Bullshit, Teil 1

Ich habe in der vergangenen Woche auf der re:publica einen Vortrag zum Thema Bullshit als künftiges Geschäftsmodell des Journalismus gehalten. Ich will hier nochmal meine Thesen etwas genauer aufarbeiten.

Bullshit ist bei weitem kein neues Geschäftsmodell. Wir müssen nur auf das Zeitschriftenregal neben der Supermarktkasse gucken, wo dutzendfach die Ausgaben der Regenbogenpresse aufgestapelt sind. Krebs-Drama bei Promi X, Babygerüchte bei Promi Y, Trennungsgerüchte bei eigentlich jedem. Alle diese Meldungen haben gemein: Sie haben nichts mit der Lebenswelt der Leser zu tun und es ist eigentlich egal ob sie wahr sind oder nicht. Sie sind schreiend laut und oft irreführend. Promi X ist gar nicht krebskrank, sondern nur sein Schwager. Der Babybauch ist zwei Jahre alt. Und steht auf der Titelseite eines solchen Magazins eine Frage, kann man sie getrost mit „Nein“ beantworten — oder mit „Wissen wir auch nicht“. Diese Blätter sind die Clickbaiter der Print-Branche.

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Auch bei seriöseren Tageszeitungen kommt das Bunte nicht zu kurz. Auf der Titelseite verkünden diese zwar Steuerschätzungen und Ukraine-Krise. Doch jede Zeitung hat einen Teil der „Panorama“ oder „Aus aller Welt“ heißt, wo die bunten Meldungen stehen: Der Leguan im Baggersee, der Schluckauf der Queen, ein nackter Dieter Bohlen. Und da die Zeitungsleute 200 Jahre Erfahrung haben, muss man nicht aufwändig blättern, um diese Seite zu finden. Man dreht einfach die Zeitung um — und da steht das, worüber man sich in der Kaffeepause unterhalten kann. „Hast Du schon gehört?“

Unterhaltsames schlichtweg „Bullshit“ zu nennen wäre übertrieben. Die Welt ist kurios, wir sind an kuriosen Dingen interessiert. Warum also die Nase rümpfen? Der Grund: Das Internet. Wie wir die Folgen der Klimaerwärmung anerkennen müssen, müssen wir auch sehen, dass das Verlagsgeschäft, der Markt der Nachrichten verändert hat. Es gibt viele Veränderungen zum Besseren und viele Veränderungen zum Schlechteren. Und viele Entwicklungen, bei denen wir die Bilanz noch nicht kennen. Eine davon ist die Fragmentarisierung. Sie ist Lebensgrundlage für die Bullshitter, deren Existenz ich als Journalist beklage.

Warum nicht einfach bullshitten?

Früher waren Zeitungen und Zeitschriften auf vielfache Weise darin begrenzt, hemmungslos irreführende und emotionalisierende Texte zu verbreiten. Wer zum Beispiel das lukrative Geschäft mit den Staatsanzeigen machen wollte, musste staatstragene Nachrichten verbreiten. Wer Promi-Kitsch verbreitet, braucht eine große Rechtsabteilung, da sich die Prominenten eben nicht mehr alles bieten lassen. Der werbetreibende Möbelhändler möchte nicht mit einem Revolverblatt verbunden werden. Und nicht zu vergessen: Der Leser möchte nicht veräppelt werden.

Eine Seite wie heftig.co hat alle diese Probleme nicht. Der Online-Werbemarkt in seiner derzeitigen Funktion kennt keine Qualitätskriterien. Klicks, Verweildauer, Aufmerksamkeit. Warum soll man über teure deutsche Prominente schreiben, wenn es da draußen sechs Milliarden Menschen gibt, die niemals in Deutschland klagen könnten? Warum soll man nicht hemmungslos unseriös werden, wenn kein Werbetreibender jemals zu Gesicht bekommt, wo er da sein Geld ausgibt. Und: Die Texter müssen nicht mehr raten, was der Leser will. Jede manipulative Überschrift kommt mit einer sofortigen Erfolgskontrolle über Klicks und Likes. Und wenn der Domainname schließlich verbraucht und verrufen ist, macht man einen neuen auf.

Lektion Bullshit

Es ist wahr, dass seriöser Journalismus neben der Regenbogenpresse bestehen kann. Doch wie viel davon? Ich habe eine Journalistenschule besucht — mehr als die Hälfte meiner Kommilitonen macht keinen Journalismus mehr, sie sind in die PR gegangen, schreiben für Firmen und Organisationen und nicht für den Leser. Die publizistischen Firmen schauen derweil sehr genau auf die Erfolge von Buzzfeed und Co. Und versuchen die Rezepte nachzuahmen. Jedes Onlinemedium hat heute Liveticker, fast jedes hat „Listicles“, also Artikel, die nur noch aus Aufzählungen bestehen. Journalisten publizieren bevor sie prüfen könnten.

Aktuell lässt sich das zum Beispiel beim Nachrichtensender CNN sehen. Der Anbieter leidet seit Jahren unter einer chronischen Quotenschwäche — was garantiert nicht an übersteigertem Qualitätsbewusstsein lag. Doch mit der Suche nach dem verschwundenen Flugzeug der Malaysian Airlines hatte der Sender einen hemmungslosen Tiefpunkt zelebriert.

Dave Pell fasst die tatsächliche Nachrichtenlage so zusammen:

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Trotzdem füllte CNN sein Programm Stunde um Stunde mit neuen Nicht-News. So wird die Erkenntnis, dass ein Flugzeug nicht unbegrenzt ohne Treibstoff fliegen kann zur aufregenden Neuigkeit stilisiert, Experten werden allen Ernstes befragt, ob ein schwarzes Loch das Flugzeug und seine Passagiere verschlungen habe. Der betreffende Moderator schämt sich noch ein bisschen, aber die Quoten werden ihm das schon austreiben. Denn die gingen durch die Decke.

Im nächsten Beitrag widme ich mich der Frage: Was ist Bullshit eigentlich?

Netz- gegen Kinder-Lobby?

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung macht heute mit dem Thema Jugendmedienschutz-Staatsvertrag auf. (Der Artikel ist inzwischen online.) Ich bin überrascht, denn das Thema ist trocken, komplex und interessiert eigentlich niemanden so recht. Kinderschutz ist sicher interessant, aber wer will dafür Paragraphen wälzen? Doch mit den Thesen der Autorin Florentine Fritzen wird es etwas interessanter.

2010 war eine Novelle des Staatsvertrags zum Jugendmedienschutzgesetz gescheitert, nachdem sich Blogger und Netzaktivisten vehement dagegen ausgesprochen hatten. Insbesondere wehrten sie sich gegen den Plan, freiwillige Alterskennzeichnungen für Internetseiten einzuführen: Das sei Zensur.

Die zuständige Rundfunkkommission der Länder macht jetzt, schon zum zweiten Mal, einen zag haften Versuch, den Staatsvertrag zu überarbeiten. Betonung auf zag haft, vor einer echten Reform schrecken die Verantwortlichen zurück. Das liegt an der Macht der Internetkonzerne und der „Netzgemeinde“ – eine unheilvolle Allianz.

Die unsichtbare Allianz

Die Macht dieser unheilvollen Allianz sabotiert den Kinderschutz? Das klingt nach einem spannenden Drehbuch, ist aber doch meilenweit von unserer bundesdeutschen Realität entfernt.

Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist 2010 nicht an einer ominösen Netz-Lobby gescheitert. Die ach so mächtigen Konzerne Facebook und Google ließen damals so gut wie nichts von sich hören. Interessiert war eine kleine und immer mehr irrelevante Industrie von „Erotik-Anbietern“, die sich in den üblichen Anhörungen zu Wort meldete und mit dem Vorschlag schließlich halbwegs gut leben konnte. Diese Erotikanbieter hätten gerne eine unwirksame Alterskennzeichnung über ihre Seiten gesetzt, um die umsatztötende Ausweiskontrolle abzuschalten zu können.

Die „Netzgemeinde“ hingegen hat tatsächlich alle Hebel in Bewegung gesetzt, die sie erreichen konnte. Und das reichte nicht. Wie sollte es auch? Es waren ein paar wenige Engagierte, deren Antrieb im Wesentlichen war, dass sie glaubten es besser wissen. So wie sie es auch besser wussten, als Kinderschutzverbände Netzsperren gegen Kinderpornografie forderten. Hier hatten die Netzlobbyisten tatsächlich gewonnen — und wie sich herausstellt, war das gut so. Denn ihre Position diente dem Kindeswohl — wie sich jetzt auch bestätigt hat — während die Pläne der Kinderschutz-Lobbyisten den Schutz geschwächt hätten, weil sie empört irgendetwas tun wollten.

Einen Staatsvertrag abzuschließen ist ein hochkomplexes Thema. Landesregierungen haben Fachabteilungen, die sich treffen müssen, die sondieren, und dann mit Parteifachpolitikern Rücksprache halten, mit dem einen oder anderen Industrievertreter und den Stakeholdern. Dann mischt man das alles zusammen und lässt es von den Landesparlamenten abwinken. Wenn die Landesparlamente richtig mitbestimmen wollen, gibt es eben keinen Staatsvertrag — wir haben das zum Beispiel bei den Glücksspielen gesehen. Ein Staatsvertrag klappt eben nur, wenn er nicht politisiert wird. Und dazu gehört mehr als der „Aufschrei“.

Keine Stimmen, keine Kekse

Die „Netzaktivisten“ konnte den Landespolitikern nicht damit drohen, dass sie Stimmen verlieren würden, sie konnten auch keine Arbeitsplatzverluste androhen — denn die waren schon vor Jahren verschwunden und die Aktivisten keine Arbeitgeber. Der Netzprotest war meiner Meinung nach nur ein willkommener Vorwand, ein Projekt gegen die Wand fahren zu lassen, an dessen Sinn eh niemand wirklich glaubte. Eine bundesrepublikanische Pflichtübung im Schulterschluss wurde nach einer verlorenen Wahl und einer Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen mit einem Tritt ans Schienbein beendet.

Warum auch nicht? Denn wer sich erhoffte, den Kinderschutz zu verbessern, musste die Augen ziemlich fest verschlossen haben. Denn erinnern wir uns: Bis dahin gab es nicht ein einziges Jugendschutzprogramm, dass die Kommission für Jugendmedienschutz zertifiziert hatte. Die Sendezeitbeschränkung, die auch Florentine Fritzen als „Unsinn“ bezeichnet, war hingegen Realität. Auf der Pro-Seite: Man macht irgendetwas, weil man es eben so macht. Contra-Seite: Eine politische Ohrfeige für den Gegner. Die Entscheidung in NRW fiel leicht.

Gegen nackte Brathähnchen!

Wichtiger noch: Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag scheiterte damals und scheitert in Zukunft daran, dass man das Internet nicht sinnvoll auf Basis eines überkommenen föderalen Konstrukts regulieren kann. SchülerVZ ist Vergangenheit und Wer-kennt-wen schließt bald die Pforten. Für wen sollen die Gesetze noch gelten, die die Bundesländer nun über soziale Netzwerke beschließen? Was erreichen wir, wenn wir dem Forum von Chefkoch.de Vorschriften machen? Soll Thilo Weichert nach seiner Zeit als Datenschutzbeauftragter Facebook in Zukunft als Kinderschutzbeauftragter verklagen? Und dann verlieren?

Wenn ein Staatsvertrag durchgewunken wird — wie er auch immer aussehen mag — dann haben wir ein Gesetz, dass von 16 verschiedenen Behörden durchgesetzt werden soll. Die jeweils nur auf ihrem kleinen Flickenteppich entscheiden müssen, was nun den schwammigen Regeln entspricht und was nicht. Beim Jugendmedienschutz ist es nochmal komplexer — ein zur Selbstblockade neigendes System aus Bundesgesetzen, Landesmedienanstalten, Selbstregulierern, Amtsrichtern und sonstigen Stellen produziert irgendetwas, dessen Erfolg niemals überprüft wird.

Filterklasse durch Filtermasse?

An dieser Stelle setzt Fritzen an, um ihre Forderung zu formulieren:

Jugendschützer hielten für sinnvoll, wenn jeder Nutzer beim Installieren eines Computers gefragt würde, ob er ein solches Programm laden möchte. Dann würden Eltern automatisch auf dessen Existenz aufmerksam gemacht – und müssten sich, wenn sie es nicht nutzen wollen, bewusst dagegen entscheiden. […]

Wären solche Programme weiter verbreitet, könnten sich die Gewichte zwischen Anbietern und Nutzern verschieben. Aber nur dann, wenn man gleichzeitig die Anbieter zwänge, ihre Inhalte zu kennzeichnen (zum Beispiel „ab 12“) – und selbst zu kontrollieren ob jemand etwas auf der Seite hinterlässt, das der eigenen Einstufung widerspricht.

Das klingt sinnvoll, hat aber einen Haken. Facebook und Google haben diese Kennzeichnung in ihren Diensten längst drin. Natürlich nicht in Form eines bundesdeutsch zertifizierten Digital-Siegels, sondern einfach in ihren Nutzungsbedingungen. Wer keine 12 Jahre alt ist, darf eigentlich nicht rein. Und zum Jugendschutz wird dann prophylaktisch jede Brustwarze gelöscht. Das ist nicht der Jugendschutzstandard von Sachsen-Anhalt? Bitte stellen Sie sich hinten an, die Türkei hatte einen Termin vor Ihnen gemacht.

Wer sich nicht die Arbeit mit dem Jugendschutzsiegel machen wird: Der Inhaber dieses Blogs. Ich wäre schön blöd, wenn ich mich auf eine Alterstufe festlege und mir dann ein Leserkommentar durchrutscht, der dem nicht entspricht. Ich kann ohne Leser unter 12, 14 oder 18 leben. Ob die jedoch mit einem Internet zufrieden sind, wo sie nur Inhalte von Anbietern sehen können, die sie heute schon per De-Mail erreichen können? Ich glaube ja nicht.

Von Libertären — Freiheit ist ein zweischneidiges Schwert

Ich mag Penn Gilette. Wie könnte ich ihn auch nicht mögen? Er war auf einer Clownsschule, er hat die Ignoranz der Impfgegner mit Orangen beworfen. Und er hat im West Wing die Flagge der Vereinigten Staaten verbrannt, um die Freiheit zu feiern, die sie repräsentiert. Aber Penn ist nicht nur ein Clown, er ist auch Aktivist. Gegen Religion. Und für libertäre Ideologie.

Was das bedeutet, kann man in seinem wöchentlichen Podcast nachhören. Es ist eine Ego-Show von Ausmaßen eines Charlie Sheen, aber er ist charmant, unterhaltsam, intelligent und tut niemandem etwas zuleide. Im Podcast erklärt er, warum er Steuern zum größten Teil für Diebstahl hält. Wenn jemand bedürftig sei, könne man ja fragen — Penn hilft und spendet bereitwillig.

Die Freiheit Quatsch zu sagen

Auch wenn er Religionen für Betrug und Massenpsychosen hält, will er diesen Menschen freundlich begegnen. Und Homophobie findet er ganz und gar nicht toll, er ist aber absolut für die Freiheit der Menschen Homosexuelle von Dienstleistungen auszuschließen. Schließlich — so seine Argumentation — werden Homophobe durch die Freiheit Homosexuelle zu diskrimieren, vom Markt gestraft. Denn jeder habe die Freiheit bei solchen Leuten nicht einzukaufen. Wie gesagt, Penn Gilette ist intelligent. Er weiß, dass das Quatsch ist. Vermute ich. Und er wird auch gerne eingestehen, dass er zuweilen ein Arschloch ist, ein Clown. Dass sein Erfolg zwar sehr von Talent und harter Arbeit, aber auch von sehr viel Glück abhing. Und dennoch.

Ich kenne viele Leute, die ähnliche libertäre Gedanken vor sich hertragen. Die in gesellschaftlichen Diskussion immer die Freiheit als erstes betonen. Die Freiheit in Kneipen zu rauchen. Die Freiheit Filme kostenlos im Internet anzusehen. Die Freiheit, die von GEZ-Gebühr und Ideologen jeder Couleur eingeschränkt ist. Vor allem: die eigene Freiheit.

Oft werden Libertäre mit Linken verwechselt. Denn ihnen sind so manche Forderungen gemein: Das Recht auf Rausch ist ein starkes Bindeglied, die Abneigung gegen Lobbyismus der Milliardenkonzerne, die den Markt manipulieren, die Verlogenheit des „Kampfes gegen den Terror“. Die Präsidentschaftskandidatur von Ron Paul war so ein Beispiel. Aber auch die Piratenpartei. Unter der Flagge der vermeintlichen Ideologiefreiheit wurden hier unverträgliche Ideologien so lange vermischt, bis der Laden auseinanderflog.

Nicht-Ideologie gibt es nicht

Konsequent libertär zu sein geht eigentlich nicht, genau so wenig wie ein epikureischer Berufspolitiker zu sein. Denn der Ausdruck der tolerierten Freiheit ist ein Achselzucken. Sobald ich für die Freiheit eines anderen eintrete, bin ich ja schon wieder ideologisch. Trete ich für den Raucher ein oder für den Nichtraucher? Trete ich für die Freiheit des Homophoben ein oder der des Homosexuellen? Ist die Freiheit des einen auf unbegrenzten Reichtum des einen nicht auch das Recht auf Freiheit zu verhungern oder sich die Knochen zu brechen? Freiheit ist fast immer ein zweischneidiges Schwert.

Der kluge Libertäre bleibt an der Oberfläche, widmet sich nur den 90 bis 100-prozentigen Fragen, wo es eindeutig zu sein scheint, auf welcher Seite die Freiheit liegt. Darf man im Namen der Freiheit alle abhören — auch wenn es nichts bringt? Natürlich nicht. Ist der Krieg gegen Drogen eine gewaltige Geldverschwendung? Natürlich! Geht es jedoch tiefer, geht es an die eigene Lebenswirklichkeit, werden auch die Libertären ins Ideologische reingezogen.

Allzu viele Libertäre entscheiden sich dann für das Recht zu kämpfen, ein Arsch zu sein. Mit der Begründung, dass die anderen doch so viel schlimmer sind. Der Kampfruf „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden!“, bekommt eine Fußnote. Die Freiheit der Andersdenkenden, die so aussehen wie ich und auf der gleichen Schule waren. Die wie ich Jahre geschuftet haben, um etwas zu erreichen. Die das gleiche Craft-Bier mögen.

Liebe PR-Branche

Ich habe eine ganz einfache Bitte. Bevor ihr mich in einen Presseverteiler / Newsletter aufnehmt, fragt mich einfach.

Ich habe eine separate E-Mail-Adresse für Pressemitteilungen, die ich tatsächlich auch lese. Ich sag Euch an was ich interessiert bin und was nicht. Zum Beispiel: Personalien sind meist uninteressant für mich. Neue Produkte gewisser Art hingegen sind interessant, wenn es tatsächlich neue Produkte sind und nicht nur ein neuer Dreh etwas altbekanntes als neu zu verkaufen. Prozesse sind oft spannend — aber ich verstehe, dass ihr darüber nicht reden wollt. Ich sage oft am Telefon zu einem Sprecher: „Wenn sich genau in dieser Sache etwas Neues ergibt — können Sie mir eine E-Mail schicken?“

Wenn ihr hingegen meinen Namen unter einem Artikel seht und dann im Web nach meiner E-Mail-Adresse sucht und mich dann fortan ungefragt mit jeder schlechten Idee / Infografik / Billig-Umfrage belästigt, weil das ja legal sei (eben tatsächlich gehört!), dann seid ihr Spammer.

So ganz unrecht hat er nicht? Doch!

In dem allgemeinen Nondiskurs zu gesellschaftlichen Themen, der daraus besteht, das zwei oder mehr Seiten ihre Standpunkte per Megaphon verkünden und dabei die Finger ganz fest in die eigenen Ohren stecken, um ja nicht von Gegenargumenten getroffen und vermutlich tödlich verletzt zu werden, im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs, bei dem jemand um Teufel komm raus provoziert und den Provozierten dann ihre Erregung vorwirft, da begegnet mir das Scheinargument recht häufig:

So ganz unrecht hat er doch nicht!

Meist kommt dieser oder ein ähnlicher Satz von Leuten, die prinzipiell der Meinung eines Megaphonträgers sind, aber die nicht mehr leugnen können, dass das, was der Vorsprecher sagte, zum großen Teil erstunken, erlogen und nicht verstanden ist.

So ganz unrecht hat er doch nicht. Man muss ja die gesellschaftlichen Realitäten sehen…

Als Journalist kann ich sagen: komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge lassen sich unmöglich in 4000-Zeichen-Texte verpacken, die die objektive Wahrheit umfassend abbilden und von niemandem missverstanden werden können. Und dass unveränderbare Kennzeichen von komplexen gesellschaftlichen Fragen ist, dass es immer jemand gibt, der missverstehen will.

So ganz unrecht hat er doch nicht. Seine Meinung ist halt seine Meinung. Und darf man nicht mehr seine Meinung sagen?

So schwer es ist, auch nur über überschaubare Strecken alleine die objektive Wahrheit zu sagen und zu schreiben; so schwer ist es, konsequent die objektive Unwahrheit zu sagen. Zwei plus zwei ist gleich elf und der erste bekannte US-Präsident war ein Velociraptor. Das ist falsch, aber waren nicht Velociraptoren in Amerika? Und die Grammatik stimmt doch? Und seien wir ehrlich: der Raubtierkapitalismus der USA hat etwas von einem gefräßigen Saurier. Und die Mathe ist nicht schlimmer als das, was Kuba macht!

So ganz unrecht hat er ja nicht!

Doch. Wer Anekdoten erfindet, Lügen und Verschwörungstheorien verbreitet, wer Verachtung verspritzt, der hat für alle praktischen Erwägungen unrecht. Komplett. Er kann ja nochmal versuchen ohne den Quatsch seinen Punkt zu machen.

Lasst uns unterdessen jemandem zuhören, der kein Megaphon hat und sich kein heißes Wachs in die Gehörgänge träufelt, um ja kein Gegenargument zu hören.

Das finale Update

„Guten Tag“
„Hallo?“
„Wir sind von dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Wir wollen mit Ihnen über ihren Router sprechen.“
„Meinen was?“ 
„Router. Oder sagen Sie ‚Rauter‘?“
„Ich habe keine Ahnung…“
„Der Plastikkasten zwischen Telefondose und Computer.“
„Ach so. Das Ding. Was ist denn mit dem los?“
„Nun — ihr Router…ihr Ding ist zu alt. Keine Sicherheitsupdates mehr. Dürfen wir rein?“
„Ich hab nicht aufgeräumt.“ 
„Kein Problem, kein Problem. Sehen Sie mein Kollege hat den Router schon gefunden.“
„Ja. Und nun?“
„Nun werden wir ein Sicherheitsupdate vornehmen.“
„Mit einem Hammer?“
„Natürlich. Wie auch sonst? Meinen sie, F-Link würde für das alte Ding noch Updates herausgeben?“
(Aus dem Flur hört man, wie Plastikgehäuse und Platine mit einigen wuchtigen Schlägen zermalmt werden.)
„Hey, Sie können doch nicht!“
„Doch wir können. Sie sind nun sicher.“
„Aber ich komme doch jetzt nicht mehr ins Internet.“
„Stimmt. Wir nennen es das Enzensberger-Update. Sie können sich nun einen neuen Router kaufen und kommen wieder ins Internet.“
„Na hören sie mal!“
„Gern geschehen. Wir kommen dann in fünf Jahren nochmal vorbei. Und immer dran denken: Surfen Sie sicher!“
„Ja, Sie mich auch.“

Warum ein besseres WhatsApp eine Sackgasse ist

Meine Nicht-Threema-ID.
Meine Nicht-Threema-ID.

Der Reflex vieler in meiner Timeline auf den Verkauf von WhatsApp an Facebook ist: Sie veröffentlichen ihre Threema-ID. Denn wie zum Beispiel stern.de versichert: Threema ist das bessere WhatsApp. Das ist das Problem. Es ist immer noch ein Programm der Kategorie WhatsApp. Das heißt:

  • Es ist geschlossen.
  • Es läuft nur auf Mobilgeräten.
  • Es hat kein Geschäftsmodell, das es auf Dauer vor Übernahmen bewahren würde.
  • Es gibt keine Sicherheitsanalysen, wenn nicht jemand Externes das Programm reverse engineert.
  • Es ist ein Datensilo.

Threema mag vieles besser und sogar richtig machen. Aber ich will kein besseres WhatsApp. Ich will sicheres und offenes Messaging.

Der Verdacht, ein Pädophiler zu sein.

Nachdem ich meine Auffassung der derzeitigen Rechtslage im Fall Edathy gepostet hatte, bekam ich etwas Widerspruch: Ich würde „Schund“ schreiben oder gar für eine Pädophilen-Lobby sprechen. Viele kennen die Rechtslage nicht, zum Beispiel, dass Posing-Bilder seit 2008 eindeutig strafbar sind. Doch die Vorbehalte gehen weiter — und das ist natürlich so. Sex mit Kindern ist ein Tabu und das auch aus gutem Grund. Doch wie geht man damit um? Spiegel Online fasst es heute recht gut zusammen, indem die Redaktion einen Text mit „Porträt eines Mannes, der gegen den ungeheuren Verdacht ankämpft, ein Pädophiler zu sein“ antextet.

Ich schreibe seit fast 10 Jahren zum Thema und es ist ein emotional anstrengendes Thema. Kinderpornografie ist — meist — kein opferloses Verbrechen. Der Kern der Sache ist: Männer missbrauchen und vergewaltigen Kinder. Diese werden traumatisiert, verletzt, gar getötet und immer wieder von neuem erniedrigt. Manche Täter handeln aus einem gestörten Sexualtrieb, manche aus Sadismus, manche um Geld zu verdienen.

Und doch.

Pädophile sind per se keine Verbrecher. Bis zu zwei Prozent der Männer — so schätzt es Professor Michael Osterheider — reagieren auf kindliche Körper sexuell. Viele davon zum Glück nicht exklusiv. Sie haben auch einen Sexualtrieb, der sich auf erwachsene Männer oder Frauen bezieht. Aber wer die Störung hat, alleine auf Kinder fixiert zu sein, kann und darf diese Sexualität nicht ausleben. Mehr noch: Er darf niemandem davon erzählen. Der Verdacht einen Pädophilen vor sich zu haben, ist für viele unerträglich. Wir sind genetisch programmiert unsere Kinder zu schützen.

Es gibt eine (heute recht kleine) Pädophilenlobby, die so tut, als sei konsensueller Geschlechtsverkehr mit Kindern möglich. Da bleibt eigentlich nur eine Antwort: Nein. Ihnen bleibt nur eine zölibatäre Lebensweise. Und damit das nicht endet wie in manchen anderen zölibatären Institutionen, muss den Menschen ein Therapieangebot gemacht werden. Und dazu müssen sie sich in bestimmtem Umfang outen.

Viele Konsumenten von Kinderpornografie oder auch Produzenten sind eben keine Pädophile. Es gibt Leute, die ihre eigenen Kinder vergewaltigen, aber eben nicht pädophil sind. Wir lernen gerade gesellschaftlich, dass Sexualität nicht binär ist. Die sexuellen Störungen sind es auch nicht. Gerade die schlimmsten Missbräuche werden von und für Leute begangen, die eine sadistische Persönlichkeitsstörung haben, die nicht kindliche Körper als sexuell reizvoll empfinden, sondern Macht und Gewalt. Ihr Kick ist die Erniedrigung.

Es wäre schön, wenn es Schwarz und Weiß gäbe. Aber selbst ich bekomme das nicht hin. Das Album-Cover von „Virgin Killer“ beispielsweise — das zur Blockade von Wikipedia in Großbritannien führte — finde ich schwer erträglich. Hier wurde ein Kind für ein Wortspiel vorgeführt. Das nackte Baby auf dem Cover von „Never mind“ hingegen erscheint mir unproblematisch. Wo immer man die Grenze ziehen — man wird keine Gerechtigkeit für alle herstellen. Es gibt nicht das eine Problem. Und es gibt nicht die eine Lösung.

PS: Bei Zeit Online gibt es eine lesenswerte FAQ zum Thema.

Achtung, freilaufende Leser

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Ich mag Leser, die noch die Fähigkeit beherrschen einen Link nach Facebook / Twitter / Google+ zu kopieren, wenn sie etwas teilen wollen. So sie es denn wollen. Und ich schätze Leser, die auch ohne Plista entscheiden können, ob sie mehr zu einem Thema lesen wollen.