anne Beuttenmüller durch die Städte der Welt, um dort lokale Wettbewerbe zu veranstalten. Ich habe bei so einem Happening mitgemacht und mit etwas mehr Kommunikation, worum es überhaupt geht, kann das viel Spaß machen. Mit ein paar Hundert Spielern durch die Stadt ziehen, Geheimbotschaften entschlüsseln, Kommunikations- und Befehlsstrukturen aufbauen, Fahrradstaffeln als schnelle Eingreiftruppen aufstellen. Und nachher zusammen durch die Kneipen ziehen.

Zur Zeit hat Niantic einen neuen Wettbewerb im Gange. Statt lokal zu konkurrieren sollen Enlightened und Resistance über Landesgrenzen hinweg gegeneinander konkurrieren. Es geht darum, so genannte „Shards“ von Portal zu Portal zu transportieren. Die einen müssen ihre Shards nach San Francisco bringen, die anderen irgendwo nach Südamerika. Nun müssen beide Teams jeweils zur vollen Stunde darum konkurrieren, wem das Portal gehört und es mit gezielten Links weitertransportieren oder blockieren.

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Die Episode gestern in Köln haben die Schlümpfe gewonnen. Nachdem es 18 Stunden kaum weiterging, haben sie es irgendwann in den frühen Morgenstunden geschafft, den Shard aus Köln rauszuschmuggeln. Derzeit ist er auf dem Weg nach Belgien. Ich sehe das gelassen — jetzt muss sich das Resistance-Team den Kopf zerbrechen, wie es das Ding über den Atlantik bekommt. Ein Shard dümpelt derweil auf der idyllischen Azoren-Insel Corvo in einem verlassenen Portal. Nun muss Niantic die Regeln mitten im Spiel ändern, damit die Episode selbst in den fiktiven Erfolgsberichten nicht zum Desaster wird. (PS: Oder die Frösche vor Ort schaffen nach einer längeren Planungsphase doch den Sprung auf’s Festland.)

Was gedacht war als olympischer Staffellauf, ist eine Frustrationsmaschine. Am Ende gewinnt der, der um drei Uhr morgens an einem normalen Arbeitstag mit dem Smartphone vor Ort ist, da jede Taktik viel zu einfach vom gegnerischen Team zerstört werden kann. Die Intel-Map von Ingress ist nicht zu gebrauchen, da sie mehrere Minuten braucht um die Änderungen anzuzeigen, die Spieler fliegen blind. Und dann gibt man den Erfolg aus der Hand. Denn der Atlantik ist einfach zu groß.

Schengen-Routing? Nur zu, aber ohne Gesetze

Als ich das erste Mal von „E-Mail made in Germany“ gehört habe, dachte ich: Nur zu. Warum habt ihr so lange gewartet? Die Erklärung von Telekom, United Internet und Freenet, dass sie ihre E-Mails endlich beim Transport verschlüsseln wollten, war zumindest ein Hoffnungsschimmer. Dass die Teilnehmer dieser „Allianz“ ein besonderes Symbol bekommen sollten, wo sie in Sachen E-Mail-Sicherheit zum Beispiel Google so weit hinterherhinkten, war zwar etwas gewagt — aber jeder kämpft mit seinen Mitteln um Marktanteile. Google installiert dafür Google Mail auf fast allen Smartphones.

Ähnlich dachte ich beim „Schengen-Routing“ oder dem verspotteten #schlandnet: Das Internet ist zwar sehr auf weltweite Verbindungen angewiesen. Aber die Router schießen Datenpakate aber nicht aus purer Freude und Übermut über den Atlantik. Sie sind so eingestellt, dass sie die schnellste oder günstigste Route nehmen. Wenn nun also die deutschen, europäischen oder schengenräumischen Anbieter mehr gute und günstige Verbindungen aufbauen wollen: Nur zu. Das könnte sogar etwas an den Abends stockenden YouTube-Videos ändern, die Google natürlich nicht jedesmal aus Amerika herübersendet, sondern aus den in Europa angesiedelten Rechenzentren und Zwischenspeichern. Und: Der GCHQ bekommt etwas weniger zum Schnüffeln — zumindest nicht direkt ins Haus geliefert.

Kein Telekom-Zwang per Gesetz!

Problematisch wird es aber dann, wenn dieses Routing in Gesetze gegossen werden soll. Dann wird es hoch problematisch. Die Deutsche Telekom verwies auf der Konferenz Cyber Security Summit zwar wiederholt daraufhin, dass auch andere Länder solche Routing-Regeln hätten. Mir fielen da spontan nur China, Iran, Kuba und Co ein. Auf wiederholte Nachfrage nannte der Telekom-Vorstand dann die USA als Beispiel. Da dort fast alle wichtigen Tier-1-Provider, Facebook, Google und Apple sitzen, dringt natürlich wenig Datenverkehr nach außen. Zudem gebe es im Telekommunikationsbereich Vorschriften, den Telefonverkehr nicht über anderen Länder zu leiten. Die Amerikaner wissen warum. Wenn man den Enthüllungen Snowdens glauben mag, nutzten sie Kooperationen ihrer eigenen Telekom-Konzerne, um in Netze anderer Länder einzubrechen.

Doch Telefonverkehr ist nicht das Internet. Es gibt keine Ländervorwahlen und viele der obsoleten Telekom-Vorschriften greifen nicht mehr. Der BND nutzt diese Erkenntnis angeblich, um das ganze Internet zur Auslandskommunikation zu erklären. Darüber sollten wir, darüber sollte der Gesetzgeber dringend reden. Auch mit Schengen-Routing kann man keine brauchbare Trennung zwischen geschützter und ungeschützter Kommunikation ziehen. Auch wenn ich per Facebook oder Skype kommuniziere, sollte meine Telekommunikation nach Grundgesetz vor dem deutschen Staat geschützt sein. Und ein Gesetz, das so tut, als ob Deutsche nur ihre T-Online-E-Mail nutzen, ginge an der Realität vorbei.

Das Internet muss flexibel sein. Man stelle sich vor, ein Gesetz zwingt die kleinen Anbieter mit dem einen großen deutschen Telekom-Konzern so weit zu kooperieren, wie es technisch und wirtschaftlich nie erreichbar wäre. Eine Störung bei der Telekom würde das gesamte deutsche Netz ins Wanken bringen. Denn die Verbindungen zu US-Anbietern wie Level3, die durch Telekom-Verbindungen ersetzt worden wären, wären flugs überlastet. Zudem wäre es ein bequemer Unterpfand für die Pläne der Telekom, für die Nutzung des eigenen Netzes von Content-Anbietern wie YouTube Geld zu kassieren. Denn wenn die US-Konkurrenz gesetzlich ausgesperrt oder gebremst würde, flösse mehr Verkehr über die Telekom. Wenn die an der einzigen Hochgeschwindigkeits-Anbindung ins deutsche Netz ein Mauthäuschen aufbaut, dann müssen die Großspediteure wohl oder übel zahlen. Gibt es mehrere gleich gut ausgebaute Zufahrten, wer soll ausgerechnet die Mautstrecke nehmen?

Eine AG kann keine Geschenke verteilen — und tut es nicht.

Natürlich hat die Telekom recht, wenn sie die vielen Forderungen nach Netzausbau, Qualität und Neutralität mit den Frage beantwortet: Wer soll das bezahlen? Die Politik hat entschieden, die Telekom zu einer Aktiengesellschaft zu machen, sie ist daher profitorientiert und kann nicht pausenlos Geschenke verteilen, weil es der Politik gefällt. Kapitalanleger verlangen, dass sich Investitionen in fünf Jahren bezahlt machen. So baut man kein Glasfasernetz. Vielleicht lernen Kapitalanleger ja dazu.

Die Umkehrseite heißt dann aber auch: Mit der Telekom gibt es kein informelles quid pro quo. Wenn die Politik dem Konzern Einnahmen in Höhe von einer Milliarde Euro zuschustert, darf der sich gar nicht in den deutschen Netzausbau pumpen, wenn ein Investment im Ausland so viel lukrativer erscheint. Wenn ich also lese, dass Bundesinnenminister Friedrich das Deutschland/Schengen-Netz in ein vermeintliches, höchstwahrscheinlich missverstandenes Sicherheitsgesetz gießen will und die Telekom gleichzeitig um umfangreiche Regulierungserleichterungen, sogar „Regulierungsferien„, lobbyiiert, liegt ein solcher politischer Tauschhandel nahe: Eine vermeintlich verbesserte Sicherheitsinfrastruktur wird gegen Wettbewerbsvorteile eingetauscht. Und der Bund muss nichts bezahlen, spart sogar ein paar Stellen bei der Bundesnetzagentur.

Ein solcher Handel wäre jedoch ein Kuhhandel. Die Sicherheitserhöhung ist nur marginal, wenn die Anbieter endlich aufwachen und ihre Verbindungen verschlüsseln — und was der BND tut, sollen wir eh nicht erfahren. Die Auswirkungen auf das Internet, den Wettbewerb und die Rechtssicherheit von Angeboten wäre jedoch beträchtlich. Wenn US-Anbieter auf unzulässige Weise in den Markt eingreifen, um Herrschaft über Datenleitungen zu bekommen, dann sind die Wettbewerbsbehörden gefragt.

Österreich und Adblock Plus

Spannende Entwicklung: Die österreichische Wettbewerbesbehörde will gegen den Google ermitteln, weil der Konzern, gegen den schon ein Verfahren bei der EU-Kommission wegen dessen Praktiken in Zusammenhang mit dessen marktbeherrschenden Stellung im Werbemarkt läuft.

Der ORF, dessen Spitze in letzter Zeit sehr offensiv gegen den Werbe-Konkurrenten Google zu Felde zieht und selbst Beschwerde eingelegt hat, fasst die Situation so zusammen:

Konkret geht es um Werbeblocker: Die Wettbewerbshüter vermuten, dass Google mit einem befreundeten Werbeblocker-Unternehmen gemeinsame Sache machen könnte und dadurch nur Werbung von zahlenden Google-Kunden gezeigt wird.

Jein. In der Tat ist es ein offenes Geheimnis, dass Adblock Plus von Google bezahlt wird. Das Unternehmen hinter dem Werbeblocker lässt sich von Werbetreibenden bezahlen, dass sie in eine Ausnahmeliste aufgenommen werden. Das klingt nach einem eindeutigen Fall von Wettbewerbsmissbrauch. Doch gleichzeitig ist diese Aufnahmeliste vor allem an die Bedingung geknöpft, dass die Werbetreibenden nur „nicht-nervende“-Werbung anzeigen: Flash ist verboten, Blinken und Tönen sowieso. Der ORF selbst hätte selbst dann keine Chance seine meist großflächige Bewegtbildwerbung auf seinen Webseiten freischalten zu lassen, wenn er Adblock Plus viel Geld bezahlte. Google hingegen, das weitgehend auf milliardenfach gezielt ausgespielte Textwerbung setzt, kann die Kriterien mit Leichtigkeit erfüllen.

Dennoch würde eine Wettbewerbs-Untersuchung sehr spannend werden. Denn Adblock Plus weigert sich nämlich bisher mit offenen Karten zu spielen. Denn manche Webseitenbetreiber sollen für die Ausnahmeregelung zahlen, andere hingegen nicht. Allenfalls ein paar Zahlen veröffentlicht das Unternehmen hinter dem Open-Source-Werbeblocker. Nur 10 Prozent von 148 Ausnahmen sollen Anfang Oktober gezahlt haben. Wer das ist, kann man sich ungefähr ausmalen, wenn man sich die Liste der Ausnahmen durchliest: Amazon steht drauf, Google, Yahoo, Web.de und GMX. Genau wissen kann man es aber nicht, da Adblock Plus sich hinter Verschwiegenheitsklauseln versteckt. Medien — wie t3n oder Heise — werden laut Adblock Plus kostenlos aufgenommen, können aber meist nur wenige Werbeplätze für die „nicht-nervende“ Werbung reservieren. Gleichwohl wäre Adblock Plus in Erklärungsnot, wenn Nicht-Zahler nicht auf die Ausnahmeliste kommen, obwohl ihre Werbung „nicht-nervend“ ist.

Der BGH hatte einst den Werbeblocker für das Fernsehen erlaubt — allerdings ohne den durchschlagenden Erfolg: Auch fast 10 Jahre danach können TV-Sender ihre Werbung noch ungestört in die Wohnzimmer der Kundschaft senden. Hätte die Fernsehfee damals hingegen von den Sendern Ausnahmelistenplätze verkauft hätte, hätte das Urteil des Bundesgerichtshofs wohl komplett anders ausgesehen, es wäre ein komplett anderes Verfahren gewesen.

PR-Arbeiter sprechen nicht Wikipedia

Es wird oft als Glaubensfrage behandelt, ob PR-Abteilungen in Wikipedia schreiben dürfen. Ist es gerecht, dass die einen Autoren nicht bezahlt werden, während die anderen für ihre PR-Arbeit Geld kassieren? Wird das soziale Miteinander vergiftet? Ich habe dazu keine festgefügte Meinung. Aber immer wieder drängt sich mir der Eindruck auf: Viele PR-Arbeiter sind praktisch nicht mehr fähig, Enzyklopädie-Artikel zu schreiben. Nicht nur ihr Schreibstil ist gänzlich unenzyklopädisch — sie scheinen auch nicht mehr fähig, die Dissonanz zwischen Realität und Darstellung wahrzunehmen. Oder es ist ihnen nicht erlaubt.

In den letzten Monaten hat eine Agentur namens „Sucomo“ vorzugsweise mittels „Sponsored posts“ dafür getrommelt, dass sie transparent und professionell in der Wikipedia arbeiten kann. „Transparent“ heißt hier freilich, dass Sucomo weder Klienten, noch Mitarbeiter offenbaren will, die eigene Webseite mit der Beschreibung ihrer Dienstleistung ist seit Monaten gelöscht.

Nun spült mir Google News diese Meldung bei Basic Thinking ins Blickfeld: Deutsche Wikipedia öffnet sich für Unternehmen und PR – kostenloser Leitfaden erklärt wie“.

Wie weit hat sich Wikipedia für Unternehmen geöffnet? Schauen wir doch einmal in die Meldung den bezahlten Werbetext hinein:

Immer wieder wird darüber gestritten, wie weit sich Benutzer mit kommerziellem Hintergrund beteiligen dürfen. Auch die deutsche Wikipedia hat darüber heftig diskutiert und sich kürzlich in einem Meinungsbild entschieden, die Regeln nicht zu verschärfen.

Sprich: Die Öffnung der Wikipedia besteht darin, dass sich in einer nicht-gültigen Abstimmung viele Leute nicht bereit gefunden haben, eine untaugliches und nicht durchsetzbares PR-Verbot in die Regeln aufzunehmen. Wenn die PR-ler von Sucomo und ihre neuen(?) Mitstreiter von der Agenturgruppe Aufgesang sagen, dass sie eine Tür geöffnet haben, heißt das lediglich, dass sie diese in den letzten drei Minuten nicht zugenagelt haben. Vorsicht: Wer solche Behauptungen unbesehen glaubt, läuft in Gefahr sich den Kopf zu stoßen.

Den in der Meldung versprochenen „kostenlosen“ Leitfaden gibt es dann doch nicht ganz umsonst:

linkbait-aufgesang

Wer den „Pay with a tweet“-Service mit Twitter nutzen will, muss der App vollen Zugriff einräumen.

Diese Applikation kann:

Tweets aus Deiner Timeline lesen.
Anzeigen, wem Du folgst und neuen Leuten folgen.
Dein Profil aktualisieren.
Tweets für Dich veröffentlichen.

In der Agenturbroschüre von Aufgesang stehen „Linkbaits“ als Tätigkeit. Kostenlos neutrale Informationen zu verbreiten um das Weltwissen zu dokumentieren — das steht merkwürdigerweise nicht darin.

Merkelphone — und nun?

Zunächst einmal: Ja, die Häme ist gerechtfertigt. Wir haben gesehen, wie der NSA-Skandal von der Bundesregierung öffentlich abgefertigt wurde. Optimisten konnten sich zwar irgendwie zusammenreimen, dass die Bundesregierung hinter den Kulissen daran arbeitet, der US-Regierung Grenzen aufzuzeigen. Falls es einen solchen Dialog gegeben haben sollte, so hat die Presseerklärung der Bundesregierung von gestern gezeigt: Dieser Dialog hat nichts gebracht.

Ob es den Dialog gegeben hat, kann man in Zweifel ziehen. So sagte Wolfgang Bosbach heute morgen im Deutschlandfunk:

…ich glaube, dass die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin auch deshalb so empört sind, weil gerade die Bundesregierung doch in ihren Reaktionen eher zurückhaltend war.

Diese Haltung ist merkwürdig. Es ist die Hoffnung, wenn man nur den Kopf unten hält, wird man schon nett behandelt werden. Doch Deutschland ist nicht Dänemark, Machtpolitik kann unsere Regierung selbst. Wenn ihr an dem Thema etwas liegt. In Sachen Autoindustrie halten wir unsere Köpfe auch nicht unten.

Im gleichen Interview wurde Bosbach noch etwas grundsätzlicher:

Nein, denn wir können nicht die Freiheit dadurch verteidigen, indem wir sie schrittweise abschaffen. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob ich Telekommunikation überwache bei begründetem Tatverdacht zum Zwecke der Gefahrenabwehr, oder ob ich weltweit Daten sammele, und zwar völlig unabhängig davon, ob ein Verdacht vorliegt oder nicht, nach dem Motto, wenn ich den gesamten Telekommunikationsverkehr überwache, auch von völlig unbelasteten unschuldigen Bürgerinnen und Bürgern, dann werden schon die Informationen dabei sein, die wir zur Gefahrenabwehr brauchen.

Was er da beschreibt, ist nicht nur die NSA-Ausspähung, sondern auch die Vorratsdatenspeicherung, die Bosbach sehr befürwortet. Hier wie dort geht es darum Daten von „unschuldigen Bürgerinnen und Bürgern abzuspeichern“ um dann nachher die Daten herauszufiltern, die man zur Gefahrenabwehr benötigt.

Der einzige Unterschied: Hier sollen die Daten bei den Providern zwischengelagert werden, dort landen die Daten direkt auf den NSA-Festplatten. Ist das genug Unterschied, um den Rechtsstaat auf der einen, aber nicht auf der anderen Seite zu sehen? Theoretisch vielleicht ja, praktisch jedoch nein. Wir haben in den letzten Jahren auch in Deutschland eine zunehmende Datenbankgläubigkeit und eine Aufweichung der Grenzen gesehen. Datenabfragen wie die Handyinformationen Zehntausender Demo-Besucher werden von den Gerichten routinemäßig abgefragt und landen dann in Dateien — irgendwo zwischen Geheimdiensten und Strafverfolgern. Ganze Stadien werden kriminalisiert. Männer zwischen 14 und 64 — haltet Eure DNA bereit.

Wenn die Bundesregierung auch nicht in der Lage sein mag, die NSA aus Deutschland auszusperren, wenn es naiv sein mag, dass man Geheimdiensten rechtsstaatliche Grenzen aufzeigen kann, kann die Bundesregierung ein Zeichen nach innen setzen.

Ich bin kein fundamentalistischer Vorratsdatenspeicherungs-Gegner. Wenn wir Autonummernschilder haben, wenn wir unsere Buchhaltung über 10 Jahre ablegen und auf Verlangen vorzeigen müssen, wenn wir biometrische Personalausweise akzeptieren und mit Fingerabdruck zahlen, dann fällt es schwer, den Online-Bereich als große Ausnahme zu definieren.

Doch warum sind die Argumente für die Vorratsdatenspeicherung nur so schlecht? Was Berlins Justizsenator — ich vermute Mal als Ansage für die Große Koalition (oder gar als Bewerbung für den Posten des Bundesinnenministers?) in der FAZ veröffentlichte spottet jeder Beschreibung.

Angefangen mit Statistik-Verblödung

der Bericht des CRIM-Komitees des Europäischen Parlaments, der in der vergangenen Woche erschienen ist, beziffert die Schäden durch Cyber-Kriminalität auf 290 Milliarden Euro. Jeder private Internetnutzer in Deutschland wird im Schnitt um mehr als 200 Euro im Jahr betrogen.

…über die Gesellschaftsphilosophie-Dribbling…

Die Frage stellt sich ähnlich im Privatsektor. Bekomme ich einen Vertrag, bei der Bank, bei dem Telefonanbieter oder bei der Krankenversicherung? Als Bürger weiß ich nicht, für wen ich ein Risiko darstelle und schon gar nicht, warum.

…hin zu „Ich kenne Kriminalität eigentlich nur aus dem Tatort“.

Straftäter, die das Internet missbrauchen, lassen sich durch solche Regeln leider nicht beeinflussen. Was sie tun, ist heute schon strafbar – theoretisch. Praktisch arbeiten die Täter aus der Distanz und bleiben unerkannt. Sie greifen mit ausspähender Hard- und Software an, die sie bequem im Internet bestellen können. […] Die Strafverfolgung ist auch deswegen erheblich erschwert, weil die Täter keine realen Spuren hinterlassen. Deshalb müssen die wenigen Spuren, die sie bei den Telekommunikationsunternehmen hinterlassen, dort sechs Monate erhalten bleiben.

Besonders bezeichnend fand ich die Begründung, warum er den Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ nicht mehr will. Die Wahrheit ist — davon bin ich fest überzeugt — die Deutschen wollen keine Vorratsdatenspeicherung, selbst wenn sie nicht so recht verstehen, was das Wort bedeutet.

Das wird unter der etwas irreführenden Bezeichnung Vorratsdatenspeicherung diskutiert. Denn gespeichert wird dort nichts extra, sondern Daten, die da sind, werden heute schnell gelöscht – in der Regel zu schnell, um einige dieser Daten zur Ermittlung von Internettätern noch per Gerichtsbeschluss der Polizei zu übergeben.

Man kann sich das mehrmals durchlesen und es ergibt keinerlei Sinn. „Vorrat“ heißt nicht, dass es um eigens erfasste Daten geht, das steckt in der Wortbedeutung nicht drin. Daten werden mal schnell, oft viel weniger schnell gelöscht, und die Kriminellen, die Herr Heilmann benennt, wird man damit allesamt nicht ermitteln. Vielleicht aber erwischt man viel mehr Leute, die ein paar Musikalben oder Serien kostenlos aus dem Netz geladen haben — die zählen sicher zu den Schadenssummen, die Heilmann oben dem kleinen Mann zugerechnet hat. In Wahrheit sind es wohl 200 Euro, die der Verbraucher mehr zahlen soll, und damit nicht mehr in den zuweilen kreativen Verluststatistiken der Industrie auftauchten.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn die Bundesregierung sich über die NSA empört, kann sie Botschafter einbestellen und Handies austauschen — es ändert nichts. Wenn sie ein Zeichen setzen will, muss sie das hier tun. Und ihre Bürger nicht für doof verkaufen.

Cryptoparty im Kanzleramt

Angela: „Also ich brauch jetzt Deinen Key, Volker?“
Volker: „Sofort. Hier ist er“
Angela: „Und nun?“
Volker: „Der Fingerprint…“
Angela: „Na dann her mit den Flossen“
Volker: „Nicht doch. Mein Fingerprint ist Null Ix Fünf Fünf….“
Angela: „Das muss ich jetzt eintippen?“
Volker: „Einen Moment, das kann ich doch machen…“
Angela: „Hände weg von der Tastatur!“
Volker: „Aber…“
Angela: „Ich weiß jetzt wirklich nicht, wem ich jetzt noch vertrauen soll…“
Volker: „So macht das keinen Sinn. Wir sollten das hier beenden. Ich rufe beim BSI an.“
Angela: „Was sollten wir?“
Volker: „Be-enden“
Angela: „Ja. Haha.“

Minority Report ist eine Fiktion

Ich weiß, es wird Euch schockieren. Aber die Dokumentation über den Polizisten Toto Harry Tom Cruise ist keine. Minority Report ist von vorne bis hinten erfunden. Doch andere scheinen daran zu glauben: Denn immer noch versprechen Überwacher, dass ihre Überwachung schon die Lösung der gesellschaftlichen Probleme sein soll. Natürlich bis auf das Problem der Überwachung. Aber ist das überhaupt ein Problem?

Es fing auch mit einer realen Fiktion an. In New York sorgte einst das allmächtige Computersystem, das Verbrechen katalogisierte bis es sie quasi vorhersagen konnte, für ein neues Zeitalter. Bürgermeister Rudolph Giuliani war für diese Neuentwicklung der Kriminalitätsbekämpfung medial verantwortlich und seine Erfolge mussten sich nicht hinter denen von Batman verstecken. Das Problem war: Es waren nicht seine Erfolge. Das meiste davon war schlichtweg Demographie. Er hätte Steuerbefreiungen für Zuhälter und Taschendiebe einführen können — den Rückgang der verzeichneten Kriminalität hätte er kaum aufhalten können.

Trotz allem wird die Legende vom computergestützten Vorahnungs-Polizisten weiter verbreitet. Wenn wir nur die Muster der Kriminalität erkennen, wenn wir nur genug Überwachungskameras und Sensoren verteilen, dann nimmt die Kriminalität ab. Nein. Sicher kann die Kriminalitätsbekämpfung von modernen Technologien profitieren. Aber nur in Maßen, wenn man nicht alle Leute ihrer Freiheit berauben oder massenhaft Unschuldige oder Kaum-Kriminelle verurteilen will.

Menschen passen sich an. Sie klauen vom Schreibtisch aus Milliarden, sie meiden die Kameras, sie nutzen das Desinteresse derer, die damit umgehen wollen. Und Daten lügen. Viele Daten bedeuten viele Lügen. Wer meine Bewegungsmuster durch die Stadt verfolgt, wird mich beim Auskundschaften von vielen Wohnungen erwischen. Es sei denn, er weiß: Ich spiele ab und an Ingress. Vielleicht bin ich aber auch ein Ingress-Spieler, der Wohnungen auskundschaftet? Big Data bedeutet große Lügen. Denn es ist das Versprechen, dass die Daten mein Wesen erkennen, dass sie objektiv sind und die Antworten auf die Daten rational.

Auch Polizisten sind Menschen. In New York erfanden sie eine Lösung für die Statistik-Gläubigkeit der Politik. Einfache lösbare Straftaten wurden erfunden, schwere Straftaten nicht in das System eingegeben. Folge: Die Erfolgsbilanz stieg, die Krimkinalitätsrate sank überdurchschnittlich. Das ging über Jahre so. Und als der Whistleblower Adrian Schoolcraft sich dem System widersetzte, packten sie ihn und verschleppten ihn in eine geschlossene psychiatrische Station. Als er entkam, wurde er sogar angeklagt. Pech: Schoolcraft hat Beweise. Und am Rande des Prozesses kommt heraus: Auch Vater und Schwester des Whistleblowers wurden durch das scheinbar allmächtige Datensystem überprüft.

In New York musste die Polizei die Taktik aufgeben schlichtweg jedermann anhalten und durchsuchen zu können. Eine formelle Schranke wurde errichtet — aber erst nachdem die Praxis von einer Richterin als verfassungswidrig eingestuft wurde. Die Stadt will das Urteil bekämpfen. Und führt eine Statistik als Begründung an.

Kate Micucci

Darf ich vorstellen? Das ist Kate Micucci. Jahrgang 1980, aufgewachsen auf dem Lande — eine Stunde von New York entfernt — hat sich die Schauspielerin inzwischen in Los Angeles angesiedelt.

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Kate ist ein „late bloomer“. Ihre Kindheit war gut behütet, ihre Eltern taten alles, um die Kreativität ihrer Kinder zu fördern. Klassisches Klavier, selbstgebasteltes Spielzeug, ein Frosch im Keller. Wenig Geld. Kate finanzierte sich ihr Studium selbst. Und baute im Studentenwohnheim tatsächlich ihre Modelleisenbahn auf und malte alleine, statt auf Parties zu gehen. College Girls gone wild? Nicht Kate.

Das änderte sich, als sie endlich nach Kalifornien umsiedelte und dort den Beruf einer Schauspielerin ergriff. Ihr Äußeres, das so gar nicht der Durchschnitts-Schauspielerin entsprach, öffnete ihr Türen und ihr unbestreitbares Talent brachte den Erfolg. Erfolg? Nunja: Sie erschien — neben ihren Jobs als Babysitter und Sandburg-Tutorin — in vielen Werbespots. Man kann davon leben, aber nicht wirklich mehr.

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Auch kleine independent movies gab es zuhauf. Micucci ging in dem kreativen Umfeld auf. So richtig ging es aber erst los, als sie sich mit Riki Lindholm anfreundete. Die ist auch Schauspielerin und traf Micucci immer wieder bei den Castings, bei denen es nie um die Hauptrolle, sondern um die der komischen, redseeligen, irgendwie quirky Freundin / Bedienung / Assistentin ging. Eine Karriere im Schatten, die die Miete zahlt. Doch Riki und Kate freundeten sich an und es ging los. Kate schrieb lustige Songs, Riki baute die Kamera auf und „Garfunkel and Oates“ waren geboren:

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Es begann wie mit Justin Bieber. Nicht so schnell, nicht so extrem, nicht so jung. Der YouTube-Counter ging steil bergauf, die großen Studios bissen aber nicht an. Tom-Hanks-Fans erinnern sich vielleicht an die Szene aus „That Thing You Do!“ — und wer sonst außer seinen Fans sollte den Film sehen? — an dem das Lied der sympathischen Teenager-Band im Radio läuft und sie auf den Straßen tanzen, weil sie wissen: Sie haben es geschafft: Plattenvertrag, Konzerte, Durchbruch. Bei Riki und Kate rief kein Plattenstudio an.

Die Medienlandschaft ist heute anders. Um Riki zu zitieren: Es gibt keine Ausrede mehr. Niemand muss mehr auf Radio und Plattenvertrag warten. Jeder publiziert heute, es ist so billig. Und wenn die Medienmaschinerie erst einmal angebissen hat, heißt das noch lange nicht, dass man eine Villa in Beverly Hills sicher hat. Riki und Kate — oder: Garfunkel and Oates — sind kein Act, der ohne weiteres dem ganz breiten Publikum nahezubringen ist. Zu viele Worte, nicht genau das, was das Publikum schon kennt. Aber etwas, was in Los Angeles nicht unbemerkt bleibt. Und so castete Bill Lawrence, der Showrunner von Scrubs Micucci nicht für die Rolle, für die sie sich beworben hatte, sondern schrieb eine eigene Rolle für sie. Ein Farbtupfer in der Serie, die nach drei Staffeln kreativ erschöpft war.

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Ja, das ist das gleiche Lied wie oben. Mit dem offensichtlichen Unterschied: „fuck“ wurde durch „screw“ ersetzt. Network Television hat seine eigenen Gesetze.

Riki und Kate setzten ihre Off-Television-Karriere fort. Tatsächlich haben Casting-Agenturen angefangen, YouTube zu durchsuchen. Wer nicht sein eigenes Ding macht, kann nicht ihr Ding machen. Also ziehen Garfunkel and Oates das Ding etwas größer auf. Machen professionelle Low-Budget-Videos. Kate und Riki sind in einer hoch kreativen Umgebung. Erinnert ihr Euch an „Tootsie“? Mittlerweile müsste sich Dustin Hoffman nicht mehr für eine Daily Soap in ein Kleid zwängen, um das Geld für sein Theaterprojekt zu bekommen — er würde einen YouTube-Channel anfangen: #tootsie.

Die Videos von Garfunkel and Oates wurden aufwändiger. Sie kannten Regisseure, Schauspieler, Tänzer, Musiker en masse. Und mit „Sex with ducks“ kam schließlich der entscheidende Durchbruch: Ich bemerkte sie auf YouTube. Erst das low budget music video.

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Und dann die raw and absolutely no budget version.

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9100 Kilometer vom Kalifornien entfernt, lernte ich das Werk von Micucci kennen. Internet hooray. Statt auf Hochglanz-Flachwitz-Magazine zurückzugreifen höre ich mir ganz einfach drei Podcasts mit Kate Micucci an und erfuhr mehr von ihr als wenn ich ihr biopic gesehen hätte. Fans haben Playlisten zusammengestellt, in der zum Beispiel Videos von Micuccis Bühnenshow Playing with Micucci zusammengetragen sind. Ja, das ist ein double entendre. Sie heißt nun mal so, get over it.

Im letzten Jahr hatte sie endlich eine für deutsche Zuschauer sichtbarere Rolle: Sie spielte in The Big Bang Theory die Rolle von Rajs exzentrischer Fast-Freundin Lucy. Aus meiner Sicht ein verschwendetes Talent, denn die Serie hat wie damals Scrubs ihren kreativen Zenith längst überschritten. Dank Werbespots bleibt den Autoren immer weniger Platz für Inhalte, die Prominenz der Show stiehlt ihr die Spontanität. Sheldon darf zum Beispiel nichts Reales mehr schlecht finden und recht behalten. Die aufgebauten Charaktere werden für Witze verheizt. Da mittlerweile in jeder Folge sieben Charaktere untergebracht werden müssen, bleibt eh keine Zeit für Dialoge über Twitter-Länge. Und so ist auch die Rolle von Micucci ist schlichtweg nicht witzig — anders als die ihrer Freundin Riki in Staffel 2.

Kates Karriere wird es nicht schaden, hoffe ich. Ich werde sie aus der Ferne im Auge behalten — egal ob network television sie nach oben befördert oder wieder vergisst. YouTube, spotify, social media — sie hat viele Kanäle zum Publikum und ich gehöre dazu.

Was können Kreative daraus lernen? Produziert. Findet eure Stimme und euer Publikum. Und bleibt nicht stehen. Den großen Durchbruch gibt es noch, aber es gibt so viele andere Wege, die sich lohnen.

Halt — noch eins: Es klappt nicht immer.

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PS: Kaum habe ich es geschrieben, hat Garfunkel and Oates eine eigene TV-Serie. Premiere: 2014 bei IFC, wo auch Marc Maron seine autobiographische Serie untergebracht hat.

Informationsfreiheitsanfrage

„Hallo Verfassungsschutz?“
„Hier ist das Landesamt für Verfassungsschutz Niedersachsen, Guten Tag.“
„Überwachen Sie mich?“
„Mit wem darf ich verbinden?“
Der Beamte der mich überwacht.“
„Moment bitte.“

warteschleife

„Hallo Verfassungsschutz?“
„Hier ist das Landesamt für Verfassungsschutz Niedersachsen, Guten Tag.“
„Überwachen Sie mich?“
„Ähm… Nein.“
„Wollen Sie nicht wissen wer ich bin?“
„Ähm… Nein.“
„Woher wissen Die dann, dass Sie mich nicht überwachen?“
„Ähm. Wir sind der Verfassungsschutz Niedersachsen. Wir überwachen nur Journalisten.“
„Aber ich bin Journalist.“
„Das glaube ich nicht. Guten Tag.“
„Hallo? Hallo?“

Next: Vorratsdatenspeicherung

Man muss kein Netzaktivist sein, um in dem jetzigen Ergebnis der Bundestagswahlen einen enormen Verlust für die Netzpolitik zu sehen. Oder um Ulf Buermeyer zu zitieren: „Ihr werdet euch noch wünschen,die FDP wäre reingekommen…“

Mit der Partei, die sich gerne „liberal“ nennt — aber mit der Definition dieses Wortes nach unendlichen Jahren ko-konservativer Regierungszeit immer wieder haderte — verschwindet eine strategische Kraft aus der Regierung und dem Bundestag, die in wichtigen netzpolitischen Fragestellungen ein Patt erzwingen konnte. Oder um eine andere Formulierung zu wählen: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger blockierte, was aus netzpolitischer und bürgerrechtlicher Sicht allzu viel Schaden angerichtet hätte. Sie konnte allerdings nur aufschieben, nichts lösen.

In Sachen NSA, GCHQ & Co zeigte sich Bundeskanzlerin Merkel und ihre Regierung demonstrativ desinteressiert. Man kann allenfalls erahnen, dass sie hinter den Kulissen die Enthüllungen nutzen wollen, um die allzu forschen Interessen der amerikanischen Freunde zurückzudrängen. Allerdings ist die Spionage, die alle Deutschen betrifft — aber eben nicht so viel, dass sie sich unmittelbar belauscht fühlen — eine politische Verhandlungsmasse. Die eigenen, die deutschen Dienste wollen auch mit den Daten arbeiten. Und die Franzosen, Polen, Briten. Big Data für alle!

Offenkundig gibt es ein Ungleichgewicht: Der NSA kann machen, was das deutsche Bundesverfassungsgericht ohne mit der Wimper zu zucken kassieren würde. Und selbst nach über zwei Monaten Dauer-Enthüllungen gibt es nicht mal eine personelle Konsequenz in der NSA-Führung oder gar in der britischen Geheimdienstbürokratie, von der man gehört hätte. Von einem Kurswechsel ganz zu schweigen. Die logische Konsequenz ist: Wenn man die Schnüffelei nicht abstellen kann — warum soll man nicht daran partizipieren? Wenn wir die Hintertüren ein wenig verschließen, müssen wir die Vordertür nicht aufmachen? Ein überwachungspolitischer Druckausgleich.

Was in den vergangenen Wochen kaum Aufmerksamkeit bekam: Die USA haben eine geheime Mega-Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür eingeführt. Rechtsstaatlich einigermaßen abgesicherte Verfahren wurden hintertrieben, indem Beweisverfahren systematisch gefälscht wurden. Die Geheimdienste öffneten ihre riesigen Datenspeicher zumindest einen Spalt weit. Statt nach rechtsstaatlichen Maßstäben kaum verwertbare Beweismittel in Gerichtsverfahren einzuführen, gaben die Geheimdienstleister den offiziellen Polizisten Hinweise, welche Steine sie denn umdrehen müssen, welche Verbindungsprotokolle sie abfragen müssen, um etwas gegen Verdächtige in der Hand zu haben.

Nachdem die Praxis enthüllt wurde, sehe ich wenig Chancen, dass die Öffentlichkeit oder die Politik sagt: „Stopp! Lasst die Schurken nur laufen!“ Auch wenn noch so viele Inhaftierte, Angestiftete oder Flughafen-Durchsuchungs-Dauergäste nichts verbrochen haben nichts im eigentlichen Sinne. Nichts im uneigentlichen Sinne. Und doch… Terroristen greifen Einkaufszentren an! Da muss man doch etwas tun!

Lange Rede, kurzer Sinn: Die Vorratsdatenspeicherung kommt wieder. Mit stolzgeschwellter Brust und ohne Beweise.